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Berufsdermatose

Reizende Arbeitsplätze

03.09.2007  15:09 Uhr

Berufsdermatose

Reizende Arbeitsplätze

Von Bettina Sauer

 

Friseure, Floristen, Fotolaboranten: Sie und andere Berufsgruppen haben ein hohes Risiko für Hautkrankheiten. Das muss nicht unbedingt das Aus für den Job bedeuten. Spezialsprechstunden wie an der Berliner Charité bieten Hilfe. Auch Apotheker können zum Therapieerfolg beitragen.

 

Vor zehn Jahren konnte Eleonore Jakobsen (Name geändert) ihre Hände kaum anschauen, ohne in Tränen auszubrechen. Überall, selbst an den Unterarmen, war die Haut rissig, rot und schuppig, schmerzte und juckte. Fremde zuckten zurück, wenn Jakobsen ihnen die Hand reichte. Freunde wollten nicht mehr zu ihr nach Hause kommen, schon gar nicht zum Essen. Zwar geht es ihr heute besser. Doch ihren Beruf als Friseurin, der das Leiden verursachte, musste sie damals aufgeben - Frührente mit gerade einmal 47 Jahren.

 

Um die Erkrankung unter Kontrolle zu halten, besucht Jakobsen seit fünf Jahren alle vier bis acht Wochen die Spezialsprechstunde für berufsbedingte Hauterkrankungen am Allergie-Centrum der Berliner Charité. Geleitet wird sie von der Dermatologin Professor Dr. Margitta Worm. Mehrere Universitätskliniken unterhalten solche Einrichtungen, auch niedergelassene Hautärzte können sich in diesem Bereich spezialisieren. Denn der Bedarf ist groß.

 

Hauterkrankungen führen seit Jahren die Liste der Berufskrankheiten an. 2006 machten sie nach Angaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften mit 8687 Fällen knapp 40 Prozent der insgesamt 21.854 bestätigten Berufskrankheiten aus. Damit kamen sie weit vor Lärmschwerhörigkeit und Asbestose, die mit rund 23 und 9 Prozent die Plätze 2 und 3 belegten.

 

Fast noch einmal so viele Verdachtsfälle auf eine berufsbedingte Hautkrankheit haben Dermatologen den Berufsgenossenschaften im selben Zeitraum gemeldet. »Dabei suchen längst nicht alle Betroffenen einen Arzt auf«, sagt Dr. Stephanie Soost, betreuende Assistenzärztin in der berufsdermatologischen Sprechstunde der Charité. »Die Dunkelziffer dürfte nochmals weitaus höher liegen.« Epidemiologischen Studien zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, eine Berufsdermatose auszubilden, bei sechs bis zehn Prozent. In etwa zehn Prozent der Fälle entwickeln sich wie bei Jakobsen chronische, besonders schwer therapierbare Ekzeme.

 

Gefährdete Berufsgruppen

 

Beschäftige im Friseurhandwerk sind mit Abstand am häufigsten von Berufsdermatosen betroffen. Das geht aus dem »Weißbuch Allergie in Deutschland« hervor, das die allergologischen Fachgesellschaften herausgeben. Die Autoren zählen zu den gefährdeten Berufsgruppen aber auch Konditoren und Bäcker, Köche, (Foto-)Laboranten, Floristen, Zahntechniker, Maler, Maurer und Betonbauer, Reinigungskräfte, medizinisches Personal, Kranken- und Altenpfleger. »Berufsdermatosen äußern sich in den allermeisten Fällen als Ekzem«, sagt Soost. »In der Regel tritt die Entzündung an den Händen auf, weil hier die berufliche Belastung am größten ist.«

 

Grob unterteilen Dermatologen zwei Entstehungsmechanismen. Zum einen kann eine Vielzahl von Substanzen am Arbeitsplatz eine individuelle Überreaktion des Immunsystems auslösen, die sich als allergisches Kontaktekzem äußert. Andere Stoffe schädigen die Haut direkt, mitunter reicht dazu ein einmaliger, kurzer Kontakt. Weitaus häufiger summieren sich allerdings im Berufsalltag kleine Schädigungen, bis ein sogenanntes »subtoxisch-kumulatives« oder »Abnutzungsekzem« entsteht.

