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CRISPR-Cas9

Das zelluläre Baukastensystem

31.10.2016  14:38 Uhr

Von Ilse Zündorf und Theo Dingermann / Kaum ein Ergebnis der Grundlagenforschung war ähnlich erfolgreich wie die Entdeckung des spezifischen bakteriellen Immunsystems mittels CRISPR-Cas. Die Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle ­Charpentier haben dafür in kürzester Zeit zahlreiche renommierte Preise abgeräumt und es würde nicht überraschen, wenn auch ­der Nobelpreis folgt.

Auch Bakterien wehren sich gegen biologische Bedrohungen. Und es gelingt ihnen erstaunlich spezifisch und effizient. Dabei gibt es etliche Parallelen zum Immunsystem der Säuger.

 

Eine gewisse funktionelle Analogie zu unserem unspezifischen Immun­system kann man in den bakteriellen Restriktions-Endonukleasen erkennen, die eingedrungene Phagen-DNA zerschneiden, da deren DNA – anders als die bakterielle genomische DNA – nicht durch die Methylierung bestimmter Basen geschützt ist. Für die Molekularbiologie erwiesen sich die bakteriellen Restriktionsenzyme als so herausragend, dass die Wissenschaftler Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton O. Smith für deren Entdeckung und Anwendung in der molekularen Genetik 1978 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielten.

 

Nun zeigt sich, dass Bakterien sogar ein spezifisches/adaptives Immunsystem haben. Dessen Bestandteile wurden bereits 1987 in Escherichia coli entdeckt. Allerdings blieben die Funktion und die damit verbundenen Möglichkeiten zunächst unverstanden.

 

Erst vor wenigen Jahren beschrieben die beiden Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier dieses »spezifische bakterielle Immunsystem« genauer und bezeichneten es mit den Kürzeln CRISPR und CRISPR-associated (Cas). Damit legten sie den Grundstein für eine molekulargenetische Revolution (Kasten 1 und 2). So wie Arber, Nathans und Smith in den 1970er-Jahren das Potenzial der Restriktionsenzyme für die Molekularbiologie erkannten, waren auch Doudna und Charpentier überzeugt, dass sich das CRISPR-Cas9-System für ganz unterschiedliche Interventionsstrategien nutzen lassen würde. Denn die Endonuklease Cas9 wird immer dort aktiv, wo eine CRISPR-RNA (crRNA) an ihre komplementäre doppelsträngige DNA bindet (1, 2).

 

Für das Bakterium hat das System erhebliche Vorteile. Es wächst mit ­jeder durch einen neuen Phagentyp hervorgerufenen Infektion mit; die Wiederholungssequenz wird dafür einfach verdoppelt. Bei jeder DNA-­Replikation und Zellteilung wird das immunologische Gedächtnis auf die Nachkommen weitergegeben. Ein Vorteil, den die Prokaryonten uns Menschen voraushaben. CRISPR-Cas9 ist daher allerdings auch ein System, das den Einsatz von Phagen bei bakteriellen Infekten gefährdet (siehe Titelbeitrag Mukositis: Die Qual im Mund, PZ 36/2016).

Die Biologie

Das Escherichia-coli-Genom enthält DNA-Abschnitte, die aus einer Abfolge direkter Wiederholungseinheiten (Repeat) aus 29 Nukleotiden bestehen und immer durch eine Platzhalter-Sequenz (Spacer) von 32 Nukleotiden getrennt sind (Abbildung 1, oben). Ähnliche Anordnungen mit Unterschieden in Sequenzlängen, die mittlerweile allgemein als CRISPR (Clus­tered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) bezeichnet werden, findet man in den meisten Bakterien. In der Nähe der CRISPR-Region befindet sich eine Gen-Cassette für verschiedene Cas-Proteine, die wichtige Funktionen in der Pathogen­abwehr haben.

 

Infiziert ein Bakteriophage eine Bakterienzelle, erkennen wirtszelleigene Enzyme kurze Bereiche auf der Phagen-DNA, die als protospacer ad­jacent motifs (PAM) bezeichnet ­werden, und schneiden in deren Nachbarschaft eine 20 bis 50 Basenpaare (bp) lange Nukleotidabfolge aus, den sogenannten Protospacer (Abbildung 1, links oben). Diese Sequenz wird zwischen zwei Repeats in das bakterielle Genom integriert (A).

