ZL findet NDMA in Tabletten |
25.07.2018 09:26 Uhr |
Von Mona Abdel-Tawab, Rebecca Gröner, Thomas Kopp, Jürgen Meins und Joachim Wübert / Nach dem Rückruf Valsartan-haltiger Präparate ist immer noch unklar, ob beziehungsweise wie viel N-Nitrosodimethylamin als Verunreinigung in den betroffenen Tabletten vorhanden ist. Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) hat danach gesucht – und ist fündig geworden.
Für die deutschen Apotheker kam der kürzlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und der Europäischen Arzneimittelagentur initiierte europaweite Rückruf von Valsartan-haltigen Präparaten völlig überraschend. Als Grund wurde die mögliche Verunreinigung der zurückgerufenen Fertigarzneimittel mit NDMA genannt, vermutlich zurückzuführen auf ein geändertes Syntheseverfahren von Valsartan bei dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical.
Ausmaß unklar
Diese Rückrufaktion wurde vorsorglich getroffen, da zum Zeitpunkt des Rückrufs noch nicht bekannt war, ob und wenn Ja in welcher Konzentration NDMA tatsächlich in den Fertigarzneimitteln enthalten ist. Aber auch heute, drei Wochen danach, sind keine Informationen zu dem Ausmaß der Verunreinigung der Fertigpräparate mit dem kanzerogenen Nitrosamin bekannt. Dieser Frage ging das ZL mit einer stichprobenartigen Untersuchung diverser teilweise vom Rückruf betroffener Valsartan-haltiger Präparate nach.
Das ZL hat verschiedene Valsartan-haltige Präparate analysiert und dabei teilweise Verunreinigungen mit NDMA gefunden.
Fotos: ZL
Bei NDMA handelt es sich, wie der Name bereits verrät, um ein N-Nitrosamin, welches laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung zu den potentesten Kanzerogenen in der Stoffklasse der Nitrosamine zählt. So erwies sich NDMA in einer Reihe von tierexperimentellen Studien unter anderem an Ratten, Mäusen, Hamstern, Meerschweinchen und Kaninchen sowohl nach inhalativer als auch nach oraler, subkutaner, intramuskulärer und intraperitonealer Gabe als krebserzeugend. Die Tumoren traten vor allem in der Leber (auch Gallengängen), Niere, Lunge und den Blutgefäßen (zum Beispiel in Form von Hämangiomen) auf (1).
Untersuchungen an der Ratte ergaben, dass eine Langzeitbehandlung mit niedrigen Konzentrationen, die die Überlebensrate nicht wesentlich beeinträchtigen, zur Induktion von Lebertumoren führte, während eine kurzfristige Exposition gegenüber hohen Dosierungen vor allem Nierentumoren induzierte (2). Dies lässt auf einen relevanten First-Pass-Effekt bei niedrigen Dosen schließen. Bei höherer Dosierung kann aufgrund eines Sättigungseffekts NDMA auch die systemische Zirkulation und weitere Zielorgane außer der Leber erreichen (1, 3).
Abbildung 1 zeigt die Metabolisierung von NDMA. Demnach kann NDMA durch CYP2E1 entweder denitrosiert oder α-hydroxyliert werden. Das α-Hydroxy-NDMA kann dann weiter zu Formaldehyd und Monomethylnitrosamin verstoffwechselt werden, aus welchem über ein Diazohydroxid-Intermediat der stark methylierende Metabolit Methyldiazonium (CH3N+≡N) gebildet wird (1). Vermutlich ist dieser alkylierende Metabolit aufgrund von DNA-Adduktbildung auch für die in einer Vielzahl von Studien nachgewiesene, aus einer DNA-Interaktion resultierende genotoxische Wirkung von NDMA verantwortlich (1, 3).
Nitrosierung im sauren pH
Im Allgemeinen können Nitrosamine durch die Reaktion von nitrosierenden Stoffen, zum Beispiel Nitrit oder Stickoxide, mit nitrosierbaren Substanzen wie Aminen im sauren pH-Bereich entstehen. Offensichtlich sind genau diese Umstände bei der Optimierung des Syntheseverfahrens zur Herstellung von Valsartan durch Zhejiang Huahai Pharmaceutical zusammengekommen, sodass das potenziell kanzerogene NDMA im Wirkstoff gebildet werden konnte. Zwar ist die Verwendung des Lösungsmittels Dimethylformamid und das möglicherweise daraus in Spuren entstehende Dimethylamin (DMA) im optimierten Syntheseverfahren an sich kein Problem. In Gegenwart von gleichzeitig verwendeten Nitritionen kann DMA jedoch zu NDMA reagieren und damit die Entstehung einer neuen Verunreinigung begünstigen. Diese konnte mit dem bisherigen monographierten Arzneibuchverfahren nicht detektiert werden, da die Monographie auf Basis anderer Syntheseverfahren auf das Vorhandensein von anderen Verunreinigungen prüft und nicht auf die Bestimmung von NDMA ausgerichtet ist.
