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Biologika gestern und heute

18.07.2018  10:29 Uhr

Von Caroline Wendt, Frankfurt am Main / Biologika sind aus der modernen Arzneimitteltherapie nicht mehr wegzudenken. Das war nicht immer so. Bei einem Vortrag blickte Professor Dr. Theo Dingermann auf die Entwicklung der biologisch hergestellten ­Arzneistoffe zurück.

Schon seit einem Vierteljahrhundert bereichern Biologika die Arzneimitteltherapie. Dingermann, emeritierter Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt, gab bei der von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft organisierten Veranstaltung in Frankfurt am Main einen Überblick über die Entwicklung der Biologika von den Anfängen bis heute.

 

Begrenzte Möglichkeiten

 

Als erste Beispiele nannte er Interferon-γ (Imukin®) und Interferon-α (Roferon® A) – zwei Wirkstoffe, die aufgrund ihrer Nebenwirkungen mittlerweile nicht mehr so häufig zum Einsatz kommen. Ein anderes Medikament aus der Anfangszeit der Biologika, der Granulo­zyten-Kolonie stimulierende Faktor Filgrastim®, werde aber bis heute in der Klinik eingesetzt. »Diese modifizierten Moleküle entstanden als Konzession an die technische Machbarkeit«, erklärte Dingermann. Sie weichen in ihrer Struktur von den biologischen Vorbildern ab, bei denen es sich um Glykoproteine handelt. Anfang der 1990er-Jahre war jedoch lediglich die Synthese in Escherichia-coli-Bakterien möglich, eine Technologie, mit der sich noch keine Zuckermodifikationen herstellen ließen.

 

Das Humaninsulin und das humane Wachstumshormon waren die ersten Substanzen, die in ihrer Struktur den biologischen Vorbildern glichen. Hierbei handelt es sich um Proteine, die nicht glyko­syliert werden mussten. Doch wurden die A- und die B-Kette des Insulins zunächst noch in zwei separaten Bakterienstämmen gezüchtet. »Das änderte sich erst, als man in der Lage war, das C-Peptid und die Leadsequenz des Insulins biochemisch zu entfernen«, so Dingermann.

 

Der nächste Schritt in der Weiterentwicklung der Biologika war die bewusste Modifikation von Molekülen. »Die Änderungen zielten darauf ab, die Pharmakokinetik der Moleküle anzupassen«, erläutere der Referent. So konnte etwa beim Insulin durch Abwandlung der Aminosäureketten wie bei Insulin lispro oder Insulin aspart das Problem des Spritz-Ess-Abstands gelöst werden. Dass auf diese Weise die Zusammenlagerung des Insulins zu Hexameren verhindert wird, betrachte er »nach wie vor als ein Highlight«, so Dingermann. Bei den langwirksamen Insulinanaloga, zum Beispiel Insulin glargin oder Insulin detemir, verlängern dagegen zusätzliche Amino- oder Fettsäuren die Halbwertszeit. Auch bei anderen Arzneimitteln erfolgten eine Reihe unterschied­licher Retardierungsprinzipien, zum Beispiel Glykosylierungen von Epoetin, oder verschiedene Pegylierungen.

 

Die lange Halbwertszeit von Antikörpern machte man sich bei den Fusions­molekülen zunutze. Hier ist die extra­zelluläre Domäne eines Rezeptors mit der konstanten Region eines Antikörpers verbunden. »Die Besonderheit der IgG-Antikörper besteht darin, dass sie vom Körper recycelt werden und dadurch eine Halbwertszeit von 21 Tagen und mehr haben«, erklärte Dingermann. Ein weiteres Retardierungsprinzip sei das Anhängen eines C-terminalen Peptids, wodurch sich der Abbau durch Proteasen vermindere.

 

Als aktuelles Beispiel eines Biologikums ging Dingermann auf den gerade erst zugelassenen bispezifischen Antikörper Emicizumab (Hemlibra®) ein. Er ist zur Therapie für Hämophilie-A-Pa­tienten bestimmt und ersetzt den bei diesen Patienten fehlenden Blutgerinnungsfaktor VIII – ein völlig neues Therapiekonzept statt der bislang üblichen Substitution des Faktors VIII. Dingermanns Kommentar dazu: »Das ist ein gutes Prinzip, doch die angekündigte Gentherapie bei Hämophilie kann dazu führen, dass Emicizumab schon bald obsolet ist.«

 

Wirkung vorhersagen

 

Als eine Herausforderung nicht nur bei der Therapie mit Biologika bezeichnete Dingermann es, vorab die Patienten zu identifizieren, die von der Therapie auch tatsächlich profitieren. Dafür sei nicht nur das Vorhandenseins des Targets in hinreichender Ausprägung entscheidend, sondern auch die Abwesenheit von Störfaktoren. So könne ein Arzneimittel mit einer Target-Ansprechrate von 60 Prozent bei einem Patienten mit einer Target-Häufigkeit von 10 Prozent nur zu einer beobachteten Ansprech­rate von 6 Prozent führen. Die Hersteller seien aufgefordert, für die Auswahl geeigneter Patienten entsprechende Biomarker zu finden. »Ansonsten verdünnen sie durch die Auswahl der falschen Patienten das Potenzial ihres ­Medikaments und kommen durch kein IQWiG-Verfahren.« /

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