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Religion

Du sollst nicht …

18.09.2012  17:30 Uhr

Von Anna Hohle / In kaum einem Lebensbereich sind Tabus so präsent wie in der Religion. Gläubige befolgen feste Regeln, die etwa bestimmte Handlungen oder Lebensmittel verbieten. Auch im Apothekenalltag können religiöse Verbote eine Rolle spielen.

Wenn Patienten aus Glaubensgründen bestimmte Präparate ablehnen, sollten Apotheker darauf nicht mit Unverständnis reagieren, sondern sensibel beraten und nach möglichen Alternativen suchen. Doch was sind überhaupt religiöse Tabus und welche Lebensbereiche betreffen sie?

In Deutschland verwenden wir den Begriff Tabu heute in vielen Zusammenhängen und bezeichnen damit üblicherweise Themen, die gesellschaftliche Konventionen infrage stellen, unangenehm berühren oder gar Skandale provozieren. Ursprünglich stand die Bezeichnung Tabu jedoch in einem religiösen Kontext. Der britische Seefahrer James Cook berichtete im 18. Jahrhundert erstmals vom polynesischen Wort »tapu«. Die Einwohner der Pazifikregion bezeichneten mit dem Begriff Gegenstände oder Handlungen, die sie aus spirituellen Gründen nicht berühren oder nicht tun durften. Mit der Zeit setzte sich der Ausdruck auch im europäischen Sprachraum durch.

 

Laut »Knaurs großem Religionsführer« gibt es heute weltweit mehr als 670 Religionen und religiöse Gemeinschaften. Entsprechend groß ist die Anzahl religiös motivierter Verbote. Dennoch ähneln viele der Vorgaben einander. So gibt es in zahlreiche Religionen etwa Nahrungstabus, die den Verzehr bestimmter Speisen und Genussmittel einschränken. Auch finden sich weltweit Regeln, die sexuelle Kontakte regulieren und zulässige Familienkonstellationen festlegen.

 

Tabus entstehen häufig dort, wo ein zentraler Grundgedanke von Religiosität berührt wird: Die Unterscheidung einer sakralen, heiligen Sphäre vom weltlichen Lebensbereich. Religiöse Vorschriften, die etwa ausschließen, bestimmte Gegenstände zu berühren, verehrte Götter abzubilden oder ihren Namen auszusprechen, entstehen aus der Vorstellung, das als heilig Empfundene könne durch die Vermischung beider Sphären entweiht werden.

 

Verbote dieser Art gab es nicht nur in grauer Vorzeit. Ein prominentes Bilderverbot ist vielen etwa seit dem Karikaturenstreit im Jahr 2005 bekannt. Zehntausende Muslime protestierten damals gegen satirische Darstellungen des Propheten Mohammed in einer dänischen Tageszeitung. Auch das Alte Testament weist mit der Vorgabe »Du sollst dir kein Bildnis machen« ein Abbildverbot auf. Im Judentum und auch in einigen christlichen Gemeinschaften wird die Regel, Gott nicht darzustellen, noch heute streng befolgt. Viele gläubige Juden halten darüber hinaus ein Sprachverbot ein und schreiben etwa »G-tt« statt »Gott«, um die Nennung des Namens zu umgehen. Im mündlichen Sprachgebrauch wird der Begriff durch »Adonai« (»Herr«) ersetzt.

 

Evolutionäres Erbe

 

Auch Nahrungstabus können durch den Gegensatz heilig-profan entstehen. So essen etwa streng gläubige Hindus kein Rind, da die Tiere als heilig gelten. Daneben vermuten Forscher jedoch weitere Ursachen dafür, dass sich weltweit ähnliche Nahrungs verbote entwickelt haben. So gehen einige Anthropologen davon aus, dass stets jene Nutztiere mit Tabus belegt wurden, deren Verzehr in einer bestimmten Region ökologische Nachteile mit sich brachte. Andere Wissenschaftler vermuten, dass Lebensmitteltabus im Laufe der Evolution entstanden, um das Risiko von Tod und Krankheit durch verdorbene Nahrung zu senken. Aus diesem Grund seien besonders häufig Fleisch oder Meerestiere mit Tabus belegt.

