Wege aus der Burnout-Falle |
03.09.2007 15:09 Uhr |
Wege aus der Burnout-Falle
Von Christiane Berg
Erschöpft, verbittert, ausgebrannt: Burnout ist ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Ein grundlegendes Umdenken ist Therapie und beste Prophylaxe gegen das Erschöpfungssyndrom.
Zur Inzidenz und Prävalenz des Burnout-Syndroms existieren keine Zahlen. Dennoch ist das Phänomen in aller Munde. »Es ist ein öffentliches Thema, dessen Brisanz in Folge der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zunehmen wird«, sagte Professor Dr. Matthias Burisch, Hamburg, im Gespräch mit der PZ.
Noch ist das Wissen über Burnout äußerst dürftig. Kopf- und Rückenschmerzen, chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Verlust von Emotionalität und Empathie: Zwar sind in der Literatur mindestens 130 körperliche und seelische Symptome für Burnout zu finden. Keines davon ist jedoch spezifisch. »Burnout ist und bleibt eine begriffliche Qualle«, so der Psychologe und Wissenschaftler, der eine umfassende »Theorie der inneren Erschöpfung« entwickelt hat und in Deutschland zu den führenden Burnout-Experten zählt.
Existenzielle Verzweiflung
Das Erschöpfungssyndrom gilt nicht als Krankheit, sondern als mögliche Bedingung für die Entstehung von Krankheiten. Auch in der ICD-10, der im deutschen Gesundheitswesen verbindlichen 10. Auflage der »Internationalen Klassifikation der Erkrankungen und verwandter Gesundheitsprobleme«, ist Burnout nicht als definiertes Krankheitsbild genannt. Dort wird es beschrieben als »Faktor, der den Gesundheitszustand beeinflusst und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führt«.
Als »Problem mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung« wird Burnout unter dem Diagnoseschlüssel Z73.0 neben Akzentuierung von Persönlichkeitszügen mit Typ-A-Verhalten, also einem Verhaltensmuster mit starkem Erfolgsstreben, Ungeduld, Konkurrenzdenken und Druckgefühl (Z73.1), Mangel an Entspannung und Freizeit (Z72.2), Stress (Z73.3), unzulänglichen sozialen Fähigkeiten (Z73.4) und sozialen Rollenkonflikten (Z73.5) aufgelistet.
Im Leistungskatalog der deutschen Krankenkassen ist Burnout somit nicht aufgeführt. Ärzte, die Patienten mit Burnout-Syndrom behandeln, weichen bei der Abrechnung daher zumeist auf andere Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung aus.
Konkurrenz- oder Termindruck, Zeit- oder Geldmangel, Unter- oder Überqualifikation, geringe Autonomie in der Lebensplanung oder am Arbeitsplatz: Mit Burnout wird die psychovegetative Erschöpfung infolge chronischer, privat oder beruflich bedingter Überforderung umschrieben. Das aus dem Englischen übernommene Verb »ausbrennen« steht synonym für die Reaktion des Körpers auf die langfristige Einwirkung körperlicher und/oder seelischer Stressoren zumeist in Kombination mit falscher Ernährung, mangelnder Bewegung sowie übermäßigem Alkohol-, Kaffee- und Nikotinkonsum.
Burisch betont, dass es sich stets um ein sukzessives, langwieriges Krankheitsgeschehen handelt, das letztlich zur »existentiellen Verzweiflung« führt. »Der Verlauf des Erschöpfungssyndroms gleicht einem kleinen Fluss, der immer mehr Flüsse aufnimmt und sich schließlich als Strom in das Meer der Hoffnungslosigkeit ergießt«, stimmt er mit anderen Experten überein.
Verlust der Selbstregulation
Als neurobiologische Ursache des Burnout-Syndroms wird ein übersteuertes Stresssystem bei gleichzeitigem Absturz der Motivation diskutiert. Unter Kontrolle des Hypothalamus werden bei Stress im Nebennierenmark unter anderem die »Fight- and Flight«-Hormone Adrenalin und Noradrenalin sowie Cortisol freigesetzt. Sympatikotonus, Blutdruck und Pulsschlag werden erhöht, die Immunabwehr wird geschwächt. Verdauungs- und Sexualfunktionen werden vermindert beziehungsweise ausgeschaltet. In dieser Alarmphase sinken durch Einwirkung der Nebenierenrindenhormone an den Synapsen des ZNS gleichzeitig die kognitive Leistungsfähigkeit und Lebensfreude.
