Fenchel statt Fritten |
04.10.2012 13:32 Uhr |
Von Anna Hohle, Berlin / Seit 2010 gibt es den Leistungskatalog der Beratungs- und Serviceangebote in Apotheken, kurz LeiKa. Eine Apotheke in Berlin-Hellersdorf nutzt die einheitlichen Vorlagen und berät ihre Kunden zum Thema Ernährung.
»Ein bisschen mehr Sport ist nie verkehrt«, sagt Urte Tröber und lächelt. Oje, ertappt. Bis auf die tägliche Fahrradfahrt zur Arbeit bin ich tatsächlich ein ziemlicher Sportmuffel. Vor Tröber und ihrem Kollegen Jens Käppel kann ich das leider nicht verbergen: Die beiden Apotheker sind echte Ernährungsprofis. Meine erste Lektion an diesem Tag: Normalgewicht ist nicht gleich guter Trainingszustand.
Service im Rahmen des LeiKa: Apothekerin Urte Tröber berät eine Kundin in Ernährungsfragen.
Foto: PZ/Zillmer
Die Apotheke Helle Mitte liegt im Erdgeschoss eines dreistöckigen Ärztehauses in Berlin-Hellersdorf, nur einen Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. In der Offizin plätschert leise ein Springbrunnen. Tröber und Käppel führen mich in den separaten Raum, in dem sie und eine weitere Kollegin die Kunden beraten – und heute mich. Vor rund drei Jahren haben sie dafür bei der Apothekerkammer Berlin eine Zusatzausbildung zum Ernährungsberater absolviert.
Der Auslöser war das große Interesse am Thema, sagen beide. Seitdem richtet die Apotheke Helle Mitte mehrmals im Jahr Aktionswochen rund um das Thema Ernährung aus. Auf Schildern und über ihre Kundenzeitung weisen die Mitarbeiter Stammkundschaft und Passanten darauf hin, dass sie sich in der Apotheke kostenlos in Sachen Ernährung beraten lassen können. Die Resonanz ist gut: Rund 100 Patienten haben das Angebot bislang genutzt.
Grundsätzlich steht die Beratung jedem offen. Dennoch kämen vor allem Kunden, die Gewicht verlieren möchten, so Tröber. Aber auch den umgekehrten Fall erleben die Apotheker: Patienten einer nahegelegenen onkologischen Praxis informieren sich bei den Beratern, wie sie nach ihrer schweren Erkrankung wieder einen guten Ernährungszustand und Normalgewicht erreichen können.
Medikation spielt eine Rolle
»Im Gespräch geht es zunächst darum, die Situation und die Wünsche des Patienten zu klären«, sagt Tröber. Auch die Medikation wird erfragt. Übergewichtige Kunden nähmen häufig kurativ Medikamente gegen typische Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes ein, die teilweise selbst Auswirkungen auf das Köpergewicht haben können. Aber auch Arzneimittel wie Psychopharmaka oder Cortison könnten die Ursache einer Gewichtszunahme sein, erklärt Kollege Käppel.
ABDA / Der von der ABDA herausgegebene LeiKa beschreibt wissenschaftlich anerkannte Dienstleistungen von Apotheken, die über die reguläre Arzneimittelversorgung hinausgehen. Er verdeutlicht die Vielfalt apothekerlicher qualitätsgesicherter Leistungen sowie deren Wert auch gegenüber der Öffentlichkeit. Jede Apotheke kann daraus je nach Kundenstruktur und Ausrichtung passgenaue Dienstleistungen auswählen und anbieten:
Arzneimittelbezogene Leistungen: zum Beispiel Medikations-Check, Arzneimittelinformation, Überprüfung der Hausapotheke
Bestimmung physiologischer Parameter und anderer Messwerte: zum Beispiel Blutdruck-, Blutzucker-, Cholesterol-, BMI-Bestimmung, Peak-Flow-Messung
Individuelle Beratungsleistungen: zum Beispiel Ernährungsberatung, Impfberatung, Reiseberatung, Tabakentwöhnung
Weitere Leistungen: zum Beispiel Versorgung im häuslichen Umfeld, Überprüfung von Verbandskästen
Die strukturierte Darstellung der einzelnen Leistungen lässt sich direkt in ein Qualitätsmanagementsystem übernehmen. Neben Hinweisen zur Vorbereitung und Durchführung sowie personellen und technischen Voraussetzungen kann bequem auf praktische Umsetzungshilfen zugegriffen werden:
Fachliche Grundlagen: zum Beispiel Leitlinien, Empfehlungen von Fachgesellschaften
Instrumente zur praktischen Umsetzung: zum Beispiel Standardarbeitsanweisungen, Checklisten, Arbeitshilfen, Dokumentationsbögen
Patienteninformationen: zum Beispiel Flyer, Merkblätter, Kundenvorträge
Marketingmaterialien: zum Beispiel individualisierbare Flyer, Anzeigen, Plakate (in Vorbereitung)
Alle Unterlagen sind im Mitgliederbereich von www.abda.de (Passwort siehe Impressum) verfügbar. Darüber hinaus stehen allgemeine Umsetzungshilfen zum Download zur Verfügung:
Anleitung zur Auswahl, Planung und Einführung neuer Dienstleistungen
Checklisten zum praktischen Vorgehen
Tool zur Aufwandsermittlung und Kostenkalkulation
Befragung zur Kundenzufriedenheit
Marketingbroschüre für Betriebe
Fragen oder Anregungen zum LeiKa: leika(at)abda.aponet.de
Im nächsten Schritt ermitteln die Apotheker die Werte des Patienten: Neben dem Body-Mass-Index (BMI) sind das unter anderem das Verhältnis von Taille zu Hüfte (Waist-to-Hip-Ratio), welches Hinweise auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt, sowie bei stark übergewichtigen Menschen Blutdruck und Cholesterolwerte. Außerdem können die Berater eine sogenannte bioelektrische Impedanzanalyse durchführen, die das Verhältnis von Flüssigkeit, Fett- und Muskelgewebe im Körper anzeigt.