 

Folgt man diesem Ansatz, entstanden nicht alle religiösen Tabus vor einem rein spirituellen Hintergrund, sondern dienten zumindest teilweise dem Zweck, die betroffenen Gemeinschaften vor Krankheiten zu schützen. Auch das in vielen Religionen geltende Inzestverbot sehen einige Forscher hierin begründet. Schließlich steigt in Populationen, die Inzest betreiben, das Risiko für die Verbreitung von Erbkrankheiten.

Sigmund Freud, der berühmte Wiener Arzt und Begründer der Psychoanalyse, hatte hingegen seine ganz eigene Theorie zum Inzestverbot. Er widmete dem Thema religiöse Tabus 1913 einen ganzen Aufsatz und erklärte, Tabus seien lediglich entstanden, um weitverbreitete Begierden zu unterdrücken: »Denn was niemand zu tun begehrt, das braucht man doch nicht zu verbieten«. Ein Tabu verdeutlicht Freud zufolge stets einen Konflikt mit dem eigenen Gewissen.

 

Tabus in der Apotheke

 

Apotheker geraten meist dann mit religiösen Verboten in Kontakt, wenn Patienten sie gezielt auf die Inhaltsstoffe eines Präparats ansprechen und etwa fragen, ob ein Medikament Schweinegelatine enthält. Sowohl Juden als auch Moslems dürfen Produkte, die Bestandteile vom Schwein enthalten, nicht oral einnehmen. In lebensbedrohlichen Situationen sind Gläubige beider Religionen jedoch ausdrücklich von diesem Verbot befreit.

 

Auch innerhalb der einzelnen Glaubensgemeinschaften wird dieses Detail unterschiedlich streng ausgelegt. »Im Islam gibt es zum Thema Gelatine als Zusatzstoff zwei anerkannte Lehrmeinungen«, erklärt Dr. Houaida Taraji, Ärztin und Beauftragte für Familie und Gesundheit beim Zentralrat der Muslime in Deutschland. »Laut der einen hat chemisch verwandelte Gelatine mit dem Herkunftstier nichts mehr zu tun und darf problemlos eingenommen werden.« Andere Gläubige legten die Vorgaben jedoch weit strenger aus.

 

Geht es um eine nicht lebensbedrohliche Erkrankung, sollten Apotheker gemeinsam mit dem Patienten und seinem Arzt mögliche Alternativen besprechen. Oftmals reicht es aus, das Präparat in Kapselform gegen wirkstoffgleiche Tabletten auszutauschen. Dasselbe gilt für alkoholhaltige Arzneimittel, die viele Muslime ebenfalls ablehnen.

 

Gesund im Ramadan

 

Konflikte zwischen religiösen Geboten und der Einnahme von Arzneimitteln können auch im islamischen Fastenmonat Ramadan entstehen. In diesen Wochen nehmen gläubige Muslime zwischen Sonnenauf- und Sonnen­untergang weder Nahrung noch Getränke zu sich. »Auch hier sind chronisch Kranke von der Regelung ausgenommen«, erklärt Taraji. Bei leichten Erkrankungen verzichten der Ärztin zufolge jedoch viele Gläubige auf Medikamente, die während des Tages oral eingenommen werden müssen. »Sie möchten Arzneimittel dann häufig nicht einnehmen, da sie das Fasten in Gemeinschaft genießen«, so Taraji.

 

In diesen Fällen sollte der Apotheker ebenfalls einfühlsam beraten und Alternativen aufzeigen. Einige Medikamente können in der Dosis angepasst werden oder der Patient kann alternativ ein anderes Präparat einnehmen. Andere Medikationen lassen sich nur schwer umstellen. Taraji empfiehlt, in diesen Fällen einen Arzt, »am besten mit islamischem Know-how«, zu konsultieren. Nur er könne entscheiden, ob sich der Patient einem gesundheitlichen Risiko aussetzt, indem er die Einnahme auf den Abend verschiebt.

 

Letztlich, so die Ärztin, gelte für religiöse Patienten, die Fragen bezüglich ihrer Medikation an einen Apotheker richten, dasselbe wie für jeden anderen Kunden auch: Sie möchten einfühlsam, gut verständlich und kompetent beraten werden. / 

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