Besuch bei der Behörde |
27.09.2010 15:53 Uhr |
Von Bettina Sauer, Berlin / Alle öffentlichen Apotheken in Deutschland unterliegen der Aufsicht durch die örtlich zuständige Behörde. Die Kontrolleure prüfen unzählige Akten, führen Regel- und Sonderbesichtigungen in den Apotheken durch – und stoßen bei ihrer Arbeit auf durchaus spannende und heikle Sachverhalte. Das zeigt sich am Beispiel vom Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin.
Ausstattung, Arbeitsabläufe, Aufzeichnungen – die deutschen Apotheken müssen hohe Anforderungen erfüllen. Die Rechtsgrundlage dafür bilden verschiedene Vorschriften, insbesondere das Apothekengesetz, die Apothekenbetriebsordnung, das Arznei- und das Betäubungsmittelgesetz. Zudem legen diese Regelwerke fest, dass die Apotheken sich hinsichtlich der Erfüllung ihrer Pflichten kontrollieren lassen müssen. So heißt es in § 64 des Arzneimittelgesetzes: »Betriebe und Einrichtungen, in denen Arzneimittel hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in Verkehr gebracht werden, unterliegen der Überwachung durch die zuständigen Behörden.«
Rezeptur in einer Apotheke: Ob ihr Zustand den gesetzlichen Vorschriften entspricht, wird regelmäßig durch die zuständige Behörde kontrolliert.
Foto: ABDA
Meist sind das die Verwaltungen der Bezirke (Regierungspräsidien), beziehungsweise der Stadtstaaten, manchmal auch der Kreise oder kreisfreien Städte. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt übernehmen neuerdings die Landesapothekerkammern Aufsichtsfunktionen. »Es gibt also bezüglich der Apothekenüberwachung von Behörde zu Behörde strukturelle Besonderheiten, aber alle erfüllen ähnliche Aufgaben und dienen ein und demselben Auftrag: der Sicherstellung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes«, sagt Apotheker Hans-Henning Kloß der Pharmazeutischen Zeitung (PZ). Er leitet den Bereich Krankenhausaufsicht, Arzneimittelwesen, Apothekenwesen beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) und gibt bei einem persönlichen Gespräch Einblick in den dortigen Behördenalltag.
Spannende und heikle Fragen
Demnach kümmern sich fünf seiner Mitarbeiter speziell um die derzeit 889 öffentlichen Apotheken in der Hauptstadt, um die kleinen im Kiez genauso wie um die großen im Center. »Zu unseren Aufgaben zählt unter anderem die Erteilung von Betriebs- und Versandhandelserlaubnissen, die Genehmigung von Verträgen zur Heim- und Krankenhausversorgung und die Überwachung der Apotheken«, sagt die Leiterin dieser Gruppe, Dr. Annick Plock, im PZ-Gespräch. Das möge erst einmal nach Bürokratie, Aktenwälzen und Routine klingen, beinhalte aber »abwechslungsreiche, verantwortungsvolle und spannende Fragen«. »Wir gehen mit, wenn das Landeskriminalamt gegen eine Apotheke ermittelt, zum Beispiel wegen eines Betrugsverdachts.«
Mitunter gelte es auch, heikle Sachverhalte zu prüfen. Sollte zum Beispiel eine Apotheke vorsorglich geschlossen werden, während ein Strafverfahren gegen den Inhaber läuft? Wenn mehrere Apotheken einen Versorgungsvertrag mit demselben Pflegeheim schließen – wer ist dann genau für was zuständig? Darf ein Insolvenzverwalter eine Apotheke weiter betreiben? »Nein«, lautete in einem konkreten Fall vor einigen Jahren die Antwort des LAGeSo. »Das darf aufgrund der heilberuflichen Verantwortung nur ein Apotheker, auch wenn er wirtschaftlich in Schwierigkeiten steckt«, erklärt Kloß. »Doch die Zunft der Insolvenzverwalter sah das anders.« Zur Klärung des Konflikts habe das LAGeSo einen Rechtsstreit bis zum Oberverwaltungsgericht Berlin geführt und gewonnen. »In der Folge wurde das bestehende Insolvenzrecht geändert«, sagt Kloß.
