HPV-Vakzine, Maraviroc, Trabectedin und Vildagliptin |
29.10.2007 11:40 Uhr |
HPV-Vakzine, Maraviroc, Trabectedin und Vildagliptin
Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand
Vier neue Arzneistoffe für vier unterschiedliche Indikationsgebiete erhielten im Oktober die Zulassung: das HIV-Medikament Maraviroc, das Antidiabetikum Vildagliptin, das Zytostatikum Trabectedin und ein zweiter Impfstoff gegen humane Papillomaviren.
Vor einem Jahr eröffnete eine HPV-Vakzine erstmals eine Möglichkeit, junge Frauen vor dem gefährlichen Gebärmutterhalskrebs zu schützen. Die Jury des PZ-Innovationspreises bewertete die Vakzine daher als hoch innovatives Medikament und zeichnete sie mit dem PZ-Innovationspreis 2007 aus. Jetzt gibt es Konkurrenz für Gardasil®.
HPV-Vakzine
Genau ein Jahr nach dem tetravalenten Impfstoff kommt jetzt eine zweite HPV-Vakzine auf den deutschen Markt (Cervarix®, GlaxoSmithKline). Die Suspension zur Injektion in den Oberarmmuskel enthält die gereinigten L1-Proteine von zwei Typen der Humanen Papilloma-Viren (HPV-16 und -18). Als Adjuvans ist ein Monophosphoryl-Lipid A (MPL) zugesetzt, das die Immunantwort des Körpers verstärkt. Der Impfstoff ist adsorbiert, das heißt, dass die virusähnlichen Partikel aus L1-Proteinen und das MPL an eine Aluminiumverbindung gebunden sind.
HPV-16 und -18 verursachen etwa 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs. Die neue Vakzine ist zugelassen zum Schutz vor hochgradigen intraepithelialen Neoplasien der Zervix (CIN) und Zervixkrebs, die durch diese beiden HPV-Typen ausgelöst werden. Die Gewebsneubildungen CIN-2 und -3 können unbehandelt mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Krebs fortschreiten. Der im vergangenen Jahr eingeführte Impfstoff (Gardasil®) schützt zusätzlich vor HPV-6 und -11, die Genitalwarzen, aber kein Zervixkarzinom auslösen. Beide HPV-Impfstoffe beugen Neubildungen durch andere HPV-Typen nicht vor und haben keinen therapeutischen Effekt gegen Krebs. Kein Impfstoff ersetzt die Krebsfrüherkennungsuntersuchung beim Frauenarzt.
Die Indikation für Cervarix beruht auf dem Nachweis der Wirksamkeit bei Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren und auf der Immunogenität des Impfstoffs bei Mädchen und Frauen von 10 bis 25 Jahren. Der Impfzyklus mit drei Spritzen zu den Zeitpunkten 0, 1 und 6 Monaten sollte vor dem ersten Geschlechtsverkehr beendet sein. Für Mädchen unter zehn Jahren liegen keine ausreichenden Daten vor. Ob eine Auffrischimpfung nötig ist, ist nicht bekannt.
Die Vakzine wurde in zwei großen Studien mit fast 20.000 Frauen untersucht; als Kontrolle diente ein Impfstoff gegen Hepatitis-A-Viren. Cervarix verhinderte anormale Zellwucherungen im Gebärmutterhals effektiver als der Vergleichsimpfstoff. In der Hauptstudie entwickelten nach 15 Monaten zwei von fast 8000 Frauen, die wenigstens eine Impfdosis erhalten hatten und zuvor HPV-negativ waren, hochgradige CIN mit HPV-16 und/oder -18, verglichen mit 21 von 8000 Frauen aus der Kontrollgruppe. In zwei Studien wurden Mädchen zwischen 10 bis 14 Jahren geimpft; nach drei Dosen hatten alle schützende Antikörperspiegel gegen die beiden Virustypen aufgebaut. Häufigste Nebenwirkung waren Lokalreaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Myalgie und Müdigkeit (mehr als 10 Prozent der Geimpften).
Maraviroc
Nach dem Fusionsinhibitor Enfuvirtid steht nun ein zweites Medikament für HIV-Patienten zur Verfügung, das den Eintritt des HI-Virus in menschliche Zellen verhindert: Maraviroc (Celsentri®, Pfizer). Es ist der erste Vertreter der neuen Wirkstoffklasse der CCR5-Inhibitoren.
