Fachwissen und Feingefühl |
30.08.2016 11:06 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, Tübingen / Medizin unterm Mangobaum, Pharmazie in der Palmenhütte: Arbeiten in Entwicklungsländern klingt romantisch. Doch tatsächlich sind die Aufgaben oft hart und anspruchsvoll und erfordern ebenso viel Fachwissen wie Feingefühl. Apotheker können ihre spezifischen Kompetenzen hier vielfältig einbringen. Ein Kurs an der Universität Tübingen bereitete sie darauf vor.
Der Kurs Pharmazie in Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe, der am 1. August an der Universität Tübingen startete, ist bundesweit ein Novum in der Fortbildungslandschaft. »Wir füllen mit diesem neuen Angebot offenbar eine Lücke aus«, freut sich Kursleiter Professor Dr. Lutz Heide, Direktor des Pharmazeutischen Instituts, über den großen Zustrom. »Der aktuelle Kurs war völlig überbucht.«
Die Gruppenarbeiten brachten die Kursteilnehmer in fachlichen Kontakt. Sie profitierten von den Erfahrungen und Kompetenzen ihrer jeweiligen Partner.
Foto: Uni Tübingen/Jäckle
An acht Kurstagen lernten 13 Apotheker – darunter Kollegen aus Portugal, Ägypten und Kamerun – sowie 14 Tübinger Pharmaziestudierende gemeinsam, wie Apotheker ihre spezifischen Kenntnisse in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe, also der Katastrophenhilfe, einbringen können. »Es ist ein sehr reales Problem, dass Arzneimittel in Entwicklungsländern oft nicht verfügbar sind. Und das ist für viele Menschen tödlich«, erklärt Heide. Apotheker könnten auf vielen Ebenen daran mitwirken, diesen Mangel zu beseitigen. Denn der Zugang zu Medikamenten sei zwar ein Kernanliegen, aber doch nur ein Schritt von vielen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung. »Die Menschen brauchen Medikamente in akzeptabler Qualität, und zwar kontinuierlich und aus eigener Kraft.«
Statt auf Arzneimittelspenden und Importe zu setzen, müssten die Arzneimittelproduktion und -logistik sowie die Überwachung und Qualitätskontrolle in Entwicklungsländern aufgebaut und gestärkt werden. Hier sieht Heide, der selbst zwei Jahre als Hochschullehrer in Malawi tätig war, besonders wichtige Tätigkeitsfelder für Apotheker. »Kompetenzhilfe ist viel wichtiger als die Verteilung von Arzneimitteln im Busch.«
Professor Dr. Lutz Heide mit zwei Kursteilnehmern im Labor
Foto: Uni Tübingen/Jäckle
Faszinierende Vielfalt
An diesem umfassenden Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit orientierten sich die Themen im Kurs, den Heide gemeinsam mit Apothekerin Christine Häfele-Abah leitete. Es ging um logistische Herausforderungen wie etwa rationale Arzneimittelauswahl, -beschaffung und -distribution, Richtlinien für Arzneimittelspenden und essenzielle Arzneimittel, lokale Arzneimittelproduktion sowie Qualitätssicherung, Analytik und Bekämpfung von Fälschungen.
Auch die pharmazeutische Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsmitarbeitern und Apothekern wurde angesprochen. Armutskrankheiten und Kontrolle von Epidemien sowie spezielle Herausforderungen der humanitären Hilfe ergänzten das Themenspektrum.
Was fasziniert Apotheker an solchen Aspekten fernab des Offizinalltags? Sich weiterzubilden auf dem Gebiet der internationalen Gesundheitsversorgung und neue apothekerliche Aufgaben kennenzulernen, gaben viele Kursteilnehmer als Motivation an. Auch die Vielfalt der originär pharmazeutischen Aufgaben, der kritische Blick auf Hilfsaktionen sowie der Zugriff auf neue Informationsquellen begeisterten die Anwesenden. Den intensiven Kontakt zwischen erfahrenen Kollegen und Studenten empfanden ebenfalls viele als einmalig in diesem Kurs.
Echt oder gefälscht?
Für regen Austausch unter den Teilnehmern sorgten die Gruppenarbeiten und besonders das Laborpraktikum zur Prüfung von Medikamenten. Zweierteams aus einem Studenten und einem Apotheker sollten mithilfe des sogenannten MiniLabs® klären, ob die vorgelegten Tabletten wirklich Paracetamol beziehungsweise Artemether-Lumefantrin enthalten oder gefälscht sind. Das Kleinlabor ermöglicht die Analytik von 80 verschiedenen Arzneistoffen mit relativ einfachen, aber zuverlässigen und tropentauglichen Methoden.
Den Studenten ging das Laborpraktikum naturgemäß locker von der Hand. Andere Kursinhalte, beispielsweise Aspekte der Organisation und rechtliche Regulierung, hörten sie dagegen zum ersten Mal. Die Studenten schätzten besonders, dass erfahrene Pharmazeuten ihre Auslandsarbeit exemplarisch vorstellten. Idealistische und naive Vorstellungen von Auslandsaufenthalten würden so zurechtgerückt und ganz neue Wege eröffnet. Eine Master-Studentin fasste gegenüber der PZ zusammen: »Wir lernen, wie komplex und anspruchsvoll gute Entwicklungszusammenarbeit ist und was Apotheker hier leisten können. Für mich ist nun klarer, was wirklich wichtig ist in der Arzneimittelversorgung.«
Kleine Schritte
Um Unterschiede und Verknüpfung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ging es am letzten Kurstag. In jedem Fall sei die kollegiale Zusammenarbeit mit einheimischen Organisationen essenziell, betonen Heide und Häfele-Abah. »Arbeiten Sie mit nationalen Fachkräften und unter deren Leitung.« Oft gehe es nur in kleinen Schritten voran, räumte die Apothekerin ein, aber »es geht voran«. Heide bestätigte das aus seiner Erfahrung: »Es gibt Fortschritte und es lohnt sich weiterzuarbeiten.« Wissen und Motivation dazu gab es im Tübinger Kurs reichlich. /