Interaktionen bei Orphan Drugs |
29.10.2013 06:44 Uhr |
Von Hartmut Morck / Orphan Drugs kommt auch hinsichtlich der Wechselwirkungen eine Sonderstellung zu. Sind sie doch in Ermangelung von Alternativen in der Regel für den Patienten die einzige medikamentöse Option. Dementsprechend sollte die Komedikation mit Blick auf potenzielle Interaktionen sorgfältig ausgewählt werden. Eine Übersicht am Beispiel von Pirfenidon.
Um unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu vermeiden, ist es für Ärzte und Apotheker notwendig, sich mit möglichen Interaktionen von gleichzeitig angewendeten Arzneimitteln zu befassen. Man unterscheidet hierbei zwischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Wechselwirkungen. Während es bei der Vorhersage pharmakodynamischer Interaktionen zumeist eines tieferen Einblicks in die Wirkmechanismen bedarf, unterliegen pharmakokinetische Wechselwirkungen einer bestimmten Systematik. Durch Kenntnis von Resorption, Verteilung, Elimination sowie Metabolismus der Arzneistoffe können Interaktionen abgeschätzt oder sogar verhindert werden. Ein beschleunigter oder verlangsamter Wirkungseintritt, oder eine verkürzte oder verlängerte beziehungsweise verstärkte oder abgeschwächte Wirkung lassen sich so vorhersagen.
Durch die gegenseitige Beeinflussung der Arzneistoffe auf pharmakokinetischer Ebene (ADME-Prinzip) kann eine stark veränderte effektive Konzentration am Wirkort vorliegen. Neben Komplexbildung (1) und Kompetition um Transportproteine (2) liegt größtenteils eine Induktion oder Inhibition von metabolisierenden Enzymen der Wechselwirkung zugrunde. Hierbei stellt die Hemmung des Abbaus der Wirkstoffe eine der häufigsten Ursachen für Arzneistoffinteraktionen dar (3).
Der überwiegende Teil der metabolischen Interaktion ist auf die Konkurrenz um die in der Leber exprimierten CYP-Enzyme zurückzuführen. Mehr als die Hälfte aller Arzneistoffe wird durch CYP-enzymkatalysierte Phase-I-Oxidationen metabolisiert (3). Durch sein breites Substratspektrum ist das Isoenzym CYP3A4 besonders häufig an Interaktionen beteiligt. Auch die Isoenzyme CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2D6 weisen ein ausgeprägtes Interaktionspotenzial auf (Tabelle 1) (1).
Die Dokumentation verschiedener pharmakokinetischer Arzneistoffparameter, wie renale Elimination, Beeinflussung von CYP-Enzymen oder Transportproteinen, stellt einen hilfreichen Beitrag bei der Vermeidung von Arzneimittelwechselwirkungen dar. Die CYP450-Interaktionstabelle der Universität Regensburg (4) kann beispielsweise helfen, im Vorfeld einer Behandlung mit zwei oder mehreren Arzneistoffen das Interaktionspotenzial zu bestimmen und gegebenenfalls eine geeignete Komedikation auszuwählen.
Komedikation mit Bedacht wählen
Besonders für schwerkranke Menschen oder bei der Behandlung seltener Erkrankungen ist es wichtig, dass die medikamentöse Therapie, die positive Effekte auf die Erkrankung zeigt, beibehalten werden kann. Bei seltenen Erkrankungen, wie der idiopathischen Lungenfibrose (IPF), steht den Patienten häufig nur eine einzige pharmakologische Therapiemöglichkeit (Orphan Drug) zur Verfügung. Kommt es aufgrund von Komorbiditäten oder akuten Begleiterkrankungen zu einer zusätzlichen Gabe weiterer Medikamente, besteht durch Arzneimittelinteraktionen stets das Risiko von verminderten sowie unerwünschten Wirkungen einzelner Wirkstoffe. Die Wahrscheinlichkeit von Wechselwirkungen steigt hierbei mit der Zahl der eingenommenen Medikamente drastisch an (1). Um die positive Wirkung der Orphan Drugs zu erhalten, sollte somit die Komedikation mit Bedacht gewählt und Medikamente, welche zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen, ausgetauscht werden.