Dann erzählt er von einem zweiten wichtigen Präzedenzfall. Dabei ging es um eine Betriebserlaubnis für eine Apotheke in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). »Uns machte die enorm hohe Miete von monatlich 40 000 Euro für 280 Quadratmeter stutzig«, sagt Kloß. »Wir vermuteten, dass die MVZ-Betreiber damit so ziemlich den ganzen Benefit der Apotheke abschöpfen dürften und damit gewissermaßen zu Mitinhabern würden. Dadurch sahen wir die frei- und heilberufliche Unabhängigkeit der Apotheke in Gefahr und verweigerten die Erteilung der Betriebserlaubnis.« Der Fall landete vorm Berliner Verwaltungsgericht, und dies gab dem LAGeSo Recht. Kloß ist sicher: »Damals haben wir einen Fremdbesitz durch die Hintertür verhindert.«
An diesem Beispiel zeige sich aber auch, dass Behörden-Mitarbeiter äußerst genau hinschauen müssten, wenn sie Unterlagen prüfen. Und davon bekommen sie einige auf den Tisch. Wer zum Beispiel eine Apotheke neu eröffnen will, der muss beim LAGeSo unter anderem seine Approbation, ein ärztliches Gesundheits- und ein polizeiliches Führungszeugnis, einen Miet- oder Kaufvertrag für die Apothekenbetriebsräume sowie deren Pläne einreichen. Zudem darf er die Apotheke erst eröffnen, nachdem ihr ordnungsgemäßer Zustand bestätigt wurde. Dazu machen die Mitarbeiter des LAGeSo eine gründliche Erstbesichtigung.
Besuch vom Pharmazierat
Und viele weitere Besuche dürften folgen. Ungefähr alle fünf Jahre wird jede Berliner Apotheke bezüglich der Einhaltung der apotheken-, arznei- und betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften vom LAGeSo kontrolliert. »Meist machen ehrenamtliche Pharmazieräte diese Regelbesichtigungen in unserem Auftrag«, sagt Plock. Die Besuche erfolgten nach Voranmeldung und dauerten zwei bis drei Stunden. Die Apothekenmitarbeiter sind nach § 66 des Arzneimittelgesetzes verpflichtet, die Kontrollen zuzulassen und zu unterstützen.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin hat die Aufsicht über alle 889 öffentlichen Apotheken in der Hauptstadt.
Foto: Fotolia/anmaro
Die Dokumentation der Besichtigung erfolgt in einem Formblatt des LAGeSo. Es umfasst Angaben zur Personalsituation, zum Zustand von Offizin, Nachtdienstzimmer, Labor und Rezeptur, zur ordnungsgemäßen Lagerung der Arzneimittel sowie zum Vorhandensein der gesetzlich vorgeschriebenen Protokolle, Geräte, Prüf- und wissenschaftlichen Hilfsmittel. Zudem bietet der Bogen Raum für zusätzliche Bemerkungen. »Im LAGeSo werten wir die Bögen aus und entscheiden gegebenenfalls anhand der Mängel, welche Maßnahmen wir ergreifen«, sagt Plock.
Die gesetzlich mögliche Bandbreite sei weit: »Wir können einen schriftlichen Mängelbeseitigungsbericht des Apothekenleiters anfordern, eine Nachbesichtigung durchführen, Buß- oder Zwangsgelder verhängen, die Apotheke zeitweise schließen oder sogar die Betriebserlaubnis widerrufen. Und wenn Verdacht einer Straftat besteht, informieren wir die Staatsanwaltschaft.« Andererseits wird das Amt auch aktiv, wenn es über Dritte von möglichen Missständen in Apotheken erfährt, zum Beispiel aufgrund von Beschwerden oder weil gegen den Inhaber ein Strafverfahren läuft.
