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Zystitis

Brennpunkt Blase

27.08.2007  12:19 Uhr

Zystitis

Brennpunkt Blase

Von Elke Wolf

 

»Wir heben unsere Gläschen auf das Wohle unserer Bläschen.« Der Erfinder dieses Trinkspruchs hat wohl weniger die Therapie einer Blasenentzündung als vielmehr seine Gaumenfreuden im Sinn gehabt. Woran der Apotheker im Beratungsgespräch denken sollte, wenn es nicht unter den Nägeln, sondern beim Wasserlassen brennt, verrät der Artikel.

 

Die Symptome sind unmissverständlich. Der Harn drängt laufend, und das fast unerträglich. Auf der Toilette kommen unter stechenden brennenden Schmerzen (Dysurie) nur ein paar Tropfen (Pollakisurie) heraus. Und die sind dann oft nicht klar und gelblich, sondern weißlich trübe. Manchmal ist auch Blut beigemischt. Die Erleichterung durch das Wasserlassen währt nur kurz, schon stellt sich der Harndrang von Neuem ein. Manchmal zieht es auch während der Miktion im Unterbauch, weil sich die Harnblase zusammenkrampft. Besonders unangenehm sind die Beschwerden am Ende des Miktionsvorgangs, wenn sich die entzündeten Schleimhäute bei der Blasenkontraktion berühren.

 

Bei Infektionen der unteren Harnwege handelt es sich häufig um eine akute unkomplizierte Blasenentzündung, auch Zystitis genannt. Und die haben meistens Frauen. Untersuchungen zeigen, dass etwa die Hälfte aller Frauen mindestens einmal im Leben mit einem Harnwegsinfekt Bekanntschaft macht. Innerhalb eines Jahres klagt jede fünfte Frau zwischen 20 und 54 Jahren über mindestens eine Episode. Meist trifft es jüngere, sexuell aktive Frauen, aber auch solche über 75 Jahre. Frauen zwischen 50 und 75 Jahren bleiben meist verschont. Einem Bumerang gleich kommt die Zystitis bei rund 20 Prozent immer wieder, und zwar mindestens zwei- bis dreimal im Jahr.

 

Dass meist Frauen betroffen sind, liegt an ihrer etwa 4 cm kürzeren Harnröhre. So finden Erreger schneller den Weg in die Harnblase und können sich dort breitmachen. Anatomisch ungünstig ist auch die Nähe von Harnröhren-, Vagina- und Darmöffnung; das erhöht die Gefahr von Schmierinfektionen. Auch Geschlechtsverkehr kann einer Blasenentzündung Vorschub leisten, was zur Bezeichnung Honeymoon-Zystitis führte.

 

Doch es gibt auch weniger romantische Gründe. Generell machen Hormonschwankungen während der Schwangerschaft oder im Klimakterium den Körper für Blaseninfektionen anfälliger. Scheidendiaphragmen und Spermizide verändern die Vaginalflora genauso wie eine mehrwöchige Antibiotikaeinnahme. Das kann das Aufsteigen der Bakterien begünstigen.

 

E. coli und Evas Erbe

 

Eine Harnwegsinfektion gehört also zu Evas Erbe - und das ist selten paradiesisch. Besonders rezidivierende Blasenentzündungen sind für jede Frau ein Gräuel. In rund 80 Prozent der Fälle ist Escherichia coli, der aus der Darmflora in die Harnwege gelangt ist, der Erreger. Etwa 10 Prozent der Infektionen werden durch Staphylococcus saprophyticus ausgelöst; seltener sind andere Enterobakterien wie Proteus mirabilis oder Klebsiellen.

 

Zu Beginn der Infektion heftet sich E. coli über das Oberflächenantigen Adhäsin Fim H an die äußersten Zellen der Blase an. Sind die Krankheitskeime erst in die Endothelzellen eingedrungen, kommt es lokal zu Entzündungsreaktionen: Leukozyten wandern ein, Entzündungsmarker vermehren sich schlagartig, die Schleimhaut schwillt an. Die betroffenen Zellen sterben ab. Schließlich blättern die Endothelzellen regelrecht ab und transportieren so die Keime in den Urin. Die abgestoßenen Zellen werden sofort ersetzt. Wegen massiver Zellabstoßung ist die Konzentration von E. coli über mehrere Tage sehr hoch.

