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Schilddrüse

Mini-Organ mit Maxi-Wirkung

05.09.2011  10:34 Uhr

Von Oswald Ploner, Stuttgart / Die Schilddrüse ist ein unscheinbares Organ, beeinflusst aber den gesamten Organismus. Ohne Schilddrüse und ihre Hormone kann der Mensch auf Dauer nicht leben. Kann die Drüse ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, ist eine Substitution der Schilddrüsenhormone nötig. Dies muss immer individualisiert und genau kontrolliert erfolgen. Eine Beratungsaufgabe auch für die Apotheke.

Die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) gehört zu den endokrinen Drüsen, die ihre Sekretionsprodukte direkt an die Blutbahn abgeben. Sie sitzt am Hals vor der Luftröhre unterhalb des Schildknorpels: daher der Name »Schilddrüse«. Ihre Form ähnelt einem Schmetterling mit zwei flügelartigen Seitenlappen, die seitlich an der Luftröhre anliegen, verbunden durch eine vor der Luftröhre liegende Gewebebrücke, den Isthmus. Ihr Volumen beträgt bei Frauen bis 18 ml, bei Männern bis 25 ml. Die Schilddrüsenzellen (Thyreozyten) sind zu mikroskopisch kleinen Bläschen, den Follikeln, formiert. In deren Zentrum sind die Hormone im Kolloid, einer gallertartigen Flüssigkeit, gespeichert.

 

Eine Drüse, zwei Hormone

 

Die Schilddrüse produziert (neben Calcitonin in den C-Zellen) die Hormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3). Dafür ist Iod erforderlich, das die Thyreozyten aktiv aus der Blutbahn durch ein spezielles Transportersystem aufnehmen. Die Schilddrüse kann etwa 40 Prozent des verzehrten Iods aus dem Blut aufnehmen, anreichern und dadurch den Bedarf für drei Monate bevorraten. Aufgenommenes Iod wird durch die Zelle geschleust und in den Follikel abgegeben. Dort werden die Iodatome durch das an der Zellmembran lokalisierte Enzym Thyreo-Peroxidase (TPO) in die Aminosäure Tyrosin eingebaut, die an das Protein Thyreoglobulin gebunden ist. Die entstehenden Monoiod- und Diiodtyrosine werden aneinandergekoppelt und vom Thyreoglobulin getrennt.

 

Ein Monoiod-Tyrosin und ein Diiod-Tyrosin ergeben das Triiodthyronin (T3), zwei Diiod-Tyrosine ergeben Tetraiodthyronin (Thyroxin, T4). T4 und T3 unterscheiden sich somit in ihrem Iodgehalt. Die beiden Hormone werden nach Bedarf in den Blutkreislauf sezerniert und gelangen von dort an ihre Wirkorte. Die Schilddrüse produziert zu 90 bis 95 Prozent T4 und nur zu einem geringen Teil T3. Die Tagesproduktion beträgt etwa 100 µg T4 und 11 µg T3. Dennoch ist T3 die Wirkform und wird im Organismus, vor allem in der Leber, aus der Vorstufe T4 durch enzymatische Deiodierung hergestellt. Zu 99,7 bis 99,95 Prozent sind die Hormone an Proteine gebunden.

Die Schilddrüse arbeitet nicht autonom, sondern unterliegt der übergeordneten Steuerung durch Hypothalamus und Hypophyse. Die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) produziert in Abhängigkeit von der vorhandenen Menge an Schilddrüsenhormonen TSH (Thyreoidea Stimulierendes Hormon), das die Schilddrüse zur Produktion von T4 und T3 anregt (Abbildung 1).

 

Die Schilddrüsenhormone sind für Entwicklung und Funktion des gesamten Organismus wesentlich. Vor allem für die Reifung des Gehirns ist eine gute Versorgung essenziell. Sie beeinflussen unter anderem Nervensystem und Psyche, Haut, Haare und Nägel, den Energiestoffwechsel, die Funktion von Magen und Darm, Herz und Kreislauf, die Geschlechtsorgane, Knochen und Muskulatur.

