Tod aus Verzweiflung |
18.09.2012 16:17 Uhr |
Von Nicole Schuster / Tiefe Traurigkeit, Verzweiflung und keine Hoffnung auf Besserung sind typische Zeichen einer Depression. Im Alter ist das Leben zusätzlich geprägt von Verlusterlebnissen, dem Nachlassen der eigenen Kräfte und der Angst vor Abhängigkeit. Das treibt eine erschreckend hohe Zahl von Senioren in den Suizid.
Alt werden ist nicht leicht. Besonders schwierig ist es in einer Gesellschaft, die Werte wie Jugendlichkeit, Fitness und Mobilität hoch schätzt. Körperlicher Verfall und eine nachlassende Leistungsfähigkeit passen da nicht rein. Wenn dann noch das persönliche Umfeld immer kleiner wird und Krankheiten den Alltag bestimmen, geht bei vielen Älteren allmählich die Lebensfreude verloren.
Zunehmende Vereinsamung kann ältere Menschen so stark belasten, dass sie den Lebenswillen verlieren.
Foto: imago/Papsch
Eine schlimme Folge davon offenbart ein Blick auf die Suizidrate. »In Deutschland sind mehr als 40 Prozent der Menschen, die sich jährlich das Leben nehmen, 60 Jahre und älter. Besonders bei Männern steigt die Suizidrate im Alter extrem an«, sagte Professor Dr. Martin Teising, Präsident der International Psychoanalytic University in Berlin, gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Trotzdem ist Selbsttötung immer noch ein Tabuthema, gerade bei Älteren. So können Angehörige dazu neigen, die wahre Todesursache zu verschweigen. Vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, nicht genug getan zu haben, um diesen Schritt zu verhindern.
Doch was ist es, das ältere Menschen so oft zum Äußersten treibt? »Ursächlich steckt bei älteren wie bei jüngeren Menschen fast immer eine psychiatrische Erkrankung, am häufigsten eine Depression, hinter dem Suizid«, sagte Professor Dr. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, der PZ.
Psychische Erkrankungen bei Älteren sind keine Seltenheit. Schätzungen zufolge leidet etwa jeder Vierte der über 65-Jährigen daran. Neben Depressionen treten auch Demenzen, Wahn- und Suchterkrankungen sowie Angststörungen auf.
Hinzu kommen im Alter traumatische Erlebnisse wie der Tod naher Angehöriger, der Verlust von Unabhängigkeit und oft auch physische Krankheiten. Die Vorstellung, zum Pflegefall zu werden, ist gerade für ältere Männer unerträglich. Die Betroffenen empfinden ihre Lebenssituation als aussichtslos und sehen keine Lösung mehr für ihre Probleme und Sorgen. In ihrer tiefen Verzweiflung haben sie ein erhöhtes Risiko, Suizid zu begehen.
Das kann auch als Nachahmungstat geschehen. Experten sprechen dann vom sogenannten Werther- Effekt. Die Bezeichnung geht zurück auf den Romanhelden im Werk »Die Leiden des jungen Werther« von Johann Wolfgang von Goethe. Werthers Liebe zu einer Frau blieb unerfüllt, worauf er sich das Leben nahm. Ende des 18. Jahrhunderts folgten viele junge Männer in einer ähnlichen Situation der Romanfigur. »Wichtig beim Suizid als Nachahmungstat ist das Identifikationsmoment. Wenn ein Patient bedingt durch die depressive Erkrankung seine Situation als völlig unerträglich und hoffnungslos erlebt, dann kann der Suizid eines geachteten Menschen die Schwelle, einen Suizidversuch zu begehen, senken«, erklärte Hegerl. Das gilt sowohl für Suizidfälle im persönlichen Umfeld des Patienten als auch für solche, über die in den Medien berichtet wird, wie es beispielsweise im Fall des Nationaltorhüters Robert Enke war.
Menschen mit Depression benötigen möglichst frühzeitig professionelle Unterstützung. Insbesondere bei schweren Depressionen und Suizidgefährdung ist eine schnelle Hilfe entscheidend. Wichtig ist, rechtzeitig auf Warnsignale zu achten. Klare Worte und Ankündigungen gibt es nicht immer, da viele Betroffene ihre Absichten verbergen wollen. Genaues Hinschauen ist also gefragt, zum Beispiel dann, wenn sich ein sonst sehr redseliger Mensch plötzlich abschottet und wortkarg wird.
Anzeichen richtig deuten
Ein weiteres Merkmal ist, dass viele Betroffene plötzlich ihre letzten Angelegenheiten regeln. Sie verschenken oder entsorgen Besitztümer, teilen das Erbe auf und machen ihr Testament. Auch wenn ältere Menschen das geliebte Haustier abgeben und sich selbst vernachlässigen, sind das Warnzeichen. Die Selbstvernachlässigung kann sich auf die Körperpflege, aber auch auf die Ernährung erstrecken.
»In der Apotheke kann auffallen, dass ein älterer Kunde seine regelmäßigen Medikation nicht mehr abholt. Auch wenn Nahrungsergänzungsmittel, die immer wichtig waren, plötzlich keine Bedeutung mehr haben, sollte dem Beachtung geschenkt werden«, sagte Teising. Zudem sollte auch genau hingeschaut werden, wenn ein Substanzmissbrauch vorliegt und der Konsum an Beruhigungs-, Schmerz- oder Schlafmitteln ansteigt. Der Experte rät, mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen. »Am besten ist zuhören und Verständnis zeigen. Auf keinen Fall die Sorgen und den Kummer kleinreden oder nicht ernst nehmen.«
Probleme ernst nehmen
Der ältere Mensch muss das Gefühl bekommen, wertgeschätzt zu werden und als Person mit seinen Sorgen und Nöten noch eine Bedeutung zu haben. Bei einem konkreten Verdacht sollte dieser behutsam angesprochen werden. In einem vertraulichen Gespräch kann man erklären, dass man Veränderungen wahrgenommen habe und sich Sorgen mache. Nahelegen sollte man dem Patienten, sich professionelle Hilfe zu suchen, gegebenenfalls mit der Unterstützung von Angehörigen oder Freunden. Der Hausarzt ist hier der erste Ansprechpartner. /
In der Broschüre »Wenn das Altwerden zur Last wird – Suizidprävention im Alter« informiert die Arbeitsgruppe Alte Menschen im Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland über Suizidalität bei Älteren sowie Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention. Sie steht online unter www.suizidpraevention-deutschland.de/downloads.html zum Download bereit beziehungsweise kann bestellt werden beim Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009 in 18132 Rostock, Telefon: 0180 5 778090, E-Mail: publikationen(at)bundesregierung.de.