Zur Behandlung der leichten bis mittelschweren IPF steht den Patienten seit 2011 das Orphan Drug Pirfenidon als erster zugelassener Arzneistoff in der EU zur Verfügung (5). Bei der IPF handelt es sich um eine progredient und tödlich verlaufende Lungenerkrankung mit einer mittleren Überlebenszeit von zwei bis fünf Jahren (6), was die medizinische Notwendigkeit einer erfolgreichen Therapie verdeutlicht. Anhand des Orphan Drugs Pirfenidon werden in den folgenden Abschnitten Möglichkeiten zur Reduktion wichtiger Arzneimittelwechselwirkungen aufgezeigt.
Je höher die Anzahl der eingenommenen Medikamente, desto größer das Potenzial von Arzneimittelinteraktionen.
Foto: Fotolia/iQoncept
In Studien konnte gezeigt werden, dass Pirfenidon die Abnahme der Lungenfunktion reduziert und die Leistungsfähigkeit länger erhält. Darüber hinaus wurde dem Wirkstoff ein günstiges Sicherheitsprofil bescheinigt (7). Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung (AMNOG) wurde Pirfenidon ein Zusatznutzen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zugesprochen (8). Patienten mit IPF erhalten neben der IPF-spezifischen Therapie mit Pirfenidon häufig ebenfalls eine Komedikation (9). Um Wechselwirkungen zu vermeiden und den Therapieerfolg nicht zu gefährden, ist hierbei eine genaue Planung der Komedikation entscheidend. Zur Beurteilung des Interaktionsrisikos von Pirfenidon hilft zunächst ein Blick auf die pharmakokinetischen Eigenschaften des Arzneistoffes. Bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme kommt es zu einer Reduktion der maximalen Plasmakonzentration (Cmax) um 50 Prozent, während der Einfluss auf die AUC (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve) und somit auf die resorbierte Menge des Wirkstoffes weniger stark vom Sättigungszustand des Patienten abhängt. Allerdings zeigte sich bei gesättigten Probanden eine geringere Inzidenz bestimmter Nebenwirkungen (10), weshalb die gleichzeitige Einnahme von Pirfenidon mit Nahrung empfohlen wird (5). Die mittlere Plasmabindungsrate von Pirfenidon beträgt 50 bis 58 Prozent. Das geringe Verteilungsvolumen von 70 l im Steady State weist auf eine geringe Gewebeverteilung des Wirkstoffes hin (11).
Fokus auf Biotransformation
Die Behandlung mit Pirfenidon wird mit einer zweiwöchigen Aufsättigung bis hin zur empfohlenen Tagesdosis von dreimal täglich drei Kapseln (2403 mg/Tag) begonnen (5). Die Dosierungsvorgaben machen deutlich, dass eine Vermeidung von Interaktionen durch ein zeitliches Management der Einnahme verschiedener Medikamente nicht zu erreichen ist. Die terminale Eliminationshalbwertszeit einer Einzeldosisgabe bei gesunden älteren Probanden liegt bei 2,4 Stunden (10). Innerhalb von 24 Stunden nach der Einnahme von Pirfenidon werden etwa 80 Prozent der peroral applizierten Dosis zu über 95 Prozent als 5-Carboxy-Pirfenidon (Hauptmetabolit) und unter 1 Prozent als unveränderter Wirkstoff über die Niere ausgeschieden (10).
Während sich aus den vorangegangenen pharmakokinetischen Betrachtungen keine entscheidenden Hinweise zur Vermeidung von Interaktionen ergeben, fällt der Beachtung der Biotransformationswege der unterschiedlichen Arzneistoffe hierbei eine größere Bedeutung zu. Pirfenidon wird zu 70 bis 80 Prozent durch CYP1A2 metabolisiert sowie zu einem geringen Anteil durch andere CYP-Isoenzyme wie CYP2C9, 2C19, 2D6 und 2E1 (5). Daraus lässt sich als allgemeine Empfehlung ableiten, dass Arzneimittel, die für ihre Metabolisierung CYP1A2 oder ein oder mehrere weitere CYP-Isoenzyme, die am Stoffwechsel von Pirfenidon beteiligt sind, verwenden beziehungsweise diese inhibieren oder aktivieren, prinzipiell als Komedikation vermieden oder nur mit Vorsicht angewendet werden sollten. Das Ausmaß des Risikos, das sich durch die Interaktion ergibt, ist sowohl von der Stärke der Inhibition beziehungsweise Induktion des einzelnen Isoenzyms als auch von der Anzahl der beeinträchtigten Enzyme abhängig. Inhibitoren der CYP-Isoenzyme, die am Metabolismus des Pirfenidons beteiligt sind, führen aufgrund einer verringerten Clearance zu einer erhöhten Wirkstoffexposition. Durch die erhöhten Plasmaspiegel steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen deutlich an. Im Gegensatz dazu kommt es durch Induktoren durch die gesteigerte Produktion von Leberenzymen zu einem beschleunigten Abbau des Wirkstoffs und dadurch zu einem verringerten Plasmaspiegel mit möglichem Wirkungsverlust.
