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Infektionsrisiken

Am Strand lauert der Hautmaulwurf

03.08.2016  08:47 Uhr

Von Ulrike Viegener / Die Zika-Epidemie hat die Vorfreude auf Olympia getrübt und es herrscht vor geplanten Brasilienreisen große Unsicherheit über mögliche Infektionsrisiken und geeignete Schutzmaßnahmen. Eine Beratung in der Apotheke kann viel zur Aufklärung beitragen, wobei je nach Reiseplänen die Konsultation eines Tropenmediziners zu empfehlen ist.

Es ist keineswegs allein das Zika-Virus, das bei einer Reise nach Brasilien gefährlich werden kann. Zwar besitzt das südamerikanische Land einen relativ hohen medizinischen Standard, viele für die Tropen typische Infektionskrankheiten sind aber keineswegs ausgerottet. Das gilt unter anderem für die Pest, die im Nordosten Basiliens immer noch endemisch ist. Und auch Lepra kommt nach wie vor in Brasilien vor (lesen Sie dazu Seite 12). Für viele Infektionskrankheiten sind die Risiken regional begrenzt und betreffen vor allem ländliche Regionen, unterm Strich jedoch nehmen Brasilien und andere südamerikanische Länder im internationalen Vergleich in puncto Infektionsrisiken nach wie vor eine Spitzenposi­tion ein.

Hauterkrankungen am häufigsten

 

Eine Studie von Forschern um Professor Dr. Mary Wilson von der Harvard School of Public Health in Boston mit mehr als 1500 Brasilienreisenden zeigt, womit konkret zu rechnen ist (»Clinical Infectious Diseases« 2014, DOI: 10.1093/cid/ciu122). 40 Prozent der Reiserückkehrer hatten sich eine Hauterkrankung eingefangen, Durchfallerkrankungen machten 25 Prozent der erfassten Fälle aus und systemische Erkrankungen lagen in 19 Prozent der Fälle vor. Dermatologisch standen Larva migrans, Myiasis und Tungiasis im Vordergrund (siehe unten). Denguefieber und Malaria waren die häufigsten fieberigen Systemerkrankungen. Grundsätzlich gilt: Bei Verdacht auf eine Infektion mit Parasiten oder gefährlichen Viren sollten Brasilien­reisende unbedingt zeitnah einen Arzt aufsuchen.

 

Larva migrans wird durch Hakenwurmlarven hervorgerufen. Die Erkrankung wird auch als Hautmaulwurf bezeichnet, da die Larven Gangsysteme in der Haut anlegen, die zum Teil mit bloßem Auge sichtbar sind. Eine serpen­tinenartige Rötung mit Schwellung und Juckreiz ist die Folge. Hakenwurmlarven lauern vor allem an den Sandstränden Brasiliens, die oft durch infizierten Tierkot kontaminiert sind. Da der Mensch für Hakenwurmlarven ein Fehlwirt ist, bleibt die Entwicklung des Parasiten in diesem Stadium stehen. Um einen Befall mit Hakenwurmlarven zu vermeiden, sollte an Stränden ein direkter Sandkontakt unbedingt vermieden werden. Das heißt: Grundsätzlich Badeschuhe tragen und immer eine Matte oder ein Badelaken unterlegen.

 

Dieselben Maßnahmen schützen auch vor dem Sandfloh Tunga penetrans, dem Auslöser der Tungiasis. Diese ist eine Ektoparasitose, die unbehandelt häufig eine bakterielle Superinfektion nach sich zieht. Das Weibchen des Sandflohs bohrt sich in die Haut, wobei aber nur das blutsaugende Organ bis in die Dermis eindringt. Das Abdomen ragt aus dem Stratum corneum heraus und stellt so eine Eintrittspforte für Bakterien dar. Starker Juckreiz und das damit verbundene Kratzen sowie die vorrangige Lokalisation im Bereich von Zehen und Fußsohlen erklären das hohe Risiko bakteri­eller Super­infektionen innerhalb kurzer Zeit. Bald nach der Pene­tration beginnen die Weibchen mit der Ablage von Eiern, die ebenso wie die klebrigen, an der Haut anhaftenden Fäzes nach außen abgegeben werden.

Als Myiasis bezeichnet man den Befall mit Fliegenlarven, die vor allem geschädigte Hautregionen, seltener aber auch Augen und Nase besiedeln. Deshalb ist es wichtig, auch kleinste Verletzungen adäquat zu versorgen. Bei Befall der Haut entwickelt sich ein schmerzhaftes, stark juckendes Ulkus oder Furunkel mit schlechter Heilungstendenz.