 

Erst im letzten Jahr haben schwedische Forscher vom Karolinska-Institut in Stockholm (3) ein körpereigenes Antibiotikum entdeckt, das die Harnwege vor Infektionen in gewissem Maß schützen kann. Es handelt sich um ein kleines Eiweißmolekül namens LL-37, das von den Schleimhautzellen in der Niere, der Blase, den Harnleitern und der Harnröhre gebildet wird.

 

Für ihre Untersuchungen testete das Team um Annelie Brauner den Urin von Kindern mit und ohne Harnwegsinfekte auf antibiotische Proteine. Tatsächlich stießen sie bei den gesunden Kindern auf Spuren von LL-37, das sich an die Zellwand von Bakterien anheften und diese zerstören kann. Im Urin der infizierten Kinder fanden die Forscher deutlich höhere Konzentrationen des Proteins. Weitere Tests zeigten, dass der Abwehrstoff von den Epithelzellen produziert wird, die den Urinaltrakt auskleiden. Diese können als Reaktion auf einen Kontakt mit Bakterien innerhalb weniger Minuten die normalerweise sehr geringe LL-37-Produktion stark erhöhen. Offenbar wird die mechanische Wirkung des fließenden Urins durch LL-37 chemisch ergänzt.

 

Therapie in Eigenregie

 

Nur in unkomplizierten Fällen ist die Zystitis ein Fall für die Selbstmedikation. Das heißt, die Entzündung darf noch nicht die Nieren erfasst haben, sondern muss sich lokal begrenzt in den ableitenden Harnwegen abspielen. Das erkennt man daran, dass der Patient zwar nur unter Beschwerden Wasser lassen kann, ansonsten aber wenig in Mitleidenschaft gezogen ist und beispielsweise kein Fieber hat. Alarmsignale, die auf eine aufsteigende Infektion hindeuten, sind:

 

hohes Fieber, eventuell mit Schüttelfrost;

starkes allgemeines Krankheitsgefühl;

blutiger Urin;

dumpfe, starke Schmerzen in der Nierengegend;

Übelkeit und Erbrechen;

extreme Schmerzen und Krämpfe beim Wasserlassen.

 

Im Beratungsgespräch muss der Apotheker danach fragen, wie lange die Miktionsbeschwerden bereits andauern. Wer länger als fünf Tage darunter leidet, gehört zum Arzt. Genauso wie der, dessen Harn verfärbt oder blutig ist. Die Fünf-Tage-Regel gilt auch für die Selbsttherapie mit Pflanzenextrakten! Bei der Abgabe eines Blasentees oder eines Phytopharmakons ist die Selbstmedikation immer auf maximal fünf Tage zu begrenzen.

 

Auch erkrankte Männer und Kinder sind generell an den Arzt zu verweisen. Männer haben nur selten eine Blasenentzündung und wenn, dann meist in höherem Lebensalter, weil der Harn aufgrund einer vergrößerten Prostata nur schwer abfließen kann. Der Restharn bietet ideale Brutbedingungen für Bakterien. Kinder mit Harnwegsinfekten müssen grundsätzlich zum Arzt, da anatomische oder funktionelle Anomalitäten mit Harnabflussstörungen bei Kindern relativ häufig vorkommen.

 

Ansonsten sind auch Schwangere, Diabetiker, Immunsupprimierte oder Patienten mit Niereninsuffizienz keine Kandidaten für eine Selbstmedikation. Bei Schwangeren besteht relativ leicht die Gefahr einer Nierenbeckenentzündung. Diabetiker sind besonders anfällig für Harnwegsinfekte, weil ihre Immunantwort oft vermindert ist und eventuell eine Glukosurie besteht. Eine diabetische Nephropathie kann den Abfluss des Harns stören.