Bei nur kurzzeitiger Einwirkung eines Stressors folgt eine Erholungsphase, in der alle physiologischen Parameter gegebenenfalls nach einem Pendelschlag zur Gegenseite auf ihr Ausgangsniveau zurückkehren. Gibt es keine Entwarnung und fährt der Körper fortwährend im Hochleistungsmodus, so wird die so genannte Resistenzphase eingeleitet.
Eine detaillierte Fallbeschreibung von Burnout in der Mitte des Lebens lieferte bereits Thomas Mann bei der Beschreibung des Senators Thomas Buddenbrook in seinem Roman »Buddenbrooks«, erschienen 1901:
»Die phantasievolle Schwungkraft, der muntere Idealismus seiner Jugend waren dahin. Im Spiele zu arbeiten und mit der Arbeit zu spielen, mit einem halb ernsten, halb spaßhaft gemeinten Ehrgeiz nach Zielen zu streben, denen man nur einen Gleichniswert zuerkennt - zu solchen heiter-skeptischen Kompromissen und geistreichen Halbheiten gehört viel Frische, Humor und guter Mut; aber Thomas Buddenbrook fühlte sich unaussprechlich müde und verdrossen. Was für ihn zu erreichen gewesen war, hatte er erreicht, und er wusste wohl, dass er den Höhepunkt seines Lebens, wenn überhaupt, wie er bei sich hinzufügte, bei einem so mittelmäßigen und niedrigen Leben von einem Höhepunkt die Rede sein konnte, längst überschritten hatte…Der gänzliche Mangel eines aufrichtig feurigen Interesses, das ihn in Anspruch genommen hätte, die Verarmung und Verödung seines Inneren - eine Verödung, so stark, dass sie sich fast unablässig als ein unbestimmt lastender Gram fühlbar machte - verbunden mit einer unerbittlichen inneren Verpflichtung und zähen Entschlossenheit, um jeden Preis würdig zu repräsentieren, seine Hinfälligkeit mit allen Mitteln zu verstecken und die „Dehors” zu wahren, hatte dies aus seinem Dasein gemacht, hatte es künstlich, bewusst, gezwungen gemacht und bewirkt, dass jedes Wort, jede Bewegung, jede geringste Aktion unter Menschen zu einer anstrengenden und aufreibenden Schauspielerei geworden war«.
Die in dieser Phase weiterhin erhöhten Blutspiegel von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol gehen mit der zunehmenden Schwächung des Immunsystems und anhaltender Hypertonie einher. Es kommt zu entzündlichen Veränderungen der Gefäße als Vorläufer von Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall sowie ersten individuellen körperlichen Symptomen. Sie reichen von Tachykardie bei gleichzeitigem Engegefühl in der Brust oder Brustschmerz über rezidivierende Infekte bis hin zu Tics und Zähneknirschen. Das Risiko für die Entstehung von Tinnitus und Hörsturz, Rücken-, Schulter-, Nacken- und Kopfschmerzen, Obstipation und Diarrhoe, Übergewicht, Lipidstoffwechselstörungen, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren oder Diabetes mellitus steigt.
Unter chronischem Stress verliert der Organismus nach und nach seine natürliche Fähigkeit zur Selbstregulation. Dies bedeutet, dass er auch in Phasen ohne akute Belastung nicht mehr auf ein normales Ruheniveau zurückkehren kann.
Bei intensiver und langer Belastung tritt schließlich die Erschöpfungsphase ein. Die Symptome der Alarm- und Resistenzphase werden nun irreversibel. Dopamin und Serotonin als wichtige Treibstoffe für Motivation und Kreativität werden dauerhaft heruntergefahren.
Die andauernde und überhöhte Cortisol-Ausschüttung führt zur Hemmung der Neurogenese sowie zur Minderung der neuronalen Plastizität im ZNS. Die durch Stress bedingte Neurotoxizität kann nachgewiesenermaßen nicht nur eine Atrophie des Hippocampus mit Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, sondern auch psychische Symptome und Depressionen als ein »Endstadium« des Burnouts nach sich ziehen.
