RNA-Arzneistoff für Bluter |
02.08.2017 09:50 Uhr |
Von Sven Siebenand / Ein Therapeutikum, das das Prinzip der RNA-Interferenz (RNAi) nutzt, soll zukünftig Patienten mit Hämophilie A oder B helfen. Wie Sanofi Genzyme mitteilt, tritt der gemeinsam mit Alnylam Pharmaceuticals entwickelte Wirkstoff Fitusiran in Phase III der klinischen Entwicklung ein.
Etwa 250 Patienten mit Hämophilie werden an drei separaten Studien teilnehmen. Erste Ergebnisse werden 2019 erwartet. Aufgrund des innovativen Wirkkonzepts besitzt Fitusiran zudem das Potenzial, eines Tages auch bei weiteren Blutgerinnungsstörungen zum Einsatz zu kommen.
Der neue Wirkstoff nutzt das Prinzip der RNA- Interferenz, um mit einem kurzen RNA-Schnipsel das Gen für Antithrombin gezielt auszuschalten.
Foto: Fotolia/ Gernot Krautberger
Hämophilie ist eine Blutgerinnungsstörung, bei der nicht ausreichend Thrombin für eine wirksame Blutgerinnung gebildet werden kann. Die Ursache ist ein Mangel an einem Gerinnungsfaktor. Je nachdem, welcher Faktor fehlt, unterscheidet man in Hämophilie A (Faktor VIII) und Hämophilie B (Faktor IX). Die Standardbehandlung ist derzeit der Ersatz des in unzureichender Menge vorhandenen Gerinnungsfaktors – entweder als Prophylaxe oder als Bedarfstherapie. Dadurch kann die Fähigkeit zur Thrombinproduktion vorübergehend wiederhergestellt werden. Vor allem Patienten mit Hämophilie A bilden jedoch häufig im Laufe der Behandlung neutralisierende Antikörper gegen den Ersatzfaktor, was die Therapie deutlich erschwert.
Fitusiran ersetzt keinen Gerinnungsfaktor, sondern hat eine ganz andere Zielstruktur: den physiologischen Gerinnungshemmstoff Antithrombin. Fitusiran soll die Antithrombin-Spiegel senken, um so eine ausreichende Thrombinbildung zu erreichen und die Hämostase wiederherzustellen sowie Blutungen zu vermeiden. Nicht nur die Zielstruktur, sondern auch der Wirkmechanismus von Fitusiran ist höchst innovativ: Die RNA-Interferenz (RNAi) ist ein natürlicher Vorgang des Gen-Silencing, der in allen Organismen von Pflanzen bis hin zu Säugetieren stattfindet. Indem man sich den natürlichen biologischen Prozess der RNAi in Zellen zunutze macht, rückt unter anderem mit Fitusiran die Herstellung einer neuen Wirkstoffklasse, der sogenannten RNAi-Therapeutika, ins Blickfeld von Forschern.
mRNA gezielt ausschalten
Wie funktioniert das genau? Kurze RNA-Stücke, sogenannte small interfering RNA (siRNA), führen im Organismus dazu, dass komplementäre mRNA selektiv abgebaut wird. Somit steht diese mRNA nicht mehr für die Proteintranslation zur Verfügung und die Menge des von ihr kodierten Proteins in der Zelle nimmt ab. Im Fall von Fitusiran wird siRNA eingebracht, die für Antithrombin kodierende mRNA wirksam ausschaltet und so gezielt die Bildung des Gerinnungshemmstoffs verhindert. Bei der Entwicklung von RNAi-Therapeutika ist grundsätzlich das Problem der chemischen Instabilität und schlechten Bioverfügbarkeit von RNA zu beachten. Dank einer speziellen Technologie ist es bei Fitusiran aber offensichtlich gelungen, eine lang wirksame Darreichungsform zu entwickeln, die subkutan verabreicht werden kann. /