 

Abwarten und Tee trinken

 

Repräsentative Umfragen zeigen, dass viele Betroffene versuchen, sich selbst mit Hausmitteln zu kurieren. Falls überhaupt ein Arzt aufgesucht wird, warten die Patienten oft erst mehrere Tage, ob die Beschwerden nicht von allein wieder verschwinden. In dieser Zeit ist Apothekers Rat sehr gefragt. Im Beratungsgespräch sollte er auf die Gutartigkeit der Erkrankung, aber auch auf die Gefahr von Rezidiven hinweisen. Diverse nicht medikamentöse Maßnahmen begleiten die Therapie und eignen sich zur Vorbeugung (Kasten). Wenn die Symptome erneut auftreten, ist ein Arztbesuch zwingend erforderlich.

Ohne Wasser läuft nichts

Prophylaxe und Therapiebegleitung in einem: Folgende Verhaltenstipps sollten sich Patienten mit Blasenentzündung zu Herzen nehmen. Sie helfen, sich vor einem Infekt zu wappnen oder diesen so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

 

Täglich mindestens zwei Liter Flüssigkeit trinken; dies spült Blase und Harnleiter durch und lässt aufsteigenden Keimen keine Chance. Kontraindikation: Patienten, die aufgrund einer Herz- oder Niereninsuffizienz Ödeme haben.

Die Blase regelmäßig und vollständig entleeren. Der Gang zur Toilette sollte nicht zu lange hinausgezögert werden.

Sowohl nachlässige als auch übertriebene Genitalhygiene zerstört die Vaginalflora. Hände weg von Intimsprays oder Scheidenspülungen.

Nach dem Toilettengang die Genital- und Analregion immer von vorn nach hinten reinigen, um Schmierinfektionen zu vermeiden.

Eventuell das Kontrazeptivum wechseln; Scheidendiaphragmen und Vaginalspermizide können die physiologische Abwehrfunktion in der Vagina aus dem Gleichgewicht bringen.

Auf Liebeslust folgt oft Blasenfrust: Geschlechtsverkehr erhöht die Gefahr einer Harnwegsinfektion. Deshalb steht danach sofort der Gang zur Toilette an.

Wer bereits Schmerzen hat, der empfindet Wärme als angenehm. Eine Wärmflasche oder ein erwärmtes Kirschkernsäckchen auf dem Unterleib entspannen.

Gut sind auch feuchte Wickel. Dazu ein feuchtes, warmes Handtuch auf den Unterleib legen und darüber die Wärmflasche. Ganz wichtig: Bettruhe. Und nicht etwa mit Wärmflasche oder feuchtem Wickel vor dem Computer weiterarbeiten.

Großmutters Rat kommt nicht von ungefähr: Wer zu wiederkehrenden Infekten neigt, der sollte Unterkühlung in jeglicher Form vermeiden. Also nach dem Schwimmen den nassen Badeanzug gegen einen trockenen tauschen, nur auf warmem Untergrund sitzen, sich möglichst mit einem Kissen behelfen, kalten Füßen mit Strümpfen vorbeugen und Belüftungen von unten, zum Beispiel in Büroräumen, abdecken.

 

Wer die typischen Anzeichen bemerkt, sollte schleunigst reagieren. Am besten ist es, eine große Kanne ungesüßten Blasen-Nieren-Tee zu kochen und sich mit einer Wärmflasche ins Bett zu legen. Pflanzliche Aquaretika durchspülen die Harnwege und helfen, pathogene Keime auszuschwemmen. Sie steigern die Harnausscheidung im Sinne einer Verdünnungsdiurese. Pflanzliche Aquaretika greifen im Gegensatz zu den Diuretika nicht in den Elektrolythaushalt ein, sondern wirken, indem sie die Nierendurchblutung erhöhen, die glomeruläre Filtrationsrate steigern und die Wasserrückresorption im Sammelrohr hemmen.

 

Zum Einsatz kommen Birkenblätter, Goldrutenkraut, Orthosiphonblätter, Hauhechelwurzel, Brennnesselkraut, Schachtelhalmkraut, Queckenwurzelstock und Löwenzahnwurzel mit Kraut. Zu bevorzugen sind Teezubereitungen (zum Beispiel Harntee 400 TAD® N, Hevert® Blasen-Nieren-Tee N), doch auch feste Darreichungsformen sind im Handel (zum Beispiel Canephron® S Solidago, Cystinol long® Kapseln, Urorenal®). Aber auch dann ist reichlich zu trinken. Als wirksame Inhaltsstoffe werden hauptsächlich Flavonoide und Triterpensaponine diskutiert. Dem ethanolischen Extrakt aus Goldrutenkraut schreibt man zusätzlich eine spasmolytische Wirkkomponente zu.

