Was Mann nicht wahrhaben möchte |
18.09.2012 16:20 Uhr |
Von Jürgen Krauss / Erektionsstörungen zählen zu den sogenannten Tabuthemen. Doch zwei Gründe sprechen dafür, dieses Tabu zu brechen. Zum einen gibt es in den meisten Fällen erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten. Zum anderen kann die Störung – vor allem jenseits der 50 – ein Warnhinweis auf einen drohenden Herzinfarkt oder Schlaganfall sein.
Wie ein Blick in die Literatur zeigt, handelt es sich bei der erektilen Dysfunktion nicht um eine Erkrankung aus unseren Tagen (siehe dazu das Zitat von Johann Wolfgang von Goethe), wenngleich durch die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung der Menschen auch hier die Fallzahlen noch weiter steigen dürften:
»Mit freudiger Wehmut gedenke ich an jene Tage zurück, als alle meine Glieder noch biegsam waren – alle außer einem. Diese Tage sind leider vorbei. Nun sind alle meine Glieder steif – alle außer eines.«
Johann Wolfgang von Goethe
Die erektile Dysfunktion (ED) stellt die häufigste sexuelle Funktionsstörung des Mannes dar. Jedoch ist sie nur ein Symptom, hinter dem sich verschiedene Ursachen und Störungen verbergen können, die aus dem psychischen (etwa 30 Prozent) oder physischen Umfeld (Hormonstörungen, Gefäßschäden, Prostataoperationen, nervale Schäden) stammen können. Auch Arzneimittel wie Antidepressiva, Herz-Kreislauf-Medikamente, Antiandrogene oder Neuroleptika können Auslöser einer erektilen Dysfunktion sein. In Deutschland geht man von 3 bis 5 Millionen betroffenen Männern aus.
Unter einer erektilen Dysfunktion versteht man 70 Prozent erfolglose Versuche des Geschlechtsaktes über mindestens sechs Monate mit einer ungenügenden Versteifung (Rigidität) oder ungenügenden Vergrößerung (Tumeszenz) des Penis (für die Immissio penis). Mit Zunahme des Alters steigt die Wahrscheinlichkeit, an einer erektilen Dysfunktion/Impotenz zu erkranken.
Foto: Fotolia/ehrenberg-bilder
Weit häufiger betroffen sind Patienten mit Grunderkrankungen. An erster Stelle sind hier Patienten mit Diabetes mellitus oder koronarer Herzkrankheit, an zweiter Stelle Hypertoniker zu nennen. Insgesamt kann der Behandlungsbedarf bei den Männern als groß eingestuft werden. Eine amerikanische Studie stellte zwar fest, dass sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen (Female Sexual (Arousal) Disorders, FSD) häufiger sind als bei Männern. Umgekehrt sehen aber Männer einen deutlich höheren Behandlungsbedarf für sich. Dies ist sicher auch ein Grund, warum wir bisher einige Behandlungsoptionen für Männer haben, aber kaum medikamentöse Therapien für Frauen.
Medikamentöse Optionen
Eine wirksame medikamentöse Therapie ist ausschließlich auf verschreibungspflichtige Medikamente beschränkt. An einem Besuch des Urologen kommt der Patient daher nicht vorbei. Das große Heer der apothekenpflichtigen oder frei verkäuflichen Medikamente konnte bisher in klinischen Studien keinen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis erbringen. Da ein Teil der Beschwerden aber auf psychischen Ursachen beruht, ist von einem starken Placeboeffekt auszugehen, sodass Patienten, sofern keine schädlichen Effekte der Inhaltsstoffe beschrieben sind, auch von diesen Präparaten profitieren können. Ein hoher Placeboeffekt konnte auch immer in den klinischen Studien mit den PDE-5 Inhibitoren gezeigt werden.
PDE-5-Inhibitoren
An erster Stelle (First Line Therapie) der medikamentösen ED-Therapie sind die Phosphodiesterase-Hemmer Typ 5 zu nennen, die seit 1998 mit der Markteinführung von Viagra® ihre Karriere begonnen haben. Die drei in Deutschland im Handel befindlichen Substanzen Sildenafil (Viagra®), Vardenafil (Levitra®) und Tadalafil (Cialis®) zeigen prinzipiell den gleichen Wirkmechanismus. Sie hemmen die Phosphodiesterase Typ 5 und verhindern dadurch den schnellen Abbau von cGMP, das für die Gefäßrelaxation und den penilen Blutfluss verantwortlich ist. Die drei Substanzen unterscheiden sich in ihrer Affinität zum Enzym, was sich unter anderem in unterschiedlichen Dosierungen niederschlägt. So hat Vardenafil (ED: 5 bis 20 mg) die höchste Enzymaffinität im Vergleich zu Tadalafil (ED: 5 bis 20 mg) und Sildenafil (ED: 25 bis 100 mg). Daneben gibt es Unterschiede in der Spezifität der Hemmung der Phosphodiesterase Typ 5. Vardenafil und Sildenafil hemmen auch noch begrenzt die PDE-6, was insbesondere bei Sildenafil zu einer Beeinträchtigung des Farbsehens führen kann. Alle drei Substanzen gelten als wirksam und sicher. Die Erfolgsrate wird mit etwa 80 Prozent angegeben.
