Amoxicillin |
Amoxicillin wird von allen Antibiotika in Deutschland am häufigsten zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. Die Gründe dafür sind ein breites Wirkspektrum bei häufigen bakteriellen Infektionskrankheiten, die orale Bioverfügbarkeit und die gute Verträglichkeit des Penicillins.
Amoxicillin ist ein Breitbandantibiotikum, das bei diversen bakteriellen Infektionen der Atemwege (Sinusitis, Tonsillitis, Pharyngitis, Bronchitis, ambulant erworbene Pneumonie) und des Mittelohres, des Harntrakts (Zystitis, Pyelonephritis, asymptomatische Bakteriurie in der Schwangerschaft), des Magen-Darm-Trakts (Eradikation von Helicobacter pylori), von Knochen, Gelenken und Gelenkprothesen, Haut- und Weichteilinfektionen sowie unter anderem bei Zahnabszessen, Lyme-Borreliose und zur Prophylaxe einer Endokarditis eingesetzt wird. Verglichen mit den Benzylpenicillin hat es ein breiteres Wirkspektrum im gramnegativen Bereich, was durch die Einführung einer Aminogruppe in α-Position erreicht wurde.
Verfügbar sind Amoxicillin-Monopräparate in Form von Filmtabletten und Trockensaft sowie Fixkombinationen mit dem β-Lactamase-Hemmer Clavulansäure und mit dem β-Lactamase-festen Antibiotikum Flucloxacillin. Dosierung und Dauer der Therapie richten sich nach der Indikation. Übliche Amoxicillin-Dosen bei Erwachsenen sind 250 mg bis 1 g alle acht Stunden, kurzzeitig sind aber auch deutlich höhere Dosen möglich. Ab einem Körpergewicht von 40 kg erhalten Kinder die Erwachsenendosis. Leichtere Kinder bekommen 20 bis 100 mg pro kg und Tag, aufgeteilt auf zwei bis drei Dosen.
Penicilline wie Amoxicillin wirken bakteriostatisch, das heißt, sich teilende Bakterien werden abgetötet, ruhende jedoch nicht. Sie stören die Zellwandsynthese durch Hemmung der Transpeptidase und anderer Penicillin-bindender Proteine, die am Aufbau der Mureinschicht aus Peptidoglycanen beteiligt sind. In der Folge kommt es zu einer Deformierung und Lyse der Zellwand und die Bakterienzelle stirbt ab. Da gramnegative Bakterien eine sehr viel dünnere Mureinhülle haben als grampositive, ist die Wirksamkeit der Penicilline im gramnegativen Bereich begrenzt. Menschliche Zellen haben keine Zellwand, was die gute Verträglichkeit der Penicilline erklärt.
Charakteristisches Strukturmerkmal der Penicilline ist der viergliedrige β-Lactam-Ring. Weitere Antibiotika-Klassen mit diesem Ring sind die Cephalosporine und die Carbapeneme. Auch Hemmstoffe der β-Lactamasen, bakterieller Enzyme, die den β-Lactam-Ring öffnen und so die Antibiotika unwirksam machen, enthalten einen β-Lactam-Ring. Sie wirken selbst nicht bakteriostatisch, sondern binden irreversibel an die β-Lactamase und blockieren sie dadurch. Zusammen mit einem β-Lactam-Antibiotikum verabreicht können β-Lactamase-Hemmer das Wirkspektrum deutlich erweitern.
Durchfall, Übelkeit und Hautausschlag sind die häufigsten Nebenwirkungen von Amoxicillin. Bei dem Hautausschlag handelt es sich um ein pseudoallergisches Exanthem. Das Risiko ist bei viralen Infekten erhöht. Deshalb darf etwa bei bakteriellen Superinfektionen des Pfeifferschen Drüsenfiebers kein Amoxicillin gegeben werden.
Auch Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock sind möglich. In Deutschland zählt Amoxicillin laut einem Artikel im »Deutschen Ärzteblatt« aus dem Jahr 2018 »zu den zehn Wirkstoffen mit der höchsten Berichtsrate für anaphylaktische Reaktionen« (DOI: 10.3238/PersPneumo.2018.06.15.005). Absolut betrachtet sind solche Reaktionen aber sehr selten. Die Autoren des Artikels empfehlen Patienten mit vermuteter »Penicillinallergie«, diese allergologisch überprüfen zu lassen. Vielfach bestätige sich der Verdacht nämlich nicht, sodass ein Ausweichen auf andere, meist schlechter verträgliche Antibiotika im Zweifelsfall vermieden werden könne.
Amoxicillin kann während der Schwangerschaft angewendet werden. Da der Wirkstoff in geringem Umfang in die Muttermilch übergeht, sind bei gestillten Säuglingen unerwünschte Wirkungen wie Durchfall oder Pilzinfektionen der Schleimhäute möglich, wenn die Mutter mit Amoxicillin behandelt wird. Eine vorherige Nutzen-Risiko-Abwägung ist daher vonnöten; eventuell muss abgestillt werden.
Vorsicht ist geboten, wenn Gicht-Patienten mit Amoxicillin behandelt werden sollen. Denn sowohl das Urikosurikum Probenecid als auch das Urikostatikum Allopurinol können mit Amoxicillin wechselwirken: Probenecid senkt die tubuläre Sekretion des Antibiotikums und kann so die Blutspiegel steigen lassen, Allopurinol erhöht die Wahrscheinlichkeit allergischer Hautreaktionen. Ebenfalls nicht empfohlen wird die gleichzeitige Anwendung von Amoxicillin mit Tetrazyklinen – die antibakterielle Wirkung wird abgeschwächt – und von Methotrexat (MTX) – die Ausscheidung von MTX wird verringert und so die Toxizität erhöht. Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten einnehmen, sollten während einer Amoxicillin-Therapie ihren INR-Wert sorgfältig überwachen.
Die Geschichte von Alexander Fleming und seiner kontaminierten Staphylokokken-Kultur, anhand derer er das Penicillin entdeckte, gehört zu den bekanntesten Anekdoten der Wissenschaftsgeschichte. Fleming beschrieb die Wirkung des Filtrats eines bestimmten Schimmelpilzes der Gattung Penicillium erstmals 1929 im »British Journal of Experimental Pathology«. In diesem Artikel prägt er den Namen Penicillin, »um die ziemlich sperrige Formulierung ›Schimmelpilzfiltrat‹ zu vermeiden«. 1945 wurde Fleming für seine Entdeckung mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Er teilte sich den Preis mit Ernst Boris Chain und Howard Florey, denen es gelungen war, Penicillin als die wirksame Substanz in Penicillium notatum zu identifizieren und pharmazeutisch nutzbar zu machen.