 

Vor jedem CRISPR-Bereich befindet sich eine Promotorregion, die dafür sorgt, dass dieser Teil des bakteriellen Genoms in ein langes RNA-Molekül transkribiert wird (B). Zelleigene Enzyme schneiden – im Fall des Typ-II-CRISPR-Systems mithilfe einer kurzen trans-aktivierenden CRISPR-RNA (tracrRNA) – die Vorläufer- CRISPR-RNA in kürzere Moleküle, die crRNA (B).

 

Zusammen mit dem sogenannten Cas9-Protein bildet jedes crRNA-tacrRNA-Dimer eine Art »Wächterkomplex« innerhalb der Bakterienzelle. Infiziert der gleiche Phagentyp nochmal das Bakterium, kann die ­crRNA an die eingebrachte DNA binden und Cas9 schneidet die Phagen-DNA, wodurch die Infektion abgewehrt ist (Abbildung 1, C).

Thema mit vielen ­Variationen

 

Nachdem 2012 die erste Veröffentlichung zu CRISPR-Cas9 als molekularbiologisches Werkzeug erschienen war (2), folgte sehr schnell eine Vielzahl an Publikationen zu unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten. Die Kombination aus spezifischer Adressierung einer Sequenz von etwa 20 Nukleotiden innerhalb eines Genoms und der Bindung ­eines Proteins, das dann die DNA ziel­gerichtet schneiden kann, beflügelte die Fantasie der Wissenschaftler.

 

Aus den im Kasten 2 beschriebenen Reparaturmechanismen durch nicht-homologe End-Verknüpfung (non-homologous end-joining, NHEJ) und homologe Rekombination (homology-­directed repair, HDR) leiteten sie direkt die Möglichkeiten eines Gen-Knock-outs sowie einer Gen-Reparatur ab. Dies sind zwar keine neuen Optionen in der Molekularbiologie. Aber mithilfe von CRISPR-Cas9 gelingen diese Modifikationen sehr viel einfacher und vor allem sehr viel spezifischer und effizienter. Je nach Zielstruktur kann man davon ausgehen, dass die Effizienz der Genom-Editierung über CRISPR-Cas9 bei 80 Prozent oder noch höher liegt (3). Vor allem erhofft man sich, mithilfe der neuen Genschere bisher kaum lösbare Probleme in der Humanmedizin zu bewältigen.

Der molekulare CRISPR-Cas9-Baukasten

Das in der Molekularbiologie bisher meistens verwendete System stammt aus dem Bakterium Streptococcus pyogenes. Andere Endonukleasen und PAM-Sequenzen werden getestet.

 

Das einfachste System besteht aus nur zwei Komponenten: die Endonuklease Cas9 und ein RNA-Fusionsmolekül aus crRNA und tracrRNA (»single guide RNA«, sgRNA, Abbildung 2). Diese Moleküle können entweder direkt oder über den Umweg einer Transfektion mit Plasmid-DNA in die Zelle eingeschleust werden. Das Plasmid trägt die Information für beide Komponenten und wird in der Zelle transkribiert und translatiert.

 

Die Sequenz der crRNA wird so konzipiert, dass sie einen Bereich innerhalb eines bestimmten Ziel-Gens erkennt, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer PAM-Sequenz liegt, die nur aus den drei Nukleotiden NGG besteht (N: beliebiges Nukleotid). In der Zelle bindet die crRNA an ihr Ziel-Gen (Abbildung 2 unten) und positioniert zusammen mit der tracrRNA-Sequenz Cas9 auf der DNA. Cas9 führt an der Bindungsstelle einen Doppelstrangbruch in das Genom ein.

 

Der Doppelstrangbruch im Genom bedeutet Stress für die Zelle und muss schleunigst wieder geschlossen werden. Zwei wesentliche Mechanismen stehen dafür zur Verfügung (Abbildung 3).