 

Beim Baden in Seen und Flüssen Brasiliens muss mit einer Infektion durch Zerkarien gerechnet werden. Das sind Larven der Blutegelgattung Schistosoma, die die Haut durchdringen und im menschlichen Körper zu adulten Schistosomen heranreifen. In der Frühphase der Bilharziose treten Fieber, Urtikaria, eine Vergrößerung der Leber, Ödeme und Diarrhö auf. Bei chronischen Verläufen muss mit einer Vielzahl gastrointestinaler, urogenitaler, kardiopulmonaler und neurologischer Symptome gerechnet werden.

 

Keine Malaria in Rio

 

Die unbehandelt lebensgefährliche Malaria tropica, die durch die nacht­aktive Anophelesmücke übertragen wird, ist in Brasilien weit verbreitet. Sie wird durch Plasmodium falciparum hervorgerufen und macht rund 15 Prozent aller Malariafälle in Brasilien aus. Bei den meisten Erkrankungen handelt es sich um die durch Plasmodium vivax ausgelöste Malaria tertiana, die weniger bedrohlich verläuft. Die einzelligen Malariaparasiten zerstören die roten Blutkörperchen und lösen dadurch heftige Fieberschübe aus.

 

Rio de Janeiro, die meisten Stadtzentren sowie die gesamte Ostküste Brasiliens von Fortaleza bis Porto Ale­gre sind malariafrei. Ländliche Gebiete vieler Bundesstaaten sowie die Umgebung vieler Städte zählen dagegen zu den Malaria-Risikogebieten. Olympiabesucher, die einen Aufenthalt in Endemiegebieten planen, sollten sich tropenmedizinisch beraten lassen, ob im individuellen Fall eine Chemoprophylaxe indiziert erscheint.

Wirksamer Insektenschutz

Da es gegen die meisten der in Brasilien relevanten Infektionskrankheiten keine Impfung oder Chemoprophylaxe gibt, kommt dem Schutz vor Insekten als Überträgern eine besondere Bedeutung zu. Allen Brasilienreisenden ist dringend zu empfehlen, eine konsequente Prophylaxe gegen Insekten­stiche zu betreiben. Bei sachgerechter Anwendung kombinierter Schutzmaßnahmen lassen sich die Infektionsrisiken um mehr als 90 Prozent reduzieren. Das bedeutet konkret:

 

  • Die Kleidung soll hell sein und Arme, Beine und Füße bedecken.
  • Unbedeckte Körperstellen sollten stets mit Repellenzien geschützt werden, wobei die vom Hersteller empfohlene Applikationsfrequenz zu beachten ist. Bei starkem Schwitzen muss die Häufigkeit der Anwendung angepasst werden. Da Anopheles­mücken in der Regel nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang stechen, muss in Malaria-Risikogebieten in erster Linie nachts für einen guten Schutz gesorgt werden. Andere Stech­mücken halten sich jedoch nicht an feste Zeiten, sodass rund um die Uhr ein wirksamer Schutz erforderlich ist. Um Stiche durch die Kleidung zu verhindern, kann auch die Kleidung imprägniert werden.
  • In Risikogebieten ist es ratsam, unter imprägnierten Moskitonetzen zu schlafen.
  • Sonnenschutzmittel werden zuerst aufgetragen und nach einer angemessenen Einwirkzeit anschließend das Repellens.



Repellenzien und Moskitonetze sollten bereits in Deutschland beschafft werden, da es wegen der Zika-Epidemie in Brasilien zu Versorgungsengpässen gekommen ist. Von der Vielzahl angebotener Repellenzien haben sich Produkte auf Basis von Diethyl­toluamid (DEET) und Icaridin am besten bewährt.

Erreger der Leishmaniose sind geißeltragende Protozoen, die durch Sandmücken übertragen werden. In Brasilien kommt die »Leishmaniose der Neuen Welt« vor, bei der Haut und Schleimhäute befallen werden. Bei der kutanen Form bildet sich ein schmerzloses Hautgeschwür, das in der Regel nach Wochen bis Monaten ausheilt, wobei eine Narbe zurückbleibt. Bei der mukokutanen Form befallen die Parasiten vor allem die Schleimhaut des Nasen-Rachen-Raums und können bei chronischem Verlauf zu einer Zerstörung der Nasenscheidewand führen.

