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Pharmazeutische Ausbildung

Eine Geschichte aus zwei Kulturen

14.10.2014  15:38 Uhr

Von Jochen Klein*, Frankfurt am Main / Die Ausbildung zum Apotheker ist in Deutschlands Fachkreisen Gegenstand intensiver Diskussionen, vor allem weil Berufsbild und Ausbildung des Apothekers weit auseinanderklaffen. Ein Blick in die USA zeigt die verschiedenen Philosophien und offenbart Perspektiven für die weitere Entwicklung der Ausbildung in Deutschland.

In Deutschland ist die Pharmazie aus der historisch sehr erfolgreichen Chemie entstanden und bleibt weiterhin in sie integriert. Dies belegt auch die Dominanz der Chemie in der pharmazeutischen Ausbildung. Sechs der acht pharmazeutischen Semester werden von chemischen Praktika geprägt, obwohl die pharmazeutische Chemie nur eines von fünf Prüfungsfächern im zweiten Staatsexamen ist. Ein Blick auf die Stundenverteilung des Studienfachs Pharmazie lässt vermuten, dass der fertige Apotheker seine Zeit hauptsächlich mit Synthese und Analytik von Arzneistoffen verbringt. Der Praxis entspricht dies natürlich nicht.

Die Ausbildung passt sich nur langsam an das Berufsbild des Apothekers an. Ein wichtiger Grund ist sicherlich die Dominanz der pharmazeutischen Chemiker in den einschlägigen Gremien. Wer schafft sich schon selbst ab? Also quälen sich die Studenten durch die chemischen Praktika, um nach dem Studium zahlreich in den Fortbildungsveranstaltungen zu sitzen, in denen sie verspätet die Kenntnisse erwerben, die sie für die tägliche Beratung in Offizin und Krankenhaus brauchen. Die sinnlose Überlastung im Studium lässt weder Zeit für eigene wissenschaftliche Schwerpunkte noch für eine wirklich akademische Ausbildung mit Übungen zur Problemlösung und zu wissenschaftlichem Denken.

 

Selbstfindungsprozess

 

Die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Apotheker stellt sich heute in Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund steigender Kosten im Gesundheitswesen. Tatsächlich sind die Gewinnmargen der Apotheken und das Einkommen der Apotheker seit Jahren im Sinkflug: Allein die EU hat das Pharmaziestudium davor gerettet, an die Fachhochschule abzusteigen. Eine ähnliche Diskussion war in den USA schon vor mehr als 30 Jahren aufgekommen. Die amerikanischen Pharmazeuten haben in einem Selbstfindungsprozess beschlossen, die Zukunft der Pharmazie eng an die Arbeit mit den Patienten zu knüpfen.

 

Nur durch einen sichtbaren Service, den die Apotheker dem Patienten bieten, kann ein gesellschaftlicher Konsens erhalten bleiben, dass Apotheker wertvolle (und gut bezahlte) Mitglieder des Gesundheitssystems sind. Dabei kommt die derzeitige Entwicklung im Arzneimittelsektor dem Apotheker entgegen. Viele Ärzte sind mit der Vielzahl und Komplexität neuer Arzneimittel außerhalb ihres unmittelbaren Fachgebietes überfordert. Tendenzen wie individualisierte Arzneitherapie und Polypharmazie im Alter benötigen einen fachübergreifenden Arzneimittelexperten. Die aktuelle pharmazeutische Ausbildung kann diesen Fachmann allerdings nicht hervorbringen.

 

In den USA hat die pharmazeutische Ausbildung vor rund 40 Jahren einen ganz anderen Weg eingeschlagen als in Deutschland. Schon wesentlich früher als bei uns wurde dort der Gedanke aufgegriffen, die Ausbildung zu modernisieren. In einem großen Kraftakt wurde ein Studiengang geschaffen, der eng an das Arzneimittel gebunden ist und in einem pharmazeutischen Doktorat (dem PharmD) endet. Dies war keine geringe Leistung des Berufsstandes, obwohl es einige Erleichterungen gab. Der PharmD entspricht den klinischen Doktoraten wie dem M.D. der Medizin. Er wird ohne eigentliche Doktorarbeit durch den Abschluss des Studiums erlangt. Natürlich ist es ein großer Schritt für den Krankenhausapotheker, quasi automatisch Doktor zu werden und damit den Medizinern gleichgestellt zu sein. Zu diesem Zweck wurde das Studium auf sechs Jahre verlängert und drastisch verändert.