 

Methode 1: Die beiden Enden werden enzymatisch über Non-homologous-end-joining (NHEJ) verknüpft. Dabei passieren jedoch kleine Fehler, das heißt es werden entweder ein paar Nukleotide eingefügt (Insertion) oder ein paar Nukleotide gehen verloren (Deletion). Daher werden die Sequenzveränderungen auch als »InDels« bezeichnet. Üblicherweise führt NHEJ zur Inaktivierung des betroffenen Gens.

 

Methode 2: Befindet sich eine intakte Kopie des Gens in der Nähe (entweder das zweite Allel in der diploiden Zelle oder eine miteingeschleuste DNA), kann über homologe Rekombination (homology-directed repair, HDR) die Lücke korrekt geschlossen werden. In diesem Fall kommt es zu einer Gen­reparatur.

 

Anbieter von molekularbiologischen Werkzeugen verkaufen Cas9-Enzyme und verschiedene Plasmide zur Anwendung im Labor. Über Internetseiten wie »Optimized CRISPR Design« (http://crispr.mit.edu) lässt sich relativ leicht überprüfen, ob die gewählte Sequenz der crRNA wirklich spezifisch für das adressierte Gen im ausgesuchten Organismus ist. Außerdem gibt es beispielsweise bei www.addgene.org eine umfassende Sammlung von unterschiedlichen Plasmiden, die für verschiedene Organismen und diverse Anwendungen konzipiert wurden.

Anwendung bei ­Tumorpatienten

 

Gen-Knock-outs über diese hochspezifische Genschere sind vor allem für Funktionsanalysen in Tiermodellen relevant, können aber unter bestimmten Aspekten auch beim Menschen therapeutisch sinnvoll sein.

 

Erst kürzlich kamen Antikörper als Checkpoint-Inhibitoren als neue Hoffnungsträger gegen Tumoren im fortgeschrittenen Stadium auf dem Markt. Nivolumab und Pembrolizumab sind erfolgreiche Inhibitoren des Programmed-Death-1 (PD-1)-Rezeptors auf T-Zellen. Durch die Interaktion zwischen dem auf der Oberfläche von Tumorzellen exprimierten Liganden PD-L1 und dem Rezeptor auf T-Zellen schützen sich die Tumorzellen vor einem möglichen Angriff der T-Zellen. Der Ansatz funktioniert prinzipiell gut. Allerdings profitiert nur ein Teil der Patienten, und bisher ist nicht möglich vorherzusagen, wer dazu gehört. Erfolg versprechender als die Blockade mit einem Antikörper könnte ein komplettes Ausschalten des PD-1-Rezeptors in T-Zellen sein.

 

Ein entsprechender Ansatz wird in den weltweit ersten klinischen Studien unter Zuhilfenahme von CRISPR-Cas9 verfolgt. Zunächst werden T-Zellen aus dem Patienten isoliert, in denen mithilfe von CRISPR-Cas9 das Gen für den ­PD-1-Rezeptor ausgeschaltet wird. Anschließend werden die T-Zellen wieder in den Patienten reinfundiert und sollen sich dort vermehren. Vier Phase-I-Studien für verschiedene Tumorerkrankungen, darunter das metastasierende nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, sind in der Datenbank für klinische Studien bei den US-amerikanischen National Institutes of Health aufgeführt (4, 5). Alle finden in China statt.

 

Chinesische Wissenschaftler waren es auch, die das erste Mal CRISPR-Cas9 an humanen Embryonen testeten (6). An nicht lebensfähigen menschlichen Zygoten wurden über entsprechende sgRNAs (single guide RNA, Kasten 2) verschiedene Bereiche im menschlichen β-Hämoglobin-Gen adressiert, um die Effizienz einer Genreparatur durch homologe Rekombination im Vergleich zu einer nicht-homologen End-zu-End-Verknüpfung zu klären. Von den insgesamt 54 mit CRISPR-Cas9 behandelten Embryonen kam es nur bei 28 zu einem DNA-Schnitt, der bei vier über die sgRNA und bei sieben über das andere Allel homolog repariert wurde. Tatsächlich fand also in 20 Prozent der verwendeten Zellen eine homologe Rekombination statt – immerhin oder auch nur. Diese Versuche führten zu heftigen Diskussionen in den Medien, zeigen sie jedoch, wie ineffizient nach wie vor eine gezielte Gentherapie an Embryonen ist.

