Die Bedeutung der antiviralen Eigenschaften |
19.09.2016 13:18 Uhr |
Von Manuel Plomer und Justus de Zeeuw / Das Expektorans Ambroxol wird bei akutem Husten mit festsitzendem Sekret sowie bei chronischen Erkrankungen der Atemwege eingesetzt. Es wirkt sekretolytisch sowie sekretomotorisch und weist zudem entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften auf. Mittlerweile belegen Untersuchungen, dass der Wirkstoff eine zusätzliche antivirale Wirkung hat. Diese Eigenschaft ist neben dem bekannten Wirkungsspektrum womöglich für den Verlauf eines zumeist viral bedingten akuten Atemwegsinfekts und die Häufigkeit von Exazerbationen bei COPD von besonderer Bedeutung.
Die Hauptaufgabe der gesunden Bronchialschleimhaut ist neben der Befeuchtung und Erwärmung von Atemluft die Reinigung des unteren Atemtrakts. Eine Schlüsselrolle hat hier das sogenannte Flimmerepithel mit Flimmerepithelzellen, die mit 50 bis 300 Flimmerhärchen (Zilien) bedeckt sind. Die Zilien bewegen sich koordiniert, wellenförmig und peitschenartig bis zu 1000-Mal pro Minute. Auf diese Weise transportieren sie Schleim und Fremdpartikel in Richtung Rachen, wo der Schleim entweder ausgeschieden oder verschluckt wird. Diesen natürlichen und motorischen Reinigungsmechanismus bezeichnet man als mukoziliäre Clearance.
Akute Infekte der unteren Atemwege werden zu 90 Prozent durch Viren ausgelöst.
Foto: Boehringer Ingelheim
Neben den Flimmerepithelzellen finden sich im Flimmerepithel Becherzellen und submuköse Drüsen, die den charakteristischen Schleim produzieren. Das Sekret besteht aus der dünnflüssigen Solphase, die bis in die Spitzen der Flimmerhärchen reicht und einer zähen Gelphase, die auf der Solphase »schwimmt«. Auf der Oberfläche der Gelphase bleiben Fremdpartikel haften und werden durch die Wellenbewegung der Flimmerhärchen in Richtung Rachen abtransportiert (mukoziliäre Clearance). Zwischen der Sol- und Gelphase vermittelt ein oberflächenaktives Schmier- und Gleitmittel (Surfactant). Als Surfactant-Schaum ummantelt es die Flimmerhaare und erleichtert deren Bewegung innerhalb der Solphase und verhindert zugleich ein Verkleben mit der Gelphase. Rund 20 Prozent des Sekrets werden im Oberflächenepithel in den Becherzellen gebildet, 80 Prozent unter dem Epithel in den peribronchialen Drüsen, die über Ausführungsgänge verbunden sind. Die Becherzellen produzieren zähes (muköses) Sekret, die peribronchialen Drüsen als gemischte Drüsenzellen zähes und dünnflüssiges (seriöses) Sekret (1). Die Zusammensetzung des Sekrets – dünnflüssig oder zäh – wird über enzymatische Reifeprozesse gesteuert.
Akute und chronische Infekte
Ein akuter Infekt der unteren Atemwege, auch akute Bronchitis genannt, wird zu 90 Prozent durch Viren ausgelöst. Husten gilt als Hauptsymptom dieses Infektes. Der Körper reagiert mit der Ausschüttung von Entzündungsmediatoren und aktiviert Immunzellen. In der ersten Hustenphase reagieren Chemorezeptoren auf Entzündungsbotenstoffe. Diese Reizung löst im Hustenzentrum zuerst akuten, trockenen Husten aus, der etwa zwei bis drei Tage anhält. Erst danach geht der Husten in einen erst festsitzenden und später akuten produktiven Husten über, der wiederum circa sieben Tage andauert. Bedingt durch die Entzündung wird die normale Funktion der Schleimhautzellen in den Bronchien beeinträchtigt. Das Flimmerepithel wird unterversorgt, Zilien schlagen weniger kräftig oder unregelmäßig, die Becherzellen und peribronchialen Drüsen werden aktiviert und bilden ein besonders zähflüssiges, muköses Sekret. Die mukoziliäre Clearance ist akut gestört. Vermehrt gebildeter zäher Schleim kann nicht mehr natürlich abtransportiert werden, sondern reizt (Dehnungs-) Hustenrezeptoren, die an verschiedenen Stellen im Oberkörper lokalisiert sind. (2). Eine akute Bronchitis ist in der Regel selbstlimitierend nachdem die virale Infektion ausgeheilt ist (bis zu zwei Wochen).
