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Bipolare Störungen

Therapie schützt vor Rezidiven

16.08.2011  12:20 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler, München / Zwischen extremen Hoch- und Tiefgefühlen schwanken Menschen mit einer bipolaren Störung. Ohne Behandlung durchleiden sie immer wieder Phasen der Manie und der Depression. Psychopharmaka können dieses Risiko erheblich senken.

Mindestens zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer bipolaren Störung, auch manisch-depressive Erkrankung genannt. Der Name deutet auf die Extreme hin, die die Patienten abwechselnd erleben: Depression und Manie (siehe Kasten). Sie schwanken aber keineswegs ständig zwischen »Himmel und Hölle«. Vielmehr gibt es auch lange Phasen mit normaler Gemütslage. »Die Verläufe variieren sehr stark. Zeitlich gesehen sind die meisten Patienten dreimal länger depressiv als manisch. Aber zwei Drittel der Zeit haben sie eine normale Stimmungs- lage«, erklärte Professor Dr. Hans- Peter Volz, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie, Schloss Werneck, bei einem von Lundbeck Pharma unterstützten Journalistenstammtisch in München.

Der wechselnde Verlauf erschwert die Diagnose, die laut Volz immer auf der korrekten Einschät­zung des Langzeitverlaufs basiert. Dazu sind die Ärzte oft auf Angaben des Patienten oder seiner Angehörigen zur Krankheitsgeschichte angewie­sen. Die typische Fehldiagnose: Depression.

 

Während die korrekte Diagnose bei einer rezidi­vierenden Depression meist innerhalb von zwei bis drei Jahren gestellt wird, dauert es bei bipolaren Störungen im Schnitt acht bis zehn Jahre. Typisch seien ein früher Krankheitsbeginn vor dem 25., oft schon vor dem 20. Lebensjahr und mehrere Depressionsepisoden in relativ kurzer Zeit.

 

Unbedingt behandeln

 

»Je länger eine bipolare Störung nicht behandelt wird, umso schlechter ist die Prognose«, mahnte der Psychiater. Unbehandelt wechseln die Gefühlslagen immer häufiger. Von einem »Rapid Cycle« sprechen die Ärzte, wenn der Patient vier und mehr Wechsel pro Jahr erleidet.

 

Eine Psychotherapie als Monotherapie ist bei bipolaren Störungen laut Volz nicht hilfreich. Vielmehr ist eine medikamentöse phasengerechte Therapie nötig. Die Psychopharmaka dämpfen die Beschwerden, manche erhöhen jedoch das »Switch-Risiko«. Das bedeutet, dass der Patient aufgrund der Medikation von der Depression in die Manie »rutscht« oder umgekehrt.

 

Vorsicht mit Trizyklika

 

In der Depressionsphase wird ein Antidepressivum kombiniert mit einem Medikament, das die Stimmung stabilisieren soll. Klassische »Mood Stabilizer« sind Lithium und Valproinsäure; auch Carbamazepin wird gegeben. »Trizyklika und Venlafaxin haben ein hohes Switch-Risiko, daher sollte man bei Patienten mit einer bipolaren Erkrankung selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder Bupropion bevorzugen«, sagte Volz. Nach Abklingen der Depression wird das Antidepressivum abgesetzt, die stabilisierende Medikation zur Phasenprophylaxe nimmt der Patient weiterhin ein.

Das Krankheitsbild

Die chronische Erkrankung ist gekennzeichnet durch manische oder manisch-depressiv gemischte Phasen, die mindestens sieben Tage andauern, und depressive Episoden, die typischerweise mindestens zwei Wochen anhalten. Bipolare Störungen betreffen Männer und Frauen gleichermaßen. Typisch für die Manie: Die Patienten haben ein hohes Maß an Energie und Tatendrang, sind überaktiv, erregt und euphorisch bis hin zum Größenwahn, schlafen kaum und fühlen sich unverwundbar. Kurze Zeiten mit hoher Ausstrahlung und charismatischem Auftreten schlagen bald um in Gereiztheit, Aggressivität sowie impulsives, unkritisches und rücksichtsloses Verhalten. Bei schweren manischen Symptomen ist eine Einweisung ins Krankenhaus nötig. In der depressiven Phase leidet der Patient an intensiver Traurigkeit, Verzweiflung und Antriebslosigkeit, fühlt weder Freude noch Interesse, plagt sich mit Schuldgefühlen und oft auch Suizidgedanken. Man schätzt, dass ein Fünftel der Patienten versucht, sich das Leben zu nehmen; 15 Prozent sterben im Suizid.

In der manischen Phase geben die Ärzte Stimmungsstabilisierer wie Lithium und Valproinsäure oder atypische Neuroleptika als Monotherapie oder in Kombination. Für die Akutbehandlung der Manie sind mehrere Substanzen zugelassen: Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon. Der jüngste im Bunde ist Asenapin, das seit Mai 2011 als Sublingualtablette zur Verfügung steht. Clozapin werde nur eingesetzt, wenn andere Wirkstoffe nicht helfen, ergänzte Volz. Dies ist ein Off-Label-Gebrauch.

 

Die Atypika lösen in der Regel keinen Switch von der Manie in die Depression aus, berichtete Volz. Dies war früher sehr gefürchtet bei der Gabe von klassischen Neuroleptika wie Haloperidol.

 

Der Neuling Asenapin war in zwei Kurzzeitstudien über drei Wochen schwächer wirksam als Olanzapin, aber deutlich besser als Placebo (lesen Sie dazu Neu auf dem Markt: Asenapin, Bazedoxifen, Bilastin, Conestat alfa und..., PZ 01/2011). Die Patienten hatten weniger extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen als unter Olanzapin und praktisch keinen Prolactinanstieg, berichtete Volz. Die Gewichtszunahme war etwa halb so hoch. Am häufigsten klagten die Patienten über Benommenheit und Angst.

 

Asenapin nur sublingual

 

Da Asenapin einem hohen First-Pass-Effekt unterliegt, wird es nicht peroral gegeben, sondern sublingual (zweimal täglich 10 mg). Unter die Zunge gelegt, löst sich die Sublingualtablette innerhalb von Sekunden auf. Danach darf der Patient zehn Minuten lang nicht essen oder trinken.

 

Eine antimanische Therapie wirkt in der Regel gut, auch langzeitig. Nach dreiwöchiger Therapie sprechen 80 Prozent der Patienten an, nach 80 Tagen sind es 90 Prozent, berichtete der Arzt. Jeder Fünfte erkrankt aber trotz korrekter Phasenprophylaxe erneut. Allerdings ist das Risiko ohne Behandlung ungleich höher. »Wer zwei bis drei Episoden hatte und bipolar ist, hat unbehandelt ein Risiko von 95 Prozent für eine erneute Episode.« / 

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