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Krebspatienten

Sport statt Schonung

12.07.2011  15:08 Uhr

Von Maria Pues, Frankfurt am Main / Früher sollten sich Krebspatienten schonen, heute nehmen sie an speziellen Sportprogrammen teil. Das stärkt nicht nur ihren Organismus im Kampf gegen den Krebs, sondern verbessert auch ihr seelisches Wohlbefinden.

Keine Haare auf dem Kopf, aber in Lauf- und Wanderschuhen unterwegs oder sogar im Ruderboot um die Wette mit anderen? Der Gedanke, Krebspatienten zusätzlich zur Chemo- oder Bestrahlungstherapie ein individuelles und sportmedizinisch betreutes Training anzubieten, ist vergleichsweise neu. Hingegen hat Sport in der Krebs-Prävention wie auch in der Nachsorge seit Jahrzehnten einen festen Platz.

Im Jahr 2005 hat Onkologin Professor Dr. Elke Jäger am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main gemeinsam mit Sportmediziner Professor Dr. Winfried Banzer vom Institut für präventive und rehabilitative Sportmedizin der Universitätsklinik Frankfurt am Main ein Trainingsprogramm für Tumorpatienten entworfen und in die Praxis umgesetzt. Über Probleme und Widerstände und vor allem über dessen Erfolge berichtete sie Ende Juni in einem Vortrag, der im Rahmen einer Reihe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft stattfand.

 

Sich zu schonen, rieten Mediziner bisher ihren Tumorpatienten, und die Empfehlung schien berechtigt. Schließlich leiden die Patienten nicht nur an ihren tumorbedingten Symptomen, sondern oft auch an den Begleiterscheinungen von Chemo- und/oder Bestrahlungstherapie, Diese sieht man Krebspatienten häufig an. Weniger offensichtlich sind deren veränderte Körperwahrnehmung und Stellung im sozialen Umfeld von Familie, Freunden oder Arbeitsplatz. Häufig ziehen sich die Patienten zurück, sodass zusätzlich zur Krebserkrankung eine starke Einsamkeit kommt.

 

Zwischen Hoffen und Bangen

 

Viele Krebspatienten klagen außerdem über Fatigue. Bereits alltägliche Verrichtungen wie ein Einkauf, Treppensteigen oder auch nur ein Spaziergang führen dabei schnell zu einer starken Erschöpfung. Verlängerte Phasen der Erholung bewirken, dass sich eine bereits reduzierte Muskelmasse weiter vermindert, was zukünftige Aktivitäten immer weiter einschränkt – ein Teufelskreis. Dass außerdem Depressionen und eine fehlende Lebensperspektive die Patienten extrem belasten, finde häufig zu wenig Beachtung, sagte die Onkologin.

 

Nicht nur Patienten, auch manche Ärzte hätten vor der Aufnahme sportlicher Aktivitäten zunächst Bedenken geäußert oder gar abgeraten, berichtete Jäger. Ob die Anstrengung für die ohnehin geschwächten Patienten nicht vielleicht eher schädlich sei? Welche positiven Auswirkungen man denn erwarten könne? Und welche Sportart man denn wählen solle und wie viel davon? Ob vielleicht das Therapieergebnis beeinflusst werde? Und wie es sich verhalte, wenn man vorher noch nie Sport getrieben habe? Und überhaupt: Lohne sich das eigentlich noch?

 

Um es vorwegzunehmen: Es lohnte sich, und das aus verschiedenen Gründen. Als einen der wichtigsten Punkte hob Jäger die Verbesserung der Körperwahrnehmung und des Selbstbewusstseins hervor. Patienten, die sich wegen ihres veränderten Aussehens, zum Beispiel durch fehlende Kopfbehaarung, kaum noch vor die Tür getraut hatten, hätten neuen Mut gewonnen. Die Lebensqualität rückte wieder an die erste Stelle. Körperliche Leistungsfähigkeit und soziale Kontakte nahmen zu, die Fatigue hingegen ab. Und eine zweite Behandlungsebene komme hinzu, betonte Jäger: Der das Training begleitende Sportmediziner übernehme die Funktion eines »Gesundheitsmanagers«, der nicht die Metastasen zähle und immer nur über die Krankheit rede, sondern etwas für das Wohlbefinden tue und die Patienten ermutige.

