Gefahr aus den Ganglien |
13.09.2016 10:41 Uhr |
Von Annette Immel-Sehr / Varicella-zoster-Viren, die bei einem Großteil der Bevölkerung unbemerkt in den Ganglien ruhen, können jederzeit wieder aktiv werden, wenn das Immunsystem schwächelt. Besonders gefährdet sind ältere und immunsupprimierte Menschen. Bei ihnen kann ein Ausbruch von Herpes zoster einen schweren Verlauf nehmen. Gefürchtet ist zudem die Postzoster-Neuralgie.
Wer sich mit Varicella-zoster-Viren (VZV) infiziert, kann daran auf zweifache Weise erkranken. Bei Erstinfektion kommt es zum Ausbruch von Windpocken. Sind diese abgeheilt, verbleiben die Viren lebenslang in den Spinal- und Hirnnervenganglien (Nervenschaltstellen entlang des Rückenmarks und am Gehirn) und können irgendwann –meist Jahrzehnte später – wieder aktiv werden. Dann entwickelt sich das Krankheitsbild Herpes zoster. Je nachdem, ob die Erkrankung am Rumpf oder im Gesicht auftritt, wird sie auch als Gürtelrose oder Gesichtsrose bezeichnet.
Oben: Nur 200 nm groß sind Varicella-zoster-Viren, hier im Transmissions-Elektronenmikroskop.
Foto: Your Photo Today
Voraussetzung für Herpes zoster ist demnach eine frühere VZV-Infektion oder eine Impfung mit einem Lebendimpfstoff gegen Varizellen. Geimpfte erkranken jedoch seltener und eher mit einem milderen Verlauf (1).
Im Gegensatz zu Herpes-simplex-Viren, die ebenfalls nach primärer Infektion in den Ganglien bleiben und wiederholt reaktiviert werden können, ist mit VZV meist nur ein Rezidiv zu befürchten. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel. Bei immundefizienten Patienten kann Zoster zweimal und extrem selten auch mehrmals auftreten (2).
Vermutlich tritt Herpes zoster dann bei einem Menschen auf, wenn dessen T-Zell-Immunität gegenüber VZV unter ein gewisses Niveau absinkt und das Immunsystem eine Vireninvasion nicht mehr abwehren kann. Dies erklärt, warum vor allem ältere Menschen erkranken. Denn im Alter lässt die Aktivität des T-Zell-vermittelten Immunsystems nach. Diese Hypothese wird durch die Tatsache gestützt, dass ältere Kinderärzte seltener an Zoster erkranken als die Durchschnittsbevölkerung. Denn sie sind berufsbedingt häufig mit Windpocken-Viren konfrontiert und behalten daher eine hohe Immunität (3, 4).
Fast jeder ist ein Zoster-Kandidat
Mitte: Gürtelrose
Foto: DGK/Cremer
Mehr als 95 Prozent der immunkompetenten Erwachsenen über 50 Jahren sind seropositiv für VZV und könnten daher irgendwann an Zoster erkranken. Tatsächlich liegt die jährliche Erkrankungsrate im Alter von 50 Jahren bei etwa 6 pro 1000 Personen und steigt bis zum Alter von 90 Jahren auf 13/1000 an (1). Frauen haben ein etwas höheres Erkrankungsrisiko als Männer. Bei etwa 3 Prozent der Erkrankten ist der Verlauf so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. In gut der Hälfte der Fälle tritt Zoster am Rumpf auf, bei einem Fünftel der Betroffenen im Gesicht. Andere Stellen, etwa am Arm, sind seltener (2, 3).
Ein um ein Vielfaches erhöhtes Risiko für die Erkrankung, aber auch für einen schweren Verlauf haben Menschen, deren Immunsystem nicht optimal funktioniert – sei es krankheits- oder therapiebedingt. Dazu zählen Menschen nach Organ- oder Stammzelltransplantation, Patienten mit malignem Lymphom, Leukämie, HIV-Infektion und Menschen, die eine immunsuppressiv wirksame Behandlung wie eine Chemotherapie oder lang dauernde hoch dosierte Corticoidtherapie erhalten.
In der Regel selbstlimitierend
Unten: Bläschen am Hals
Foto: National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)
Die Reaktivierung und die Virusreplikation führen zunächst zu einer Nekrose und Entzündung in den betroffenen sensorischen Ganglien. Danach wandern die Viren entlang der sensorischen Nerven zur Haut und führen in dem Hautbereich, der durch den betreffenden Nerven versorgt wird (Dermatom), zu den charakteristischen einseitigen Krankheitszeichen.