 

Trotzdem besteht die Hoffnung, dass Genreparaturen mit CRISPR-Cas9 die Gentherapie im Menschen erheblich voranbringen könnten. Man denke beispielsweise an die Versuche mit dem Adenosindesaminase-Gen, das zur Behandlung des schweren kombinierten Immundefekts (SCID) über virale Vektoren in Zellen eingebracht wurde. Das größte Problem war immer, eine unspezifische Insertion des intakten Gens an irgendeine Stelle im Genom zu vermeiden, da andernfalls die Gefahr besteht, dass die Patienten eine Leukämie entwickeln. Mit CRISPR-Cas9 steht nun eine Methode zur Verfügung, die das defekte Gen an Ort und Stelle durch homologe Rekombination repariert – ohne weitere Veränderungen im Genom.

Heilung durch Genreparatur?

 

Alle Erkrankungen, die durch einen Defekt in nur einem Gen hervorgerufen werden, könnten dadurch frühzeitig geheilt werden. Sei es die Mukovis­zidose durch Reparatur des Gens für den Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR), die Duchenne’sche Muskeldystrophie durch Reparatur des Dystrophin-Gens oder die Chorea Huntington durch Reparatur des Huntingtin-Gens.

Auch die Hämophilie A könnte geheilt werden, indem ein defektes Faktor-VIII-Gen korrigiert wird. Allerdings gibt es für diese Krankheit recht gute Therapiemöglichkeiten durch die Sub­stitution mit Faktor-VIII-Präparaten. Aber kann man diese aufwendige Therapie jemandem zumuten, wenn die Heilung möglich wäre? Und wäre es nicht für Träger eines defekten Gens eine große Erleichterung, wenn sie wüssten, dass ihr Kind nicht mit dem Gendefekt aufwachsen muss? Sollte man deshalb nicht auch eine genetische Manipulation an Keimbahnzellen oder Zygoten erlauben – das, was die chinesischen Wissenschaftler schon probiert haben?

 

Im Moment funktioniert CRISPR-Cas9 noch zu unzuverlässig und hat noch zu viele Off-target-Effekte, also Nebeneffekte, als dass man die Technik tatsächlich an Keimbahnzellen anwenden könnte. Zudem verbietet das Embryonenschutzgesetz in Deutschland diese Manipulation.

 

Gegen Onkogene und HIV

 

In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit beschreiben Wissenschaftler in Dresden, wie sie das CRISPR-Cas9-System zur Therapie von Tumoren einsetzen. Sie integrierten 13 verschiedene Onkogene in HeLa-Zellen und testeten gleichzeitig, inwieweit spezifische sgRNAs die Onkogene adressieren und durch homologe Rekombination in die harmlosen Wildtypsequenzen umwandeln können. Das Ergebnis war prinzipiell erfreulich und auch spezifisch. Jedoch blieben unveränderte Krebszellen zurück, was für eine Tumortherapie nicht akzeptabel wäre. Außerdem wurden auch Off-target-Schnitte, also an »falscher« Stelle, be­obachtet, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind (7).

 

Ein interessanter experimenteller Ansatz mit CRISPR-Cas9 richtet sich gegen bereits integrierte HIV-DNA. Wird ein Gene-Drive-Element (Kasten 3) in künstliche HIV-Partikel verpackt, sollte es über eine normale Infektion in alle CD4+-Zellen eingeschleust werden. ­Adressiert die eingebrachte sgRNA das HIV-Integrase-Gen, kann das Element nur dort integrieren, wo sich bereits ein virales Integrase-Gen befindet. Die genomische DNA wird also nur in infizierten Zellen attackiert und dabei wird das virale Genom zerstört. Rein theoretisch könnten diese Zellen weiterhin abgeschwächte Virus-Partikel herstellen, die jedoch alle das Gene-Drive-Element tragen und so die HIV-Infektion von innen heraus bekämpfen könnten (8). Sobald alle infizierten T-Zellen mit CRISPR-Cas9 »geheilt« worden sind, geht das Gene-Drive-Element verloren.

