Zufrieden mit sich und seinem Körper |
20.09.2011 16:09 Uhr |
Von Conny Becker, Berlin / In der Therapie psychischer Erkrankungen hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen. Statt des sedierten Patienten ist der aktive Patient gewünscht, der seine Krankheit ein gutes Stück selber angeht. Dabei gilt Ausdauersport als ein Königsweg.
Leistungsdruck im Arbeitsleben, aber auch zu hohe Erwartungen an sich selbst können einen Menschen aus der Balance bringen, in den Burnout, die Depression oder Panikstörung befördern. »Sport kann den unverhältnismäßigen, durch Adrenalin und Cortison hervorgerufenen Körperstress verringern«, sagte Dr. Ralf Künzel auf dem 10. Lundbeck Dialog ZNS in Berlin. »Ausdauersportarten wie Joggen, Nordic Walking, Radfahren und Aqua-Gymnastik wirken positiv auf Affektstörungen wie Stressreaktionen, Ängste und Depressionen«, so der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Bruchköbel. Insbesondere für Joggen sei sowohl ein präventiver als auch ein therapeutischer Effekt belegt.
Radeln gegen Stress und Ängste: Ausdauertraining kann sogar die Rückfallquote bei depressiven Patienten senken.
Foto: TK/Michael Zapf
Während die Erkenntnisse bis vor Kurzem meist aus Fallstudien und unkontrollierten oder retrospektiven Untersuchungen stammten, hat die Zahl randomisierter kontrollierter Studien inzwischen zugenommen. Sie lassen den Schluss zu, dass Sport sowohl depressive Symptome lindern als auch Panikattacken akut verhindern kann und zudem einem kognitiven Abbau entgegenzuwirken vermag. In einer Studie mit 200 depressiven Patienten zeigte sich Ausdauertraining sogar gleich effektiv mit einer Sertralin-Behandlung, war aber erst später wirksam.
Dem Effekt auf der Spur
Medizinisch gesehen liegt ein Grund für die positive Wirkung von Sport bei Affektstörungen auf molekularer Ebene. Denn aerobe Belastungen, also Ausdauersport, erhöhen die Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im Gehirn. Für den angstlösenden Effekt scheint vor allem das sogenannte atriale natriuretische Peptid (ANP) verantwortlich zu sein, das durch körperliche Aktivität im Herzen freigesetzt wird. Ein Forscherteam aus Kopenhagen konnte diesen Sommer zeigen, dass die Konzentration des schützenden Peptids nach Belastung bei depressiven Patienten im Vergleich zu Gesunden vermindert war. Sport erhöht zudem den Gehalt des Neurotrophins BDNF (brain derived neurotrophic factor) im Gehirn, welches mit Gedächtnisbildung, der Verknüpfung von Nerven sowie der Neurogenese in Zusammenhang gebracht wird. Seine Konzentration ist bei Depressionen und Demenzen verringert, körperliche Aktivität könnte diesen Mangel möglicherweise ausgleichen.
Die Wirkung von Sport kann zum anderen aber auch psychologisch erklärt werden. »Durch das Überwinden von eigenen Widerständen sowie von Ermüdungszuständen steigt die Stimmung und das Selbstwertgefühl«, so Künzel. Der Patient merkt, dass sich der Stress abbaut und der Körper mehr Energie gewinnt. Eine Hypothese, die Psychologen für die Effektivität von Sport anführen, basiert daher auf der sogenannten Selbstwirksamkeitserwartung, bei der ein Mensch daran glaubt, durch eigene Kompetenzen selbst etwas zu erreichen. Überdies kann die sportliche Betätigung den Betroffenen auch schlichtweg vom depressiven Selbstbezug, das heißt den steten Sorgen und Gedankenkreisen, ablenken.
Gerade bei Depression fehlt jedoch häufig die Motivation, überhaupt mit einer Therapie anzufangen, sich aufzuraffen. Ein erhobener Zeigefinger ist hier eher kontraproduktiv, vielmehr sollten die Vorlieben des Patienten herausgefunden werden, um dann entsprechende Therapievorschläge zu machen. Denn wie in der medikamentösen Behandlung gilt: Nur ein überzeugter Patient, der für sich selbst einen Gewinn in der Therapie sieht, macht aktiv mit. Künzel zufolge ist es empfehlenswert, Rituale zu schaffen, den Sport wie das Zähneputzen in den Tag zu integrieren, sodass er nicht mehr infrage gestellt wird. Helfen kann dabei, Sport in der Gruppe auszuüben, da dies auch soziale Anerkennung bringt sowie das Gefühl, gemeinsam etwas zu erreichen. /