 

Wie sieht das Studium zum PharmD aus? Es handelt sich um einen vierjährigen Studiengang, der auf zwei bis vier Jahren Studium im College aufbaut. Dabei kann das »College of Pharmacy« als Zulassungsvoraussetzung verlangen, dass betreuungsintensive Praktika in Physik oder Chemie bereits in der vorgeschalteten Bachelorausbildung geleistet werden. In der PharmD-Ausbildung kommen chemische Praktika kaum mehr vor. Stattdessen werden im ersten Studienjahr medizinische Grundlagenfächer gelehrt, also Anatomie, Physiologie, Biochemie, Immunologie und Grundlagen der Pharmakologie. Eine dichte Serie von Vorlesungen und Übungen zur Krankheitslehre und Pharmakotherapie dominiert das zweite und dritte Studienjahr. Dazwischen werden praktische Studienabschnitte in Offizin oder Klinik durchlaufen. Das vierte Studienjahr besteht fast ausschließlich aus 6 Wochen-Praktika im Krankenhaus, wobei Innere Medizin, Chirurgie, Pädiatrie und Geriatrie Pflicht sind.

 

Verlagerung spart Kosten

Der so ausgebildete Apotheker kann unmittelbar nach der Ausbildung Verantwortung für die Behandlung von Patienten übernehmen. In vielen amerikanischen Krankenhäusern haben sich die Apotheker als Experten für Arzneimittel etabliert; dabei kommt ihnen zugute, dass eine Verlagerung von Aufgaben von den sehr gut bezahlten Ärzten auf die gut bezahlten Apotheker auch Kosten spart und Verordnungsfehler reduziert. Der deutsche Trend, Überstunden von Ärzten zu verringern, könnte auch bei uns eine Chance für Apotheker sein, mehr Verantwortung für Arzneiverordnungen zu übernehmen.

 

Wo bleiben in dieser Ausbildung die klassischen pharmazeutischen Wissenschaften? Die Fächer der pharmazeutischen Chemie, Biologie, Technologie und Pharmakologie werden natürlich weiterhin gebraucht, aber ihre Fachvertreter fungieren in den PharmD-Programmen hauptsächlich als Dozenten. Da aber natürlich die pharmazeutische Forschung nicht erlöschen soll, wurde mit dem PhD in pharmazeutischen Wissenschaften ein paralleler Ausbildungsgang geschaffen, der dem deutschen Dr. rer. nat. entspricht. Hier studieren Doktoranden, die einen Bachelor in einer Naturwissenschaft mitgebracht haben und eine naturwissenschaftliche Promotion anstreben, in ebenfalls vierjährigen Programmen.

 

Diese Dichotomie hat offensichtliche Vorteile für die Ausbildung, aber auch tiefgreifende Konsequenzen. Die amerikanischen Colleges of Pharmacy zerfallen in Pharmazeutische Wissenschaften und Klinische Pharmazie. Die pharmazeutischen Wissenschaftler halten die Grundlagenvorlesungen im PharmD-Programm und arbeiten nachmittags im Forschungslabor. Die klinischen Pharmazeuten arbeiten überwiegend in Kliniken und betreuen die Praktika der Studenten. Diese sitzen meist im Vorlesungssaal oder drehen ihre Runden im Krankenhaus. Sie werden konsequent zu Experten für die Anwendung von Arzneimitteln am Menschen ausgebildet.

 

Manche amerikanischen Apotheker bezeichnen die Pharmazie schon als Informationswissenschaft, weil die schnelle Bereitstellung von Information zum Arzneimittel im Mittelpunkt der Tätigkeit des Klinischen Pharmazeuten steht. Die Klinische Pharmazie ermöglicht nicht nur die Tätigkeit in der Klinik, sondern auch in der Offizin, wo die Mehrheit der amerikanischen Apotheker sehr gut bezahlt in großen Kettenapotheken arbeitet.

 

Keine Laborpraktika

 

Während der PharmD-Student sein Studium auf seine spätere Tätigkeit mit den Patienten ausrichtet, bleibt er für experimentelle Tätigkeiten ungeeignet. Laborpraktika finden praktisch nicht mehr statt. Die Forschungslabors sind dafür mit PhD-Studenten gefüllt. Hier findet die Ausbildung zum Forscher statt. Die begleitenden Vorlesungen und Kurse der PhD-Studenten (entsprech­end den deutschen Doktoranden) sind wissenschaftlicher, tiefergehend und interaktiver als in der Pharm-D-Ausbildung. Sie entsprechen den Inhalten der pharmazeutischen Wissenschaft in Deutschland. Die Absolventen des PhD-Programmes wechseln in die pharmazeutische Industrie oder in Behörden. Sie erhalten aber keine Zulassung als Apotheker. Die Fachbereiche in den USA produzieren also zwei Typen von Pharmazeuten. Die Pharmazie ist gespalten in Praxis und Wissenschaft.