Anwendungen bei Insekten und Tieren

 

Mit dem Problem der Zika-Virusinfek­tionen in Lateinamerika, Florida und jüngst in Singapur wird Gene-Drive (Kasten 3) auch bei Vektoren diskutiert, die schwere, teils tödliche Krankheiten übertragen. In einem geschlossenen System wurde das Prinzip an Anopheles-Mücken erfolgreich demonstriert. Die Mücken waren durch die genetische Manipulation nicht mehr in der Lage, Plasmodien zu übertragen.

 

Für die Eradikation von Zika und Malaria folgen daraus einige Optionen. Man stattet die Aedes- oder Anopheles-Mücken mit einem Gene-Drive-System so aus, dass Plasmodien und Zika-Viren die Fähigkeit verlieren, sich in den Vektoren zu vermehren. In der Folge können die Mücken auch keine Pathogene mehr übertragen.

 

Setzt man nun die genetisch veränderten Mücken in den betroffenen Gebieten aus, würden sie sich mit ihren Wildtyp-Verwandten paaren und den Gendefekt zu 100 Prozent an ihre Nachkommen weitergeben. Binnen weniger Generationen wäre die gesamte Population an Mücken nicht mehr durch Plasmodien oder Viren infizierbar. Malaria, Zika, Gelbfieber: alles kein Thema mehr. In der Theorie. Was dabei jedoch gesamtökologisch passiert, lässt sich ganz schwer abschätzen.

 

Die schnelle Verfügbarkeit von homozygot veränderten Organismen macht die Methode extrem interessant, um Tiere und Pflanzen zu verändern. Neben den klassischen Labortieren wie Mäusen und Ratten, die wegen ihrer kurzen Generationszeit gern verwendet werden, sind Schweine eigentlich die besseren Modellorganismen für humanrelevante Interventionen (9). Denn sie sind dem Menschen anatomisch und physiologisch sehr ähnlich. Schon seit geraumer Zeit wird versucht, diese Tiere als Lieferanten für Organe für eine Xenotransplantation zu nutzen. Dazu sollten bestimmte Human­gene in die Schweine eingebracht und andere Gene im Schweinegenom zerstört werden. Über CRISPR-Cas9 kann das sehr viel genauer, effizienter und schneller realisiert werden als bisher.

 

Die Option, Schweine als Quelle für Transplantate zu nutzen, wird immer realistischer. Zudem wären genetisch veränderte Schweine auch deutlich bessere Modellorganismen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Cystische Fibrose, metabolische oder neurodegenerative Erkrankungen als die weitläufig eingesetzten Nagermodelle (9).

Gene-Drive, eine spezielle Variante von CRISPR-Cas9

Unter der Vielzahl an CRISPR-Cas9-Modifikationen ist die Mutagenese-Kettenreaktion (mutagenic chain ­reaction, MCR) besonders bemerkenswert. Der Begriff »Gene-Drive« bedeutet allgemein eine dramatische Beschleunigung der Vererbung einer Eigenschaft auf die Nachkommenschaft. Während nach den Mendelschen Regeln bei der klassischen Genetik eine bestimmte Eigenschaft nur an 50 Prozent der Folgegeneration weitergegeben wird, kann über MCR eine Weitergabe von 100 Prozent erreicht werden.

 

Für ein MCR-Experiment wird die in Abbildung 4 gezeigte genetische Information für Cas9 und sgRNA eingerahmt von zwei etwa 1000 bp langen homologen Sequenzen des Ziel-Gens (Homologie-Arm, HA1 und 2). Die ­sgRNA positioniert die Cas9 so, dass sie das Ziel-Gen in die zwei zu den beiden Homologie-Armen des Plasmids komplementären Bereiche schneidet. Für die Reparatur des Doppelstrangbruchs stehen beide Homologie-Arme auf der Plasmid-DNA zur Verfügung. Es findet homologe Rekombination statt.

 

Als Resultat wird in einem Allel des Ziel-Gens die komplette Expressionscassette aus Cas9- und sgRNA-Gen eingefügt, wobei das Ziel-Gen selbst zerstört wird. Ausgehend von der ins Genom integrierten Expressions­cassette werden weiterhin Cas9 und sgRNA gebildet. Diese Komponenten finden als neue Zielstruktur das zweite, intakte Allel des Gens, das ebenfalls durch Insertion der Expressions­cassette zerstört wird.