Zunächst zeigen sich asymmetrische schmerzhafte Rötungen, in denen sich innerhalb von zwölf bis 24 Stunden meist gruppiert stehende Bläschen bilden. Über etwa fünf Tage können neue Bläschen entstehen, bis das gesamte Dermatom bedeckt ist. Die Bläschen gehen nach zwei bis vier Tagen ineinander über, können platzen und eine klare Flüssigkeit freisetzen. Nach sieben bis zwölf Tagen hat sich eine Kruste gebildet, die sich bei immunologisch gesunden Patienten innerhalb von zwei bis drei Wochen ablöst. Damit ist die Erkrankung im besten Fall beendet: Zoster ist selbstlimitierend.
Bei jungen Personen ohne Risikofaktoren heilt Zoster am Stamm oder an den Extremitäten in der Regel ohne spezifische antivirale Therapie komplikationslos aus. Bei abwehrschwachen Patienten dauert der gesamte Krankheitsprozess länger. Bis die Krusten abfallen, vergehen manchmal Monate mit wiederholten Bläscheneruptionen (2).
Die Erkrankung verläuft bei Kindern im Allgemeinen mild. Bei Erwachsenen können durch eine akute Nervenentzündung erhebliche Schmerzen sowie Juckreiz auftreten. Der Schmerz kann brennen oder kribbeln, mit Taubheit einhergehen oder mit einem geänderten Kälte- und/oder Wärmeempfinden. Zudem kann eine Dysästhesie auftreten, das heißt, die Haut reagiert hochempfindlich auf Berührung (3). Bakterielle Sekundärinfektionen können das Hautbild weiter verschlechtern und später zu hypo- und depigmentierten Narben führen (2).
Hände mit Seife zu waschen, ist gut zur Infektionsprophylaxe; noch besser ist Händedesinfektion.
Foto: Shutterstock/sydeen
Verwirrende Vorzeichen
Dem Ausbruch eines Herpes zoster geht ein drei- bis fünftägiges Prodromalstadium voraus. Im Bereich des betroffenen Dermatoms kann es phasenweise oder dauerhaft zu Brennen, Jucken, Taubheit und Schmerzen kommen. Auch Fieber, allgemeines Unwohlsein, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen können auftreten.
Da noch keine Bläschen zu erkennen sind, führen die Symptome häufig zu einer falschen Verdachtsdiagnose. Je nachdem, in welchem Dermatom die Schmerzen auftreten, kann der Gedanke an Herzinfarkt, Gallenblasenentzündung, Gallen- oder Nierenkolik, Appendizitis und Bandscheibenvorfall naheliegen.
Geringe Ansteckungsgefahr
Bei Herpes zoster ist nur die virushaltige Bläschenflüssigkeit infektiös. Bis zur vollständigen Verkrustung der Bläschen kann es demnach zu einer Schmierinfektion kommen. Die Läsionen sollten deshalb, wenn möglich, abgedeckt werden. Zwar ist die Erkrankung weniger infektiös als Windpocken, doch sollten Patienten in der akuten Phase Hautkontakt mit immunsupprimierten Menschen, Schwangeren und geschwächten Menschen ohne Windpocken-Vorerkrankung unbedingt vermeiden. Personen, die keine Windpocken durchgemacht haben und nicht dagegen geimpft sind, können sich infizieren. Sie erkranken in dem Fall an Windpocken, nicht an Zoster (1, 5).
Erkrankt eine Schwangere an Windpocken, kann die Infektion in seltenen Fällen auf den Fötus übergehen und zum Abort oder zu Fehlbildungen des Kindes führen. Ein Zoster-Ausbruch in der Schwangerschaft ist hingegen keine Gefahr für das Kind (2).
Als Desinfektionsmittel für Hände oder Flächen sind laut Robert-Koch-Institut Mittel mit dem Wirkungsbereich »begrenzt viruzid« (wirksam gegen behüllte Viren) oder »viruzid« anzuwenden (1).
Eine seltene Sonderform ist der Zoster sine herpete. Nach dem Prodromalstadium bleiben Dermatom-abhängige Schmerzen bestehen, ohne dass sich Bläschen bilden. Dass diese Erkrankungsform schwer zu diagnostizieren ist, liegt auf der Hand.