Unter chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) versteht man eine fortschreitende, nicht vollständig reversible Atemflussbehinderung als Resultat einer chronisch obstruktiven Bronchitis (produktiver Husten für mehr als drei Monate in zwei aufeinanderfolgenden Jahren). Sie ist gekennzeichnet durch eine chronische Entzündung der Bronchiolen mit vermehrter Produktion von zähem Bronchialsekret. Meist geht sie einher mit einer progressiven Zerstörung des Lungenparenchyms (Emphysem). Ursachen sind vor allem inhalative Schadstoffe wie Zigarettenrauch, Metalldämpfe, Gase oder Feinstaub. Zwar ist die Erkrankung nicht heilbar, jedoch behandelbar, insbesondere durch die Vermeidung der schädlichen Noxen. Ein besonderes Problem stellen sogenannte Exazerbationen dar, akute Verschlechterungen der Hauptsymptome: verstärkter oder häufigerer Husten, vermehrter oder veränderter Auswurf oder zunehmende Atemnot. Die häufigste Ursache von Exazerbationen sind dabei virale Infekte, die bei Patienten mit einer eingeschränkten Lungenfunktion oftmals auch von bakteriellen Zusatzinfektionen begleitet werden können.
Zusammenfassend ist ein viraler Infekt in der Regel der Auslöser sowohl der akuten Bronchitis, als auch der Exazerbation bei COPD Patienten. Das Symptom Husten ist bei beiden die Folge einer gestörten Clearence von festsitzendem Mukus.
Die Wirksamkeit von Ambroxol zur Linderung der Hustensymptomatik bei beiden Krankheitsbildern wurde bisher überwiegend mit dessen expektorierenden, teilweise mit dessen entzündungshemmenden Eigenschaften in Verbindung gebracht.
Therapie viraler Atemwegsinfekte
Ambroxol besitzt eine normalisierende Wirkung sowohl auf den serösen als auch den mukösen Schleim. Es setzt die Viskosität des entzündlichen zähen Schleims herab, indem es die Produktion der Solphase in den peribronchialen Drüsen anregt (3). Auch die Bildung von Surfactant in den Pneumozyten Typ II und den Clarazellen wird gesteigert.
In kürzlich veröffentlichen Untersuchungen der Universität Ulm wurde der genaue Wirkmechanismus dieses Effektes aufgeklärt. Es konnte gezeigt werden, dass das schwach basische Ambroxol mit schwach sauren Lyosomen der Bronchialschleimhautzellen in Wechselwirkung tritt, was die Freisetzung von Ca2+ bewirkt und zur Erhöhung von Ca2+ im Zytoplasma führt. Lyosomen sind Zellorganellen, die mithilfe von Säuren und Enzymen zelluläre Produkte abbauen und mittels eines Transportmechanismus (Exozytose) aus der Zelle befördern. In Pneumozyten Typ II und Clarazellen werden auch Fette und fettlösliche Substanzen in Lyosomen verpackt und auf beschriebenem Wege freigesetzt. Dadurch erhöht sich die Konzentration an Surfactant. Durch die vermehrte Produktion von serösem Sekret und verstärkter Bildung von Surfactant normalisiert sich die Viskosität des Sekrets. Die Bewegung der Zilien wird gesteigert, die mukoziliäre Clearance wiederhergestellt und dadurch auch die natürlichen Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt (4). Die gleichzeitige sekretomotorische Wirkung von Ambroxol aktiviert das Flimmerepithel zusätzlich (5).
Ambroxol hemmt die Bildung entzündungsfördernder Botenstoffe sowohl in Mastzellen als auch in basophilen Granulozyten (6). Ein Abheilen der Schleimhäute ist leichter möglich und die akute Bronchitis wird schneller gelindert. Dies wurde in einer doppelblinden placebokontrollierten Vergleichsstudie mit Myrtol und dem Antibiotikum Cefuroxim bestätigt (7). Neben den Sekret modulierenden und entzündungshemmenden pharmakologischen Effekten weist Ambroxol zudem Eigenschaften auf, die direkt in den Lebenszyklus einer viralen Infektion eingreifen.