Abbildung 1: Metabolismus von NDMA nach WHO 2002 (1)
Um das Kontaminationsrisiko der Fertigprodukte mit NDMA besser einschätzen zu können, entwickelte und validierte das ZL eine gaschromatografische Methode mit gekoppelter Massenspektrometrie (GC/MS-Methode). Diese wurde zur Analytik von 16 stichprobenartig ausgewählten Valsartan-haltigen Präparaten angewendet. Angesichts der variierenden Tablettenzusammensetzungen der einzelnen Produkte wurde zur Quantifizierung des NDMA-Gehalts das Standard-Additionsverfahren eingesetzt, um jegliche Matrixeffekte zu kompensieren. Ein repräsentatives Chromatogramm für eine NDMA-haltige Probe und einer NDMA-freien Probe ist in Abbildung 2 dargestellt. Die untersuchten Produkte wurden noch am Tag des angekündigten Rückrufs vor dem Start der Rückrufaktion von Apotheken bezogen.
Abbildung 2: Repräsentatives Chromatogramm einer NDMA-haltigen Probe (rot, oben) und einer NDMA-freien Probe (schwarz, unten). Der NDMA Peak erscheint bei 5,6 min.
Bis zu 22 µg pro Tablette
Die Tabelle auf Seite 16 zeigt die Ergebnisse der Untersuchungen. Übereinstimmend mit den Meldungen der pharmazeutischen Hersteller Mylan Dura, Novartis, TAD und Aurobindo konnten in deren untersuchten Produkten kein NDMA nachgewiesen werden. Es waren auch diese Hersteller, die gleich zu Beginn der Rückrufaktion mitteilten, dass sie ihren Wirkstoff nicht von Zhejiang Huahai Pharmaceutical beziehen. In den übrigen stichprobenartig untersuchten Produkten bewegte sich der NDMA-Gehalt zwischen 3,7 µg pro Tablette und 22,0 µg pro Tablette.
Leider sucht man nach einem konkreten Grenzwert für die täglich erlaubte NDMA Menge, einem ADI (Acceptable Daily Intake), vergebens. Dies liegt bei besonders potenten Kanzerogenen, wie im Falle der N-Nitrosamine, an ihrem genotoxischen Mechanismus, der die Festlegung einer sicheren toxikologischen Wirkungsschwelle erschwert. So können bereits kleinste Mengen krebsauslösend wirken. Aufgrund der fehlenden Wirkungsschwelle gilt daher für genotoxische Kanzerogene generell, die Exposition soweit wie möglich zu minimieren und das ALARA-Prinzip (»As Low as Reasonably Achievable«) anzuwenden (4).
Geräucherter Schinken enthält pro kg mittlerweile nur noch maximal 2,5 µg NDMA.
Foto: Shutterstock/studiogi
Um die ermittelten NDMA Werte in den Valsartan-Produkten besser einschätzen zu können, lohnt sich daher der Vergleich mit dem NDMA-Gehalt in gepökeltem Fleisch und in Bier. Während gepökelte Produkte 1980 noch bis zu 12 µg pro kg NDMA enthielten, konnte durch einen geringeren Einsatz von Nitrit und den Zusatz von Ascorbinsäure zu Pökelmischungen sowie durch den Einsatz von Rauchpräparaten anstelle der direkten Räucherung der NDMA-Gehalt auf nur noch 2,5 µg pro kg reduziert werden (5). Für Bier existiert ein technischer Richtwert von 0,5 µg pro kg und für Malz ein technischer Richtwert von 2,5 µg NDMA pro kg, die gemäß einer jüngst am Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensqualität durchgeführten Diplomarbeit nicht überschritten wurden (6).