 

Anbindung an Kliniken

 

Eine Folge dieser Entwicklung ist die enge Anbindung der pharmazeutischen Fachbereiche an die Uni­versitätskliniken. Für die PharmD-­Ausbildung braucht es zahlreiche Fachkliniken, aber nur wenig Kontakt zu Naturwissenschaften. Die Anbindung an die medizinischen Fachbereiche bietet Chancen und Risiken. Eine Reihe von Ausbildungsstätten bietet parallele Vorlesungen für Medizin- und Pharmaziestudenten an, um eine frühzeitige Interaktion zwischen den beiden Fächern zu gewährleisten. Andererseits ist die Befürchtung geäußert worden, dass die Ausbildung zum Klinischen Pharmazeuten zu einer Art Schmalspur-Arzt verkommt, weil Studenten zwar viel Medizin, aber kaum naturwissenschaftliche Grundlagen erlernen. Wo bleibt das Unterscheidungsmerkmal zum Mediziner? Die Bedenken sind ernst zu nehmen, da in den USA inzwischen pharmazeutische Fachbereiche gegründet und akkreditiert wurden, die nur noch die relativ preiswerte Ausbildung zum PharmD anbieten und keine Forschungslabors mehr bereitstellen. Hier wird die Pharmazie dann leicht ein Anhängsel an die Medizin.

Kann man die lobenswerten Initiativen der amerikanischen Pharmazie mit den deutschen Traditionen verbinden, ohne die Einheit der pharmazeutischen Ausbildung aufzugeben? Die amerikanischen Impulse wären sicher sinnvoll in die deutsche Ausbildung zu integrieren. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass für die deutsche Ausbildung in der Universität nur vier Jahre vorgesehen sind. In dieser Zeit müssen naturwissenschaftliche, medizinische und spezifisch pharmazeutische Inhalte untergebracht werden. Wir könnten es uns dann nicht mehr leisten, die ersten vier Semester mit nicht-pharmazeutischen Inhalten zu füllen. Die ersten beiden Semester müssten ausreichen, um die chemischen Grundlagen zu legen und laborpraktische Fähigkeiten zu erlernen. Chemische und physikalische Praktika müssten zumindest verkürzt werden. Ab dem dritten Semester müssten in die Vorlesungen pharmazeutische Inhalte aufgenommen werden, und das 1. Staatsexamen sollte Grundlagen der Naturwissenschaften und der Medizin abfragen. Im Hauptstudium sollten dann pharmazeutische Inhalte im Vordergrund stehen.

 

Vorlesungen der pharmazeutischen Chemie und Biologie ließen sich mit pharmakologischen und klinisch-pharmazeutischen Inhalten verknüpfen, um die künstliche Trennung der pharmazeutischen Fächer aufzuheben. Es ist für den Studenten einfacher, Geschichte und Struktur von Arzneistoffen im Zusammenhang mit der Anwendung am Menschen zusammenhängend zu erlernen, als fragmentierte Informationen aus fünf verschiedenen Fächern zusammenzufügen. Schließlich könnten sich diese Änderungen auf die Qualifikationswege der Hochschullehrer auswirken. Eine Habilitation für Pharmazeutische Wissenschaften könnte die alte Fächertrennung ersetzen.

 

Blick über Ländergrenzen

 

In Anbetracht der konservativen Grundhaltung der deutschen Hochschulpolitik haben große Entwürfe für Reformen meist keine Chance. Dennoch braucht man eine Vision, um Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen. Ein Blick über die Ländergrenzen hinaus könnte eine solche Perspektive bieten. /

 

Ist die amerikanische Pharmazieausbildung für Deutschland ein Vorbild? Diskutieren Sie mit, nutzen Sie die Kommentar-Funktion, am Ende dieser Seite!

 

*Professor Jochen Klein ist Geschäftsführender Direktor des Pharmakologischen Instituts für Naturwissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuvor war er bis 2002 Hochschuldozent und apl. Professor an der Uni Mainz (Pharmakologie, FB Medizin), von 2002 bis 2007 arbeitete er als Associate Professor of Pharmaceutical Sciences an der Texas Tech School of Pharmacy (Amarillo, Texas). Seit 2007 ist er Professor für Pharma­kologie und Klinische Pharmazie an der Goethe-Universität.

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