Die Apotheke im Ghetto |
03.08.2015 13:52 Uhr |
Von Sven Siebenand, Krakau / Nicht weit weg von der ehemaligen Fabrik Oskar Schindlers ist in Krakau auch in der ehemaligen Apotheke zum Adler (Apteka Pod Orłem) ein Museum eingerichtet. Ab 1941 mitten im jüdischen Ghetto gelegen, gelang es dem Apothekeninhaber Tadeusz Pankiewicz, seine Offizin weiterführen zu dürfen. Obwohl strengstens verboten und lebensgefährlich, unterstütze das Apothekenteam die Ghettobewohner, wo es ging.
Im Jahr 1933 hatte Pankiewicz die Apotheke im südlich der Weichsel gelegenen Krakauer Stadtteil Podgórze von seinem Vater übernommen. Als die Nazis im Jahr 1941 dort das Krakauer Ghetto schufen, hätte der Apotheker genauso wie drei andere nicht jüdische Apothekenbesitzer das Geschäft eigentlich schließen müssen. Es gelang ihm aber, unter anderem mithilfe von Schmiergeldzahlungen an die Deutschen, seine Apotheke als Einziger dort weiter betreiben zu dürfen.
Die Mauer um das Krakauer Ghetto sollte in ihrer Form an jüdische Grabsteine erinnern. Die Apotheke zum Adler lag mitten im Ghetto an einem zentralen Platz.
Foto: picture alliance
Zeugen von Gräueltaten
Er und seine Angestellten erhielten Passierscheine und konnten so unter großer Gefahr Nachrichten, Pässe, Lebensmittel oder nicht in der Apotheke vorrätige Medikamente ins Ghetto schmuggeln.
Tadeusz Pankiewicz mit Mitarbeiterinnen vor der Apotheke
Foto: PZ/Siebenand
Da die Apotheke an einem zentralen Platz im Ghetto lag, der unter anderem für Exekutionen genutzt wurde, wurde das Apothekenteam Zeuge der Gräueltaten, die die Deutschen verübten. Von Anfang an versuchten die Pharmazeuten, den Juden zu helfen. Viele, die es sich nicht leisten konnten, bekamen kostenlos Hilfe in der Offizin.
Die Aktivitäten der Apotheke gingen weit über medizinische Hilfe hinaus: Erwähnung findet zum Beispiel die Bereitstellung von Tranquilizern für versteckte Kinder, damit sie sich bei Gestapo-Razzien vollkommen ruhig verhielten. Auch Haarfärbemittel wurden vom Apothekenpersonal an Ghettobewohner abgegeben, die ihre Identität wechseln wollten.
Über eine Hintertür gelangten zum Beispiel jüdische Intellektuelle abends und nachts in die Apotheke, diskutierten und besprachen sich dort. Die Apotheke war auch eine zentrale Stelle für die Planung von Untergrundaktivitäten. Unter der Apotheke befand sich zudem ein Gewölbe, wo Thora-Rollen und andere religiöse Gegenstände aufbewahrt wurden.
Versteckt hinter dem HV-Tisch
Mit Beginn der Massendeportationen rettete Pankiewicz einigen Juden das Leben, indem er sie in der Apotheke vor den Nazis versteckte. So berichtete die später nach Israel ausgewanderte Irena Cinowicz, dass sie während einer Razzia entkommen konnte und in der Apotheke Zuflucht gesucht hatte. Pankiewicz habe sie hinter dem HV-Tisch versteckt, mit seinem eigenen Körper verdeckt und sie so vor der Deportation bewahrt. Für seinen Einsatz bei der Rettung von Juden erhielt der Apotheker 1983 den israelischen Ehrentitel »Gerechter unter den Völkern«.
Dauerausstellung an historischem Ort
Die Apotheke zum Adler überstand die Zeit des Ghettos und den Rest des Zweiten Weltkriegs. In den 1950er-Jahren wurde die Apotheke verstaatlicht, in den 1960er-Jahren zog sie in neue Räumlichkeiten um.
Geschichts- Unterricht in den Räumen einer Apotheke: Apteka Pod Orłem in Krakau
Foto: PZ/Siebenand
In den 1980er-Jahren wurde in den ehemaligen Räumlichkeiten, in denen zwischenzeitlich eine Bar betrieben worden war, ein Museum eröffnet. Seit wenigen Jahren gibt es dort eine Dauerausstellung, die sich mit Pankiewicz und der Apotheke im Krakauer Ghetto beschäftigt.
Seine Kriegserinnerungen beschrieb Pankiewicz in dem Buch »Die Apotheke im Krakauer Ghetto«, dessen Erstausgabe 1947 erschien. Das Buch wurde unter anderem ins Englische und ins Deutsche übersetzt. Pankiewicz sagte nach dem Krieg ferner als Zeuge in den Nürnberger Prozessen aus. Später arbeitete er noch viele Jahre als Apotheker. Etwa zehn Jahre nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte, starb er 1993 im Alter von 84 Jahren in Krakau. /
Die ehemaligen Räumlichkeiten der Apotheke zum Adler im Krakauer Stadtteil Podgórze können von dienstags bis sonntags zwischen 9 und 17 Uhr besichtigt werden. Montags ist zwischen 10 und 14 Uhr geöffnet. An diesem Tag ist der Eintritt frei. Am jedem zweiten Dienstag im Monat ist das Museum geschlossen. Die Adresse lautet Plac Bohaterów Getta 18, Krakau. Die Telefonnummer ist 0048 12 656 56 25.