 

Diagnostik

 

Um eine Funktionsstörung auszuschließen, reicht die alleinige Messung des Steuerungshormons TSH in der Regel aus. Liegt dieses im Normbereich, ist eine normale Hormonproduktion – bis auf extrem seltene Ausnahmen – gesichert. Die ergänzende Messung von T3 und T4 ist dann verzichtbar. Liegt TSH außerhalb des Normbereichs, muss der Arzt zusätzlich die Schilddrüsenhormone bestimmen, und zwar die freien, nicht proteingebundenen und somit wirksamen Anteile (freies T3, FT3, und freies T4, FT4).

 

Bei Veränderungen des TSH-Spiegels mit normalen Werten für FT3 und FT4 liegen latente (subklinische) Funk­tionsstörungen vor. Sind auch die Hormonwerte verändert, sprechen wir von manifesten Störungen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Funktionsstörungen der Schilddrüse

TSH FT3 FT4
Euthyreose normal normal normal
Hyperthyreose latent normal normal
Hyperthyreose manifest
Hypothyreose latent normal normal
Hypothyreose manifest

Mit zunehmendem Alter schrumpft die Schilddrüse mit fibrotischem Umbau (Atrophie). Iodaufnahme und Hormonproduktion sind reduziert. Andererseits entsteht im Alter häufiger eine Vergrößerung durch Knotenbildung (Struma, Kropf). Auch Funktionsstörungen sind häufiger, vor allem bei Frauen. Schilddrüsenkarzinome im Alter haben eine eher ungünstige Prognose.

 

Bei Erkrankungen der Schilddrüse unterscheidet man zwischen Veränderungen von Größe und Struktur (Struma ohne oder mit Knoten) und Störungen der Hormonproduktion (Über- oder Unterfunktion). Beide können isoliert oder kombiniert auftreten.

 

Vergrößerung der Schilddrüse: Struma

 

Ultraschalluntersuchungen an gesunden Personen in Deutschland haben ergeben, dass 34 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer Knoten in der Schilddrüse oder eine Vergrößerung des Organs aufweisen, ohne es zu wissen (1). Ursache ist ein Mangel an Iod in der Nahrung. Der tägliche Iodbedarf beträgt für Erwachsene 180 bis 200 µg (Tabelle 2); die tatsächliche Aufnahme liegt bei etwa 110 bis 120 µg pro Tag (2).

Tabelle 2: Täglicher Iodbedarf (2)

Personengruppe Empfohlene tägliche Iodaufnahme (µg)
Säuglinge 50 bis 80
Kinder bis zum 9. Lebensjahr 100 bis 140
Jugendliche und Erwachsene 180 bis 200
Schwangere Frauen 230
Stillende Mütter 260

Durch den Mangel an Iod produziert die Schilddrüse Wachstumsfaktoren, die die Thyreozyten zu Vermehrung und Wachstum anregen. Zusätzlich wird eine vermehrte Stimulation durch TSH über den Regelkreis angenommen, bedingt durch eine ungenügende Hormonproduktion. Die gesamte Schilddrüse vergrößert sich (Struma diffusa), häufig mit zusätzlicher Bildung von Knoten (Struma nodosa).

Auf einen Blick

Die häufigste Erkrankung der Schilddrüse ist die Vergrößerung mit oder ohne Knoten. Die Struma ist der häufigste Grund für eine Operation.

 

»Heiße« Knoten können unkontrolliert Schilddrüsenhormone pro­du­zie­ren (autonome Adenome) und – vor allem nach Zufuhr großer Iodmengen – den Körper damit überschwemmen. Das kann lebensgefährlich sein. Diese Form der Hyperthyreose tritt häufig bei älteren Menschen auf, während bei Jüngeren eher eine Autoimmunhyperthyreose (Morbus Basedow) vorliegt.

 

Eine Hypothyreose wird oft nur zufällig entdeckt. Die chronische Autoimmunthyreoiditis Hashimoto und eine operative Entfernung der Drüse können das Defizit auslösen. Dann ist der Patient lebenslang auf die medikamentöse Hormonsubstitution angewiesen.