 

Schäden mit Latenz

 

Ein weiterer Parasit, der durch Insekten verbreitet wird, ist Trypanosoma cruzi, der Erreger der Chagas-Krankheit. Er wird durch nächtlich aktive Raubwanzen übertragen, gegen deren Biss man sich mit speziellen Repellenzien und imprägnierten Insektennetzen schützen kann. In der akuten Phase äußert sich die Chagas-Krankheit mit Fieber, Luftnot und Bauchschmerzen, als Komplikationen können Darmlähmung und Meningoenzephalitis auftreten. Allerdings zeigen nur ein Drittel der Infizierten überhaupt akute Symptome, sodass die Infektion oft unbemerkt bleibt und chronisch wird. Meist erst nach vielen Jahren treten dann Symptome einer progressiven Schädigung des Herzens, der Verdauungsorgane und des Nervensystems auf.

Drei weitere durch Mücken übertragene Infektionskrankheiten – Gelbfieber, Denguefieber und Chikungunya – zählen zu den viralen hämorraghischen Fiebern. Weite Teile Brasiliens sind Gelbfieber-Endemiegebiete und bei einem dortigen Aufenthalt wird eine Gelbfieberimpfung dringend empfohlen. Rio de Janeiro ist gelbfieberfrei. Das Gelbfieber-Virus wird hauptsächlich durch die Stechmücke Aedes aegypti übertragen, die auch Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren als Vektor dient (Lesen Sie dazu auch Zika-Virus: Epidemie in Amerika).

 

Drei bis sechs Tage nach der Gelbfieber-Infektion bekommen die Patienten hohes Fieber mit Schüttelfrost sowie Kopf- und Gliederschmerzen. Meist gehören Übelkeit und Erbrechen zum Krankheitsbild dieser ersten Phase, manchmal auch Nasenbluten und Bindehautentzündung. Nach einigen Tagen geht das Fieber zurück. Bei 15 Prozent der Patienten entwickelt sich aber eine zweite toxische Phase mit erneutem Fieber und multiplen Organkomplikationen, wobei die Patienten aus Mund, Augen, Nase und/oder Darm bluten. Die toxische Phase kann innerhalb weniger Wochen zum Tod führen. Reisende sind von schweren Gelbfieber-Verläufen häufiger betroffen als Einheimische.

 

Infektionen mit dem Dengue-Virus kommen in weiten Teilen Brasiliens vor, wobei die Erkrankungszahlen in jüngster Zeit deutlich angestiegen sind. Die typischen Symptome sind Fieber, Hautausschlag und starke Gliederschmerzen, weshalb das Denguefieber im Volksmund als Knochenbrecherkrankheit bezeichnet wird. Komplizierte lebensbedrohliche Verläufe, wie sie vor allem bei einheimischen Kindern beobachtet werden, kommen bei Reisenden sehr selten vor. Eine Chemoprophylaxe oder Impfung existiert weder für das Denguefieber noch für Chikungunya, eine Virusinfektion mit ähnlicher Symptomatik.

 

Langwierig, aber folgenlos

 

Das Chikungunya-Virus hat erst in den vergangenen Jahren von der Karibik auf Südamerika übergegriffen. Vor allem aus den brasilianischen Bundesstaaten Alagoas, Amapá, Amazonas, Bahia, Mato Grosso do Sul, Minas Gerais und Roraima werden Erkrankungsfälle gemeldet. Nach einer mehrtägigen Inkubationszeit entwickeln die Infizierten starke Gelenkschmerzen an Händen und Füßen, die von hohem Fieber und Hautausschlag begleitet sind. Auch Übelkeit und Erbrechen sowie Blut­ergüsse sind mögliche Symptome. Die Genesung ist langwierig, die Gelenkschmerzen persistieren oft über mehrere Monate. In der Regel heilt Chikungunya aber folgenlos aus.

 

Seit Dezember 2015 sind im Bundesstaat São Paulo vereinzelt Fälle des Rocky Mountain Spotted Fever aufgetreten, einer durch Zecken übertragenen bakteriellen Infektionskrankheit, die sich ebenfalls mit Fieber, Gliederschmerzen und Hautausschlag äußert. Bei einem Befall von Lunge, Nieren und Gastrointestinaltrakt kann es zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. /

Impfungen

Für Brasilien bestehen bei der Einreise aus Europa keine offiziellen Impfvorschriften. Olympiabesuchern, die sich ausschließlich in Rio de Janeiro aufhalten, wird eine Impfung gegen Hepatitis A empfohlen. Bei Aufenthalten in den Gelbfiebergebieten sollte auf jeden Fall ein entsprechender Impfschutz bestehen. Da­rüber hinaus wird Brasilienreisenden geraten, die Standardimpfungen gemäß aktuellem Impfkalender zu überprüfen und zu vervollständigen. Besonders wird auf die Bedeutung eines ausreichenden Impfschutzes gegen Masern hingewiesen, da wiederholt Masern aus Brasilien nach Deutschland eingeschleppt wurden.

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