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Antivirale Eigenschaften
Aus unterschiedlichen Untersuchungen ergeben sich gute Belege für die antiviralen Eigenschaften von Ambroxol (Tabelle). So konnte gezeigt werden, dass humane Proteasen (Protein abbauende Enzyme) für den Eintritt des Influenzavirus in humane Zellen essenziell sind. Proteasen in den unteren Atemwegen werden unter anderem durch Surfactant (frühe Phase der Infektion) und das Immunglobulin IgA (späte Phase der Infektion) inhibiert. Influenzaviren veranlassen die Synthese von Enzymen, sogenannten Neuroaminidasen, die für den Replikationszyklus des Virus essentiell sind. Aus diesem Grund werden zur antiviralen Therapie Neuroaminidase-Inhibitoren wie Oseltamivir eingesetzt.
Ambroxol stimuliert nachgewiesenermaßen die Bildung von Surfactant und IgA und hemmt somit indirekt Proteasen. In einer Studie wurden unterschiedliche Neuroaminidase-Inhibitoren allein und in Kombination mit Ambroxol in der Therapie der frühen viralen Infektionsphase untersucht. Die Gabe von Ambroxol führte zur Stimulierung der Surfactantproduktion, was den viralen Zelleintritt und damit den Zyklus der Virenreplikation signifikant unterdrückte. Die Autoren der Studie gelangen zu der Schlussfolgerung, dass zur Therapie von Influenza-Virusinfektionen Neuroaminidase-Inhibitoren mit Ambroxol zur Stimulierung endogener Proteaseinhibitoren kombiniert werden sollten, um somit die Gefahr einer Resistenzentwicklung bei alleiniger Gabe von Neuroaminidase-Inhibitoren herabzusetzen (8).
Ähnliche Ergebnisse wurden bereits in einer anderen Studie an Mäusen beschrieben. Nach Infektion mit Influenzaviren wurde die Replikation des Virus durch die Gabe von Ambroxol signifikant unterdrückt (9). Ambroxol konnte somit sogar bei schweren Verläufen die Infektion insoweit beeinflussen, dass signifikant mehr Versuchstiere überlebten. Die Autoren führen das neben der Surfactant- und Proteasenaktivität steigernden Wirkung auf eine verminderte Ausschüttung von TNF-a oder Interleukinen zurück.
Diese Erkenntnisse stimmen mit den von Uchide und Kollegen diskutierten Mechanismen während einer echten Grippe überein. Schwere Folgekomplikationen einer Influenzainfektion werden unter anderem auf die vermehrte Bildung freier Radikale zurückgeführt. Nach der Infektion und anfänglichen Entzündung folgt die Immunantwort, die unter anderem von der Aktivität der Makrophagen (Fresszellen) gekennzeichnet ist. Durch Phagozytose werden fremde Mikroorganismen beseitigt und präsentiert, wobei freie Radikale entstehen. Diese scheinen nach neuesten Untersuchungen für die schädigende Wirkung in den befallenen Organen und dementsprechend schweren Verläufen verantwortlich zu sein. Ambroxol wirkt antioxidativ und fängt im Entzündungsprozess gebildete aggressive, reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS) wie Superoxid-Anionen und Hydroxyl-Radikale ab. Insbesondere in Kombination mit antiviralen Wirkstoffen kann es schweren Komplikationen einer viralen Infektion vorbeugen beziehungsweise diese positiv beeinflussen (10).
Neben Effekten auf Influenzavireninfektion sind auch antivirale Eigenschaften auf andere Spezies beschrieben. Rhinoviren sind der Hauptverursacher von akuten Atemwegsinfektionen und Exazerbationen bei Patienten mit chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen (11). Eine koreanische Arbeitsgruppe untersuchte die Wirkung von Ambroxol auf Rhinoviren. Es konnte gezeigt werden, dass Ambroxol nach Infektion einen direkt hemmenden Effekt auf die Virenlast in humanen trachealen Endothelzellen hat. Sowohl die Virenlast als auch die Zytokinkonzentration und die virale Genexpression wurden gesenkt. Das Virus tritt in die humane Zelle, indem es an einen speziell dafür vorgesehenen Rezeptor (ICAM-1) andockt. In Anwesenheit von Ambroxol wurde die Rezeptorexpression deutlich reduziert (12).
