Steril im großen Stil |
09.11.2010 16:50 Uhr |
Von Daniela Biermann, Hamburg / 1000 patientenindividuelle sterile Lösungen pro Tag – wie solch ein Pensum unter höchsten Qualitätsansprüchen zu schaffen ist, zeigt ein Werksbesuch bei der Zytoservice Deutschland GmbH in Hamburg.
Zytostatika, parenterale Ernährung, Immuntherapeutika, Supportivtherapien – der Bedarf an maßgefertigten Sterillösungen wächst. »Die Sicherheitsanforderungen sind dabei in den vergangenen Jahren ständig gestiegen«, sagte Thomas D. Boner, einer der drei Geschäftsführer der Zytoservice Deutschland GmbH, auf einer Pressekonferenz im Oktober in Hamburg. Daher gehe es nicht ohne Spezialisierung und Professionalisierung.
Im sterilen Reinraum der Zytoservice Deutschland bereitet eine Mitarbeiterin eine Infusionslösung zu. Ein EDV-Programm kontrolliert alle Herstellschritte automatisch und dokumentiert sie.
Foto: Zytoservice Deutschland
Zytoservice wolle hier Standards setzen. »Im Prinzip sind wir eine große Manufaktur«, erklärte Geschäftsführer Enno Scheel. »Wir stellen derzeit etwa 1000 individuelle Lösungen am Tag her, jede in einer unterschiedlichen Dosierung. Und jede dieser 1000 Maßanfertigungen muss zu 100 Prozent richtig und sicher sein.« Deshalb produziert das Hamburger Unternehmen nach den europäischen Richtlinien zur »Guten Herstellungspraxis« (GMP).
Zytoservice ist nach eigenen Angaben mittlerweile das größte Unternehmen seiner Art in Norddeutschland. Bereits 2003 schlossen sich die drei Apotheker Enno Scheel, Thomas D. Boner und Thomas Hintz zusammen und gründeten in Hamburg die Zytoservice Deutschland GmbH. Das Unternehmen ist wirtschaftlich unabhängig von den Mutterapotheken, die sich unter dem Namen »Antares« zusammengeschlossen haben. Da die Nachfrage von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten wuchs, investierte Zytoservice zehn Millionen Euro in eine neue Betriebsstätte in Hamburg-Jenfeld. Seit Februar 2010 arbeiten dort insgesamt rund 120 Mitarbeiter, davon etwa 25 Fachapotheker. Ende Oktober wurde nach eigenen Angaben »Europas modernste Herstellungsanlage für sterile Parenteralia« offiziell eröffnet. Ausgelastet ist die Anlage mit 1000 Anfertigungen pro Tag nicht. Zytoservice könnte sein Pensum noch um das Vierfache steigern, sagte Boner. Bereits jetzt versorgt das Unternehmen rund 140 Kliniken und onkologische Schwerpunktpraxen deutschlandweit. Eigentlicher Auslieferer sind die Apotheken, über die die Bestellungen eingehen. Jede Apotheke in Deutschland könne ihr Angebot nutzen, betonten die Geschäftsführer.
2D-Code für jede Anlieferung
Was für eine Logistik dahintersteckt, wird bei einer Führung durch die 2500 Quadratmeter große Betriebsstätte klar. Palettenweise kommen die Arzneistoffe und Trägerlösungen verschiedener Firmen an. Direkt bei Anlieferung erhält jede Flasche einen hausinternen 2D-Code. So kann das Unternehmen genau verfolgen, wo und wann welche Charge verwendet wurde – und auch von wem. »Jede Flasche wird personifiziert«, erklärt Scheel. »Was wir herstellen, muss in der Regel sofort verbraucht werden. Daher haben wir keine Rückstellmuster.« Stattdessen soll ein lückenloses Monitoring für einwandfreie Qualität sorgen.
