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Arzneimitteltherapiesicherheit

Blaupause ARMIN

18.10.2016  15:13 Uhr

Im Rahmen des demografischen Wandels nimmt die Zahl der multimorbiden Menschen stetig zu. Da sie dauerhaft mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen, wird das Thema Arzneimittel­therapiesicherheit immer wichtiger. Die Frage, welche Rolle dabei der Apotheker spielt, diskutierten Ärzte und Apotheker auf einer Podiumsdiskussion.

Wenn 2018 bundesweit der elektronische Medikationsplan eingeführt wird, sollen Apotheker an der Erstellung und Analyse dieses Plans fachlich mehr beteiligt werden. Das hatte Bundes­gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in seinem Grußwort auf dem Deutschen Apothekertag explizit betont. Als Blaupause für diese im E-Health-Gesetz festgeschriebene Maßnahme gilt vor allem die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN). Es ist eines der Projekte, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unterstützt, um hierzulande die Sicherheit der Arzneimitteltherapie zu verbessern.

 

Dass es notwendig ist, in diesem Bereich Anstrengungen zu unternehmen, verdeutlichte Professor Martin Schulz, Geschäftsführer der ABDA im Bereich Arzneimittel, zu Beginn der Veranstaltung mit einigen Zahlen. Demnach gibt es nach Angaben des BMG pro Jahr rund 250 000 Krankenhauseinweisungen aufgrund vermeidbarer Medika­tionsfehler. Das entspricht 5 Prozent der jährlichen Krankenhausaufnahmen. Auch steigt der Gebrauch von Arzneimitteln ab dem 60. Lebensjahr enorm an. Rund 7 Millionen Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung nehmen mehr als fünf Medikamente täglich ein.

In einigen Regionen ist Polymedikation ein besonders großes Problem, wie etwa Zahlen der AOK Nordost dokumentieren. 65 Prozent der Versicherten nehmen dort täglich zwischen fünf und zehn Wirkstoffe ein, 20 Prozent sogar mehr als 20 Wirkstoffe. Und das Problem wird aufgrund des demografischen Wandels auch bundesweit weiter zunehmen. Dabei stellt sich laut Schulz die Frage, wie der Versorgungsalltag zu managen ist, um künftig Medikationsfehler und vermeidbare Risiken verringern zu können.

 

Der reine Medikationsplan löst Schulz zufolge das AMTS-Problem nicht. »Auch ein korrekter Plan ist nur ein Stück Papier«, betonte er. Wie eine Studie belege, sind 43 Prozent der Patienten in der Lage, einen Medika­tionsplan richtig umzusetzen. Ziel sei daher ein aktueller, vollständiger, auf potenzielle Risiken geprüfter, zwischen Arzt und Apotheker abgestimmter sowie vollständig elektronisch erstellter und gepflegter Medikationsplan, der für den Patienten verständlich aufbereitet ist, so Schulz.

Solch einen Plan bietet ARMIN. Und noch mehr. Susanne Donner, nach eigenen Angaben eine ARMIN-Apothekerin der ersten Stunde, stellte das Projekt in ihrem Erfahrungsbericht vor. »Ich bin von Anfang an begeistert«, betonte sie zu Beginn ihrer Ausführungen. Inzwischen sind 548 Ärzte (236 in Sachsen und 312 in Thüringen) und 978 Apotheker (502 in Sachsen und 476 in Thüringen) eingeschrieben. Das Modell besteht aus den drei Stufen: Wirkstoff-Verordnung, Medikationskatalog und Medikationsmanagement, das als »Herzstück« von ARMIN gilt.

 

Hier seien ihre apothekerliche Expertise gefordert und eine adäquate Honorierung der pharmazeutischen Leistung gesichert, so Donner. Die Zusammen­arbeit mit den Ärzten sei respektvoll und erfolgreich – »wir arbeiten mit ARMIN-Überzeugungstätern zusammen« – und für die Patienten nützlich. Medikationsmanagement sei eine große Chance für die einzelne Apotheke und den gesamten Berufsstand. Diese Arbeit begeistere auch den Berufsnachwuchs. Bereits jetzt würden Praktikanten ihre Ausbildungsapotheke danach aussuchen, ob diese sich am ARMIN-Modell beteiligt.

