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Pharmazeutische Betreuung

Erkennen und Anzeigen von UAW-Verdachtsfällen

14.11.2006  10:42 Uhr

Pharmazeutische Betreuung

Erkennen und Anzeigen von UAW-Verdachtsfällen

Von Marion Schaefer

 

Um eine sichere Anwendung von Arzneimitteln zu garantieren, sind verschiedene Prozesse erforderlich. Das Sammeln von Daten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen in der Apotheke hilft dem individuellen Patienten, ermöglicht aber auch eine generelle Beurteilung des Arzneimittels.

 

Anwendungssicherheit von Arzneimitteln und damit auch Patientensicherheit im Rahmen einer Pharmakotherapie sind wichtige Anliegen des Gesundheitssystems, die auch von der WHO im Oktober 2004 durch die Proklamation einer World Alliance for Patient Safety bekräftigt wurden. Der Gesundheitspolitik wird darin die Aufgabe gestellt, nicht nur die Aufmerksamkeit für Arzneimittelrisiken zu erhöhen, sondern auch Strategien für eine Vermeidung möglicher Folgeschäden bei den Anwendern zu entwickeln und zwar unter Einbeziehung aller beteiligten Gesundheitsberufe. Dazu gehören neben den verordnenden Ärzten auch Apotheker und Pflegekräfte, die die unmittelbare Anwendung von Arzneimitteln häufig aus nächster Nähe erleben und oft auch beeinflussen oder lenken können.

 

Grundsätzlich wird die »Sicherheitskultur« bei der Anwendung von Arzneimitteln durch mehrere Faktoren bestimmt:

 

die unmittelbare Produktsicherheit, die durch den Hersteller bestimmt, aber auch durch die Zulassungsbehörde beeinflusst wird

die Verordnungs- und Beratungssicherheit, die maßgeblich durch die Ärzte für die rezeptpflichtigen Arzneimittel und durch die Apotheker für die frei verkäuflichen garantiert werden muss und

die unmittelbare Anwendungssicherheit durch den Patienten selbst, die auf einer zweckmäßigen Information beruhen muss und gegebenenfalls durch Pflegekräfte unterstützt wird.

 

Nur wenn alle drei Faktoren in geeigneter Weise zusammenwirken, kann ein optimaler Therapieerfolg resultieren. Information und Kommunikation spielen deshalb eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Arzneimittelsicherheit, die gleichzeitig auch auf eine hohe Patientensicherheit zielt. Unter den heutigen Bedingungen ist eine fachlich fundierte und möglichst umfassende Information und Beratung nur noch unter Einsatz der modernen Computertechnik und einer Dokumentation der Medikationsdaten möglich. Gleichzeitig muss immer wieder bedacht werden, dass die Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) keinen Selbstzweck darstellt. Vielmehr muss gesichert sein, dass Erkenntnisse, die mithilfe der nationalen und internationalen Pharmakovigilanzsysteme gewonnen werden, möglichst zeitnah in den Beratungsprozess Eingang finden, soweit sie nicht ohnehin zum Rückzug von Arzneimitteln führen. Die Datenerfassung im Rahmen der Pharmakovigilanz wird deshalb auch in Zusammenhang mit Risiko-Management-Plänen an Bedeutung gewinnen.

 

Im Anwendungsbereich kommt den Apotheken eine besondere Bedeutung zu, da sie ein niedrigschwelliges Betreuungsangebot ohne vorherige Terminvereinbarung anbieten und zumindest bei ihren Stammkunden über die Verordnungsdaten verschiedener behandelnder Ärzte verfügen, aber auch die Selbstmedikation kennen. Die systematische und möglichst lückenlose Dokumentation der Arzneimittelanwendung, die in einem sogenannten Medikationsprofil über sechs Monate dargestellt werden kann, schafft deshalb eine individuelle Datenbasis für ein strukturiertes Betreuungsprogramm (»Pharmazeutische Betreuung«), mit dem die Sicherheit der Arzneimitteltherapie erhöht und die Nachhaltigkeit der ärztlich veranlassten Therapie unterstützt werden kann.

 

Medikationsprofil zur Kontrolle

 

Medikationsprofile werden inzwischen durch entsprechende Softwareprogramme automatisch generiert, wenn die abgegebenen Arzneimittel dem individuellen »Patientenkonto« oder »Patientendossier« mithilfe eines Lesegeräts zugeordnet werden. Damit entfällt der manuelle Aufwand bei der Datenerfassung, sodass die Erstellung und vor allem die Interpretation von Medikationsprofilen gut in den Arbeitsablauf integriert werden können. Abgegebene Arzneimittel werden ebenfalls automatisch entsprechend der ATC-Klassifikation sortiert, sodass alle Arzneimittel einer bestimmten Indikationsgruppe (zum Beispiel Antihypertensiva oder Antidiabetika) unmittelbar untereinander stehen. Dadurch lassen sich oft Doppelverordnungen, sofern sie nicht beabsichtigt sind, leichter erkennen, auch wenn sie von unterschiedlichen Ärzten veranlasst wurden. Alle Programme bieten außerdem einen Interaktionscheck auf der Basis der ABDA-Datenbank an, sodass potenzielle Interaktionen zwischen zwei gleichzeitig angewendeten Arzneimitteln theoretisch schon vor der Abgabe erkannt werden können. Geschieht dies in der Apotheke, wird in der Regel ein Rückruf bei dem oder den verordnenden Ärzten erforderlich. Eine Klärung der vorgefundenen Situation kann aber nicht in allen Fällen erfolgen, da eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern in dieser Form noch nicht gängige Praxis ist.