CYP-Enzym beeinflussende Wirkstoffe | Alternativ einsetzbare Wirkstoffe |
---|---|
Antibiotika | |
| alle Penicilline (z. B. Amoxicillin), alle Cephalosporine (z. B. Cefaclor), alle Carbapeneme (z. B. Meropenem), Vancomycin, Makrolide (Azithromycin, Roxithromycin), Gyrasehemmer (Moxifloxacin) |
Antidepressiva | |
SSRI (Fluvoxamin, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin), SSNRI (Duloxetin), Bupropion | Trizyklika (Clomipramin, Trimipramin), Tetrazyklika (Mianserin), Reboxetin, SSNRI (Venlafaxin) |
Systemische Antimykotika | |
Fluconazol, Terbinafin | Itraconazol, Voriconazol |
Ulkustherapeutika | |
PPI (Omeprazol, Lansoprazol) | H2-Rezeptorantagonisten (Famotidin), PPI (Pantoprazol, Rabeprazol), alle Antazida (z. B. Magaldrat) |
Neuroleptika | |
klassische Neuroleptika (Perazin), atypische Neuroleptika (Amisulprid, Quetiapin, Risperidon) | |
Calciumkanalblocker | |
DHP (Lercanidipin, Amlodipin), Nicht-DHP (Diltiazem, Gallopamil) | |
Antiarrhythmika | |
Amiodaron, Propafenon | Dronedaron (nur bedingt), Flecainid, Metoprolol |
Tuberkulosemittel | |
Isoniazid, Rifampicin | Protionamid, Ethambutol |
Antiemetika | |
H1-Antihistaminika (Diphenhydramin), Prokinetika (Domperidon, Metoclopramid), 5-HT3-Antagonisten (Granisetron, Palonosetron) | |
Parkinsonmittel | |
MAO-B-Hemmer (Rasagilin), COMT-Hemmer (Tolcapon), dopaminerge Agonisten (Bromocriptin, Dihydroergotamin, Pergolid, Pramipexol) | |
Lipidsenker (Statine) | |
Statine (Fluvastatin, Lovastatin) | Statine (Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin), Fibrate (Fenofibrat, Bezafibrat, Gemfibrozil) |
Thrombozytenaggregationshemmer | |
Ticlopidin | Clopidogrel (nur bedingt), Prasugrel, Ticagrelor, Acetylsalicylsäure |
Therapeutika bei pulmonalem Hochdruck | |
Bosentan, Ambrisentan | |
Bronchodilatator | |
Leukotrien-Rezeptorantagonist (Montelukast) | |
Schilddrüsentherapeutika | |
Thyreostatika (Propylthiouracil) | |
Narkosemittel | |
Propofol (Absetzen von Pirfenidon mindestens 5 Stunden vor der Narkose !) | |
Antidiabetika | |
Insulin | α-Glukosidasehemmer (Acarbose), Biguanide (Metformin), DPP-IV-Inhibitoren (Vildagliptin, Sitagliptin, Saxagliptin), Glinide (Rapaglinid (nur bedingt), Nateglinid (nur bedingt), Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid (nur bedingt), Glimepirid (nur bedingt), Gliclazid, Gliquidon) |
COMT, Catechol-O-Methyltransferase; DHP, Dihydropyridine; DPP, Dipeptidylpeptidase; MAO-B, Monoaminooxidase B; PPI, Protonenpumpeninhibitor; SSNRI, Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; SSRI, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
Die Bewertung des Interaktionspotenzials lässt sich wie folgt in verschiedene Risikostufen einteilen und basiert auf der Beeinflussung der CYP-Isoenzyme, die an der Metabolisierung von Pirfenidon beteiligt sind (CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6):
Fluvoxamin ist ein starker Inhibitor des maßgeblich an der Metabolisierung von Pirfenidon beteiligten Enzyms CYP1A2 (12). Durch die gleichzeitige Einnahme beider Substanzen kommt es durch die Abbauhemmung zu einer 4-fach erhöhten Exposition mit Pirfenidon. Gleichermaßen kann das Antibiotikum Ciprofloxacin als moderater CYP1A2 Inhibitor bei gleichzeitiger Einnahme mit Pirfenidon dessen Exposition um 81 Prozent erhöhen (5). Kann die Einnahme von Ciprofloxacin in einer Dosierung von zweimal täglich 750 mg nicht vermieden werden, sollte die Dosis von Pirfenidon auf 1602 mg täglich reduziert werden (5).
