Karte der seltenen Varianten |
06.11.2012 12:30 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi / Das 1000-Genome-Projekt ist am Ziel: Es veröffentlichte nun die Erbgut-Sequenz von 1092 Individuen aus 14 Populationen. Damit liefert das Projekt den bislang umfassendsten Katalog von genetischen Variationen und eine schier endlose Quelle für die medizinische Forschung.
Das Humane-Genom-Projekt, die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts, war erst der Anfang. Man kannte zwar die DNA-Sequenz eines einzelnen Menschen, aber wusste nichts über die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen Personen. Von Mensch zu Mensch differiert die Basenabfolge der DNA um gerade einmal 1 Prozent. Aber besonders diese genetischen Varianten sind von medizinischem Interesse, denn sie werden für die Entstehung von Krankheiten, das Ansprechen auf Medikamente oder die Empfindlichkeit gegenüber Umweltfaktoren verantwortlich gemacht.
Mehr als 1000 Genome hat ein internationales Forscherteam sequenziert, um seltenen Abweichungen auf die Spur zu kommen.
Foto: Fotolia/arsdigital
Um diese feinen interindividuellen Unterschiede im Erbgut aufzudecken, hat sich 2008 ein Konsortium aus chinesischen, US-amerikanischen und europäischen Forschern vorgenommen, die Genome von rund 1000 Menschen zu sequenzieren und im Detail miteinander zu vergleichen. Die DNA-Spender des »1000-Genome-Projekts« stammen aus 14 verschiedenen Volksgruppen, unter anderem von den Yoruba in Nigeria, den Massai in Kenia, von Japanern in Tokio, Chinesen in Denver und Italienern in der Toskana.
Nun hat der Forscherverbund das selbst gesteckte Ziel erreicht und die mehr als 1000 Sequenzen in einer frei zugänglichen Datenbank gespeichert. Ihre Ergebnisse fasst er in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals »Nature« zusammen (doi: 10.1038/nature11632). Um die genetischen Variationen aufzuspüren, sequenzierten die Forscher das gesamte Genom jedes Individuums insgesamt fünf Mal. Daraus ließen sich die häufigen Varianten ablesen. Um auch noch die seltenen Varianten zu finden, wurde der kleine Anteil des Erbguts, der Gene enthält, das sogenannte Exom, sogar 80 Mal sequenziert. Hierbei achteten die Forscher besonders auf Single-Nucleotid-Polymorphismen (SNPs), vertauschte Einzelbasen in der DNA. Zu Beginn des Projekts ging man davon aus, dass etwa 10 Millionen dieser SNPs in der Bevölkerung vorhanden sind. Der Forscherverbund entdeckte insgesamt 38 Millionen von ihnen.
Zudem kartierte das Konsortium noch 1,4 Millionen sogenannte strukturelle Unterschiede, wie Insertionen (kurze eingeschobene DNA-Fragmente) und Deletionen (kurze verlorengegangene DNA-Abschnitte). Sie entdeckten auch rund 14 000 größere Deletionen. Individuen von verschiedenen Populationen haben unterschiedliche Profile dieser genetischen Abweichungen, berichtet das Konsortium in »Nature«. Während häufige Varianten auf der ganzen Welt vorkommen, sind seltene Varianten, die bei weniger als 1 Prozent der Weltbevölkerung auftreten, meist auf bestimmte geografische Regionen begrenzt. Ihre Arbeit erlaubt es, das Erbgut von Individuen in Zukunft im Kontext des Abweichungsprofils der entsprechenden Bevölkerungsgruppe zu sehen.
»Unsere Forschung hat gezeigt, dass jede vermeintlich gesunde Person Hunderte seltene Variationen besitzt, die einen bedeutenden Einfluss auf die Funktion der Gene haben, und etwa eine Handvoll von Varianten, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind«, erklärt Professor Dr. Gil McVean von der Oxford University, der an der Studie beteiligt war. Das Konsortium hofft, dass zunächst die medizinische Forschung und schließlich auch Patienten von seiner Arbeit profitieren können. Obwohl die Forscher des 1000-Genome-Projekts ihr ursprüngliches Ziel bereits erreicht haben, wollen sie in der nächsten Projektphase weitere 1400 Genome von zwölf neuen Populationen sequenzieren. /
1000 Genome und mehr
Natürlich hielt auch das 1000-Genome-Projekt Überraschungen vor. Man fand 38 Millionen Einzelbasenaustausche, 1,4 Millionen kurze Insertionen und Deletionen und mehr als 14 000 größere Deletionen. Alleine das macht deutlich, wie viel »Platz für Variationen« in einem humanen Genom vorhanden ist, ohne dass so richtig etwas schief läuft. Denn all diejenigen, deren genetisches Programm hier minutiös bestimmt wurde, waren zumindest anscheinend gesund.
Aus pharmazeutisch-medizinischer Sicht sind die erhobenen Daten von unschätzbarem Wert. Nicht eine mehr oder weniger exakte Durchschnitts-Sequenz bildet von nun an die Basis zum Abgleich von Variationen, die in genomweiten Assoziationsstudien erhoben werden. Zum Abgleich dieser Daten liegt nunmehr eine Matrize mit mehr als 1000 kompletten Genom-Sets von Menschen aus der ganzen Welt vor. So werden neue Werkzeuge verfügbar, die die Planung von Studien zum Auffinden pathologisch relevanter Genomvariationen erleichtern werden. Dies gilt vor allem für die Bereiche, die nicht für Proteine codieren und die bei sogenannten Exom-Sequenzierungen immer außen vor bleiben. Erst kürzlich wiesen die Wissenschaftler des ENCODE-Projektes noch einmal nachdrücklich auf die Bedeutung dieser Regionen hin (»Nature«, doi:10.1038/nature11247). Mit dem Erreichten will man sich nicht zufrieden geben. Die Autoren haben angekündigt, weitere 1500 Genome von zwölf neuen Populationen entschlüsseln zu wollen. Dies geschieht sicherlich nicht aus einfallsloser Verlegenheit. Zu deutlich hat sich bereits im Humanen Genom-Projekt gezeigt, wie wertvoll eine systematische Datenerhebung sein kann. Das 1000-Genome-Projekt wird diese Erkenntnis noch einmal deutlich unterstreichen.
Professor Dr. Theo Dingermann
Mitglied der Chefredaktion