 

Vorteil des Systems: In relativ kurzer Zeit gelingt eine homozygote Inaktivierung des Ziel-Gens. Wird eine Knock-out-Mutante mit einem Wildtyp-Organismus gekreuzt, setzt sich die Mutagenese zu 100 Prozent in den Nachkommen durch. Auf diese Art könnte rein theoretisch innerhalb weniger Generationen ein bestimmtes Gen aus einer Population eliminiert werden.

 

Muss die Mutagenese-Kettenreaktion gestoppt werden, sind sogenannte elements for reversing the autocatalytic chain reaction (ERACR) verfügbar.

 

Vorteil des Systems: Das Prinzip ist selbstlimitierend. Nur solange das Cas9-Gen vorhanden ist, Cas9 exprimiert wird und die Erkennungssequenzen für sgRNA1 und sgRNA2 vorliegen, wird das Genom geschnitten.

Modifizierte Pflanzen

 

Auch zahlreiche Pflanzen sind mittlerweile mit CRISPR-Cas9 genetisch verändert worden. Während man gewünschte Ergebnisse durch klassische Züchtung nur zufällig und mit sehr geringer Frequenz erzielen kann und mit herkömmlichen gentechnischen Verfahren in der Regel auch zusätzliche genetische Elemente wie Antibiotikaresistenzen in die Pflanze eingebracht werden, ist CRISPR-Cas9 sicherer, effi­zienter und im Ergebnis wesentlich ­unauffälliger.

 

Abgesehen von Herbizidresistenzen, die sich mit der CRISPR-Cas9-Technologie sehr schnell in die Pflanzen ­einbauen ließen, könnte man auch gesündere Lebensmittel erzeugen. So denkt man daran, glutenarmen Weizen zu produzieren oder Kartoffeln dahingehend zu verändern, dass bei der Produktion von Kartoffelchips weniger Acrylamid anfällt (10). Realität ist bereits eine modifizierte Champignon-Art, bei der das Gen für die Polyphenol-Oxidase über CRISPR-Cas9 ausgeschaltet wurde. Die Champignons werden nach der Ernte nicht mehr braun und bleiben länger haltbar.

 

Hoffentlich haben diese Produkte eine bessere Zukunft als die FlavrSavr®-Tomate, die genetisch so manipuliert war, dass sie keine Polygalakturonase produzieren konnte und länger fest blieb. Sie kam 1994 in den USA auf den Markt und war nach nur drei Jahren wieder aus den Gemüseregalen verschwunden.

 

Ebenfalls sehr viel schneller und effizienter gelänge das »Einkreuzen« von Eigenschaften alter Obst- und Gemüsesorten in die heutigen Kulturformen. Beispielsweise ließe sich über CRISPR-Cas9 relativ einfach ein Resistenzgen gegen Kartoffelfäule in die Zuchtformen einbringen, was den Biobauern die Ernte retten und konventionellen Landwirten den Fungizid-Einsatz ersparen würde.

 

Dabei taucht jedoch ein neues ­Problem auf: Wie lassen sich derart gentechnisch veränderte Obst- und Gemüsesorten als solche identifizieren? In den USA werden die Champignons nicht als GMO, also als genetisch modifizierte Organismen eingestuft, weil nur ein Gen eliminiert, aber keine neue DNA eingebracht wurde.

Der ethische Aspekt

 

Diese Frage leitet über zu den ethischen Aspekten, die bei der CRISPR-Cas9-Technologie ganz besonders relevant erscheinen. Was darf, was soll oder was muss sogar gemacht werden?

 

Die Pflanzengentechnik ist in Deutschland ein heißes Eisen und erfährt prinzipielle Ablehnung. Aber ist eine gezielte Manipulation des genetischen Materials einer Kultursorte, die sie weniger anfällig für Pilze und andere Pathogene macht, nicht wesentlich besser als massenweise Pestizide zu versprühen? Noch dominiert die Angst vor gentechnisch veränderten Organismen (GVO oder GMO) so sehr, dass ­zumindest in Deutschland derartige Optionen gesellschaftlich chancenlos erscheinen.

