Begeisterung für die Forschung wecken |
06.09.2011 14:13 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / Die deutsche Hauptstadt will sich auch in Zukunft als Gesundheitsregion und Biotechnologiehochburg profilieren. Um den Nachwuchs für die Forschung zu entflammen, kommen Wissenschaftler gerne und ehrenamtlich an die Schulen in Berlin und Brandenburg.
Wer eine Pizza bestellt, bekommt sie beinahe überall hin geliefert. In Berlin geht das auch mit Wissenschaftlern, die sich biotechnologischen Schwerpunkten widmen. So kam in der vergangenen Woche wie bestellt – trotz kühlen Windes und Regenschauern – Professor Dr. Karl Sperling vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité vors Kino Kosmos an die Karl-Marx-Allee in Friedrichshain.
Ein wetterfester Wissenschaftsfan lauscht Professor Karl Sperling.
Foto: PZ/Zillmer
Unter freiem Himmel am einstigen DDR-Filmpalast, eingerahmt von Architektur im realsozialistischen Zuckerbäckerstil, sprach Sperling vor Biologielehrern über Ergebnisse und Perspektiven des Humangenomprojekts und die Arbeit seines Instituts.
Mehr Trisomie-21-Kinder nach Tschernobyl
Die Pädagogen lernten, dass eine Analyse der eigenen DNA wohl bald für wenige hundert Dollar zu haben sein dürfte. Sie erfuhren, dass in Berlin just neun Monate nach der Tschernobyl-Atomkatastrophe signifikant mehr Kinder mit Trisomie 21 geboren wurden als gewöhnlich.
Sperling klärte darüber auf, dass der Affe nicht wie lange angenommen vor 22 Millionen Jahren zum Menschen mutierte, sondern erst vor etwa fünf Millionen Jahren. Er betonte den Einfluss der Kultur in der Entwicklung des Menschen am Beispiel der Sprache: Die Fähigkeit zu sprechen ist Erbanlage, welche Sprache ein Kind lernt hingegen Kultur.
Der Humangenetiker bekannte sich außerdem zu den Perspektiven der personalisierten Medizin, warnte aber auch vor zu großen Erwartungen an die genetische Forschung etwa bei Herz-Kreislauf-Krankheiten und psychischen Störungen. »Die Komplexität ist ungeheuer«, so Sperling. »Die meisten Forschungsinvestitionen in die Krankheitsforschung sind herausgeschmissenes Geld gewesen.« Der Wissenschaftler sprach über alles das leidenschaftlich und begeistert.
Insofern war der Zweck der Veranstaltung bestens erfüllt, durch öffentliche Reklame die ganz ähnlich wie ein Pizzadienst klingende Initiative »Call a Scientist« noch bekannter zu machen. Sie ist vor allen Dingen dazu gedacht, die Wissenschaftler in die Schulen Berlins und Brandenburgs zu bringen. Dort sollen sie die Schüler von ihrer Arbeit und Forschung faszinieren. 104 freiwillige Referenten stünden zur Verfügung, sagte Dr. Norbert Gerbsch vom Biotechnologieverbund Berlin-Brandenburg (bbb), der den »Wissenschaftlerruf« Call a Scientist ins Leben rief. Etwa 170 Veranstaltungen vor 7400 Schülern habe es bisher gegeben, bilanzierte Gerbsch.
Spielraum nach oben gibt es da durchaus noch: Die Initiative war bisher an rund 35 Schulen – allein in Berlin gibt es aber weit über 200 öffentliche Schulen. »Wir sind ein kleiner Verein und leben von der Mundpropaganda«, sagte Gerbsch und appellierte an die Biologielehrer, Call a Scientist weiter bekannt zu machen.
Der Biotechnologieverbund ist somit ein gutes Beispiel dafür, dass auch ehrenamtliches Engagement die Bestrebungen der Hauptstadt flankiert, sich als führende Gesundheitsregion zu profilieren.
Berliner Senat fördert die Biotech-Industrie
Der Berliner Senat legt dabei auf die Biotechnologie ein Augenmerk, in der die Hauptstadt sich als drittes Zentrum neben München-Martinsried und Heidelberg-Rhein-Neckar weiter etablieren will. Rund 200 kleine und mittlere Biotechnologie-Unternehmen mit etwa 3700 Mitarbeitern in Produktion, Forschung und Entwicklung sind in Berlin nach Senatsangaben tätig, Pharmagrößen wie Bayer HealthCare, Pfizer und Sanofi Aventis wählten in der Hauptstadt ihren Sitz.
Damit die Profilierung auch Zukunft hat, braucht es insbesondere auch wissenschaftlichen Nachwuchs: An rund 50 Fachbereichen und Instituten in Berlin gibt es 350 wissenschaftliche Arbeitsgruppen mit über 5000 Mitarbeitern. Kein Wunder also, dass der Senat »Call a Scientist« an der Karl-Marx-Allee eine Präsentationsplattform bot. Und dass sich Professor Sperling gerne ans Kino Kosmos bestellen ließ. /