Sonderkontrollen in Berlin
»Ganz allgemein müssen Apotheken jederzeit mit Sonderkontrollen rechnen«, sagt Kloß. Derzeit etwa führe das LAGeSo spezielle Aktionen zur Beratungs- und Rezepturqualität durch. »Anlass waren Ergebnisse der Stiftung Warentest im Sommer 2008, die auf Mängel in diesen Bereichen hindeuten«, sagt Kloß. »Um uns selbst ein Bild der Lage zu verschaffen, führten wir im Herbst 2008 Sonderkontrollen in 59 Apotheken durch.« Dabei nahmen die Mitarbeiter, falls vorhanden, abholbereite Rezepturen mit und ließen sie im Landeslabor Berlin-Brandenburg überprüfen. »Weil sich dabei tatsächlich Mängel feststellen ließen, haben wir die Aktion dieses Jahr im größeren Maßstab wiederholt und 50 weitere Proben gezogen«, sagt Kloß.
Abermals handelte es sich dabei um fertige Rezepturen, die die Apotheken eigentlich Kunden ausgehändigt hätten – und abermals Mängel bezüglich Kennzeichnung und Zusammensetzung aufwiesen. »Wir warten noch auf einen Teil der Ergebnisse, doch scheint es sich um ein massives Problem zu handeln«, sagt Plock. »Und wir glauben auch, eine wichtige Ursache zu kennen: Nämlich eine unsachgemäße Herstellungsweise, insbesondere die Nutzung unangemessener Waagen und ein nicht-hinterfragter Einsatz der automatisierten Herstellung per Unguator oder Topitec.« »Wir haben das Problem schon mit der Apothekerkammer Berlin erörtert, die nun aufklärerisch tätig wird«, sagt Kloß. Unter anderem veröffentliche sie in ihren Rundschreiben Regeln zur Kennzeichnung und plane Fortbildungen zur Herstellung von Rezepturen.
»Auch unsere Kontrollen hinsichtlich des Vorhandenseins der Grundlagen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beratungsqualität erfolgen in Zusammenarbeit mit der Apothekerkammer Berlin«, sagt Kloß. »Wir haben mit ehrenamtlichen Pharmazieräten einen Katalog von 15 klaren Fragen entwickelt, die sich eindeutig beantworten lassen.« Ob und wie gut das den Apothekenmitarbeitern gelingt, wird sich bald zeigen. 50 Berliner Apotheken bekamen jeweils 5 der Fragen von den Pharmazieräten gestellt, gerade läuft die Auswertung im LAGeSo. »Für uns sind diese Sonderkontrollen ein wichtiges Instrument, schnell Informationen über bestehende Mängellagen in Apotheken zu verifizieren«, sagt Kloß.
Behörde bietet Weiterbildung
Übrigens können sich Apotheker im LAGeSo in einer dreijährigen von der Apothekerkammer Berlin anerkannten Weiterbildung zum »Fachapotheker für das öffentliche Pharmaziewesen« qualifizieren. »Diese Möglichkeit wird leider von anderen Überwachungsbehörden viel zu selten angeboten«, sagt Kloß. Die Weiterbildung umfasse vorrangig die Bereiche Apothekenwesen und Arzneimittelwesen. Sie biete eine Qualifikation für Berufe in der Verwaltung, etwa in anderen Überwachungsbehörden, Ministerien oder beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, aber auch bei Krankenkassen oder in der pharmazeutischen Industrie. Viele Absolventen konnte Kloß schon auf feste Stellen übernehmen.
Auf diesem Weg kam auch seine Mitarbeiterin Annick Plock vor zehn Jahren zum LAGeSo. Kloß selbst hat seinen Posten gewissermaßen von seinem Vater geerbt. »Er war auch schon Behörden-Apotheker in Berlin. Als er in Pension ging und seine Stelle ausgeschrieben wurde, befand ich mich in einer Orientierungsphase und habe mich beworben.« Diese Entscheidung bereut er nicht. Er traf sie vor 31 Jahren. /