Mehrere Mechanismen müssen zusammentreffen, damit ein HI-Virus in eine humane Zelle eindringen kann. Dies ist für das Virus essenziell, da es sich nur intrazellulär vermehren kann. Der erste Schritt der »Annäherung« erfolgt zwischen dem Virus-Hüllprotein gp-120 und dem zellulären CD4-Rezeptor (»Attachment«, siehe Grafik). Im nächsten Schritt kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen der V3-Schleife des gp120 und Corezeptoren, die in der humanen Zellmembran in der Umgebung von CD4 exprimiert werden. Die Corezeptoren gehören zu den Chemokin-Rezeptoren. Eine Schlüsselfunktion für HIV haben der CCR5- und der CXCR4-Corezeptor. Abschließend erfolgt die Fusion des Virus mit der Zelle, in den Enfuvirtid eingreift. Alle drei Substanzklassen werden als Entry-(Eintritts-)Inhibitoren bezeichnet.
Maraviroc bindet selektiv an den Chemokin-Rezeptor CCR5 des Menschen. Dadurch können HI-Viren, die diesen Corezeptor benutzen, nicht mehr in ihre Zielzellen eindringen (CCR5-trope HIV). Der Arzneistoff zeigt in vitro keine Aktivität gegen Viren, die nur oder auch CXCR4 benutzen (CXCR4- oder dual-trope Viren). Daher ist Maraviroc nur zugelassen zur Therapie von vorbehandelten HIV-1-positiven Erwachsenen, bei denen in einer frischen Blutprobe ausschließlich CCR5-trope Viren nachgewiesen wurden.
Wie immer in der antiretroviralen Therapie müssen mehrere Arzneistoffe kombiniert werden. Die empfohlene Dosis liegt bei 150, 300 oder 600 mg Maraviroc zweimal täglich. Dies hängt stark von der jeweiligen Begleittherapie ab, da der Arzneistoff als Substrat von CYP3A4 mit vielen anderen Wirkstoffen interagiert. Die gleichzeitige Anwendung von Johanniskraut sollte vermieden werden. Maraviroc wird hauptsächlich über die Leber metabolisiert und ausgeschieden.
Maraviroc wurde in zwei großen Studien geprüft (MOTIVATE-1 und -2). Etwa 1000 vorbehandelte Patienten mit CCR5-tropen Viren erhielten entweder Maraviroc (300 mg ein- oder zweimal täglich) oder Placebo, immer zusätzlich zu einer individuell optimierten Basistherapie (OBT). Primärer Zielparameter war die Senkung der HIV-Spiegel im Blut (Viruslast) nach 24 Wochen. Das Verum war deutlich effektiver als Placebo. Je nach Studie hatten 40 bis 48 Prozent der Patienten, die Maraviroc bekamen, Virustiter unterhalb der Nachweisgrenze im Vergleich zu 20 bis 24 Prozent unter Placebo. Ähnliche Ergebnisse wurden beobachtet, wenn man die Patienten über 48 Wochen weiterbehandelte (zweimal täglich 300 mg). Insgesamt führte die ein- oder zweimal tägliche Einnahme von Maraviroc zu ähnlichen Erfolgen. Die höhere Dosierung war etwas wirksamer bei Patienten mit schlechter Prognose.
Interessant ist eine exploratorische Studie mit Patienten mit dual- oder CXCR4-tropen HIV-1. Ohne dass negative Effekte auf Viruslast oder CD4-Zellzahlen beobachtet wurden, konnte weder eine Überlegenheit noch eine Nicht-Unterlegenheit von Maraviroc gegenüber OBT alleine gezeigt werden.
Die häufigste Nebenwirkung ist Übelkeit. Häufig klagten die Patienten auch über Durchfall und Kopfschmerzen. Menschen mit einem Leberleiden, einschließlich Hepatitis-B- oder -C-Infektion, haben möglicherweise ein höheres Risiko für Leberschäden. Dies muss sorgfältig beobachtet werden, da die Entwicklung anderer CCR5-Inhibitoren wegen Hepatotoxizität gestoppt wurde.
Trabectedin
Mit Trabectedin (YondelisTM, PharmaMar S.A.) steht seit Mitte Oktober ein neues Zytostatikum zur Verfügung. Das Mittel ist als Pulver zur Herstellung eines Infusionslösungskonzentrats erhältlich. Eine Durchstechflasche enthält 0,25 beziehungsweise 1 mg Wirkstoff. Trabectedin ist indiziert zur Second-Line-Therapie bei Weichteilsarkomen, wenn die Standardtherapie mit Anthrazyklinen und Ifosfamid versagt beziehungsweise bei Patienten, für die diese Mittel nicht eignen. Da es nur wenige Patienten mit Weichteilsarkom gibt, wurde Trabectedin bereits im Mai 2001 als orphan drug eingestuft.