Demnach wird die mittlere Aufnahme von Nitrosaminen aus Lebensmittel auf insgesamt 0,3 µg pro Tag geschätzt. Durch das Rauchen von 20 Zigaretten am Tag kann die Belastung mit Nitrosaminen im Allgemeinen auf 17 bis 85 µg pro Tag ansteigen (7). Im Vergleich hierzu können durch die Einnahme einer kontaminierten Tablette aus den vorliegenden Untersuchungsmustern bis zu 22 µg allein an NDMA erfolgen. Was das für eine Auswirkung auf die Gesundheit haben kann, muss nun von den Toxikologen genauestens evaluiert werden, vor allem aber auch, wie sich die kontinuierliche Einnahme über Jahre hinweg auf den Organismus auswirken kann.
Unbefriedigende Situation
Wie die parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium Sabine Weiss (CDU) laut einem Bericht im »Tagesspiegel« angab, sind 2017 etwa neun Millionen Packungen Valsartan-haltiger Medikamente verordnet worden. Da rund 40 Prozent der Chargen vom Rückruf betroffen sind, könnten 2017 circa 900 000 Patienten kontaminierte Tabletten erhalten haben. Das ist eine für alle Seiten unbefriedigende Situation.
Präparat | Hersteller / Einfuhr und Vertrieb | Dosierung Valsartan | Charge | Haltbarkeit | NDMA Gehalt [µg / Tablette] |
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Valsartan Dura 320 mg Filmtabletten | Mylan Dura | 320 mg | 8047836 | 04/2019 | - |
Diovan 160 mg Filmtabletten | Novartis Poland | 160 mg | BT998 | 07/2020 | - |
Diovan 160 mg protect Filmtabletten | Novartis / Orifarm GmbH | 160 mg | BW208 | 07/2020 | - |
Diovan 160 mg Filmtabletten | Novartis / EMRAmed Arzneimittel GmbH | 160 mg | BW292 | 07/2020 | - |
Diovan 160 mg protect | Novartis / Novartis | 160 mg | BA918 | 11/2018 | - |
Valsartan Heumann 320 mg Filmtabletten | Heumann Pharma GmbH | 320 mg | LC38501 | 11/2020 | 20,8 |
Valsartan Heumann 160 mg Filmtabletten | Heumann Pharma GmbH | 160 mg | LC38554 | 11/2020 | 9,9 |
Provas 80 mg Filmtabletten | Novartis Pharma GmbH | 80 mg | BY321 | 10/2020 | - |
Valsartan-CT 160 mg Filmtabletten | AbZ Pharma GmbH | 160 mg | 1732774 | 11/2019 | 3,7 |
Valsartan 1A Pharma 320 mg Filmtambletten | 1 A Pharma GmbH | 320 mg | HL6907 | 07/2020 | 18,5 |
Valsacor 320 mg Filmtabletten | TAD Pharma | 320 mg | NE4659 | 07/2020 | - |
Valsartan Hexal 320 mg Filmtabletten | Hexal AG | 320 mg | HA5441 | 08/2019 | 16,4 |
Valsartan Stada 320 mg Filmtabletten | Stadapharm GmbH | 320 mg | 64361 | 10/2020 | 22,0 |
Valsartan Aurobindo 160 mg Filmtabletten | Aurobindo Pharma GmbH | 160 mg | VJSC18003-A | 03/2020 | - |
Valsartan Zentiva 160 mg Filmtabletten | Zentiva Pharma GmbH | 160 mg | ARJT3X | 08/2019 | 10,1 |
Valsartan Zentiva comp. 160 mg/12,5 mg | Zentiva Pharma GmbH | 160 mg | 5210118 | 12/2022 | 4,1 |
Umso wichtiger ist es, in Zukunft verstärkt präventiv zu handeln und es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Neben einer strengeren Überwachung der Wirkstoffhersteller insbesondere im Umgang mit Verfahrensänderungen erfordert dies auch ein umfassenderes Risikomanagement und die Anwendung einer vorausschauenden Screeninganalytik seitens des Fertigarzneimittelherstellers. So können mittels stichprobenartigem Wirkstoffprofiling unter Anwendung von unterschiedlichen analytischen Verfahren auch nicht kommunizierte Änderungen im Syntheseverfahren erkannt und dementsprechend rechtzeitig gehandelt werden. Doch mit der von den Krankenkassen initiierten Niedrigpreispolitik lassen sich derartige zusätzliche und dringend erforderliche Kontrollmaßnahmen kaum umsetzen. /