Die drei Substanzen dürfen in den aufgeführten Einzeldosierungen nur einmal täglich circa 30 bis 60 Minuten vor geplanter sexueller Aktivität eingenommen werdem (Tadalafil eventuell zwei Stunden vorher). Der Wirkeintritt erfolgt sehr schnell. Vardenafil liegt zusätzlich als Schmelztablette vor. Hauptunterschied ist die Wirkdauer, die bei Sildenafil oder Vardenafil (T1/2 = 3,5 h) einige Stunden, bei Tadalafil (T1/2 = 17,5 h) 24 bis 48 Stunden beträgt. Seit Kürzerem ist die einmal tägliche Dauertherapie (chronische PDE-5-Hemmung) mit niedrig dosiertem Tadalafil von 2,5 bis 5 mg zugelassen (4). Dieses Einnahmeregime ermöglicht dem Patienten ein spontaneres Sexualleben. Eventuell wirkt sich die Dauermedikation auch günstig auf die endotheliale Funktion aus.
Jeder Patient sollte mindestens vier Therapieversuche mit mindestens zwei Substanzen machen, bevor man von einem Therapieversager sprechen kann (1). Alle drei Substanzen können zu einer Senkung des Blutdruckes führen und sind für Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen insbesondere unter Therapie mit organischen Nitraten kontraindiziert.
Prostaglandine
Schon seit den 1980er-Jahren steht Prostaglandin E1, Alprostadil (Caverjekt®, Viridal®) zur Therapie der erektilen Dysfunktion zur Verfügung. Es wird im Rahmen der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) oder in Form eines Minisuppositoriums (MUSE, Medicated Urethral System for Erection) eingesetzt. Beide Applikationsformen stoßen nicht bei allen Patienten auf große Gegenliebe und kommen in der Apotheke eher selten vor. Bei Versagen der Phosphodiesterasehemmer stellt Alprostadil aber das Mittel der Wahl dar.
Die SKAT-Therapie mit Prostaglandin E1 gilt als die effektivste Methode zur Erektionsförderung. Die Erfolgsrate wird mit > 70 Prozent angegeben, die Patientenzufriedenheit mit 87 bis 90 Prozent. Die Dosis muss allerdings individuell in der Praxis des Urologen eingestellt werden. Neben dem Einsatz als Therapeutikum wird Alprostadil auch als Diagnostikum in der Urologie verwendet.
Die Wirkung tritt nach der Injektion oder Applikation des Suppositoriums sehr schnell ein (5 bis 30 Minuten) und hält etwa eine Stunde an. Die Anwendung der SKAT-Therapie darf maximal einmal täglich und nicht häufiger als dreimal wöchentlich erfolgen. Bei MUSE werden maximal zwei Dosen täglich und maximal sieben Dosen in sieben Tagen empfohlen.
In seltenen Fällen kann es zu einer gefährlichen Dauererektion (Priapismus, Erektion länger als eine Stunde) oder penilen Schmerzen kommen. Nach längerer Anwendung kann es zu Verhärtungen an den Injektionsstellen kommen.
Apomorphin
Nur ein kurzes Intermezzo auf dem deutschen Arzneimittelmarkt hatte der Dopaminagonist Apomorphin. Die heute noch als Parkinson-Medikament oder Antidot in der Lauer-Taxe geführte Substanz war von 2003 bis 2005 als niedrig dosierte Schmelztablette mit der Indikation erektile Dysfunktion zugelassen. Aufgrund zu geringer Marktanteile haben die Hersteller die Produkte Ixense® und Uprima® in Deutschland vom Markt zurückgezogen. Die Wirksamkeit ist geringer als die der Phosphodiesterasehemmer. Apomorphin stellt als Dopamin-Agonist allerdings die Möglichkeit der zentralen Förderung einer Erektion dar. Hauptnebenwirkungen waren Übelkeit und Erbrechen.
Yohimbin
Am längsten wird bei erektiler Dysfunktion in Deutschland das Yohimbin (Yocon Glenwood®) eingesetzt. Yohimbin ist ein Alkaloid aus der Rinde des westafrikanischen Yohimbe-Baumes. Die Rinde findet sich teilweise auch in frei verkäuflichen Potenzmitteln, ist dort im Regelfall aber unterdosiert.