Trabectedin ist die synthetische Version eines Stoffes, den Forscher ursprünglich aus einer Seescheide (Ecteinascidia turbinata), einem zu den Manteltieren zählenden Meerestier, gewonnen haben. Der Wirkstoff bindet im Zellkern an die kleine Furche der DNA, sodass die Helix der großen Furche nachgibt. Diese Bindung triggert eine Kaskade von Ereignissen, die verschiedene Transkriptionsfaktoren, DNA-Bindungsproteine sowie DNA-Reparatur-Reaktionswege betreffen, was in einer Störung des Zellzyklus resultiert und letztlich zum Absterben der Zelle führt.
Es konnte gezeigt werden, dass der Wirkstoff eine antiproliferative Wirkung gegen eine Reihe humaner Tumorzelllinien und experimenteller Tumoren einschließlich Malignome wie Sarkom besitzt.
Untersucht wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Trabectedin in einer rando-misierten Studie mit 266 Patienten mit Liposarkom (von Fettzellen ausgehendes Sarkom) oder Leiomyosarkom (von Zellen der glatten beziehungsweise unwillkürlichen Muskulatur ausgehendes Sarkom), deren Erkrankung trotz Behandlung mit zumindest Anthrazyklinen und Ifosamid progredient verlief oder rezidivierte. In der Studie wurden zwei Dosierungsschemata verglichen: Eine Gruppe erhielt alle drei Wochen eine 24-stündige intravenöse Infusion in einer Dosis von 1,5 mg pro Quadratmeter Körperoberfläche. Die andere Gruppe erhielt dreimal pro Monat eine dreistündige Infusion mit der Dosis 0,58 mg pro Quadratmeter Körperoberfläche. Die einmalige Gabe alle drei Wochen war dem alternativen Dosierungsschema überlegen und wird demnach als Dosis empfohlen: Während es in der ersten Gruppe bis zur Progression der Erkrankung durchschnittlich 3,7 Monate dauerte, waren es in der zweiten Gruppe nur 2,3 Monate. Im Hinblick auf das mediane Gesamtüberleben (OS) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Mehr als 60 Prozent der Patienten in der ersten Gruppe war nach einem Jahr noch am Leben, im Mittel überlebten die Patienten knapp 14 Monate.
Um Erbrechen vorzubeugen und die Leber zu schützen, sollten 30 Minuten vor jeder Trabectedin-Infusion 20 mg Dexa-methason infundiert werden. Bei mehr als 90 Prozent der Patienten ist davon auszugehen, dass Nebenwirkungen auftreten, bei etwa 40 Prozent sind solche des Schweregrades 3 oder 4 zu erwarten. Am häufigsten kommt es unter Trabectedin zu Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Appetitlosigkeit, Neutropenie und erhöhtem Spiegel von Leberenzymen.
Bei Patienten mit schweren oder unkontrollierten Infektionen, in der Stillzeit und in Kombination mit der Gelbfiebervakzine darf das Mittel nicht angewendet werden.
Vildagliptin
Mit Vildagliptin erhielt im Oktober ein weiterer Vertreter der Dipeptidylpeptidase-4-(DPP-4)-Inhibitoren (siehe Kasten) die Zulassung. Galvus® (50 mg oder 100 mg Vildagliptin, Novartis Pharma) ist in einer oralen Zweifachkombination mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff oder einem Thiazolidindion (PPARγ-Agonisten) zur Behandlung von Typ-2-Diabetikern zugelassen. Die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Vildagliptin in einer Dreifachkombination sind dagegen nicht nachgewiesen.