 

Die Substitution muss individuell angepasst werden. Bei gut eingestellten Patienten sollte man das Präparat ohne zwingenden Grund nicht wechseln.

Basisuntersuchung ist der Ultraschall (Sonografie), um Größe und Struktur des Organs zu erfassen (Abbildung 2). Knoten werden nach Aufbau, Struktur und Abgrenzbarkeit beurteilt und die Größe für weitere Verlaufskontrollen dokumentiert (Abbildung 3).

Bei Knotenbildung ist meist zusätzlich ein Schilddrüsen-Szintigramm mit dem Radionuklid Technetium erforderlich. Normalerweise wird die Radioaktivität weitgehend homogen gespeichert (Abbildung 4). Areale, die stärker als die Umgebung speichern, werden als »heiße Knoten« bezeichnet (Abbildung 5). Sie reagieren nicht mehr auf die Steuerung durch TSH, sondern produzieren autonom Hormone in Abhängigkeit von der Iodzufuhr (autonomes Adenom). Ein solcher Knoten kann bei hoher Iodbelastung eine Schilddrüsenüberfunktion auslösen. Knoten ohne Aktivität nennt man »kalte Knoten« (Abbildung 6). Dies ist der Fall bei Zysten oder regressiven Gewebeveränderungen. Selten handelt es sich um ein Karzinom.

Eine Schilddrüsenvergrößerung wird zunächst medikamentös behandelt. Prinzip ist der Ausgleich des Iodmangels durch zusätzliche Gabe von Iod oder/und Schilddrüsenhormon zur Entlastung des erkrankten Organs. Den größten Effekt erzielt man mit der Kombination von L-Thyroxin und Iodid.

 

Damit lässt sich die Knotengröße um bis zu 20 Prozent reduzieren, das Schilddrüsenvolumen um etwa 10 Prozent (3). Bei starker Vergrößerung der Drüse mit lokalen Problemen (Einengung von Trachea oder Ösophagus, Druckgefühl) oder bei Karzinomverdacht ist eine Operation die Therapie der Wahl. Eine Radioiod-Behandlung zur Strumaverkleinerung erfolgt eher selten.

 

Hyperthyreose: Körper im Dauerstress

 

Die Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) ist charakterisiert durch eine Vermehrung der Schilddrüsenhormone im Organismus. Dies führt zu ­einer Dauerstimulation sämtlicher Organsysteme: Der Körper ist im Dauerstress. Der Betroffene ist nervös, unruhig, zittrig, hat eine warme rosige Haut, leidet an Haarausfall, Schweißneigung, Herzklopfen und schnellem Pulsschlag, Gewichtsverlust trotz gesteigertem Appetit, gehäuften Darmentleerungen, Muskelschwäche und Kraftlosigkeit.

Beim älteren Patienten ist die Symptomatik oft untypisch. Unter Umständen verliert er nur Gewicht, leidet an Vorhofflimmern oder progredienter Herzinsuffizienz. Diese Symptome werden nicht selten als altersbedingt gewertet. Etwa drei Prozent der Menschen über 60 Jahre erkranken an einer Hyperthyreose. Oft wird ein okkultes Krebsleiden vermutet und nach einem Tumor gesucht; an ein autonomes Adenom der Schilddrüse wird primär nicht gedacht. Dies birgt die Gefahr einer Progression der Hyperthyreose bis hin zur lebensbedrohlichen thyreotoxischen Krise, wenn Röntgenuntersuchungen mit Kontrastmitteln erfolgen. Diese enthalten große Mengen an Iod, das die Hormonproduktion noch verstärkt.

 

Häufigste Ursache der Hyperthyreose ist eine TSH-unabhängige, unkon­trollierte, gesteigerte Hormonproduktion in den Schilddrüsenzellen (Bildungshyperthyreose). Beim älteren Menschen handelt es sich meist um eine Autonomie, beim jüngeren Menschen häufiger um eine Autoimmunhyperthyreose (Morbus Basedow). Hierbei stimulieren Antikörper, die gegen den TSH-Rezeptor der Schilddrüsenzellen gerichtet sind und dort anstelle von TSH andocken, dauerhaft die Hormonproduktion. Diese TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) können im Serum nachgewiesen werden und beweisen den Morbus Basedow. Bekanntestes Begleitsymptom sind hervortretende Augäpfel (Endokrine Orbitopathie).