 

Darüber hinaus können auch Kotraindikationen oder bereits festgestellte Unverträglichkeiten bei der Arzneimittelanwendung, die zu einem Medikationsstopp geführt haben, durch das Softwareprogramm berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist, dass individuelle Patientenmerkmale (Alter, Geschlecht, BMI, Kontraindikationen, Unverträglichkeiten beziehungsweise Allergien) im System dokumentiert wurden und durch programminterne Checks (CAVE-Checks) geprüft werden können. Auf diese Weise kann zum Beispiel vermieden werden, dass ein Patient ein Arzneimittel wieder verordnet bekommt, das vor zwei Jahren wegen einer schwerwiegenden UAW abgesetzt werden musste.

 

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bilden sich im Medikationsprofil allerdings nur indirekt ab, wenn sie mithilfe anderer Arzneimittel therapiert werden und die zeitliche Abfolge auf einen kausalen Zusammenhang schließen lässt. Zusätzlich erhält der betreuende Apotheker über den sogenannten Reichdauerausdruck, der auf der Basis der Packungsgröße, der Stärke und der jeweiligen Dosierung wiederum automatisch berechnet wird, einen Hinweis auf eine mögliche Non-Compliance, deren Ursache auch UAWs sein können. Entsprechende Auffälligkeiten, das heißt Lücken im Medikationsprofil sollten deshalb zum Anlass genommen werden, die Patienten gezielt zu ihren Anwendungserfahrungen und zu den Entscheidungen zu befragen, die sie daraus abgeleitet haben.

 

Da im Medikationsprofil auch neu verordnete Arzneimittel erkannt werden können, sollte es zur gängigen Praxis gehören, bei der ersten Wiederholungsverordnung grundsätzlich nach der Verträglichkeit des Arzneimittels zu fragen. Darüber hinaus sollten Arzneimittel-Unverträglichkeiten, die zum Medikationsabbruch geführt haben, als individuelles Patientenmerkmal gespeichert werden, um eine künftige Wiederverordnung zu vermeiden.

 

Aufgrund der aus dem Medikationsprofil verfügbaren Daten (Rx einschließlich Dosierung und OTC) kann der Apotheker prinzipiell auch relativ gut abschätzen, ob die UAW durch eine Interaktion bedingt sein kann oder dosisabhängig ist. Im Sinne der Pharmazeutischen Betreuung wäre die beobachtete UAW zunächst in den Dokumentationsbogen für arzneimittelbezogene Probleme, der in die Apothekensoftware integriert ist, zu übernehmen. Sofern die Kriterien der gesetzlich vorgeschriebenen Meldepflicht erfüllt werden, ist darüber hinaus eine UAW-Meldung an die zuständigen Stellen (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, BfArM, EMEA) zu leiten.

 

Bezüglich der UAW sind Medikationsprofile aber in erster Linie als Signalgeber zu verstehen, die ein gezieltes Gespräch mit den Patienten initiieren sollten, um das mögliche Vorliegen einer UAW abklären zu können.

 

Studie in Bayern

 

Im Jahre 1998 wurde in Bayern eine Studie zur Erfassung von Problemen durchgeführt, die in Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie von Patienten standen. 358 Apotheken meldeten seinerzeit insgesamt 3007 Probleme. Etwas mehr als 4 Prozent betrafen dabei UAW sowohl bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln (4,6 Prozent) als auch bei rezeptfreien (4,4 Prozent). Andere Problemkategorien waren »unzweckmäßige Arzneimittelwahl« (immerhin 49,7 Prozent bei den OTC-Produkten), »unzureichende Compliance« (18,8 Prozent bei rezeptpflichtigen, 23,6 Prozent bei rezeptfreien) und unzweckmäßige Dosierung.

 

Da in dieser Studie für die jeweiligen Probleme auch das entsprechende Arzneimittel mit seinem ATC-Code dokumentiert wurde, konnte pro Arzneimittel auch ein Problemprofil erstellt werden, aus dem man die jeweiligen Problemschwerpunkte erkennen kann wie etwa bei Captopril.

 

Aus derartigen Problemprofilen kann man demnach ablesen, ob eine bestimmte Problemkategorie (hier UAW) besonders häufig auftritt. Sofern derartige Ergebnisse durch weitere kontinuierliche Erhebungen bestätigt werden, lassen sich daraus auch Schlussfolgerungen für die unmittelbare Beratungstätigkeit, aber auch für die Weiterbildung ableiten.

