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Antibiotika-Therapie

So lange wie nötig, so kurz wie möglich

02.08.2017  09:50 Uhr

Von Daniela Hüttemann / Hartnäckig hält sich die Aussage, Antibiotika-Packungen immer komplett aufzubrauchen, um Resistenzbildung zu vermeiden. Doch für diese tief verwurzelte Botschaft gibt es keine Evidenz. Was können Apotheker bei der Abgabe stattdessen raten?

Einer aktuellen Analyse im »British ­Medical Journal« zufolge bringt eine zu lange Antibiotika-Therapie die Patienten in größere Gefahr für Resistenzen als eine zu kurze. Zudem steigt das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen. Deshalb sollten Ärzte und andere Entscheidungsträger das alte Credo der kompletten Packung über Bord werfen und richtigstellen, forderten vergangene Woche Dr. Martin J. Llewelyn, Professor für Infektionskrankheiten an der Brighton and Sussex Medical School, mit Kollegen aus Infektiologie, Mikrobiologie, Gesundheitspsychologie und Epidemiologie (DOI: 10.1136/bmj.j3418).

 

Paradigmenwechsel

 

Tatsächlich gilt in der Behandlung von Infektionskrankheiten mittlerweile der Grundsatz »so lange wie nötig, so kurz wie möglich«. Denn je länger der Selektionsdruck durch die Antibiotika-Einnahme anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass Mutationen entstehen und sich resistente Bakterien durchsetzen, wie man heute weiß. Allerdings gibt es Ausnahmen wie die Behandlung der Tuberkulose, Endokarditis oder Borre­liose, die über mehrere Wochen bis ­Monate geführt werden muss.

 

Die Experten vermuten, die alte Aussage halte sich so lange, weil sie einfach und eindeutig ist. Das Dilemma ist, dass sie noch keine ebenso konkrete Botschaft als Ersatz anbieten können. Hier sei noch mehr Forschung nötig, ob beispielsweise das Motto »Stoppe, wenn du dich besser fühlst« allgemein gültig sein könnte. Denn während in Krankenhäusern die Antibiotika-Therapie mittlerweile in der Regel von einem interdisziplinären Team ausgesucht, überwacht und modifiziert wird, fehlt es teilweise noch an praktikablen Leitlinien für Ärzte im niedergelassenen Bereich.

 

Die optimale Therapiedauer hängt von vielen Faktoren ab: von der Art und Schwere der Erkrankung, dem Krankheitsverlauf, der Rückfallgefahr, Immunstatus, Vorerkrankungen und Alter des Patienten sowie der Pharmakokinetik und -dynamik des einzelnen Antibio­tikums. In manchen Indikationen gibt es bereits konkretere Empfehlungen, beispielsweise bei der Therapie unkomplizierter Harnwegsinfektionen: Hier finden sich in der im April aktualisierten S3-Leitlinie relativ genaue Angaben zur Einnahmedauer (siehe Tabelle).

 

Falls bei einer Streptokokken-bedingten Mandelentzündung (Tonsillopharyngitis) ein Antibiotikum nötig ist, wird Pencillin V dreimal täglich über sieben Tage empfohlen. Doch nicht ­immer sind die Leitlinien so eindeutig: In bestimmten Situationen kommen bei einer bakteriellen Nasennebenhöhlenentzündung (Rhinosinusitis) Antibiotika in Betracht. Zur ersten Wahl gehört dann unter anderem Amoxi­cillin dreimal täglich für fünf bis zehn Tage. Das ist eine breite Spanne.

Tabelle: Erste-Wahl-Antibiotika bei unkomplizierter Zystitis bei Frauen in der Prämenopause

Substanz Tagesdosierung Dauer Bemerkungen
Fosfomycin-Trometamol einmalig 3000 mg ein Tag möglichst abends zwei Stunden nach dem Essen, möglichst kein Urin­absatz in den folgenden Stunden
Nitrofurantoin 50 mg viermal täglich sieben Tage
Nitrofurantoin retard 100 mg zweimal täglich fünf Tage
Nitroxolin 250 mg dreimal täglich fünf Tage
Pivmecillinam 400 mg zwei- bis dreimal täglich drei Tage
Trimethoprim 200 mg zweimal täglich drei Tage nur, wenn die lokale Resistenz­situation von Escherichia coli unter 20 Prozent liegt

Der Arzt muss reagieren

 

Dr. Rainer Höhl, Oberarzt und Bereichsleiter Klinische Infektiologie und Anti­microbial Stewardship am Klinikum Nürnberg-Nord, rät den ambulanten Kollegen bei Antibiotika generell zu einer restriktiven Verschreibung über höchstens drei bis fünf Tage. »Danach sollte der Patient unbedingt den verschreibenden Arzt kontaktieren, um zu besprechen, ob eine weitere Einnahme erforderlich ist«, sagte Höhl gegenüber der PZ. Genau das sollten auch die Apotheker den Patienten bei Abgabe einer Antibiotika-Packung kommunizieren. »Der Arzt muss dann reagieren«, so Höhl. Diese Nachricht sei aber noch nicht bei allen angekommen (lesen Sie dazu auch PZ 21/2017, Seite 25). »Da muss ein Umdenken beim Patienten und beim nieder­gelassenen Kollegen stattfinden.«

 

Der Intensivmediziner verweist auf das im September 2016 im Fachmagazin »JAMA Internal Medicine« erschienene Editorial »The New Antibiotic Mantra – Shorter is Better« (DOI: 10.1001/jama internmed.2016.3646). Darin empfiehlt Dr. Brad Spellberg, Professor für Klinische Medizin an der University of Southern California: »Den Patienten sollte mitgeteilt werden, dass sie sich, sobald sie sich besser fühlen und die Symptome der Infektion schwinden, an ihren Arzt wenden, um zu entscheiden, ob die Einnahme des Antibiotikums früher ­beendet werden kann.« Höhl präzisiert: »Das heißt nicht nur, dass das Fieber rückläufig ist. Wichtiger ist, ob sich der Allgemeinzustand gebessert hat, Herzfrequenz und/oder Atemfrequenz sich normalisieren und eine eventuelle Verwirrtheit nachlässt.« Die Beurteilung dieser Kriterien sollte nicht allein im ­Ermessen des Patienten liegen. Der Arzt müsse dabei auch abwägen, ob eine zu kurze Antibiotika-Therapie zu einem Rückfall führen könnte. Spricht ein ­Patient nach drei Tagen nicht auf das ­gewählte Antibiotikum an, so sollte der Arzt die Diagnose, den verordneten Wirkstoff sowie dessen Dosierung hinterfragen.

 

Zu große Packungen

 

Auch die EU-Kommission hat sich ­Gedanken über eine bedarfsgerech­tere Verschreibung von Antibiotika ­gemacht. In einem vergangene Woche publizierten Bericht wird eine Antibiotika-Therapie in Eigenregie – teilweise ermöglicht durch Packungsreste vo­rangegangener Therapien – kritisiert. Oft seien die Packungen zu groß, so ein Ergebnis. Empfehlenswert wäre aus Sicht der EU-Kommission die genaue Dispensierung der benötigten Tablettenanzahl. /

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