Angelieferte Ware unterzieht Zytoservice zunächst einigen Tests, indem es zum Beispiel per Hochleistungsflüssigkeitchromotografie (High Pressure Liquid Chromatography, kurz HPLC) die Identität überprüft und jede einzelne Flasche auf Haarrisse und Unreinheiten untersucht. Dann geht die Ware ins Lager. In dem Moment, wo die Ausgangssubstanzen gebraucht werden, gelangen sie über zwei Schleusen den Reinraum. Dabei werden sie etwa zehn Minuten bei Windstärke 10 abgeblasen und mit Wasserstoffperoxid bedampft.
Nach einer umfassenden Qualitätskontrolle kommen die Infusionslösungen in spezielle Transport-behälter und werden bei Bedarf gekühlt.
Foto: Zytoservice Deutschland
In einer Art Telefonzentrale nehmen Mitarbeiter von Zytoservice die Bestellungen an. Apotheker überprüfen die Plausibilität und Vollständigkeit der Verschreibung. Danach erscheint die Rezeptur auf elektronischem Wege auf einem Computerbildschirm an einem der Arbeitsplätze im Reinraum. Etwa zwanzig Minuten brauchen die PTA und andere qualifizierte Mitarbeiter, bis sie vollständig vermummt die vier Schleusen passiert haben. Im Reinraum arbeiten sie in der Regel zweimal vier Stunden mit einer Stunde Pause.
Das gesamte Personal, das an der Herstellung beteiligt ist, durchläuft ein mehrmonatiges firmeninternes Trainee-Programm, bevor es an die Werkbank darf. Eine Abweichung vom Protokoll wird nicht geduldet, denn alle Vorgänge sind qualifiziert. Dabei helfen zum Beispiel offene Agarplatten auf den Werkbänken, um die Keimzahl im Reinraum zu überwachen. Der Barcode jeder einzelnen Ausgangssubstanz wird gescannt und im Herstellungsprotokoll vermerkt.
Während Mitarbeiter die Lösungen an mehreren Werkbänken herstellen und abfüllen. reicht ihnen eine Fachkraft die benötigten Materialien an. Sie bewegt sich dabei nur langsam, um möglichst wenig Partikel im Reinraum in Bewegung zu bringen. Stimmen Druck, Temperatur, Luftfeuchte oder Partikelmengen nicht, schlägt ein Computer sofort Alarm. 70-mal pro Stunde erneuert sich die Luft in den Reinräumen. Die dazu nötige Anlage wird jeden Tag mindestens drei Stunden gewartet
Die fertige Lösung verlässt den Reinraum schließlich über eine separate Schleuse. Anschlussstücke für die Applikation sind bereits angebracht, sodass beim Anwenden eigentlich nichts mehr schiefgehen kann. Zur Sicherheit für Produkt und Personal sind die fertigen Infusionsbeutel in Plastik eingeschweißt. Zum Schluss machen Apotheker nochmals eine Gewichts- und Sichtkontrolle, bevor Zytoservice die Lösungen an ihren Bestimmungsort schickt. »Unser Schwerpunkt liegt in Norddeutschland, doch wir liefern über Nacht auch bundesweit«, sagte Scheel. Dabei arbeitet das Unternehmen mit verschiedenen Logistikdienstleistern zusammen, fährt aber auch eigene Touren, zum Beispiel ins Ruhrgebiet. Die Lösungen werden in speziell gekühlten Kisten transportiert, in denen ein Computerchip ständig die Temperatur kontrolliert.
Freigabe nach acht Unterschriften
Wie bei pharmazeutischen Produzenten üblich, gibt es zusätzlich zu den Herstellungs- und Kontrollleitern während jeder Schicht eine »Qualified Person«, die die fachliche, nicht aber die wirtschaftliche Verantwortung für die Produktqualität trägt. »Bis eine Lösung freigegeben wird, braucht es acht Unterschriften«, erklärte Boner. Die drei Gesellschafter selbst tragen dabei keine fachliche Verantwortung. So ist es gesetzlich gefordert. Das soll sicherstellen, dass geschäftliche Interessen nicht mit Sicherheitsbedenken in Konflikt geraten. Bei fachlichen Bedenken wird eine Lösung vernichtet, auch wenn sie bis zu 10 000 Euro kosten kann. »Der Aufwand scheint übertrieben«, sagte Scheel. »Aber es kommt schließlich auf jeden einzelnen Fall an.« /