Bei Befall des Trigeminusnervs kann es zum Zoster ophthalmicus kommen – eine Erkrankung, die zur Erblindung führen kann. Entzündungen der Bindehaut sowie von Bereichen des Augapfels bis hin zu Netzhautnekrose zählen zu den Symptomen. Außer dem Auge sind meist das obere Lid und die Stirn von Bläschen befallen (3).
Als Zoster maxillaris wird die Erkrankung bezeichnet, wenn der Ast des Trigeminusnervs betroffen ist, der den Oberkiefer versorgt. Bei Befall der Gesichtsnerven können vorübergehende Lähmungen oder ein Verlust des Geschmackssinns auftreten. Beim Zoster oticus sind der Gehörgang und/oder die Ohrmuschel befallen. Dies kann neben heftigen Schmerzen Hörverlust und Störungen des Gleichgewichtssinns zur Folge haben.
Sind die Nerven im Genitalbereich befallen (Zoster genitalis), entwickeln sich die Bläschen auf den äußeren Geschlechtsorganen bis hin zum Oberschenkel.
Bei Immundefizienz können sich die Viren über das Blut verteilen. Es kommt zum sogenannten Zoster disseminatus. Knötchen und Bläschen treten dann an vielen Stellen auf und sind schwer von Windpocken abzugrenzen. Auch innere Organe wie die Lunge und vor allem das Nervensystem können befallen werden. Solche Verläufe sind potenziell lebensbedrohlich. In einigen Fällen führt die Entzündung der betroffenen Ganglien über den Liquor zur Meningitis.
Analgetika und Lokalanästhetika
Ziel der Behandlung ist es, Schmerzen und Juckreiz zu lindern, Ausdehnung und Dauer der zosterischen Hautveränderungen zu begrenzen und Komplikationen zu verhindern oder abzuschwächen. Nach Möglichkeit soll auch eine Postherpetische Neuralgie (PHN) als Folgeerkrankung verhindert werden. Wichtig ist die Gabe von Schmerzmitteln. Eine ausreichende Schmerzreduktion im akuten Zoster-Stadium ist deshalb bedeutend, weil sie – als nahezu einzige Maßnahme – das Risiko für eine spätere PHN senkt. Die Auswahl des Analgetikums richtet sich nach der Schwere der Schmerzen. Paracetamol kann bei leichteren Beschwerden und Opioide, beispielsweise Oxycodon, bei stärkeren Schmerzen gegeben werden. Lässt sich damit kein ausreichender Effekt erzielen, setzen manche Neurologen ein trizyklisches Antidepressivum oder Gabapentin ein, wie es bei postherpetischen Schmerzen üblich ist. Für besonders schwere Fälle stehen eine Nerven- oder Ganglienblockade oder die Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) als weitere Behandlungsoptionen zur Auswahl.
Lidocain, lokal als Pflaster aufgebracht, hat sich in doppelblinden placebokontrollierten Studien als wirksam bei akutem Zoster-Schmerz erwiesen. Die Pflaster dürfen nur auf die intakte Haut geklebt werden, nicht auf die Bläschen. In Deutschland ist diese Therapie off-label, da das Pflaster nur zur Behandlung der PHN zugelassen ist.
Lokal kann man die Bläschen austrocknend und antiseptisch behandeln, zum Beispiel mit feuchten Umschlägen mit 5-prozentiger Aluminiumacetat-Lösung (Burow-Lösung), vier- bis sechsmal täglich für 30 bis 60 Minuten oder mit Lotio alba oder Vioform-Zinkoxid-Schüttelmixtur. Zinkoxid wirkt juckreizstillend, mild antiseptisch und adstringierend. Eine lokale virustatische Behandlung ist bei Zoster nicht wirksam (3,4).
Eine virustatische Behandlung ist vor allem bei schweren Verläufen des Herpes zoster und bei Risikopatienten indiziert:
(nach 3)
Virustatika früh geben
Für die orale antivirale Therapie bei Herpes zoster sind in Deutschland vier Nucleosid-Therapeutika zugelassen: Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir und Brivudin. Aciclovir steht zudem für die intravenöse Applikation zur Verfügung.
Die Substanzen beschleunigen das Abheilen der Läsionen und lindern den Schmerz. Das Risiko für eine PHN können sie allerdings nicht senken. Die beste Wirkung wird erzielt, wenn die Therapie frühzeitig beginnt, das heißt innerhalb von 48 bis maximal 72 Stunden nach Auftreten der Symptome. Doch auch ein späterer Therapiebeginn kann für den Patienten noch hilfreich sein.