 

Interesse an Dienstleistung

Donner erläuterte detailliert die Qualitätskriterien und den praktischen Ablauf des Betreuungsprozesses von der ersten Ansprache der Patienten über das Zusammenwirken von Arzt und Apotheker bis hin zum finalen Medikationsplan, der mit dem Patienten besprochen wird. Bei jeglicher Änderung der Medikation – ob verordnet oder Selbstmedikation – finde eine Folge­intervention statt. Die Patienten hätten großes Interesse an dieser Dienstleistung. »Wir schreiben wöchentlich neue Teilnehmer ein«, sagte sie.

 

Für die Lösung von arzneimittel­bezogenen Problemen greift Donner nach eigenen Angaben auf die ABDA-Datenbank zurück und konsultiert bei Spezialfragen die Arzneimittelinformationsstelle der Kammer. Sie empfahl ihren Kollegen dringend, mit jedem ARMIN-Arzt vorab zu klären, wie bei akuten Problemfällen und Anfragen kommuniziert wird.

Wie die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker funktioniert und wie sich das Verhältnis der beiden Heilberufler durch die Kooperation bei ARMIN geändert hat, illustrierten die Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion. Für den Arzt Martin Bauer bedeutet die Kooperation mit dem Apotheker beim Thema AMTS auch eine Art »forensische Absicherung«. Er schätze die solide, ergebnisorientierte Zusammenarbeit und den regen fachlichen Austausch. Apothekerin Ina Richling, die in Nordrhein-Westfalen das AMTS-Projekt ATHINA – Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken begleitet, ist erfreut darüber, dass Ärzte ihre apothekerliche Expertise durch die Zusammenarbeit zu schätzen gelernt hätten. »Viele Ärzte waren überrascht zu sehen, was wir Apotheker können«, sagte sie. Sie hat bereits aufgrund ihres Studiums der patientenorientierten Pharmazie in den USA die Erfahrung gemacht, wie zielfördernd eine enge Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker ist. Wolfgang Ulbricht, Facharzt für Allgemeinmedizin, lobte die hervorragende Kommunikation zwischen ihm und seinem Apotheken-Partner. Auch habe sich sein Verhältnis zu anderen Fachärzten intensiviert. So stehe er etwa regelmäßig in Kontakt mit Diabetologen, wenn es um die Optimierung der Medikation seiner ARMIN-Patienten geht.

Bei aller Einmütigkeit der Podiums­teilnehmer gab es nur eine einzige ­Differenz: Wer spricht die Patienten an und gewinnt sie für die Teilnahme an dem Projekt?

 

ARMIN: Wer spricht die ­Patienten an?

 

Donner berichtete, dass Arzt und Apotheker gleichermaßen geeignete Patienten ansprächen, um sie für eine Teilnahme an dem Projekt zu begeistern. Dies sei laut Vorgaben auch möglich, konzedierte Bauer. Er sieht die Akquise aber eher beim Arzt: »Ich spreche die Patienten in meiner Praxis an.« Hier seien sie einfacher zu motivieren. Ulbricht stimmte dem zu. Auch er gehe auf seine Patienten zu und informiere dann die Apotheke. Zugleich bestätigten beide Ärzte, dass die Zusammenarbeit mit den Apothekern unkompliziert sei. Beide zeigten sich zudem erleichtert, dass die sogenannte Brown-bag-Analyse, bei der sämtliche Medika­mente eines Patienten gesichtet und überprüft werden, in der Apotheke stattfindet.

 

Von einem anderen Vorgehen berichtete Apothekerin Richling. Die Akquise der Patienten sei für viele Apotheker der »Pferdefuß«, denn der Patient müsse für das Medikationsmanagement selbst bezahlen. Nach ihrer Erfahrung seien Patienten, die Probleme mit ihrer Medikation haben oder häufig Rabattarzneimittel bekommen, eher bereit, die Leistung des Apothekers anzunehmen. Ein Anknüpfungspunkt ergebe sich auch, wenn Patienten mit dem Medikationsplan in die Apotheke kommen, auf den sie seit 1. Oktober einen Anspruch haben. Auch hier könne man eine Medikations­analyse anbieten. /

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