Im Unterschied zu den anderen Medikamenten ist es keine sofort wirksame Substanz und die Wirkpotenz wird schwächer als die der PDE-5 Inhibitoren eingestuft. Bis heute ist der genaue Wirkmechanismus nicht geklärt, unter anderem wird eine Blockade von α2-Rezeptoren diskutiert. Die Effektivität wird mit etwa 30 Prozent angegeben. Die Einnahme sollte über einen längeren Zeitraum (zehn Wochen) zwei- bis dreimal täglich nach dem Essen erfolgen. Insgesamt wird Yohimbin als gut verträglich eingestuft.
Phentolamin und Papaverin
Die Kombination der beiden Wirkstoffe wird im Rahmen der SKAT-Therapie im Ausland eingesetzt. Verordnungen dieser beiden Wirkstoffe können als Importe (zum Beispiel Androskat® aus Österreich) beliefert werden. Die Kombination zeigt in klinischen Studien ebenfalls hohe Erfolgsraten. Phentolamin wird ferner in anderen Ländern auch peroral bei erektiler Dysfunktion eingesetzt.
Testosteron-Substitution
Die Rolle des Testosterons in der Behandlung der erektilen Dysfunktion ist stark umstritten. Ein Testosteronmangel steht nicht zwingend an erster Stelle der Ursachen. Eine Therapie von Männern jenseits der 50 mit Testosteron muss immer sehr sorgfältig überwacht werden, da Testosteron ein Prostatakarzinom und eine BPH fördern kann. Eine Therapie sollte nur bei einem eindeutig zu niedrigen Testosteron-Spiegel (untere Serumgrenze: 12 nmol/l) erfolgen. Die Anwendung von Pflastern oder Gelen sollte hier Injektionen oder Kapseln vorgezogen werden. Mit Kapseln ist es schwierig, physiologische Spiegel und die zirkadiane Rhythmik nachzuahmen, mit Depotpräparaten ist eine kurzfristige Beendigung der Therapie unmöglich. Letzteres gilt vor allem für Patienten über 50 Jahre. Die Gele werden im Regelfall einmal täglich morgens aufgetragen, die Pflaster alle zwei Tage (5, 6). Ziel ist es, einen möglichst physiologischen Testosteron-Spiegel zu erzielen. Nach zwei bis drei Tagen ist die Aufsättigung bei Gelen abgeschlossen. Von den Gelen werden etwa 10 Prozent des Testosterons resorbiert.
Psychopharmaka
Aus der Gruppe der Antidepressiva sind einige Arzneistoffe wie Bupropion oder Trazodon mit günstiger Beeinflussung von sexuellen Funktionsstörungen bei Männern und Frauen beschrieben. Zurzeit hat in Deutschland kein Präparat eine entsprechende Zulassung. Ein Einsatz ist daher nur im Off Label möglich.
Beratungstipps
Der Umgang mit der Diagnose erektile Dysfunktion ist bei den Patienten sehr unterschiedlich. Diskretion sollte hier oberstes Gebot sein. In den meisten Apotheken ist es schwierig, Medikamente abzugeben, ohne das ein anderer Kunde diese eventuell auch zu Gesicht bekommt. Hier sollte dem Kunden gegebenenfalls das Medikament sichtdicht verschlossen übergeben werden. Einzelne Patienten suchen auch das Beratungsgespräch mit männlichen Kollegen, wenngleich dies natürlich nicht in allen Apotheken möglich ist.
Eine direkte Vorbeugung der erektilen Dysfunktion ist schwierig. Allerdings gelten Übergewicht und ungesunde Lebensweise (hoher Alkoholkonsum, Nicotinabusus) als Risiko-Faktoren. Erektionsstörungen können auch als erstes Warnzeichen vor Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten, sodass ein Urologe Patienten mit verdächtigen Diagnosen immer auch an den Kardiologen überweisen sollte. Ausreichende körperliche Aktivität, ballaststoffreiche Ernährung, Nikotinabstinenz, ungesättigte Fettsäuren und ein nur mäßiger Alkoholkonsum sind wichtige Maßnahmen, um einer ED zu vorzubeugen. Ferner beugen regelmäßige Erektionen durch die vermehrte Sauerstoffsättigung einer Schwellkörperfibrose und der damit verbundenen venooklusiven Insuffizienz vor. Desweiteren gelten eine möglichst normwertige Einstellung von Blutdruck, Herzfrequenz, Blutfetten und Blutzucker wie bei allen Gefäßerkrankungen als wichtige präventive Maßnahmen (7). /