 

Die Durchführung

 

Den Anfang bildete eine Eingangsuntersuchung: Lungenfunktion, Belastungs-EKG, Laktatwert, BMI und Gewicht der Patienten wurden bestimmt. Weitere Untersuchungen folgten nach drei und zwölf Wochen Training. Den Medizinern dienten die Untersuchungen dazu, zunächst den »Trainingszustand« der Patienten zu bestimmen. So konnte man für jeden ein individuelles Belastungsniveau festlegen. Dieses verhinderte, dass sich Teilnehmer überforderten. Daneben konnten die Mediziner die Veränderungen in Zahlen fassen. Das erste Zwischenergebnis nach drei Wochen Training, das aus Ausdauer- und Krafttraining bestand: Rund 80 Prozent der Teilnehmer berichteten eine Verbesserung ihres Befindens. Daneben erhielten die Teilnehmer Ernährungsberatung und -programm sowie das Angebot einer psychotherapeutischen Unterstützung. Viele Patienten seien aber nach kurzer Zeit lieber zum Training als zur Psychotherapie gegangen, berichtete Jäger. In einem Sportpass dokumentierten die Patienten ihre Fortschritte, was sich zusätzlich auf die Motivation auswirkte. Treffen in der Gruppe dienten dem Austausch von Erfahrungen und holten die Patienten aus der Isolation.

 

Schlussfolgerungen und Lehren

 

Es habe sich gezeigt, dass Ausdauersport praktisch uneingeschränkt empfohlen werden könne, berichtete Jäger. Dessen größter Vorteil bestehe darin, dass er sich stufenlos dosieren lasse. Gymnastik könne Patientinnen mit Brustkrebs helfen. Physiotherapie und Kraftsport haben sich als sinnvoll erwiesen, wenn es um den Aufbau bestimmter Muskelgruppen gehe. Einzig Mannschafts- und Ballsportarten seien häufig ungeeignet, da sie oft abrupte Bewegungswechsel erforderten.

 

Um es noch einmal zu wiederholen: Die Teilnehmer trainierten, während sie mit Chemo- oder Bestrahlungstherapie ihre Krebserkrankung zu besiegen versuchten. Viele von ihnen starteten von einem Leistungsniveau, das deutlich unter dem gesunder Senioren lag. Vergleiche man außerdem die Gruppe der Patienten, die eine kurative Therapie erhalten hatte, mit einer, die eine palliative Therapie benötigte, so zeigte sich: Je niedriger das anfängliche Leistungsniveau war, umso eindrucksvoller fiel die Steigerung der Leistungsfähigkeit aus. Auch das selbst empfundene Leistungsvermögen stieg überdurchschnittlich an, die Fatigue nahm deutlich ab.

 

Für wen sich Sport nicht eignet

 

Nicht alle Patienten konnten das vollständige Programm absolvieren. 78 Prozent derer, die das Training vorzeitig beendet haben, mussten dies krankheits- oder therapiebedingt tun. Das sei überwiegend bei palliativmedizinisch behandelten Patienten der Fall gewesen. 6 Prozent erwiesen sich aus verschiedenen Gründen für sportliche Betätigungen als ungeeignet, 5 Prozent nannten persönliche Gründe. An fehlender Compliance scheiterten 11 Prozent der Abbrecher.

 

Man habe auch erfahren, dass sich nicht alle Patienten für ein solches Trainingsprogramm eigneten. Jäger nannte hier vor allem onkologische Patienten mit neurologischen Defiziten. Schwierigkeiten ergeben sich naturgemäß auch bei Patienten, deren Krebserkrankung das Skelett betreffen sowie bei Patienten, deren Lunge befallen ist oder die eine Lungen-OP hinter sich haben.

 

Grundsätzlich sollten Patienten, die Interesse an körperlichem Training haben, dies mit ihrem Onkologen besprechen, riet Jäger und stellte abschließend einige Erfolge vor: zum Beispiel eine viertägige Wanderung, auf deren Etappen von 20 bis 25 km am Tag sich die Patienten sorgfältig vorbereitet hatte, Ruderwettkämpfe und sogar Marathonläufe, die einzelne Patienten absolviert haben. / 

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