 

Haut hasst häufiges Händewaschen

 

»Betroffene müssen oft viel im feuchten Milieu arbeiten, entsprechend lange feuchtigkeitsdichte Handschuhe tragen oder sehr häufig die Hände waschen«, sagt Soost. Ein solch intensiver Kontakt mit Wasser trocknet die Haut massiv aus, zerstört ihren Säureschutzmantel und die natürliche Barrierefunktion. In der Folge erhalten Allergene oder reizende Schadstoffe leichten Zutritt. »Bei den meisten Berufsdermatosen kommen unterschiedliche Auslösefaktoren zusammen und münden in einem gemeinsamen Krankheitsbild«, sagt Soost und nennt als typische Symptome Schuppen, Bläschen, Rötungen, Knötchen, nässende Stellen, Abschürfungen, Krusten, Verdickungen und tiefe Einrisse (Rhagaden). Die Betroffenen klagen über Schmerzen und Juckreiz.

 

Oft erfordern Berufsdermatosen langwierige und entsprechend teure ambulante oder gar stationäre Behandlungen, schreiben die Autoren des »Weißbuchs«. Hinzu kommen hohe indirekte Kosten durch Arbeitsausfälle und, beim Scheitern einer Therapie, womöglich Umschulungsmaßnahmen, Frühverrentung oder Arbeitslosigkeit. »All das erzeugt neben den körperlichen Beschwerden einen erheblichen Leidensdruck«, sagt Soost.

 

Mit diesem Wissen bietet sie ihren Patienten in der Sprechstunde immer auch Beratung, Ermutigung und Hilfe beim Kontakt mit den Berufsgenossenschaften und Arbeitgebern. Im Zentrum jeder Erstdiagnose steht eine ausführliche Befragung, um berufliche Zusammenhänge festzustellen. Gegebenfalls können physiologische und histologische Untersuchungen erfolgen und ein Abstrich entnommen werden, um etwa eine Pilzinfektion auszuschließen. Hinzu kommen Tests auf Allergene und Schadstoffe, die in den betreffenden Berufsgruppen häufig Hautprobleme verursachen.

 

Auslöser finden und meiden

 

Fortan kontrolliert Soost alle paar Wochen den Krankheitsverlauf am Hautzustand und legt entsprechend die Therapie bis zum nächsten Termin fest. In der akuten Phase ist meist eine antientzündliche lokale Behandlung mit Glucocorticoiden angezeigt. Sie sollten einen hohen therapeutischen Index, das heißt ein möglichst günstiges Verhältnis von Wirksamkeit und Verträglichkeit, aufweisen. Bei Ekzemen mit einem atopischen, also genetisch bedingten Krankheitshintergrund, haben sich auch neuere Immunmodulatoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus bewährt. Studien belegen zudem eine therapeutische Wirksamkeit von Retinoiden, wie Acitretin oder Alitretinoin (siehe PZ 34/07). In schweren Fällen können Ärzte eine Psoralen/UV-A-Phototherapie einsetzen, meist kombiniert mit anderen Behandlungen. Vereinzelt arbeiten sie mit systemischen Immunsuppressiva wie Ciclosporin.

 

»Schlüssel zum Erfolg jeder Therapie ist der Versuch, die Krankheitsauslöser zu identifizieren und fortan zu meiden«, betont Soost. Möglicherweise lassen sich etwa Handschuhe aus einem anderen Material verwenden, Schmiermittel mit aggressiven Inhaltstoffen austauschen oder riskante Arbeitsgebiete zeitlich reduzieren oder ganz ausklammern. Dazu bedarf es meist der Kooperation mit dem Arbeitgeber, vor der manche Betroffene jedoch aus Angst vor beruflichen Konsequenzen zurückschrecken.

