Mehr Muskeln für ein längeres Leben |
29.07.2015 10:01 Uhr |
Von Wilfried Dubbels / Ein muskulöser Körper ist nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen von Vorteil. Eine gut entwickelte Muskulatur schützt vor Erkrankungen wie Haltungsschäden, Osteoporose und Diabetes und erhöht sogar die Lebenserwartung. Deswegen kann das Motto nur lauten: Her mit den Hanteln.
Krafttraining dient heute in vielen Fällen nicht mehr primär dem Bodystyling, sondern hat auch einen festen Platz im Gesundheitssport. Denn gezieltes Muskeltraining hat viele positive Effekte: Eine hohe Muskelmasse stabilisiert das Skelett und hebt den Grundumsatz an, wodurch das Risiko für Typ-2-Diabetes sinkt. Zudem stärkt ein regelmäßiges Krafttraining nicht nur die Muskeln, sondern auch die Knochen und senkt so das Osteoporoserisiko. Nicht zuletzt sorgt eine kräftige Muskulatur auch für mehr Beweglichkeit im Alter, denn häufig sind Muskeldefizite Ursache für Invalidität bei Senioren.
Sieht gut aus und ist auch noch gesund: Krafttraining.
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Kraftsport hat insgesamt einen deutlichen Einfluss auf die Lebenserwartung. Das ergab eine Studie von Forschern um Jonatan Ruiz vom Karolinska Institutet in Stockholm, die 2008 im »British Medical Journal« erschien (DOI: 10.1136/bmj.a439). In der prospektiven Kohortenstudie wurden knapp 8800 Männer zwischen 20 und 80 Jahren etwa 19 Jahre lang beobachtet und ihre Muskelkraft analysiert. Eine schwache Muskulatur war mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Höhere Muskelkraft schützte selbst übergewichtige Menschen aller Altersklassen vor tödlichen Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen.
Größtes Stoffwechselorgan des Körpers
Die Autoren einer neueren Beobachtungsstudie um Dr. Preethi Srikanthan von der University of California in Los Angeles konstatierten im »American Journal of Medicine«, dass insbesondere im höheren Alter die Lebenserwartung von der Körperkomposition und dem Muskelmasseindex abhängig ist (DOI: 10.1016/j.amjmed.2014.02.007). Ausschlaggebend ist demnach nicht der Body Mass Index, sondern das Verhältnis von Taille zu Hüfte.
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»Muskeln sind das größte Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers«, stellte Bente K. Pedersen von der Universität Kopenhagen 2013 im Fachjournal »Comprehensive Physiology« fest (DOI: 10.1002/cphy.c120033). Die Muskulatur hat einen großen Einfluss auf die Produktion von Hormonen und hormonähnlichen Botenstoffen.
An erster Stelle ist hier das männliche Sexualhormon Testosteron zu nennen, wie Professor Dr. Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln auf seiner Website ausführt. Körperliche Bewegung hebe den Testosteronspiegel um fast das 300-Fache. Das sei auch für Frauen von Vorteil, denn Testosteron vergrößere bei ihnen die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit.
Zytokine und andere von Muskelzellen produzierte oder freigesetzte Peptide, die para-, auto- oder endokrine Effekte haben, bezeichnet man als Myokine. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Myokine identifiziert, deren Wirkungsweise teilweise noch nicht bekannt ist. Laut Froböse beeinflussen die Signalstoffe des Muskels andere Organe, indem sie Fett verbrennen, die Durchblutung der Gefäße verbessern, die Leber entlasten und das Gehirn vor Demenz schützen.
Eine Schlüsselfunktion scheint dabei Interleukin (IL)-6 einzunehmen. Es beeinflusst die Muskelhypertrophie, die Myogenese und die Fettoxidation in der Muskulatur. Das berichteten Wissenschaftler des dänischen Zentrums für Inflammation und Metabolismus 2008 in »Physiological Reviews« (DOI: 10.1152/physrev.90100.2007).
Einfluss auf Entzündung
Darüber hinaus wirkt IL-6 auch systemisch, indem es die Glucosefreisetzung in der Leber steigert, die TNF-α-Produktion hemmt und die Fettverbrennung fördert, so dieselbe Arbeitsgruppe 2010 im »American Journal of Physiology, Endocrinology and Metabolism« (DOI: 10.1152/ajpendo.00328.2010). Bei körperlicher Inaktivität komme es jedoch zur Anhäufung von IL-6 und TNF-α in der Zelle, was letztlich die unkontrollierte Freisetzung von Entzündungsmediatoren zur Folge habe. Dadurch steigt das Risiko für diverse Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die mit einer chronischen Entzündung einhergehen.
Außer auf die Freisetzung von Botenstoffen hat Krafttraining auch auf genetischer Ebene einen Effekt, und zwar indem es für eine Erneuerung der Telomere sorgt. Das berichteten Forscher um Dr. Christian Werner vom Universitätsklinikum des Saarlandes 2008 und 2009 im »Journal of the American College of Cardiology« sowie in »Circulation« (DOI 10.1016/j.jacc. 2008.04.034 beziehungsweise 10.1161/circulationaha.109.861005). Die Telomere dienen als Schutzkappen der Chromosomen und werden normalerweise bei jeder Zellteilung ein wenig verkürzt, bis sie schließlich aufgebraucht sind und der programmierte Zelltod (Apoptose) eingeleitet wird. Die Wissenschaftler konnten den positiven Einfluss regelmäßigen Trainings auf Telomer-stabilisierende Proteine wie die Telomerase in Herzmuskel-, Lymphozyten- und Gefäßwandzellen nachweisen.
Auch epigenetisch macht sich der Einfluss körperlicher Aktivität bemerkbar, wie Sean L. McGee 2011 im »Journal of applied Physiology« zeigte (DOI: 10.1152/japplphysiol.00979.2010). Demnach zeigen sich durch Histonmodifikation am Chromatin nach dem Training Veränderungen, die sich auf die Faserzusammensetzung der Muskulatur und den Kohlenhydratstoffwechsel auswirken. Auch wer von Natur aus nicht mit einer üppigen Muskulatur ausgestattet ist, kann demnach mit regelmäßigem Training Muskeln aufbauen und so von deren positiven Wirkungen profitieren. /