 

Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamts hat den genannten Drogen ein positives Zeugnis ausgestellt. Doch wissenschaftlich valide Daten sind Mangelware. Kritiker reduzieren die Wirkung denn auch auf die zugeführte Flüssigkeitsmenge. Nichtsdestotrotz: Die guten Erfahrungen, die Betroffene in der Praxis gemacht haben, dürften den Einsatz der Phyto-Aquaretika rechtfertigen.

 

Blätter für die Blase

 

Unter den pflanzlichen Harnwegsdesinfizienzien gibt es nur eine in der Praxis ernst zu nehmende Droge, nämlich die Blätter der Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi), auch wenn ihr Studienmaterial genauso dünn ist wie das der Phyto-Aquaretika. Die Kommission E und die ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) empfehlen die Extrakte der Bärentraubenblätter zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte. Sie sollten immer mit einem pflanzlichen Aquaretikum kombiniert werden, weil dies den Selbstreinigungsprozess unterstützt und durch die antibakterielle Wirkung eine Keimreduktion erreicht wird.

Knackpunkt alkalischer Harn

Damit freies Hydrochinon aus den Extrakten der Bärentraubenblätter gebildet werden kann, muss der Harn schwach basisch sein. Da sein pH-Wert physiologischerweise zwischen 5 und 7 liegt, muss man mit der Ernährung nachhelfen. So alkalisiert ein hoher Anteil an pflanzlicher Nahrung den Harn. Ein Viertel Teelöffel Natriumhydrogencarbonat, aufgelöst in einem Glas Wasser, oder die Einnahme von Mineralstoffpräparaten (zum Beispiel Basica®) führt zum gleichen Ziel. Mit Indikatorpapier (zum Beispiel Uralyt®, Neutralit®) lässt sich der pH-Wert kontrollieren. Während der Einnahme Arbutin-haltiger Arzneimittel kann sich der Urin grün bis blaugrün verfärben.

 

Doch Vorsicht: Alkalischer Urin fördert das Wachstum von Bakterien und greift das Harnwegsepithel an. Zudem haben Keime aus der Gattung Proteus eine Urease, die Harnstoff in Ammoniak spaltet und den Harn-pH-Wert zusätzlich anhebt. Die Alkalisierung des Harns ist daher genau wie die Anwendung von Bärentraubenblättern auf wenige Tage zu begrenzen. Saurer Harn hemmt dagegen das Wachstum vieler pathogener Keime, weshalb besonders bei Rezidiven der Harn mit Methionin (Beispiel: Acimethin®) leicht sauer eingestellt werden kann.

Der wichtigste und für die desinfizierende Wirkung verantwortliche Inhaltsstoff ist Arbutin beziehungsweise sein Aglykon Hydrochinon. Es gehört zur Gruppe der Phenolglykoside. Nicht zu unterschlagen ist auch der mit 20 Prozent recht hohe Gehalt an Gerbstoffen. Diese verursachen den bitteren Geschmack der Droge und wirken adstringierend.

 

Bereits während der Magen-Darm-Passage wird Arbutin durch β-Glucosidasen der Darmflora zu Hydrochinon und Glucose hydrolysiert. Nach Resorption wird Hydrochinon rasch an Glukuron- und Schwefelsäure gebunden und als Glukuronid oder Schwefelsäureester renal ausgeschieden. Alkalischer Harn (pH über 8) verseift die Konjugate, sodass freies antibakteriell wirksames Hydrochinon entsteht. Diskutiert wird, dass das Hydrochinonglukuronid im Harntrakt auch von bakteriellen β-Glukuronidasen gespalten wird, wodurch die antibakterielle Wirkung erhöht wird. Nachgewiesen ist, dass E. coli Hydrochinon freisetzen kann.

 

Apotheker sollten Arzneimittel empfehlen, die den von der Kommission E geforderten hohen Gehalt an Arbutin aufweisen: Einzeldosis von 100 bis 210 mg und Tagesdosis von 400 bis 840 mg Hydrochinon-Derivate, berechnet als wasserfreies Arbutin (zum Beispiel Arctuvan® oder Cystinol akut®).