Vorsicht mit Grapefruit und Tabakrauch
Ebenfalls ist der Konsum von Grapefruitsaft während der Therapie zu vermeiden, da es durch den Saft gleichermaßen zu einer Hemmung von CYP1A2 kommt (11). Besondere Beachtung gilt ebenso bei der Kombination weiterer starker oder mittelstarker CYP1A2-Inhibitoren mit Pirfenidon (11) wie Enoxacin, Amiodaron oder Propafenon.
In der Rubrik Originalia werden wissenschaftliche Untersuchungen und Studien veröffentlicht. Eingereichte Beiträge sollten in der Regel den Umfang von vier Druckseiten nicht überschreiten und per E-Mail geschickt werden. Die PZ behält sich vor, eingereichte Manuskripte abzulehnen. Die veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion wieder.
Erhöht sich die Anzahl der kombinierten Medikamente, ist besondere Vorsicht geboten, wenn CYP1A2-Inhibitoren zusammen mit potenten Inhibitoren eines oder mehrerer weiterer CYP-Isoenzyme, die am Metabolismus von Pirfenidon beteiligt sind, wie etwa CYP2C9 (zum Beispiel Amiodaron, Fluconazol), 2C19 (zum Beispiel Chloramphenicol) und 2D6 (zum Beispiel Fluoxetin, Paroxetin), angewendet werden (11). Im Gegensatz zum starken inhibitorischen Potenzial von Fluvoxamin und Grapefruitsaft, stellt Tabakrauch einen Induktor des Isoenzyms CYP1A2 dar und erhöht dessen Aktivität deutlich. Durch die Enzyminduktion wird der Abbau des Wirkstoffes beschleunigt. In Phase-I-Interaktionsstudien wurde gezeigt, dass Raucher eine um 50 Prozent reduzierte Exposition gegenüber Pirfenidon aufweisen (11). Daher sollte Rauchen vor und während der Behandlung mit Pirfenidon vermieden werden.
Rifampicin als Induktor der Isoenzyme CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2D6 (4) kann bei gleichzeitiger Verabreichung zu einer erheblichen Senkung der Plasmaspiegel von Pirfenidon führen (5). Daher sollte von einer Kombination von Pirfenidon und Rifampicin wenn möglich abgesehen werden. Auch die Einnahme von mäßigen CYP1A2-Induktoren, wie Omeprazol, in Kombination mit Pirfenidon kann theoretisch zu einem verringerten Plasmaspiegel führen (11) und sollte somit nur unter Therapiebeobachtung erfolgen.
Die Zusammenstellung in Tabelle 2 soll dem verschreibenden Arzt sowie dem abgebenden Apotheker als Empfehlung einer sinnvollen Komedikation zu Pirfenidon bei Patienten mit IPF dienen. Denn der Austausch der Medikamente, welche zu unerwünschten oder verstärkten/verminderten Arzneimittelwirkungen führen, ist unerlässlich, um die positive Wirkung des Orphan Drugs und somit den Therapieerfolg aufrechtzuerhalten. /
Anschrift des Verfassers
Professor Dr. Hartmut Morck, Bierstadter Str. 62, 65189 Wiesbaden
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