Vildagliptin gehört zu den Dipeptidylpeptidase-4-Hemmern (DPP-4-Hemmer). Der erste Vertreter dieser Klasse, Sitagliptin (Januvia®), kam im April 2007 auf den Markt. Die Wirkstoffe steigern die Aktivität des Darmhormons Glucagon-like peptide-1 (GLP-1). GLP-1 gehört ebenso wie das Glucose-dependent-insulinotropic-peptide (GIP) zur Gruppe der Inkretinhormone. Nach der Aufnahme von Kohlenhydraten sezernieren die endokrinen L-Zellen im Dünndarm GLP-1, während K-Zellen GIP in den Blutkreislauf abgegeben. Als Folge steigt die Insulinsekretion: Etwa 60 Prozent der postprandialen Insulinantwort gehen auf das Konto der beiden Peptide. Dies geschieht jedoch nur unter hyperglykämischen Bedingungen; bei Normo- oder Hypoglykämie erhöhen die Peptide die Insulinsekretion nicht. Man weiß seit Langem, dass der Inkretineffekt bei Menschen mit Typ-2-Diabetes vermindert ist. GLP-1 hat vielfältige Effekte. Es hemmt die Glucagonfreisetzung, die bei Typ-2-Diabetikern oft erhöht ist. In der Folge sinkt die hepatische Glucoseproduktion. Zudem verzögert es die Magenentleerung. Allerdings hat das endogene GLP-1 nur eine kurze Halbwertszeit, da es innerhalb weniger Minuten durch das Enzym DPP-4 zu unwirksamen Metaboliten abgebaut wird. Ein Weg, die Wirkung des endogenen GLP-1 zu steigern, ist die Hemmung seines Abbaus. Wird DPP-4 gehemmt, bleiben GLP-1, GIP und andere Substrate des Enzyms länger aktiv. Diesen Ansatz verfolgen die Gliptine.
Bei der Kombination mit Metformin oder einem Thiazolidindion nehmen Patienten 100 mg Wirkstoff (einmal täglich morgens oder aufgeteilt in zwei 50-mg-Dosen) unabhängig von einer Mahlzeit ein. Wird Vildagliptin mit einem Sulfonylharnstoff kombiniert, beträgt die empfohlene Dosis 50 mg einmal täglich morgens. Der Arzneistoff wird rasch resorbiert, wobei maximale Plasmakonzentrationen etwa 100 Minuten nach der Einnahme gemessen wurden. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt 85 Prozent. Da Vildagliptin kein CYP-450-Substrat ist und diese Cytochrome weder hemmt noch induziert, ist das Wechselwirkungspotenzial mit anderen Arzneimitteln gering.
Galvus wurde in sieben Hauptstudien mit mehr als 4000 Typ-2-Diabetikern untersucht. Drei dieser Studien prüften die Wirkung einer Monotherapie bei insgesamt fast 2200 Patienten, die zuvor nicht mit Antidiabetika behandelt worden waren, und verglichen diese mit Placebo, Metformin oder dem Thiazolidindion Rosiglitazon. Nach 24-wöchiger Einnahme des DPP-4-Hemmers sank der HbA1c-Wert um rund 1 Prozent gegenüber einem Ausgangswert um 8 Prozent, der Effekt war jedoch geringer als bei Metformin und Rosiglitazon.
Im Rahmen der anderen vier Studien wurden die Wirkungen von Vildagliptin in den Dosierungen 50 oder 100 mg täglich über 24 Wochen mit denjenigen von Placebo verglichen, wobei Vildagliptin oder Placebo zusätzlich zu Metformin, dem Thiazolidindion Pioglitazon, Glimepirid oder Insulin verabreicht wurde. Vildagliptin senkte den HbA1c-Wert wirksamer als Placebo. In Kombination mit Metformin oder Pioglitazon zeigte die 100-mg-Dosis mit der HbA1c-Senkung um bis zu 1 Prozent eine höhere Wirksamkeit als die 50-mg-Tagesdosis. In Kombination mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid reduzierten sowohl 50 als auch 100 mg Vildagliptin den HbA1c-Wert um rund 0,6 Prozent. Obwohl die Ergänzung einer Insulintherapie durch Vildagliptin Vorteile gegenüber Placebo brachte, war die Wirkung insgesamt gering. Das Unternehmen zog seinen Zulassungsantrag für die Ergänzung einer Insulintherapie durch Vildagliptin während der Beurteilung des Arzneimittels zurück. Ebenso wurde mit dem Antrag für die Monotherapie verfahren.
Häufige Nebenwirkungen von Vildagliptin in Kombination mit dem Biguanid Metformin waren Tremor, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit, bei Vildagliptin plus Sulfonylharnstoff waren es Tremor, Kopfschmerzen, Schwindel sowie Asthenie und bei Kombination mit Thiazolidindion kam es häufig zum Anstieg des Körpergewichts und zu peripheren Ödemen.