»Schließlich geht nichts mehr«: Burisch spricht von einem »Lebensgefühl, das dem Bild einer leer gelaufenen Batterie gleicht«. Metaphorisch steht Burnout für die zu lange und hohe Energieabgabe bei ungenügendem Energienachschub. Das ist »ungefähr so, wie wenn eine Autobatterie nicht mehr über die Lichtmaschine nachgeladen wird, dennoch aber Höchstleistungen abgeben soll«, sagt der Psychologe.
Kardiovaskuläre Verwirrung
Burnout kann zum Tod führen, wobei nicht immer eine organische Todesursache gefunden wird. Plötzlicher Tod durch berufliche Überlastung wird in Japan »Karoshi« genannt. Im Land der aufgehenden Sonne wird Karoshi seit den 70er Jahren als Endstufe einer »Berufskrankheit« anerkannt.
Der Karoshi-Begriff wurde 1982 von drei japanischen Ärzten zur Beschreibung »kardiovaskulärer Verwirrung« in Folge von Überarbeitung geprägt. Der erste Karoshi-Fall wurde 1969 beobachtet. Ein 29-Jähriger starb an seinem Arbeitsplatz im Versand einer großen japanischen Zeitung an einem plötzlichen Herzstillstand. Bei Überarbeitung als Todesursache greifen Unterhaltsforderungen der Hinterbliebenen, wenn das Opfer am Tag seines Ablebens mindestens 24 Stunden oder in der Woche vor seinem Tod jeden Tag mindestens 16 Stunden gearbeitet hat. Hatte es in der Woche vor dem Zusammenbruch einen Tag frei, so laufen Ansprüche der Angehörigen ins Leere.
Von März 2006 bis März 2007 sind gemäß einer aktuellen Pressemitteilung des japanischen Gesundheitsministeriums 355 Berufstätige durch ein Übermaß an Arbeit schwer erkrankt oder gestorben - 7,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei 147 Arbeitnehmern sind als Todesursache Schlaganfall und Herzinfarkt festgestellt worden. In 176 Fällen haben sich Menschen wegen Überforderung am Arbeitsplatz umgebracht oder einen Suizidversuch unternommen. Japan hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt.
Als Ursache für die steigende Inzidenz von Karoshi gilt der rasante wirtschaftliche Aufstieg Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Einige Burnout-Forscher verweisen auf die in Japan traditionell ausgeprägte Arbeitsdisziplin, die die japanische Gesellschaft für Karoshi als letztes Stadium von »workaholic« geradezu prädestiniere. Die in Japan grassierende Arbeitssucht beruht ihrer Meinung nach auf »inneren Zwängen«. Das japanische Personalmanagement treffe bei angestellten Mitarbeitern auf eine entsprechende Bereitschaft, die Folge des individuellen Sozialisationsprozesses des Landes ist.
Andere Wissenschaftler verweisen auf den enormen Leistungsdruck, der auf die arbeitende Bevölkerung ausgeübt wird. Danach zielen japanische Managementstrategien darauf ab, die Identität ihrer Arbeitnehmer zu »zerfressen«, so dass diese sich und ihre persönlichen Interessen gänzlich den ökonomischen Interessen der Konzerne unterwerfen. Diese Forscher sprechen von »äußeren Zwängen, die zum Raubbau am menschlichen Leben führen«.
Innere und äußere Zwänge
Ist der Arbeitgeber schuld oder der Arbeitnehmer, die Umwelt oder die Persönlichkeit? Auch in den USA oder in Deutschland gibt es einen Gelehrtenstreit über die Entstehung und Zunahme des Burnout-Syndroms.
Im Gegensatz zu amerikanischen Wissenschaftlern, die ausschließlich Außenfaktoren wie Arbeitsverdichtung und steigenden Leistungsdruck am Arbeitsplatz mit fehlendem Gemeinschaftsgefühl und ungenügender Anerkennung sowie die enorme Beschleunigung des Lebens für die Zunahme von Burnout verantwortlich machen, hält Burisch diese Sichtweise für zu einseitig. Burnout sei stets ein Zusammenspiel aus persönlichen Merkmalen und gefährdenden Umweltfaktoren. »Immer sind innere und äußere Faktoren beteiligt«.