Die Differenzierung zwischen Autonomie und Morbus Basedow ist wichtig, da sich die Langzeittherapie unterscheidet. In der Sonografie zeigt die Schilddrüse bei Morbus Basedow typischerweise eine diffuse Echoarmut mit erheblich gesteigerter Durchblutung (Abbildung 7).

 

Die Behandlung erfolgt zunächst mit Thyreostatika wie Thiamazol, Carbimazol und Propylthiouracil, die die Hormonproduktion in der Schilddrüse hemmen. Das Prodrug Carbimazol wird im Körper in Thiamazol umgewandelt. Bei Nebenwirkungen ist ein Umsetzen von Thiamazol auf Carbimazol oder umgekehrt daher nicht sinnvoll. Dann kann Propylthiouracil gegeben werden; die Kreuzreaktivität beträgt aber auch hier bis zu 50 Prozent.

 

Leichte Nebenwirkungen bestehen in Hautreaktionen (Juckreiz, Exanthem), Übelkeit, Erbrechen oder Arthralgien. Bedrohlich ist die Agranulozytose (bis 0,5 Prozent). Durch einen immunologischen Prozess werden die für die Infektabwehr wichtigen neutrophilen Granulozyten zerstört, sodass der Patient bakteriellen Infektionen schutzlos ausgeliefert ist. Hier darf nicht von Thiamazol oder Carbimazol auf Propylthiouracil umgestellt werden, da die Kreuzreaktivität 100 Prozent beträgt. Gefürchtet ist eine allergische Leberschädigung unter Propylthiouracil, die zwar selten auftritt (bis 0,2 Prozent), aber die Leber weitgehend zerstören kann. Daher wird Propylthiouracil immer seltener verordnet (4, 5, 6).

Hat sich die Stoffwechsellage unter der Medikation normalisiert, wird die Hyperthyreose bei einer Autonomie operativ oder mit einer Radioiod-Behandlung endgültig beseitigt. Ein Morbus Basedow kann spontan in Remission gehen, sodass man die thyreostatische Medikation in möglichst niedriger Erhaltungsdosis für ein bis eineinhalb Jahre beibehält und dann einen Auslassversuch macht. Die durch Katecholamine vermittelten Symptome der Hyperthyreose kann ein Betablocker mildern.

 

Seltener wird eine Hyperthyreose verursacht durch die vermehrte Freisetzung der in den Schilddrüsenfollikeln gespeicherten Hormone infolge einer Entzündung (Freisetzungshyperthyreose bei Thyreoiditis). Je nach Art der Thyreoiditis wird diese mit nicht-steroidalen Antirheumatika oder Cortison behandelt, die Hyperthyreose symptomatisch mit einem Betablocker.

 

Hypothyreose: alles verlangsamt

 

Kann die Schilddrüse den Hormonbedarf des Körpers nicht mehr decken, so entsteht das Krankheitsbild der Hypothyreose. Die Betroffenen leiden an Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, depressiver Verstimmung, trockener blasser Haut, Kälteempfinden, langsamem Pulsschlag, Gewichtszunahme und Verstopfung.

Die Symptome entstehen allmählich, sodass sich der Kranke zunächst daran gewöhnt. Vor allem beim alten Menschen vermutet man meist altersbedingte Veränderungen. Somit wird die Diagnose häufig erst spät gestellt.

 

Meist wird die Synthesestörung der Schilddrüse zufällig bei einer Labor­untersuchung erkannt, wenn der TSH-Spiegel gemessen wird. Ein erhöhter Wert ist der erste Hinweis auf eine eingeschränkte Schilddrüsenfunktion. Der Körper versucht, die Schilddrüse stärker zu stimulieren, um die Hormonsitua­tion normal zu halten. Sind die Hormone selbst noch im Normbereich, liegt eine latente Hypothyreose vor. Erst im Verlauf sinken auch die Hormone FT3 und FT4 unter den Normbereich (manifeste Hypothyreose).