Unter der antiviralen Therapie können über drei bis fünf Tage immer noch neue Bläschen auftreten (3). Darauf sollten Apotheker die Patienten hinweisen, um die Compliance zu unterstützen.
Aus Patientensicht mag der Erfolg der antiviralen Therapie dürftig erscheinen. In einer Studie gegen Placebo senkte Aciclovir – Therapiestart innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der Symptome – die Zeitdauer der Bläschenbildung um durchschnittlich einen halben Tag, die Abnahme der Vesikel erfolgte 1,8 Tage schneller und das komplette Verkrusten um 2,2 Tage (6). Dennoch ist die antivirale Behandlung wichtig, insbesondere wenn aufgrund der individuellen gesundheitlichen Situation des Patienten ein komplizierter Verlauf des Zosters nicht unwahrscheinlich ist.
Die Behandlungsdauer beträgt bei immunkompetenten Patienten in der Regel sieben Tage. Bei Immunsupprimierten ist meist eine längere Behandlung erforderlich, bis die Läsionen abgeheilt sind. Valaciclovir und Famciclovir haben gegenüber Aciclovir einige Vorteile: Sie haben eine höhere antivirale Aktivität, das heißt, sie wirken stärker schmerzlindernd und heilungsbeschleunigend, und müssen nur dreimal statt fünfmal täglich eingenommen werden. Bei Brivudin reicht sogar die einmal tägliche Einnahme. Allerdings ist die Substanz nur für immunkompetente Patienten zugelassen.
Bei der Verordnung von Brivudin ist auf mögliche schwere, potenziell tödliche Wechselwirkungen zu achten. Der Arzneistoff hemmt durch seinen Hauptmetaboliten Bromvinyluracil irreversibel die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD). Dieses Enzym ist am Abbau von Pyrimidin-Derivaten wie 5-Fluorouracil (5-FU) beteiligt. Die Hemmung führt zu einer Akkumulation und verstärkten Toxizität von 5-FU. Daher ist Brivudin kontraindiziert bei Patienten unter Therapie mit 5-FU, einschließlich topisch anzuwendenden Zubereitungen und 5-FU-Prodrugs wie Capecitabin, Floxuridin und Tegafur. Ebenso darf es nicht bei Patienten unter antimykotischer Therapie mit Flucytosin verabreicht werden.
Das klinische Ansprechen muss engmaschig überwacht werden, insbesondere bei immunsupprimierten Patienten. Bei ungenügender Wirkung ist auf eine intravenöse Behandlung mit Aciclovir umzustellen. Patienten mit komplizierten Herpes-zoster-Infektionen sollten sofort intravenös antiviral behandelt werden.
Kombination mit Corticosteroiden
Bei Personen ab 50 Jahren ist eine Zoster-Impfung zu erwägen.
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Offenbar kann die zusätzliche Gabe eines Corticosteroids zu den Virustatika den Schmerzrückgang beschleunigen. Die Studienergebnisse sind allerdings nicht einheitlich. Das Risiko für das Auftreten einer PHN reduzieren Corticosteroide jedoch auch nicht (3). Angesichts der möglichen Nebenwirkungen empfehlen Experten, Steroide nur bei mittleren und schweren Schmerzen, bei schweren neurologischen Symptomen oder Übergang der Erkrankung auf das ZNS anzuwenden. Aufgrund ihrer immunsuppressiven Eigenschaften sollten Corticosteroide selbstverständlich nie ohne Virustatikum verabreicht werden.
Bei Zoster ophthalmicus erhalten die Patienten neben einer oralen antiviralen Therapie meist Ophthalmika. Um einer Narbenbildung vorzubeugen, werden mydriatische Augentropfen eingesetzt. Topische Corticosteroide helfen gegen Entzündungen wie Keratitis und Iritis. Bei immunsupprimierten Patienten kann sogar eine intravitreale antivirale Therapie gegen eine mögliche Retinalnekrosis indiziert sein (3).
Prophylaxe mit Impfung
In Deutschland ist seit Ende 2013 ein attenuierter Varicella-zoster-Lebendimpfstoff gegen Herpes Zoster im Handel. Zostavax® ist zugelassen für Personen ab 50 Jahren.