Da, wo die inneren Faktoren und persönlichen Dispositionen soweit überwiegen, dass äußere nahezu entbehrlich werden und allenfalls noch ein äußerer Auslöser gebraucht wird, spricht er von »Selbstverbrennern« (Aktives Burnout). Am anderen Ende des Kontinuums stehen »Opfer der Umstände«, die durch diese ohne eigenes Zutun (Passives Burnout) zermürbt werden.
Wer beispielsweise unter Krankheit, Schmerz und Behinderung, Armut, (drohender) Arbeitslosigkeit, mangelnder Entscheidungsfreiheit, Isolation oder Mobbing am Arbeitsplatz leidet, dem ist selbstverständlich keine Eigeninitiative zuzuschreiben, wenn er in die Krise gerät. Gleiches gilt auch für Personen, die im fortgeschrittenen Alter auf einem alternativarmen Arbeitsmarkt den »Verschlankungs«- oder Fusionsmaßnahmen ihres Betriebs zum Opfer fallen, oder für Menschen, die während der Pflege alter (demenz-)kranker Eltern bei gleichzeitiger Berufstätigkeit Zeichen seelischer und körperlicher Erschöpfung zeigen.
Auch gibt es keinen Zweifel, dass der zunehmende Verlust von Spiritualität sowie eine unsichere Marktlage, die räumliche Flexibilität erfordert und eine »wohlbehauste« Lebens- und Familienplanung oft unmöglich macht, den Boden für Burnout bereiten. Die neuere Forschung zeigt jedoch, dass Burnout immer auch eine Folge individueller Veranlagung nicht zuletzt durch frühkindliche Prägung ist und persönliche Merkmale das »Hamsterrad der permanenten Geschäftigkeit« am Laufen halten.
Vergiftung der Lebensfreude
Frustration, Stagnation, Apathie, Fatalismus und Sarkasmus: Der Fortgang des Erschöpfungssyndroms lässt sich in charakteristische Phasen unterteilen. Erste Warnzeichen neben chronischer Müdigkeit und Energiemangel sind eingeschränktes Engagement und gegebenenfalls Reduktion der Arbeit auf »Dienst nach Vorschrift«, Distanzbedürfnis und Meidung sozialer Kontakte auch im Privatleben sowie verstärkter Rückzug mit Schuldgefühlen. Diese können sich als Schuldzuweisungen in Form von Aggressionen auch gegen andere wenden. Im weiteren Verlauf des Krankheitsgeschehens kann es zu einer generellen Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens kommen. Die nachfolgende Einsamkeit macht, soweit sie überhaupt registriert wird, für den Betroffenen alles noch aussichtsloser.
Burnout als anhaltende »Erosion von Körper und Seele« trifft besonders Menschen, die sich für Job und Familie aufreiben und dabei von »inneren Stimmen« angetrieben werden. »Sei perfekt, streng Dich an, beeil Dich, sei stark, machs jedem recht«: Die Bedeutung dieser »Antreiber« kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt Burisch. Er habe in seiner psychologischen Praxis noch keinen »Ausbrenner« gesehen, der nicht auf mindestens eine dieser fünf überstarken »Stimmen« gehört hat. Oft seien alle fünf präsent und »vergiften« die Lebensfreude.
Häufig lassen sich diese »Stimmen« denen von Lehrern, zumeist aber denen überstrenger Eltern zuordnen, deren Ge- und Verbote mit einer offen oder versteckt ausgesprochenen Drohung vermittelt wurden. Zwar ist es schwierig, in der Kindheit übernommene, langlebige Automatismen im Erwachsenenalter abzubauen: Es kann jedoch für Betroffene eine ungeheure Erleichterung sein, auf diese inneren Antreiber und ihre verheerende Wirkung aufmerksam gemacht zu werden. Mit seinen Patienten trainiert der Psychologe die Anwendung entsprechender »Gegengifte« in Gestalt von befreienden »Erlaubnissen«, die diese sich selbst geben können. Seiner Erfahrung gemäß lassen sich die inneren Antreiber so entschärfen.