 

Aber handelt es sich bei derart modifizierten Pflanzen tatsächlich um GVO? Interessant ist in diesem Zusammenhang die »Stellungnahme zur gentechnikrechtlichen Einordnung von neuen Pflanzenzüchtungstechniken, insbesondere ODM (Oligonucleotide Directed Mutagenesis) und CRISPR-Cas9« des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Hierin wird klar gestellt (11), »dass Pflanzen, die durch ODM- und CRISPR-Cas9-Techniken hervorgerufene Punktmutationen aufweisen, keine GVO im Sinne der Richtlinie sind (Anmerkung: Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates). Denn maßgebend für die Einordnung als GVO ist nicht allein der Einsatz eines gentechnischen Verfahrens, sondern auch das dadurch entstehende Produkt. Dieses muss sich von Pflanzen unterscheiden, die auch durch herkömmliche Züchtungsmethoden entstehen könnten. Bei den hier einschlägigen Punktmutationen ist dies gerade nicht der Fall. Die genetischen Veränderungen könnten auch durch andere Mutagenese-Verfahren entstehen.«

 

Auch das US-Department of Agriculture stuft die über CRISPR-Cas9 genetisch manipulierten Pflanzen nicht als GVO ein. Einige Wissenschaftler schlagen daher vor, eine Kennzeichnung der Pflanzen einzuführen, die aussagt, ob sie über eine gentechnische Methode manipuliert wurden (process-based GVO) und ob sie tatsächlich erkennbar neues genetisches Material erhalten haben (product-based GVO) (12).

 

Momentan haben die Anwender von CRISPR-Cas9 noch mit einigen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Nach wie vor sind die Off-target-Effekte ein ­großes Problem (13).

 

Methodenimmanente ­Probleme

 

Die Wildtyp-Cas9 neigt in höheren Konzentrationen dazu, auch an anderen Stellen im Genom zu schneiden als nur an der eigentlich beabsichtigten, was natürlich wieder zu unerwünschten Mutationen führt.

 

Außerdem braucht man gerade für den zielgerichteten Genersatz vor allem den Reparaturmechanismus über homologe Rekombination (HDR). HDR funktioniert aber nur dann effizient, wenn die Zelle ihre DNA für die Replikation entpackt, um sich anschließend zu teilen. Ruhende Zellen, die sich nicht gerade teilen, reparieren entstandene Doppelstrangbrüche dagegen bevorzugt über die nicht-homologe Verknüpfung der Enden (NHEJ), was nicht das gewünschte Resultat eines eingefügten intakten Gens zur Folge hat (13). An der Bewältigung dieser Unzulänglichkeiten wird fieberhaft gearbeitet.

 

Und wahrscheinlich ist der Name CRISPR-Cas9 auch nicht mehr lange sinnvoll. Zum einen hat das gentechnische Werkzeug nichts mehr mit den ›clustered regularly interspaced short palindromic repeat‹ zu tun. Zum anderen sind bereits andere Endonukleasen im Einsatz, die kleiner, handlicher und zuverlässiger sind als Cas9.

 

Gesellschaftliche ­Entscheidung

 

Sind auch diese letzten Probleme aus dem Weg geräumt, könnten die Wissenschaftler noch schneller durchstarten. Anhand der bereits veröffentlichten großen Zahl an Anwendungen von CRISPR-Cas9 lässt sich erahnen, wie rasant schnell sich das Feld weiter entwickeln wird. Es ist also höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft überlegt, was sie akzeptieren und wo sie Grenzen ziehen will. Experimente wie die Manipulationen an humanen Zygoten (6) zeigten zwar die (momentanen) Schwierigkeiten, CRISPR-Cas9 zu einer gezielten ­Veränderung humaner Embryonen anzuwenden. Sie zeigen jedoch auch, ­wohin die Reise gehen könnte.

 

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat im September 2015 zusammen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine »Stellungnahme zu Chancen und Grenzen des genome editing« herausgegeben, um die gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Allerdings ist bisher noch nicht viel passiert.