 

Neben der operativen Entfernung der Schilddrüse ist die häufigste Ursache eine chronische, immunologisch bedingte Entzündung, die Autoimmunthyreoiditis Hashimoto. Hierbei führt eine entzündliche Infiltration des Organs durch Lymphozyten zu einer progredienten Zerstörung der Schilddrüsenzellen. Beweisend sind Antikörper gegen die Thyreoideale Peroxidase (TPO) im Blut; dieses Enzym ist für die Hormonsynthese erforderlich. Häufig resultiert eine Atrophie der Schilddrüse, die sich im Ultraschall klein und typisch echoarm darstellt (Abbildung 8).

Bislang gibt es keine kausale Therapie. Man kann nur den Hormonmangel durch exogene Zufuhr von Schilddrüsenhormon ausgleichen. Bei persistierenden klinischen Symptomen trotz ausreichender Hormonsubstitution und bei hohen Antikörpertitern kann zusätzlich die Gabe von 200 µg Selen täglich erwogen werden. In einer älteren Studie war damit ein Abfall der Antikörperspiegel und teilweise eine klinische Besserung zu erzielen (7). Ob der Immunprozess selbst günstig beeinflusst wird, ist unklar. Diese Therapie ist nicht generell zu empfehlen, zumal das Auftreten eines Diabetes mellitus unter hohen Selenkonzentrationen beschrieben wurde (8).

 

Karzinome sind selten

 

Bösartige Tumoren der Schilddrüse sind selten. Sie machen bei Frauen 1,9 Prozent, bei Männern 0,7 Prozent aller Krebserkrankungen aus. Durch frühe Diagnose und eine gute Prognose vor allem der differenzierten Karzinome hat die Sterberate deutlich abgenommen. 90 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer überleben fünf Jahre nach Diagnosestellung (9).

 

Nach der operativen Entfernung der gesamten Schilddrüse schließt sich in aller Regel eine Behandlung mit radioaktivem Iod an, um verbliebenes Restgewebe und mögliche Metastasen zu eliminieren. Allerdings sind die im höheren Lebensalter auftretenden anaplastischen Schilddrüsenkarzinome entdifferenziert und nehmen Iod nicht mehr aktiv auf. Die Prognose dieser Tumoren ist deutlich schlechter.

 

Bis zur Radioiodtherapie erhalten die Patienten keine Schilddrüsenhormone; sie sind hypothyreot. Das in dieser Phase stark erhöhte TSH soll eine möglichst gute Aufnahme des radioaktiven Iods in die Tumorzellen bewirken. Nach der Therapie ist dauerhaft eine Substitution mit Thyroxin erforderlich, das bei Tumorpatienten hoch dosiert wird, um TSH zu supprimieren.

 

Hinweise zur Substitution

 

Indikationen zur Gabe von Schilddrüsenhormonen sind entweder die Therapie einer Struma, um Schilddrüse und/oder Knoten zu verkleinern, oder der Hormonersatz bei ungenügender oder fehlender Eigenproduktion infolge einer chronischen Autoimmunthyreoiditis oder nach teilweiser oder kompletter Entfernung der Schilddrüse. Im ersten Fall wird die eigene, noch funk­tionstüchtige Schilddrüse entlastet; im zweiten Fall ist der Patient komplett von der exogenen Hormonzufuhr abhängig. Hier ist, insbesondere bei Kindern, Schwangeren und Kar­zi­nom­pa­tienten, eine gleichmäßige Hor­mon­zu­fuhr wichtig, um eine stabile Stoffwechseleinstellung zu gewährleisten. Die Substitution erfolgt in der Regel mit L-Thyroxin. Dieses wird bei Nüchterneinnahme zu etwa 80 Prozent im Dünndarm resorbiert. Bei Einnahme mit Nahrung vermindert sich die Bioverfügbarkeit um etwa 20 Prozent (10). Daher die Empfehlung: Thyroxin morgens nüchtern mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück mit etwas Wasser einnehmen. Dies soll eine konstante Zufuhr des Hormons gewährleisten. Grundsätzlich ist auch die Einnahme am Abend möglich, wenn diese auf nüchternen Magen erfolgt und die nächste Mahlzeit frühestens nach 30 Minuten gegessen wird (11).