Auch wenn die Vielzahl körperlicher und seelischer Symptome die Eingrenzung des Krankheitsbildes Burnout unmöglich macht, haben Menschen, die an innerer Erschöpfung leiden, in der Regel stets noch einige zusätzliche gemeinsame Merkmale. So zeigt die Beratungspraxis von Burisch, dass sie stets unter quälender innerer Unruhe leiden. Immer fühlen sie sich demoralisiert.
Sucht man nach den unmittelbaren Ursachen des Elends, stößt man unweigerlich auf charakteristische »Fallen«, in denen die Betroffenen gefangen sind. Sie sind entweder durch die Verfolgung eines unerreichbaren Zieles blockiert, das sie gleichwohl nicht fallen lassen oder bescheidener formulieren können. Oder sie verharren in einer subjektiv schwer erträglichen Situation, die sie nicht verändern können oder wollen.
Gräbt man noch tiefer, so findet man stets weitere »individuelle Dimensionen«, die zum Burnout geführt haben. »So arbeitet zum Beispiel der Arbeitssüchtige nicht einfach nur viel, er gewinnt immer seinen Selbstwert und seine Identität ausschließlich über Arbeit und Leistung«, sagt Burisch. Oftmals liegen der Arbeitssucht frühkindliche Störungen durch mangelnde Zuwendung von Eltern zugrunde, die in ihrer Kindheit wiederum meist ähnlich »konditioniert« worden sind. Solche Kinder können keinen autonomen Selbstwert entwickeln und versuchen durch Leistung die Aufmerksamkeit zu erhalten, die ihnen vorenthalten wird. Schließlich verinnerlichen sie diesen Leistungsmaßstab, der zum Verhaltensmuster wird. Ob diese Verinnerlichung zur Arbeitssucht führt, hängt vor allem davon ab, wie »erfolgreich« das Muster in der Kindheit und Jugend gelebt wurde.
Gleiches gilt für Menschen, die nicht »Nein« sagen können, sowie für Perfektionisten, die ebenfalls als Risiko-Persönlichkeiten, also besonders anfällig für Burnout gelten. Auch sie wurden in ihrer Kindheit meist nur dann von den Eltern wahrgenommen, wenn sie entsprechende Erwartungen erfüllten. Auch sie haben dieses Verhalten über Jahre erlernt und ausgebaut. Alles im späteren Leben dieser Menschen richtet sich darauf aus, stets unfehlbar zu sein und so die Bewunderung anderer zu erhalten. Die Situation wird durch Versagensangst und Rollenunsicherheit noch verschärft.
Überforderung durch Helfersyndrom
Ist als weitere Ursache für Burnout bereits 1977 von Wolfgang Schmidbauer das »Helfersyndrom« beschrieben worden, so versucht der Burnout-Gefährdete dieser Theorie entsprechend versagte Anerkennung in der Kindheit durch übermäßiges soziales Engagement im Erwachsenenalter zu kompensieren.
»Der Helfer gibt die Zuwendung, die er hätte empfangen wollen. Er versucht, sein Selbstwertgefühl durch Aufopferung und die damit verbundene Dankbarkeit des Hilfsempfängers zu stabilisieren und meidet alle sozialen Beziehungen, in denen er nicht der Gebende, der Stärkere, der Versorgende ist«, bestätigt Burisch. Stärker zu sein als andere sei Teil des narzistischen Bedürfnisses nach Sicherheit.
Früher wurde angenommen, dass Burnout in Folge des Helfersyndroms insbesondere in den »helfenden Berufen«, also bei Ärzten, Krankenschwestern und Pflegepersonal auftritt. Inzwischen wird deutlich, dass nahezu alle Berufsgruppen, hier jedoch gerade solche, in denen emotionale Zuwendung in Form von Helfen, Versorgen, Beraten, Anleiten, Heilen und Schützen eine Rolle spielt, von Burnout betroffen sein können.
»Das Burnout-Alphabet reicht von A wie Animateur und H wie Hausfrau über L wie Lehrer und M wie Mutter bis hin zu S wie Stewardess und Z wie Zahnarzt«, so Burisch. Wer zum Helfersyndrom neigt, sich psychisch also von Resonanzen bei Mitmenschen in Form von Anerkennung und Zuneigung nährt, lebe in dieser Hinsicht riskanter als etwa der Techniker, dem es primär um die Kontrolle seiner dinglichen Umwelt geht.