In klinischen Studien reduzierte die Impfung bei gesunden Personen ab 50 Jahren das Risiko, an Herpes Zoster zu erkranken, um etwa 50 Prozent (1). Allerdings nahm die Wirksamkeit des Impfstoffs mit zunehmendem Alter ab. Die Risikoreduktion bei über 70-Jährigen lag nur noch bei 38 Prozent.
Trotz des begrenzten Effekts halten Experten die Impfung angesichts der möglichen Zoster-Komplikationen für empfehlenswert, zumal sie gut verträglich ist. Es hat sich gezeigt, dass Personen, die trotz Impfung Zoster entwickeln, kürzer und weniger schmerzhaft erkranken. Zudem tritt eine PHN seltener auf (1, 3). Die Impfung schützt mindestens drei Jahre (7). Andere Autoren gehen von mindestens fünf Jahren aus, danach nimmt der Schutz vermutlich über die Jahre ab (3).
Patienten, die beispielsweise wegen Psoriasis oder Rheumatoider Arthritis mit einer Biologika-Therapie beginnen wollen, sollten zuvor die Impfung erhalten. Die Verabreichung eines Lebendimpfstoffs ist unter der biologischen Therapie kontraindiziert. Zudem besteht eine Kontraindikation bei Patienten mit Blutkrebs, unter Chemo- oder Strahlentherapie und bei lang dauernder, hoch dosierter Corticoidtherapie (3, 4). Nicht problematisch ist die Impfung dagegen bei Personen unter topischer oder inhalativer Corticoidtherapie (8).
Bei HIV-Infektion galt die Impfung früher als kontraindiziert. Heute wird dies differenzierter beurteilt. Bei HIV-Infizierten mit mehr als 400 CD4-Zellen/μl ist die Impfung sicher und effektiv. Sie sollte bei negativer VZV-Serologie erwogen werden. Bei Varizellen-Exposition und negativer Serologie können HIV-Infizierte in Einzelfällen Hyperimmunglobulin bekommen, um die Zoster-Viren zu unterdrücken (9).
Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) in Berlin hat bislang keine allgemeine Empfehlung für die Herpes-Zoster-Impfung ausgesprochen. Nach Meinung der STIKO sollte dies eine Einzelfallentscheidung sein. Da die Impfung nicht in der aktuellen Schutzimpfungsrichtlinie (SI-RL) gelistet ist, zählt sie nicht zur Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen (10).
Herpes zoster als Nebenwirkung
Patienten, die in der Akutphase der Gürtelrose starke Symptome hatten, entwickeln häufiger eine postherpetische Neuralgie.
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Zahlreiche Medikamente beeinträchtigen das Immunsystem und erhöhen dadurch die Gefahr einer VZV-Reaktivierung. Das Risiko steigt in Abhängigkeit von Intensität und Dauer der T-Zell-Suppression.
Um einen Zoster-Ausbruch zu verhindern, kann die prophylaktische Einnahme von Aciclovir sinnvoll sein. Sie wird beispielsweise für Krebspatienten empfohlen, die mit Alemtuzumab, Proteasom-Inhibitoren und Purin-Analoga behandelt werden (11). Dies gilt auch für Patienten mit Multiplem Myelom, die Bortezomib oder Carfilzomib erhalten (12, 13). Vermutlich erhöhen auch weitere Arzneistoffe das Risiko, Herpes zoster zu entwickeln, beispielsweise Thalidomid, Fingolimod und TNFα-Hemmer (14, 15, 16).
Gefürchtete Spätfolge PHN
Nach Untersuchungen des RKI entwickeln etwa 5 Prozent der Zoster-Patienten eine Spätkomplikation in Form der postzosterischen oder postherpetischen Neuralgie (PHN) (1). Die Autoren einer aktuellen Review-Arbeit schätzen, dass 12,5 Prozent der Zoster-Patienten ab 50 Jahren innerhalb von drei Monaten nach Abheilen der akuten Erkrankung eine PHN entwickeln (17). Das Risiko steigt mit dem Lebensalter. Die Häufigkeit liegt bei Patienten über 55 Jahren bei 27 Prozent, bei Patienten über 60 bei 47 Prozent. Bei den Über-70-Jährigen müssen fast drei Viertel mit einer PHN rechnen. Menschen, die bereits in der Akutphase des Herpes zoster schwere Schmerzen hatten oder eine große Zahl von Bläschen aufwiesen, haben zudem ein höheres Risiko. Dagegen scheint Immunschwäche das PHN-Risiko nicht zu erhöhen (3).