 

Vor allem polyvalente Kationen wie Calcium, Aluminium und Eisen vermindern durch Komplexbildung die Resorp­tion von Thyroxin. Der Apotheker sollte den Kunden nach seiner Selbstmedika­tion fragen, denn bei Einnahme entsprechender Präparate (Eisensubstitution, Antazida, Calcium-Supplementierung bei Osteoporose) ist ein mindestens zweistündiger Abstand zu Thyroxin erforderlich. Auch Mineralwasser enthält teilweise große Mengen Calcium. Daher soll der Patient Thyroxin mit Leitungswasser einnehmen. Dies enthält zwar ebenfalls Calcium, bei konstanter Zusammensetzung ist jedoch eine gleichmäßige Resorption des Hormons gewährleistet.

 

Aufgrund der langen Halbwertszeit von Thyroxin von sieben Tagen entstehen keine relevanten Auswirkungen, wenn der Patient die Tablette einmal vergisst. Er kann die Einnahme am Folgetag mit der normalen Dosis fortsetzen.

 

Der Bedarf an L-Thyroxin variiert mit dem Alter des Patienten. Er ist, relativ zum Körpergewicht, am größten bei Kindern, nimmt mit dem Alter ab und ist beim geriatrischen Patienten am niedrigsten (Tabelle 3). Der Bedarf kann individuell erheblich variieren. Die Dosierung wird nach dem TSH-Spiegel gesteuert, der in der Regel im unteren bis mittleren Normbereich liegen sollte (0,5 bis 2,0 µU/ml). Da eine stabile Situation etwa vier Wochen nach einer Dosisänderung erreicht ist, sind Kontrollen des TSH-Werts erst nach vier bis sechs Wochen sinnvoll. Bei stabiler Situation genügt es dann, TSH alle sechs bis zwölf Monate zu überprüfen (13).

Tabelle 3: Physiologischer Tagesbedarf an L-Thyroxin (12)

Alter Bedarf (µg/kg KG)
Neugeborene 10 bis 15
Kleinkinder 8 bis 12 Monate 8 bis 10
Kinder 2 bis 10 Jahre 4 bis 6
Jugendliche 2 bis 3
Erwachsene 1,5
Ältere Menschen 1 bis 1,2
Schwangere 1,8 bis 2

Bei Frauen mit Kinderwunsch sowie in der Schwangerschaft wird ein TSH-Wert unter 2,0 µU/ml empfohlen. Der Thyroxin-Bedarf steigt vor allem in der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Daher sind bei Schwangeren, deren Hormonversorgung allein medikamentös erfolgt, TSH-Kontrollen in Abständen von vier bis sechs Wochen indiziert, um die Dosis anzupassen.

 

Patienten nach Schilddrüsenkarzinom werden mit höheren Dosen sub­stituiert. Ziel ist die Senkung des TSH-Spiegels unter 0,1 µU/ml (TSH-suppressive Therapie). Dadurch wird ein Wachstumsstimulus von TSH auf restliches Tumorgewebe oder Metastasen ausgeschaltet. Hier ist eine konstante Hormonversorgung entscheidend wichtig.

Tabelle 4: Mögliche Ursachen eines erhöhten Thyroxinbedarfs; modifiziert nach (12)

Ursache Mechanismus des erhöhten Bedarfs
Darmerkrankungen verminderte Resorption
chronisch atrophische Gastritis erhöhter Magen-pH-Wert, verminderte Löslichkeit
Helicobacter-pylori-Infektion vermehrte Ammoniak-Bildung
Schwangerschaft erhöhtes Bindungsprotein, gestörte Deiodierung, erhöhte renale Iod-Clearance
Phenytoin, Carbamazepin T4-Verdrängung aus der Proteinbindung, erhöhte Clearance
Dexamethason, Propranolol Hemmung der Deiodinase
Amiodaron Konversionshemmung
Protonenpumpeninhibitoren verminderte Resorption
Estrogene Anstieg der Bindungsproteine

Intestinale Erkrankungen oder eine Begleitmedikation können den Bedarf an Thyroxin steigern (Tabelle 4). Letzteres ist vor allem bei älteren Menschen zu beachten, die mehrere Medikamente einnehmen. Gegebenenfalls sind TSH-Kontrollen und eine Dosisanpassung erforderlich.