Der »Helfer« ist zudem noch zusätzlich gefährdet, weil das Beziehungsgefüge in den Dienstleistungsberufen oft »asymmetrisch« ist: Auch der schwierige und »pampige« Kunde, Gast, Klient oder Patient will stets nicht nur kompetent, sondern auch zuvorkommend bedient und behandelt werden. Dieses geht beim »Dienstleister« gerade in Problemsituationen mit der permanenten Verleugnung der eigenen Gefühle einher. Durch die ständige Verdrängung von Empfindungen wie Ärger, Verstimmung, Unmut, Verdruss und Wut wird sein Burnout noch forciert.
Wie generell für alle genannten Risikopersönlichkeiten ist auch für den Helfer-Typ, der der Falle des Burnout entkommen will, die Erkenntnis wichtig, dass er sein Selbstwertgefühl und seine Identität vorrangig über Leistung sowie aus »kalkulierter Empathie« bezieht. »Die damit verbundene Desillusionierung und Identifikation krank machender Bedürfnisquellen ist ein überaus schmerzlicher Prozess, der Trauerarbeit erforderlich macht«, unterstreicht Burisch. Es sei jedoch erstaunlich, wie viel Spielraum sich erschließt, wenn eingefahrene Handlungsmuster als übertriebene Jagd nach Anerkennung entlarvt werden. Der Abschied vom falschen Selbstbild macht es nicht nur möglich, unrealistische Ziele auszusortieren, sondern auch eigenen menschlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen ins Auge zu sehen und diese somit erträglich zu gestalten.
Abschied vom Selbstbild
»Zum Abschied vom gängigen Selbstbild der klassischen Heil- und Sozialberufe wird früher oder später der eklatante gesellschaftliche Wertewandel zwingen«, ist der an der Hamburger Universität forschende und lehrende Wissenschaftler überzeugt. In den letzten Jahrzehnten ist neben diesen klassischen Berufen eine Vielzahl neuer, hoch spezialisierter Professionen wie Alten-, Sprech-, Bewegungs-, Sucht-, Gestaltungs-, Beschäftigungs- und Familien-Therapeuten beziehungsweise Präventologen oder Fitness- und Wellness-Experten entstanden.
Wer sich dem komplexen Thema Burnout literarisch nähern will, findet eine eindringliche Schilderung des Erschöpfungssyndroms in dem mehrfach verfilmten Drama »Tod eines Handlungsreisenden: Privatgespräche in zwei Akten und einem Requiem« (Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2005) von Arthur Miller aus dem Jahr 1949. Noch im selben Jahr erhielt der Schriftsteller dafür den Pulitzer-Preis für Theater. Miller beschreibt das Scheitern des innerlich zerrissenen Handelsvertreters Willy Loman an seiner persönlichen Lebenslüge und einem inhumanen Wirtschaftssystem.
Um ihre Existenzberechtigung und Honorarforderungen zu legitimieren, müssen neue Professionen hohe Erwartungen an ihre Kompetenz wecken. Dabei schrecken sie laut Burisch nicht davor zurück, klassische Heilberufe zu diskreditieren. Der bislang praktizierte Omnipotenzanspruch des klassischen Heil- und Sozialberufes wird systematisch ausgehöhlt und untergraben und als nicht mehr zeitgemäß dargestellt. Allein aufgrund ihrer Standeszugehörigkeit laufen Heilberufe seiner Erkenntnis gemäß heute Gefahr, die soziale Anerkennung, das Ansehen und die Zuwendung der Öffentlichkeit zu verlieren, da diese auf Zeitströmungen unreflektiert reagiert.
Nicht nur die Statusabnahme führt zu Frustrationen. Zusätzlich erschwere bürokratische Kontrolle durch Einführung irrelevanter Erfolgskriterien unter dem Etikett »Qualitätssicherung« mehr und mehr sinnvolle Arbeit und das Erreichen selbst bescheidener Erfolge. Der Verlust an Autonomie durch Erstarkung berufsfremder Instanzen wie Politik, Krankenkassen oder Klinikverwaltungen fördert den »kollektiven Burnout«, der insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten beobachtet wird. Danach leidet jeder vierte, in manchen Fachrichtungen jeder zweite Arzt unter einem Erschöpfungssyndrom.