Spezielle Ernährungspläne
Diese detaillierte Messung nutzen Tröber und Käppel normalerweise nur für Patienten, bei denen eine Mangelernährung vermutet wird. Für mich machen sie jedoch eine Ausnahme und schließen das Gerät per Sensor an rechter Hand und rechtem Fuß an. Der Apparat zeigt die kleinsten Schwächen auf: Obwohl mein BMI vorbildlich erscheint, pendeln die Werte für die Qualität meiner Muskelmasse eher am unteren Rand des Idealbereichs. »Auch Menschen, die nicht übergewichtig sind, können Mangelerscheinungen aufweisen«, erklärt Tröber. Bei sehr schlechten Werten erarbeitet sie mit den häufig kranken Patienten einen speziellen Ernährungsplan. Mir legt sie nur ein wenig mehr Sport ans Herz.
Foto: Fotolia/Yantra
Will der Kunde ernsthaft Gewicht verlieren oder zulegen, bleibt es nicht beim Erstgespräch. Tröber und Käppel geben ihm dann ein Protokoll mit, in das er drei Tage lang jede Mahlzeit vom Schnitzel bis zum Gummibärchen einträgt. Bei der gemeinsamen Auswertung erkennen sie häufig bereits Ursachen für Übergewicht. »Bei vielen Patienten herrscht erschreckend wenig Ernährungsbewusstsein«, so Käppel. Die Berater erklären dann zunächst Grundlegendes: Etwa, dass Mahlzeiten regelmäßig und nicht vor dem Fernseher eingenommen werden sollten. Auch wüssten die Kunden häufig nicht, wie viele Kalorien Softdrinks, Alkohol und Fertiggerichte enthalten. »Viele Menschen kochen heute gar nicht mehr richtig und kennen auch bestimmte Gemüsearten nicht«, erklärt Tröber. Die Apotheker geben deshalb eine Liste mit nach Hause, in der die Nährwerte sämtlicher Lebensmittel von Fenchel bis Pommes Frites aufgeführt sind.
Bewegungsmangel ist ein weiteres Problem. Gerade ältere Patienten litten häufig an Erkrankungen wie Arthrose und könnten sich nur noch mühselig bewegen, so Käppel. »Wir besprechen dann gemeinsam, ob nicht zum Beispiel regelmäßige Spaziergänge möglich sind.« Der Apotheker macht sich dennoch keine Illusionen: »Die eingespielten Ernährungsgewohnheiten zu ändern ist schwierig und sehr langwierig. Das passiert nur in sehr kleinen Schritten.«
So gehört auch ein wenig Frustration zum Beraterjob. »Gerade die Kunden, die eine Ernährungsberatung sehr nötig hätten, sind oft nur schwer zu erreichen«, sagt Käppel. Dies ist ein Grund, warum die Apotheker zum Thema Ernährung kostenlos beraten, obwohl der LeiKa eine Honorierung empfiehlt. Hellersdorf ist kein reicher Bezirk, und Tröber und Käppel sind froh, »wenn wir die Menschen überhaupt erreichen«. Auch hoffen sie, durch das Angebot die Kundenbindung zu stärken. »Die Menschen sollen merken, dass sie hier gut beraten werden«, sagt Tröber. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten für Apotheken werde es dennoch zunehmend zum Problem, die zeitintensiven Beratungsgespräche so zu terminieren, dass kein Kollege am HV-Tisch fehle.
Nützliche Arbeitshilfen
Über die Vordrucke aus dem LeiKa sind die beiden Berater jedoch froh. »Sie sind eine nützliche Arbeitshilfe, da alles einheitlich dokumentiert werden kann und sich übersichtlich archivieren lässt.« Die Apotheke Helle Mitte bietet auch andere LeiKa-Leistungen an; zurzeit ist ein langfristiges Projekt zur Diabetikerbetreuung geplant. Auf dem Thema Ernährung wird aber auch weiter ein besonderer Schwerpunkt liegen, so Tröber. Zum Abschluss gibt sie mir noch einige Ernährungstipps – als Vegetarierin sollte ich auf meinen Eiweiß- und Eisenhaushalt achten und etwa öfter mal zu Hirse oder Weizenkleie greifen. Vielleicht mache ich das gleich morgen früh – und setze mich danach aufs Fahrrad. /
In loser Folge stellt die PZ einige Apotheken vor, die besondere Dienstleistungen anbieten und sich dabei auf den Leistungskatalog der Beratungs- und Serviceangebote in Apotheken (LeiKa) stützen. In dieser Ausgabe starten wir mit der Apotheke Helle Mitte in Berlin.