 

Bei der Abgabe von Bärentraubenblätter-Tee sollte der Apotheker auf die richtige Zubereitung hinweisen. Ein wie üblich gekochter Tee enthält sehr viele Gerbsäure, die bei Patienten mit empfindlicher Magenschleimhaut Übelkeit und Erbrechen auslösen kann. Dagegen enthält ein Kaltmazerat bei annähernd gleichem Arbutingehalt weniger Gerbstoffe. Dazu werden 3 g Droge pro 150 ml kaltem Wasser mehrere Stunden angesetzt, gelegentlich umgerührt und nach kurzem Erhitzen abgeseiht. Von diesem Tee sollten die Patienten bis zu viermal täglich eine Tasse trinken.

 

Die Kommission E empfiehlt vorsorglich, Arbutin-haltige Arzneimittel ohne ärztlichen Rat nicht länger als eine Woche und höchstens fünfmal jährlich einzunehmen. Diese Anwendungsbeschränkung geht auf Untersuchungen mit einem Hydrochinon zurück, das in vitro in größeren Mengen mutagene Effekte zeigte. Nach der Gabe eines hoch dosierten Bärentraubenblätterextraktes enthält der Harn jedoch nachweislich so geringe Mengen an freiem Hydrochinon, dass zwar die antibakterielle Wirkung gegeben ist, aber weder ein mutagenes noch kanzerogenes Risiko besteht.

 

Bei krampfartigen Schmerzen im Unterbauch senken Spasmolytika wie Butylscopolamin (zum Beispiel Buscopan®) oder Flavoxat (zum Beispiel Spasuret®) den erhöhten Tonus der überaktiven Blasenmuskulatur. Doch Vorsicht: Spasmolytika haben eine Reihe von Kontraindikationen, so Blasenentleerungsstörungen, Engwinkelglaukom, Refluxösophagitis oder eine Verengung oder Verschluss der ableitenden Harnwege.

 

Meist genügt Kurzzeit-Antibiose

 

Richten Phytopharmaka nichts aus, nehmen Antibiotika über drei Tage den Kampf mit den Erregern auf. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zu Harnwegsinfektionen (5) nennt Trimethoprim (zum Beispiel Infectotrimet®) und Nitrofurantoin (zum Beispiel Uro-Tablinen®) als Arzneistoffe der ersten Wahl. Beide sind gut verträglich, die körpereigene Bakterienflora wird wenig beeinträchtigt.

 

Die Kombination von Trimethoprim mit Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol, zum Beispiel in Cotrim®, Kepinol®, Eusaprim®) wirkt nicht besser als die Monosubstanz. Jedoch birgt Cotrimoxazol durch den Sulfonamidanteil ein höheres Risiko von Nebenwirkungen. Besonders allergische Hautreaktionen sind zu nennen, die bei etwa 4 Prozent aller Patienten auftreten, außerdem seltene, aber gefährliche Arzneimittelreaktionen wie Hypoglykämien. Außerdem ist der Selektionsdruck für resistente Keime höher als bei der Verwendung der Monosubstanz.

 

Zu den Arzneistoffen der zweiten Wahl gehören die Cephalosporine, Amoxicillin, Fluorochinolone und Fosfomycin-Trometamol. Cephalosporine wie Cefaclor (zum Beispiel Infectocef®) oder Cefixim (zum Beispiel Suprax®) sind Breitspektrumantibiotika, die auch der physiologischen Vaginal- und Darmflora zusetzen und somit einer Kolonisation durch Enterobakterien oder Candida albicans Vorschub leisten. Zudem eignen sie sich nicht für eine Kurzzeittherapie. Amoxicillin ist aufgrund von Erregerresistenzen nicht selten unwirksam. Außerdem erreicht es nur kurzfristig hohe Urinkonzentrationen und ist daher für eine Kurzzeittherapie nicht geeignet.