Klärende Bestandsaufnahme
Welche Umweltfaktoren sind beteiligt? Welche lassen sich beeinflussen, welche nicht? Wo trage ich selbst zu meinem Burnout bei? Der Psychologe rät zur »schonungslosen Bestandsaufnahme«. Nur so könne man der Burnout-Falle entkommen. Dabei ist es hilfreich, sich sozusagen »neben die Situation« zu stellen und eine klare Sicht der Dinge zu gewinnen, statt im Teufelskreis von vermehrter Anstrengung und zunehmender Irritation aufgrund nicht erfüllter Erwartungen zu verharren. Es wirke immer entlastend, wenn die Stresssituation durch die Analyse der interpersonellen Beziehungen sowie der sozialen Umweltbedingungen verstanden wird. Hieraus ergäben sich häufig schon erste Lösungsansätze.
Innerhalb der Berufsstände, deren Image durch Geben, Betreuen, Pflegen und Heilen geprägt ist, sei es sinnvoll, Möglichkeiten der Supervision zur Reflexion des heilberuflichen Handelns in Teams oder Gruppen zu schaffen. So lassen sich Erkenntnisse über gesellschaftliche Zusammenhänge, Prozesse, Werte und Normen, objektive Belastungsfaktoren, Motivation, (falsche) Rollenerwartungen, Rollenkonflikte und Rollenverhalten, Persönlichkeitsmerkmale oder die Definition von Schnittstellen, Synergien und Lösungsstrategien gewinnen.
Supervision kann diesen Berufen helfen, ein neues professionelles Gleichgewicht von gesundem und legitimem Egoismus sowie Empathie und Altruismus zu finden. Gerade in den heilenden und helfenden Berufen, so auch bei den Apothekern, müssten Supervision und Gruppen-Coaching zur Stärkung der »psychischen Selbstversorgung« daher unabdingbarer Teil der Aus- und Fortbildung sein. Hier sei noch Pionierarbeit zu leisten.
Ehrliche Analyse
Auch der Einzelne kann sich nur durch »gnadenlose Selbstanalyse« schützen. Diese Analyse ist notwendig auch und gerade angesichts der immer schneller rotierenden Konsumspirale, die zunehmend zur Selbstentfremdung führt und durch Schaffung stets neuer »Trends« zur Umsatzförderung der Unterhaltungs-, Schönheits-, Mode- und Sportindustrie selbst Alter und Freizeit unter starken Leistungsdruck setzt.
»Was will ich eigentlich (noch) im Leben?«: Ehrliche und tragfähige Antworten auf diese Frage sind nicht nur für die Burnout-Therapie, sondern auch für die Burnout-Prävention unverzichtbar. Die gründliche Kenntnis der eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Grenzen sowie spirituelle Fundierung und gegebenenfalls (Neu)definition der eigenen Rollen und Ziele gerade in der Lebensmitte fördern die Fähigkeit zur Entspannung und Regeneration. Sie führen dazu, dass sich die innere Unruhe in Gelassenheit wandelt.
Bei der Bewältigung gewollter oder ungewollter Veränderungen kann Einzel-Coaching sinnvoll sein. Entspannungstechniken wie Yoga, autogenes Training, Biofeedback und Muskelrelaxation nach Jacobson sind laut Burisch »eine gute Sache, helfen allein aber kaum und sind wenig hilfreich, wenn das Dach schon brennt«.
Burnout-Betroffene im Endstadium der inneren Erschöpfung, das durch den totalen körperlichen und seelischen Zusammenbruch gekennzeichnet ist, bedürfen stets der professionellen ärztlichen Hilfe, die auch Psycho- oder kognitive Verhaltenstherapie sowie die zeitlich begrenzte Gabe von Psychopharmaka wie Tranquilizer, Hypnotika oder Antidepressiva umfassen kann. Die Wahl des Arzneimittels richtet sich immer nach dem Beschwerdebild und dem individuellen Befinden des Patienten. Oft ist ein mehrwöchiger Klinikaufenthalt einzige und letzte Chance zum Ausstieg aus dem Räderwerk des Alltags und der negativen Sogkraft des Burnout-Syndroms.
