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Personalisierte Behandlung

Effektivere Depressionstherapie

18.10.2016  15:33 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler und Hannelore Gießen, München /  In der Onkologie haben genetische Marker neue Behandlungs- und Diagnosewege eröffnet. Einen ähnlichen Weg beschreiten Forscher nun in der zielgerichteten Behandlung von Depressionen. Sie konnten inzwischen Genvarianten aufspüren, die sich in Tests als zuverlässige molekulare Indikatoren für den Verlauf einer Depression erwiesen haben.

»Nicht nur in der Onkologie, sondern auch in der Depressionsbehandlung gibt es viel Potenzial für eine individualisierte Therapie«, sagte Professor Dr. Florian Holsboer, Geschäftsführer der HMNC Brain Health Holding, bei der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in München.

Einen Ansatzpunkt biete zum Beispiel die körpereigene Stressachse. Stress erhöht die Freisetzung von Corticotropin-releasing Hormon (CRH). Dauerhaft erhöhte CRH-Spiegel könnten Ängstlichkeit sowie Verlust von Appetit, Schlaf und sexuellem Interesse auslösen und einer Depression den Weg bahnen, berichtete der Psychiater. Ein Teil der depressiven Patienten weise erhöhte CRH-Spiegel in der Zerebrospinalflüssigkeit auf.

Patienten mit positivem CRH-Test profitierten in Tests von Antagonisten an CRH-Rezeptoren (CRHR1). Mithilfe eines von HMNC entwickelten Genchips und anhand von Veränderungen im Schlaf-EEG konnten die Forscher vorhersagen, welche Patienten auf CRHR1-Antagonisten ansprechen.

 

P-Glykoprotein als Target

 

Einen weiteren Ansatz liefert laut Holsboer das Transportprotein P-Glykoprotein (P-gp), das vom ABCB1-Gen kodiert wird. P-gp behindert das Eindringen seiner Substrate ins Gehirn, indem es diese aktiv ins Blut zurückpumpt. Je nach ABCB1-Genvariante arbeitet der Transporter effektiver oder schwächer. Da viele Antidepressiva Substrate von p-gp sind, beeinflussen die Genvarianten das Therapieansprechen. Patienten mit der Variante 1 erreichten unter einem Antidepressivum, das ein P-gp-Substrat ist, in größerer Zahl und kürzerer Zeit eine Remission als Patienten mit Variante 2, erklärte der Psychiater.

 

Professor Dr. Dario Neri von der Eidgenössischen Hochschule Zürich und Gründer der Firma Philogen sprach über eine neue Generation von therapeutischen Antikörpern, die in der Krebstherapie zum Einsatz kommen. »Ziel ist es, Wirkstoffe, Zytokine oder Radionuklide zum Tumor zu bringen und dabei das gesunde Gewebe schonen«, sagte Neri. Lange Zeit konnten die immunstimulierenden Eigenschaften von Zytokinen gegen Tumoren kaum genutzt werden. Entweder griffen sie nicht spezifisch genug an oder lösten zu heftige Immun­reaktionen aus. Erst in jüngster Zeit wurden deutliche Fortschritte erzielt.

 

Neri stellte Zytokin-Fusionsproteine (Immunzytokine) vor, die die Neoangiogenese im Tumor verhindern. Im ersten Schritt identifizierte seine Forschungsgruppe die molekularen Abweichungen der Blutgefäße im erkrankten Gebiet und entwickelte mithilfe einer Antikörper-Bibliothek spezifische Liganden, die anschließend mit Zytokinen kombiniert wurden. Hat der Antikörper das Zytokin in den Tumor transportiert, werden Immunzellen – natürliche Killerzellen und zytotoxische T-Zellen, die Krebszellen erkennen und töten können – aktiviert und zum Wachstum stimuliert.

 

Doppelte Mission

 

Mehrere Immunzytokine befinden sich in klinischer Entwicklung. Darleukin besteht aus dem Antikörper L19, der sich gegen Blutgefäße richtet, und dem Zytokin Interleukin 2 (IL-2), das bereits in der Onkologie eingesetzt wird. Darleukin wurde in klinischen Studien bei malignem Melanom und verschiedenen Formen des Pankreaskarzinoms erfolgreich getestet. Derzeit wird es in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab beim refraktären großzelligen B-Zell-Lymphom untersucht.

 

In Fibromun ist der Antikörper L19 mit dem Tumornekrosefaktor TNF-α gekoppelt. Eine Kombination beider Konzepte eröffnet eine plausible Therapieoption. Eine gezielte Injektion von Darleukin und Fibromun direkt in das Melanomgewebe führte zu einem sehr guten Ansprechen. In einer Phase-III-Studie wird die Kombination als neo­adjuvante Therapie vor einer operativen Entfernung des Melanoms getestet. /

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