 

Fluorochinolone wie Norfloxacin (zum Beispiel Barazan®), Ciprofloxacin (zum Beispiel Ciprobay®) oder Levofloxacin (zum Beispiel Tavanic®) sind zwar wirksam, werden in der Leitlinie jedoch als Reserveantibiotika bezeichnet. Sie sollten nicht routinemäßig verordnet werden. Fosfomycin (zum Beispiel Monuril®) ist als Einzeldosistherapie wirksam und gut verträglich. Allerdings empfiehlt die Leitlinie, Fosfomycin nicht zur Behandlung von Harnwegsinfektionen in der Allgemeinmedizin einzusetzen. Es wird als Reserveantibiotikum gegen lebensgefährliche Staphylokokkeninfektionen gebraucht.

 

In der Regel genügt es, die Antibiotika bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen drei Tage einzunehmen. Die Erfolgsrate liegt bei rund 90 Prozent. Die Therapie über fünf oder mehr Tage schlägt nicht bei mehr Frauen an, aber die Eradikation der Bakterien ist effektiver. Aber ob Restbestände an Erregern zu häufigeren Rückfällen führen, ist nicht sicher. So jedenfalls das Ergebnis von Forschern der Cochrane Collaboration (10), die für eine systematische Übersicht insgesamt 32 Studien mit insgesamt 9605 Frauen ausgewertet haben.

Zystitis mit vielen Unbekannten

Die Ursache ist unbekannt, die Behandlung gestaltet sich schwierig: Die Interstitielle Zystitis (Englisch: Interstitial Cystitis, IC) gibt der Medizin Rätsel auf. Anders als bei der akuten oder rezidivierenden Blasenentzündung sind Bakterien nicht die Auslöser. Die IC lässt sich auch nicht durch einfache Untersuchung des Urins diagnostizieren und spricht nicht auf Antibiotika an. Allein die Symptome sind ähnlich. Charakteristisch sind ausgeprägte Schmerzen in der Blasengegend sowie enormer Harndrang, Miktion mit nur wenigen Tropfen sowie eine kleine funktionelle Harnblasenkapazität. Grundsätzlich sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen.

 

Einige Patienten haben zusätzlich Muskel- und Gelenkschmerzen, Migräne, Allergien, Dickdarm- und Magenprobleme. In rund 40 Prozent der Fälle liegen Autoimmunerkrankungen wie Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Sklerodermie oder Hashimoto-Thyreoiditis vor. Die IC könnte also eine begleitende Autoimmunreaktion der Harnblase bei chronisch entzündlichem Geschehen sein.

 

Grund für die schier unerträglichen Schmerzen ist ein Defekt des Blasenmucus. Weil Urin in tiefere Harnblasenwandschichten eintritt, nimmt die Zahl aktivierter Mastzellen und Nervenzellen im Detrusor zu. Der Hauptgrund für die starken Schmerzen ist das im Urin vorhandene Kalium.

 

Die therapeutischen Möglichkeiten sind reichlich krückenhaft. Man versucht es mit analgetischen, lokalanästhetischen, antidepressiven, antiphlogistischen, muskelrelaxierenden, sedierenden und spasmolytischen Arzneistoffen. Doch auch mit Opioid-Analgetika erzielt man nicht in jedem Fall Schmerzfreiheit. Bei zusätzlicher Applikation von Gleichstrom erhöht sich der Therapieerfolg auf 70 bis 80 Prozent. Substanzen wie Chondroitinsulfat, Hyaluronsäure oder Pentosanpolysulfat sollen die Mucusschicht der Harnblase regenerieren. Mit der hyperbaren Sauerstofftherapie konnte man erste Erfolge bei kleinen Patientengruppen erzielen. Einige Patienten müssen operiert werden. Doch nur selten kann die Erkrankung geheilt werden.

Antibiotika im Dauereinsatz

 

Schlagen die Bakterien zurück, sind zwei Situationen zu unterscheiden. Beschwerden innerhalb von 14 Tagen beruhen auf einer Persistenz der Erreger, auch wenn die Therapie zunächst erfolgreich war. Dann sollte ein anderes Antibiotikum für zehn Tage zum Einsatz kommen. Bei einem erneuten Rezidiv rät die Leitlinie, eine Kultur anzulegen und eine Sonographie durchzuführen. In über 90 Prozent der Fälle stecken jedoch hinter Rezidiven Neuinfektionen; Darm- und Vaginalflora bilden hierfür das Erregerreservoir. Neuinfektionen treten nach mehr als 14 Tagen auf und werden wieder mittels Kurzzeitantibiose behandelt. Ein Wechsel des Medikaments ist nicht notwendig, da meist ein identischer Keim mit unveränderter Resistenzlage vorliegt.