 

Immerhin hat am 29. September im Bundestag ein Fachgespräch zum Thema »Synthetische Biologie, Genome Editing, Biohacking – Herausforderungen der neuen Gentechnologien« stattgefunden. Der zugrundeliegende Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) »Synthetische Biologie – die nächste Stufe der Bio- und Gentechnologie« (15) wurde bereits im Jahr 2011 begonnen und behandelt eigentlich zu viele Themen, als dass eine konkrete und sachliche Diskussion über die Chancen und Gefahren des Genome Editing zu erwarten sind. Und so war auch das Fachgespräch keine wirkliche Diskussion darüber, wie weit man die Methoden nutzen darf. Wollen wir in Deutschland mitreden, müssen wir uns Gedanken machen, wie weit wir die Möglichkeiten nutzen und wo wir die Grenzen ziehen wollen. /

 

Literatur 

  1. Wiedenheft, B., Sternberg, S. H., Doudna, J. A., RNA-guided genetic silencing systems in bacteria and archaea. Nature 482 (2012) 331-338.
  2. Jinek, M., et al., A programmable dual-RNA-guided DNA endonuclease in adaptive bacterial immunity. Science 337 (2012) 816-821.
  3. Doudna, J. A., Charpentier, E., Genome editing. The new frontier of genome engineering with CRISPR-Cas9. Science 346 (2014) Nov 28; 346 (6213):1258096.
  4. https://ClinicalTrials.gov, Suchabfrage am 9.9.2016
  5. Cyranoski, D., Chinese scientists to pioneer first human CRISPR trial. Nature 535 (2016) 476-477.
  6. Liang, P., et al., CRISPR/Cas9-mediated gene editing in human tripronuclear zygotes. Protein Cell 6 (2015) 363-372.
  7. Gebler, C., et al., Inactivation of Cancer Mutations Utilizing CRISPR/Cas9. J Natl Cancer Inst. 109 (1) (2017) djw183. Doi: 10.1093/jnci/djw183.
  8. Gantz, V. M., Bier, E., The dawn of active ­genetics. Bioessays 38 (2015) 50-63.
  9. Yao, J., Huang, J., Zhao, J., Genome editing revolutionize the creation of genetically modified pigs for modeling human diseases. Hum Genet 135 (2016) 1093-1105.
  10. Tang, W., Tang, A. Y., Applications and roles of the CRISPR system in genome editing of plants. J For Res (2016). DOI 10.1007/s11676-016-0281-7
  11. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Stellungnahme zur gentechnikrechtlichen Einordnung von ­neuen Pflanzenzüchtungstechniken, insbesondere ODM und CRISPR-Cas9. BVL_FO_04_0015_000_V1.2
  12. Khatodia, S., et al., The CRISPR/Cas Genome-Editing Tool: Application in Improvement of Crops. Front. Plant Sci. 7 (2016) 506. doi: 10.3389/fpls.2016.00506
  13. Peng, R., Lin, G., Li, J., Potential pitfalls of CRISPR/Cas9-mediated genome editing. FEBS Journal 283 (2016) 1218-1231.
  14. Nationale Akademie der Wissenschaften ­Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Chancen und Grenzen des genome editing. 2015, http://www.leopoldina.org
  15. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Synthetische Biologie – die nächste Stufe der Bio- und Gentechnologie. 2015, www.tab-beim-bundestag.de

Die Autoren

Theodor Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Nach der Approbation 1976 folgten Promotion und 1987 Habilitation. Von 1991 bis 2013 war er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Jetzt ist er Seniorprofessor der Universität. Dingermann war von 2000 bis 2004 Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und arbeitete in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien, unter anderem bei BfArM. Die Apotheker kennen ihn als Referenten, Autor und Co-Autor von wissenschaftlichen Fach- und Lehrbüchern. Seit April 2010 ist er externes Mitglied der Chefredaktion der PZ.

 

Ilse Zündorf studierte Biologie von 1984 bis 1990 an der Universität Erlangen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of Kentucky, Lexington, USA, wurde sie 1995 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt promoviert. Zunächst als Akademische Rätin, seit 2001 als Akademische Oberrätin arbeitet sie am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsthemen betreffen Herstellung und Charakterisierung monoklonaler Antikörper, Herstellung und Modifikation rekombinanter Antikörperfragmente sowie die Etablierung von zellulären Testsyste­men zur Wirkstoffsuche.

 

E-Mail: Dingermann@em.uni-frankfurt.de

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