Eine klinische Langzeitstudie über ein Jahr mit Ambroxol ergab zudem, dass Ambroxol im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (Repamipide) die Häufigkeit von akuten viralen Atemwegsinfektionen signifikant herabsetzte. Die Dosis betrug dabei 45 mg pro Tag. In diese kleine Studie (n = 41) wurden überwiegend ältere Patienten eingeschlossen (Mittelwert 76,7 Jahre) (13). Bereits in älteren Untersuchungen wurde gezeigt, dass durch eine Langzeittherapie mit Ambroxol Exazerbationen bei chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen vorgebeugt werden kann (14). Diese neuen Untersuchungen legen nahe, dass diese klinischen Ergebnisse zumindest teilweise über antivirale und damit einhergehend infektvorbeugende Effekte vermittelt sein könnten.
Neben den hier aufgeführten antiviralen Effekten wurden kürzlich weitere neue antiinfektive Eigenschaften beschrieben. Ambroxol hat ebenso antibakterielle und antifungale Wirkung, indem es den erregereigenen Schutzmechanismus (den sogenannten Biofilm) angreift. Dies gilt für besonders problematische, biofilmbildende Erreger wie zum Beispiel Pseudomonas aeroginosa oder Candida albicans (15). Zusammen mit den schon länger bekannten synergistischen Effekten von Ambroxol mit bestimmten Antibiotika könnte eine Co-Medikation in Zukunft vor allem bei Infektionen mit Problemkeimen an Bedeutung gewinnen (16). Ein endgültiger Beweis der klinischen Relevanz steht jedoch noch aus.
Art der Untersuchung | Virus | Ergebnis | Referenz |
---|---|---|---|
Tier (Maus)- und In-vitro-Studie | Influenza A (H3N2) | Synergistische Wirkung von Ambroxol mit Neuroaminidas-inhibitoren, vor allem durch Stimulation endogener antiviraler Proteasen | Kido H et al. 2007 (8) |
Tierstudie (Maus) | Influenza A (H3N2) | Protektive Effekte auf schwere Krankheitsverläufe. Mehr Tiere überlebten durch Vorbehandlung mit Ambroxol | Yang B et al. 2002 (9) |
In vitro | Rhinoviren (RV14) | Ambroxol reduziert die Rhinoviruslast bei infizierten humanen trachealen Endothelzellen, gleichzeitig werden weniger Zytokine (IL)-1b, IL-6 und IL-8 ausgeschüttet. | Yamaha M et al. 2014 (12) |
Klinische Studie | – | Episoden akuter oberer Atemwegsinfekte werden im Vergleich zu aktiver Kontrollgruppe reduziert | Nobota K et al. 2006 (13) |
Diskussion
Ambroxol greift auf unterschiedliche Weise in das Geschehen akuter und chronischer Atemwegsinfekte ein. Neben der schleimlösenden Wirkung fördert das Expektorans den Abtransport des Sekrets und unterstützt die körpereigenen Selbstheilungskräfte. Unterschiedliche Untersuchungen legen nahe, dass Ambroxol insbesondere in den frühen Phasen einer viralen Infektion direkt gegen die Virenlast wirkt, indem es die Replikation des Virus unterdrückt. Dafür sind direkte, aber auch indirekte Effekte wie die erhöhte Ausschüttung von Surfactant verantwortlich. Es ist somit anzunehmen, dass die antiviralen Eigenschaften von Ambroxol insbesondere sowohl bei akuten als auch bei chronischen Erkrankungen der unteren Atemwege eine besondere Rolle spielen und zur klinisch belegten Wirksamkeit beitragen. Ein möglichst früher Einsatz bei den ersten Symptomen einer viral bedingten akuten Bronchitis könnte den Verlauf der Erkrankung möglicherweise positiv beeinflussen. /
Literatur
Kontakt
Dr. Manuel Plomer, Apotheker in der Medizinischen Wissenschaft, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Ingelheim, E-Mail: manuel. plomer@boehringer-ingelheim.com
Dr. Justus de Zeeuw, Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie und Schlafmedizin, Köln, E-Mail: justus.dezeeuw@rub.de