 

Bei mehr als drei Blasenentzündungen im Jahr sollte der Urologe prüfen, ob Anomalien der Harnwege vorliegen. Besteht zwischen Beschwerden und Geschlechtsverkehr ein zeitlicher Zusammenhang, kann die Frau, falls postkoitale Miktion nicht ausreicht, 100 mg Trimethoprim jeweils nach dem Geschlechtsverkehr einnehmen. Auch eine Langzeittherapie mit 50 mg Trimethoprim oder Nitrofurantoin pro Tag für sechs Monate, falls nötig auch für mehrere Jahre, ist möglich. Frauen in den Wechseljahren können es mit einer Estrogensubstitution versuchen.

 

Preiselbeeren und Impfung

 

Als Hausmittel gegen wiederkehrende Blasenentzündungen gilt seit jeher der Saft aus Preisel- und Moosbeeren. Letztere sind die nordamerikanischen und kanadischen Verwandten der hiesigen Preiselbeere, besser bekannt als Cranberrys. Beide sollen helfen, den Infekten vorzubeugen, auch wenn die Leitlinie ihre Wirksamkeit als »nicht ausreichend« belegt bezeichnet.

 

Dennoch gibt es wissenschaftliche Indizien, dass Extrakte der Cranberrys (zum Beispiel Tuim® urofemin) sowie Preiselbeersaft (Preiselbeermuttersaft) die Infektionsrate senken können. So verbesserte in einer finnischen Untersuchung (10) die tägliche Einnahme von 50 ml Preiselbeersaft die Rezidivwahrscheinlichkeit um 56 Prozent. Die Forscher vermuten, dass die Tannine im Saft die Adhäsion der E.-coli-Bakterien am Uroepithel hemmen und damit deren Vermehrung im Harntrakt eindämmen. Anthocyane im Saft wirken antioxidativ und stärken das lokale Abwehrsystem.

 

Auch Bakterienextrakte kommen in der Leitlinie nicht gut weg. Dennoch gibt es in der Praxis gute Erfahrungen mit einem rezeptpflichtigen oralen (zum Beispiel Uro-Vaxom®) und einem intramuskulär zu verabreichenden Impfstoff (zum Beispiel StroVac®). Beide sollen nach mehrmaliger Gabe die immunkompetenten Zellen stimulieren und die lokale Immunantwort in den Harnwegen stärken. Während der Schluckimpfstoff lysierte immunaktive Fraktionen aus ausgewählten E.-coli-Stämmen enthält, basiert die zu injizierende Vakzine aus einer Mischung inaktivierter Keime (E. coli, Proteus, Klebsiellen, Enterococcus und Morganella). Beide Impfstoffe können entweder mit Antibiotika kombiniert oder auch prophylaktisch gegeben werden. Dazu ist nach einem bestimmten initialen Impfschema nach einer gewissen Zeit eine Auffrischung nötig. Beide Impfstoffe sind gut verträglich.

 

Langsam kommen Wissenschaftler dem bakteriellen Versteckspiel auf die Schliche. Relativ neue Forschungsergebnisse erklären, warum so manche Antibiotikatherapie nur kurz von Erfolg gekrönt ist. Und vielleicht ergeben sich durch die neuen Erkenntnisse auch neue Behandlungsansätze.