Doch muss der Burnout-Prozess nicht zwangsläufig bis zum bitteren Ende durchlebt werden, sondern kann auch im Vorfeld konstruktiv aufgefangen werden. Äußere Fallen müssen außen gelöst werden. Bei inneren Fallen ist das Wichtigste ein Weniger an Ge- und Verboten, die schon aus der Kindheit mit herum geschleppt werden und sich längst überholt haben, also eine freundlichere und tolerantere Einstellung zu sich selbst.
Ein hoher Grad an Selbstaufmerksamkeit ist bester Schutz gegen Burnout. Burisch empfiehlt die stärkere Berücksichtigung eigener Interessen zur »Versenkung in sich selbst«. Dazu können auch das Führen eines Tagebuches oder regelmäßige Spaziergänge zählen.
Eine große Präventionschance liegt darin, sich an »Incentives«, also »Anreizhorizonten« zu orientieren, die nicht mit Belohnung durch die Erfüllung von Leistung verbunden sind, so zum Beispiel an der Natur und der Erfahrung von Meer oder Gebirge, Wiesen, Bäumen und Weite oder der Kultur und dem Genuss von Musik, Literatur und Kunst. Auch »Liebhabereien«, die sich selbst genug sind, können Frieden geben. Hilfreich kann es sein, jeden Tag einige Zeit in Stille mit sich selbst zu verbringen und sich öfter auch einmal im Nichtstun zu üben.
Um im einmal gewählten Bild zu bleiben: Es geht darum, die leer gelaufene Batterie wieder an die Lichtmaschine anzuschließen. Ob Supervision oder Einzel-Coaching, Psycho- oder kognitive Verhaltenstherapie, Pflege eines Steckenpferdes oder spirituelles Training zur Rückbesinnung auf die ureigenen inneren Kräfte: »Methode der Wahl ist die Wahl der Methode«, unterstreicht Burisch. Die Schaffung eines gesunden Gleichgewichtes von Familie, Arbeit, Freunden und körperlicher Fitness ist Lebensaufgabe, bei deren Bewältigung jeder seinen eigenen Weg beschreiten muss.
Der Weg aus dem Burnout-Tal beginnt immer mit »Ent-Täuschung«. Ein nächster Schritt ist es, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Um beruflich und privat wieder die aristotelische Mitte zwischen »Zuviel« und »Zuwenig« zu finden, ist oberste Priorität für Ausbrenner, neue Quellen der Freude zu erschließen beziehungsweise alte und verschüttete Quellen freizulegen. Der Ausstieg aus der Burnout-Falle ist schwer, zumal die Rückfallgefahr nicht zu unterschätzen ist. Er kann jedoch gelingen. Burisch: »Ausgebrannte haben den Schlüssel dazu meist selbst in der Hand. Sie müssen ihn nur nutzen«.
Burisch, M., Das Burnout-Syndrom, Theorie der inneren Erschöpfung, Springer, Heidelberg 2006.
Bergner, Th., Burnout bei Ärzten: Arztsein zwischen Lebensaufgabe und Lebens-Aufgabe, Schattauer Verlag, Stuttgart, 2006.
Schmidbauer, W., Hilflose Helfer: Über die seelische Problematik der helfenden Berufe, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
Schmidbauer, W., Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, Urban und Fischer, München 2002.
Hillert, A., Marwitz, M., Die Burnout-Epidemie: Brennt die Leistungsgesellschaft aus? C. H. Beck, München 2006.
Christiane Berg studierte Pharmazie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und wurde 1984 in der Abteilung Toxikologie des Zentrums Klinisch-Theoretische Medizin II (Leitung: Professor Dr. Otmar Wassermann) promoviert. Im selben Jahr ging sie als Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung nach Frankfurt am Main. Es folgte eine zweijährige Tätigkeit in einer Frankfurter PR-Agentur. Seit Gründung des norddeutschen Redaktionsbüros der Pharmazeutischen Zeitung 1989 lebt und arbeitet Berg in Hamburg. Die PZ-Redakteurin ist zudem Autorin von Patientenratgebern, die im Govi-Verlag erschienen sind, und schreibt regelmäßig auch für die Neue Apotheken Illustrierte und das PTA-Forum.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Christiane Berg
Alte Rabenstraße 8
20148 Hamburg
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