 

Präparate nicht wechseln

 

Unverträglichkeiten von Schilddrüsenhormonen werden – abgesehen von Dosierungsfehlern – in der Regel durch Hilfsstoffe in der Tablette verursacht. Hier kann ein Präparatewechsel unter Berücksichtigung der jeweiligen Zusammensetzung sinnvoll sein. Ansonsten ist ein unkontrollierter Wechsel der Thyroxin-Präparate zu vermeiden! Zwischen verschiedenen Präparaten wurden Unterschiede in der Bioverfügbarkeit von bis zu 20 Prozent gemessen. Dies ist bei dem engen TSH-Zielbereich von 0,5 bis 2,0 µU/ml relevant, vor allem bei Kindern, Jugendlichen, Schwangeren und Patienten nach Schilddrüsenkarzinom.

 

Ist ein Präparatewechsel erforderlich, muss die Einstellung laborchemisch kontrolliert werden. Einem Einsparpotenzial von etwa zwei Euro pro Jahr stehen Laborkosten für die er­forderliche TSH-Kontrolle von bis zu 30 Euro gegenüber. Grundsätzlich ist keines der handelsüblichen Thyroxin-Präparate zu bevorzugen. Bei gut eingestellten Patienten sollte man das Präparat nicht mehr wechseln (14).

 

Kontrovers wird diskutiert, ob die alleinige Gabe von Thyroxin genügt oder ob die Kombination mit Triiodthyronin zu besseren Ergebnissen führt. In Vergleichsuntersuchungen hatten Patienten unter Kombitherapie eine bessere Lebensqualität und größeres Wohlbefinden, wobei die Ergebnisse verschiedener Studien widersprüchlich sind (15). Damit gilt die Monotherapie mit L-Thyroxin weiterhin als Standard, wobei in Einzelfällen eine Kombination vorteilhaft sein kann. Selten besteht eine unzureichende Konversion von Thyroxin in das wirksame Hormon Triiodthyronin. Dann kann ein Mischpräparat, zum Beispiel mit 90 Prozent L-Thyroxin und 10 Prozent Triiodthyronin, indiziert sein (16).

 

Die Gabe von Thyroxin mit Iodid ist sinnvoll bei der Strumatherapie (3). Weiterhin ist die Kombination sinnvoll bei Patienten nach Teilresektion der Schilddrüse, um eine ausreichende Iodzufuhr für den Schilddrüsenrest zu gewährleisten.

 

Die zusätzliche Gabe von 100 bis 150 µg Iodid täglich wird Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen, um den Iodbedarf des Kindes zu sichern. Die Schwangere sollte Iod spätestens ab der zehnten bis zwölften Schwangerschaftswoche einnehmen, da dann die kindliche Schilddrüse mit der eigenen Hormonproduktion beginnt. Auch bei Frauen mit chronischer Autoimmunthyreoiditis Hashimoto, die ansonsten kein zusätzliches Iodid erhalten sollen, ist dieses in Schwangerschaft und Stillzeit indiziert. /

Literatur

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Der Autor

Oswald Ploner studierte Humanmedizin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und wurde 1981 promoviert. Als Assistenzarzt war er in der Chirurgie, Röntgendiagnostik und Inneren Medizin tätig. Dr. Ploner erwarb die Facharztanerkennung für Innere Medizin mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie. Er ist Sektionsleiter Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Klinik am Diakonie-Klinikum Stuttgart und betreut dort Patienten mit Erkrankungen sämtlicher Hormondrüsen sowie mit Diabetes mellitus. Zudem leitet er die Endokrinologische Ambulanz und die Diabetikerschulung am Klinikum.

 

Dr. med. Oswald Ploner, Diakonie-Klinikum, Rosenbergstraße 38, 70176 Stuttgart, E-Mail: ploner(at)diak-stuttgart.de

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