 

Pharmakoepidemiologische Daten

 

Eine systematische Erfassung individueller Betreuungsdaten kann auch dem pharmakoepidemiologischen Erkenntnisgewinn dienen. Diesen auch nutzen zu können setzt allerdings voraus, dass die Daten in den einzelnen Erfassungsstellen, seien es Apotheken oder Arztpraxen, in standardisierten Formaten dokumentiert und anschließend in anonymisierter Form zusammengeführt und ausgewertet werden können.

 

Die Erlaubnis zur Dokumentation seiner individuellen Daten erteilt der Patient gemäß den Bestimmungen des Datenschutzes durch eine jederzeit widerrufliche Einverständniserklärung in seiner Betreuungseinrichtung. Er wird dies in der Regel aber nur tun, wenn ihm die Gründe dafür und vor allem der Nutzen, den er persönlich von einer solchen Dokumentation hat, plausibel erläutert worden sind. Dass dies in der täglichen Praxis noch nicht in ausreichender Weise geschieht, ist häufig ein Grund dafür, dass der potenzielle pharmakoepidemiologische Nutzeffekt derartiger Datenbestände noch nicht in gewünschter Weise realisiert wird. Ein weiterer Grund, weshalb pharmakoepidemiologische Bewertungen von Betreuungsdaten bisher nicht auf aggregierter Ebene getroffen werden können, liegt in der fehlenden Struktur beziehungsweise einer noch ausstehenden Institutionalisierung dieser Aufgabenstellung, die natürlich auch zusätzliche Kosten verursachen würde.

 

Dokumentation hilft sparen

 

Den Kosten der Datenerfassung, die im Wesentlichen durch die Betreuungseinrichtungen getragen werden müssten und zurzeit noch nicht gesondert honoriert werden, stehen allerdings auch Einspareffekte gegenüber, die vor allem den Krankenkassen zugute kommen. Dies bestätigt eine Modellrechnung, die die Vermeidung von arzneimittelbedingten Krankenhauseinweisungen auf der Basis von Literaturangaben eher konservativ abschätzt.

 

Auch hier hängt die tatsächlich realisierte Kosteneinsparung davon ab, wie umfassend die Möglichkeiten einer systematischen Arzneimitteldokumentation in der Praxis genutzt werden. Für die Apotheken erfolgt dazu derzeit eine bundesweite Erhebung. Nach einer groben Schätzung kann man aber davon ausgehen, dass circa 70 Prozent der öffentlichen Apotheken die technischen Möglichkeiten haben, Medikationsprofile zu erstellen.

 

UAW-Erfassung im Krankenhaus

 

Im Vergleich zu öffentlichen Apotheken weist die UAW-Erfassung im Krankenhaus einige Besonderheiten auf. Krankenhausapotheker sehen Patienten nur nach einer Krankenhauseinweisung, sodass eine kontinuierliche Betreuung wie durch eine öffentliche Stammapotheke nicht möglich ist. Andererseits ist es ihnen leichter möglich, den Verdacht auf eine UAW gemeinsam mit den behandelnden Ärzten abzuklären und eine entsprechende Meldung zu machen.

 

Sofern sie eine Arzneimittelanamnese bei Einweisung machen, können sie über das direkte Gespräch mit dem Patienten auch abschätzen, ob die Einweisung aufgrund eines bereits eingetretenen Arzneimittelschadens erfolgt ist. Bei Neueinstellungen und Therapieumstellungen ist durch die unmittelbare Nähe zum Patienten ebenfalls eine Beurteilung etwaiger UAW ohne Zeitverzug möglich. Krankenhausapotheker sind deshalb besonders geeignet, ein gezieltes Monitoring insbesondere bei Neueinführungen zu unterstützen und qualifizierte Meldungen an das BfArM zu geben.

 

Fazit

 

Die Erstellung und Nutzung von computergestützten Medikationsprofilen sollte weiter gefördert werden. Darüber hinaus böte es sich an, differenziert für Ärzte und Apotheker therapeutische Leitlinien in die jeweiligen Softwareprogramme zu integrieren. Dort könnten auch zusätzliche Informationen über besonders häufige UAW hinterlegt werden, die den Betreuenden die Bewertung einer vom Patienten vorgetragenen Unverträglichkeit bezüglich Schweregrad und Bekanntheit ermöglichten. Die Frage nach der Verträglichkeit sollte bei der ersten Wiederholungsverordnung, insbesondere wenn es sich um eine voraussichtliche Dauermedikation handelt, zum Betreuungsstandard werden.

 

Insgesamt sind Apotheker nach einer ersten fachlichen Vorprüfung, idealerweise in Kooperation mit dem behandelnden Arzt, in einer guten Position, um qualifizierte UAW-Meldungen auch im Sinne eines Consumer Reports an die zuständigen Stellen weiterzuleiten und auch als Pharmakovigilanzzentrum in der ambulanten Arzneimittelversorgung zu fungieren.

Anschrift der Verfasserin:

Professor Dr. Marion Schaefer

Institut für Klinische Pharmakologie

Charité Universitätsmedizin Berlin

Charitéplatz 1

10117 Berlin

Telefon (030) 945 10 121

marion.schaefer(at)charite.de

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