 

»Einen zentralen Bestandteil jeder Therapie bilden zudem die drei Säulen aus schonender Hautreinigung, Hautschutz und Hautpflege«, betont Soost. Doch müsse sie in diesem Punkt viel Überzeugungsarbeit leisten. »Oft ist es Betroffenen etwa schwer zu vermitteln, dass sie sich mehrfach am Tag eincremen sollen. Oder sie möchten ungern auf ihre herkömmlichen Pflegeprodukte verzichten, die ihrer Haut womöglich schaden.«

 

Tipps vom Apotheker

 

Auf diesem Gebiet könnten auch Apotheker wertvolle Motivationsarbeit leisten, geeignete Hautreinigungs-, -schutz- und -pflegeprodukte auswählen und allgemeine Tipps zur Unterstützung der Heilung geben (Kasten). Auch sollten sie sich nicht scheuen, Patienten mit einem auffälligen Hautbild zum Dermatologen zu schicken. »Je früher ein Betroffener ärztliche Hilfe erhält und je konsequenter er die Therapie und die Hautschutzmaßnahmen befolgt, desto besser sind seine Aussichten auf Heilung und Berufserhalt«, sagt Soost.

 

Beim Metallschleifer Dieter Schulz (Name geändert) scheint das zu gelingen. Im vergangenen Winter wandte er sich wegen eines schweren Handekzems an den Betriebsarzt, der ihn sofort an die Charité überwies. Dort bekam er lokale Glucocorticoide verordnet, die er nun schon seit fünf Monaten nicht mehr benötigt. Obwohl sich an seinen Arbeitsbedingungen nichts ändern ließ, ist die Haut bis auf einige kleine rote Stellen abgeheilt. Geschafft hat Schulz das durch konsequente Hautschutz- und -pflegemaßnahmen. Er wird sie auch in Zukunft weiterführen müssen, um eine Neuerkrankung zu vermeiden - möglicherweise sein ganzes Berufsleben lang und mit nicht eben geringen Kosten. Das sei ihm der Erhalt seines Arbeitsplatzes wert, sagt Schulz und reicht der Ärztin zum Abschied eine makellos reine Hand.

Beratungstipps

So können Betroffene den Heilungsprozess unterstützen:

 

vor Arbeitsbeginn spezielle Hautschutzcremes auftragen und während der Arbeitszeit regelmäßig erneuern

in den Pausen und der Freizeit regelmäßig Hautpflegecremes mit Lipiden und Feuchthaltefaktoren auftragen. Sie helfen der Haut, sich zu regenerieren und ihre Barrierefunktion wiederherzustellen

Hände statt mit Seife, nur mit alkalifreien Syndets mit milden waschaktiven Substanzen reinigen

Hände nur so oft waschen wie unbedingt nötig

keine aggressiven Reinigungsprozeduren mit Bürsten oder Schwämmen

nach jedem Waschen Rückfetten mit der Hautpflegecreme

alle Reinigungs-, Hautschutz- und -pflegeprodukte sollten möglichst frei von Duft und Konservierungsstoffen sein

bis zur vollständigen Abheilung keine Ringe und Armbänder tragen

Feucht- und Nassarbeit so weit wie möglich einschränken

wenn Kontakt zu bekannten aggressiven Substanzen unvermeidlich, möglichst mit Handschuhen (Baumwollhandschuh unter Latex- oder- Gummihandschuh); bei kaltem Wetter im Freien Handschuhe tragen
alle Empfehlungen sind auch nach der Heilung langfristig zu befolgen, um einer Neuerkrankung vorzubeugen

wenn Apotheker bei ihren Kunden eine Berufsdermatose vermuten, sollten sie einen Besuch beim Dermatologen dringend empfehlen. Die Erkrankungen eignen sich so gut wie nie zur Selbstmedikation mit rezeptfreien topischen Glucocorticoiden

 

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