 

Bakterielles Versteckspiel

 

Welche Taktik sich die Bakterien in der Blase zu eigen machen, hat ein Forscherteam von der Washington University School of Medicine (1) aufgedeckt. Dazu arbeiteten sie mit Knock-out-Mäusen, denen die Immunkomponente für den anfänglichen Angriff auf die Eindringlinge fehlt. Mit pathogenen Bakterien infiziert, lieferten die Blasen der Nager nach 24 Stunden ein ungewohntes Bild. Innerhalb der Endothelzellen, die von E.-coli-Bakterien heimgesucht wurden, hatten sich Vesikel gebildet, die den Bakterien als Unterschlupf dienten. Im Vergleich zu normalen Mäusen hatten diese Tiere zehnmal so viele Vesikel ausgebildet. Strukturuntersuchungen zeigten, dass die Bakterien ein regelrechtes Gerüst aufbauten, ein insgesamt als Biofilm bekanntes Phänomen. Dieser Film bietet den Keimen Schutz vor dem Antibiotikaangriff. Manchmal befreien sich einige Erreger erst nach Monaten aus dem sicheren Reservoir und rufen erneut Beschwerden hervor.

 

Noch detaillierter sind die Beobachtungen, die das Forscherteam um Brian Bishop von der Duke-Universität Durham, North Carolina (4), vor wenigen Wochen in Nature Medicine online veröffentlichte. Es fand heraus, dass die Bakterien, um in der Harnblase verbleiben zu können, den Mechanismus ausnutzen, mit dem sich die Blase bei Bedarf dehnt. Als Reaktion auf steigende Urinmengen wird innerhalb der Endothelzellen vermehrt cAMP gebildet. Dieses sorgt dafür, dass kleine Vesikel aus dem Zellinneren an die Oberfläche wandern, wo sie mit der Zellmembran fusionieren und diese vergrößern. Dies geschieht, während sich die Blase dehnt.

 

Sinken nach dem Entleeren der Blase die cAMP-Spiegel, werden die Vesikel wieder eingezogen und zurück ins Innere der Zellen gelotst. Das ist der Startschuss für die Bakterien: Sie schlüpfen beim Einziehen in die Vesikel hinein und gelangen so ins Zellinnere, wo ihnen Antibiotika nichts mehr anhaben können. Diesen Kreislauf konnten die Forscher mit dem Diterpen Forskolin unterbrechen. Forskolin aus der indischen Heilpflanze Coleus forskolii erhöht die cAMP-Spiegel. Dadurch kehren die mit Bakterien gefüllten Vesikel an die Zelloberfläche zurück, und die Bakterien können mit dem Urin ausgeschwemmt werden. Eine Forskolin-Injektion reduzierte bei Mäusen mit Blasenentzündung die Mikrobenmenge im Vergleich zu unbehandelten Artgenossen um etwa achtzig Prozent, berichten die Forscher. Vielleicht könnte damit in Zukunft eine Antibiotikabehandlung effektiver gemacht werden.

Literatur

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Anderson, G., et al., Intracellular bacterial biofilm-like pods in urinary tract infections. Science 301 (2003) 105-107.

Avorn, J., et al., Reduction of bacteriuria and pyuria after ingestion of cranberry juice. JAMA 271 (1994) 751-754.

Brauner, A., et al., The antimicrobial peptide cathelicidin protects the urinary tract against invasive bacterial infection. Nature Medicine 12 (2006) 636-641.

Bishop., B., et al., Cyclic AMP ­ Regulated exocytosis of E. coli from infected bladder epithelial cells. Nature Medicine, Online-Vorabveröffentlichung, 8. 4. 2007.

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Ehmer, I., Blasenentzündungen, Blasenschmerzen: Damit müssen Sie nicht leben! Zuckschwerdt-Verlag, Germering 2004.

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Jepson, R. G., Mihaljevic, L., Craig, J., Cranberries for preventing UTI. Cochrane Review. Cochrane Library 1999, Issue 1.

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Walker, E. B., Cranberry concentrate: UTI prophylaxis. J. Fam. Pract 45 (1997) 167-168.

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Die Autorin

Elke Wolf studierte Pharmazie in Frankfurt am Main. Die Approbation als Apothekerin erfolgte 1995 im Anschluss an das praktische Jahr in einer öffentlichen Apotheke und in der pharmazeutischen Industrie bei der damaligen Sandoz AG in Nürnberg. Nach einem Praktikum und einem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung schreibt sie seit 1997 als freie Journalistin für Fach- und Publikumsmedien sowie für die Industrie. Die PZ-Leser kennen Frau Wolf seither als Autorin zahlreicher spannender Titelbeiträge.

 

 

Anschrift der Verfasserin:

Elke Wolf

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63322 Rödermark

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