Als Ursache wird diskutiert, dass die durch die VZV-Reaktivierung hervorgerufene Entzündung zu einem Untergang von Nervenstrukturen und Neuronen in den sensorischen Ganglien geführt und Signalverläufe im zentralen Nervensystem verändert hat. Die starken Schmerzen, die über Monate oder gar Jahre andauern können, sind schwer therapierbar, da die typischen Analgetika oft nicht ansprechen oder nicht ausreichend wirken. Trotz spezialisierter Schmerztherapie gelingt es nicht immer, den Schmerz befriedigend zu beherrschen.
Für die orale Therapie werden neben Opioiden Co-Analgetika wie trizyklische Antidepressiva (TCA) oder die Antiepileptika Gabapentin und Pregabalin eingesetzt. Dabei ist eine Kombination, beispielsweise Gabapentin plus Nortriptylin oder Opiat plus Gabapentin, effektiver als die Monotherapie. Corticosteroide haben keinen Effekt bei PHN (4).
Die Dosierung der TCA liegt in der Regel unterhalb der antidepressiven Dosis, da andere Wirkmechanismen zum Tragen kommen (18). Unter anderem wird das aus dem Hirnstamm absteigende Schmerzhemmsystem verstärkt. Darüber hinaus wird die analgetische Wirkung der TCA auf eine Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle zurückgeführt (19). Die Wirkung tritt innerhalb von vier bis acht Tagen ein. Antiepileptika unterdrücken durch Interaktion mit präsynaptischen spannungsabhängigen Calciumkanälen die Glutamat-Freisetzung. Letztlich wird die Weiterleitung peripher entstandener Schmerzimpulse vermindert.
Zur topischen Behandlung eignen sich Lidocain und Capsaicin. Das Lokalanästhetikum Lidocain verhindert über eine Blockade von Natriumkanälen die Entstehung von Schmerzimpulsen im Bereich hautnaher Nerven. Bei lokal begrenzten peripheren neuropathischen Schmerzen wird es als Pflaster angewendet, das zwölf Stunden auf dem betroffenen Areal verbleibt. Danach folgt eine mindestens zwölfstündige Behandlungspause.
Auch der Inhaltsstoff der Chilischote, Capsaicin, ist gut wirksam bei peripheren lokal begrenzten neuropathischen Schmerzen. Der Wirkstoff wird einmalig 30 bis 60 Minuten als Pflaster appliziert und führt zur Aktivierung von C-Fasern mit lokaler Hyperthermie, gesteigerter Durchblutung und steigendem Schmerz. Nach etwa einer Woche tritt für etwa zwölf Wochen eine Schmerzlinderung ein, bis sich die Nozizeptoren regeneriert haben (20).
Eine Metaanalyse von 229 Studien zur Behandlung neuropathischer Schmerzen (nicht nur PHN) kam zu dem Schluss, TCA, selektive Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren sowie Pregabalin und Gabapentin zu empfehlen. An zweiter Stelle stehen Lidocain- und Capsaicin-Pflaster sowie Tramadol. Stark wirksame Opioide rangieren als dritte Wahl (21).
Gut beraten in der Apotheke
Wenn Kunden in der Apotheke über Schmerzen und Brennen in einem eingeschränkten Hautareal berichten, sollten Apotheker und PTA an ein mögliches Prodromalstadium des Herpes zoster denken – vor allem bei älteren Menschen, Krebspatienten und Immunsupprimierten. Die Kunden sind direkt an den Arzt zu verweisen. Das gilt auch bei allen unklaren Beschwerden am Auge und im Gesicht.
Gerade für alte Menschen und für Schwerkranke ist Herpes zoster eine schwere Erkrankung. Sie sollten möglichst umgehend mit Analgetika und Virustatika behandelt werden, um Komplikationen und Spätfolgen zu verhindern. /
Literatur
Annette Immel-Sehr studierte Pharmazie in Bonn und Frankfurt/Main. Nach der Approbation 1988 wurde sie mit einer Arbeit über ein pharmakologisches Thema am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt promoviert. Von 1992 bis 1999 war Dr. Immel-Sehr als Referentin für Aus- und Fortbildung bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände tätig. Seither arbeitet sie freiberuflich als Beraterin für Wissenschafts-PR und als Fachjournalistin.
Dr. Annette Immel-Sehr
Behringstraße 44
53177 Bonn-Bad Godesberg