Pharmazeutische Zeitung online
Altern und Alopezie

Eine haarige Angelegenheit

12.07.2011  15:05 Uhr

Von Ralph M. Trüeb / Graue Haare, Geheimratsecken, Glatze: Auf dem Kopf wird das Ende der Jugend meist am deutlichsten sichtbar. Was führt dazu, dass die Haare ihre Farbe verlieren und ausfallen, und was kann man dagegen tun?

Kämmen, Bürsten, Toupieren, Färben, Sonnen, Dauerwellen: Im Laufe des Lebens sind die Haare ständig physikalischen und chemischen Belastungen ausgesetzt. Das führt dazu, dass die Haare sich abnutzen. Ihre Ultrastruktur verändert sich, ebenso ihre physikalischen Eigenschaften und die chemische Zusammensetzung der Haarfaser. Der stetig nachwachsende Haarschaft ist nicht für zeitlich unbegrenzte Haltbarkeit vorgesehen. Lange Haare können daher am Ende ausfransen, es bildet sich Spliss. In ausgeprägten Fällen wird das ganze Haar trocken, spröde und brüchig.

Mehr als sprödes Haar und Spliss macht vielen Menschen aber zu schaffen, wenn ihr Haar seine Farbe verliert. Das Ergrauen ist ein altersabhängig fortschreitender, physiologischer Prozess. Das Manifestationsalter hängt hauptsächlich von genetischen Faktoren ab und zeigt ethnische Unterschiede. Bei weißhäutigen Menschen treten weiße Haare ab einem Alter von etwa 34 Jahren auf, bei dunkelhäutigen etwa zehn Jahre später. Von diesen Durchschnittswerten sind Abweichungen von bis zu zehn Jahren nach oben und nach unten möglich.

 

Die natürliche Farbe des menschlichen Haares wird bestimmt durch den Gehalt an Melanin­pigment im Haarschaft. Dies entstammt den Melanozyten in den Haarfollikeln. Mit zunehmendem Alter nimmt die Melanozytenaktivität ab, das Haar verliert seine Farbe.

 

Gene sind schuld am Haarausfall

 

Zelluläre Alterung wird durch die Telomerwirkung erklärt. Bei den Telomeren handelt es sich um eine repetitive DNA- Sequenz am Ende der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung werden die Telomeren kürzer bis zu einer kritischen Grenze, an der die Zellteilung eingestellt und der programmierte Zelltod (Apoptose) eingeleitet wird. Die Tatsache, dass die Zellteilungs­aktiviät numerisch begrenzt ist, bezeichnet man auch als replikative Seneszenz. Dieser Prozess stellt möglicherweise einen Schutzmechanismus gegen Krebs dar, indem die beschränkte Teilungsfähigkeit der Zellen eine Akkumulation von Schäden der DNA verhindert. Der altersabhängige Melanozytenverlust ist vermutlich die Folge von replikativer Seneszenz und Apoptose.

Der Androgen-induzierte Haarausfall (androgenetische Alopezie) ist ein genetisch geprägter, altersabhängig fortschreitender Prozess mit Geschlechtsunterschieden im Hinblick auf Prävalenz, Ausprägung und Muster. Bei der androgenetischen Alopezie vom männlichen Typ kommt es neben der Ausbildung von Geheimratsecken zum Zurückweichen der Stirnhaargrenze, Wirbelglatzenbildung und graduellen Übergängen bis hin zur Ausbildung einer vollen Stirn- und Scheitelglatze. Beim weiblichen Typ kommt es zu einer Ausdünnung des Scheitelbereiches, bei der charakteristischerweise ein Haarsaum an der Stirnhaargrenze erhalten bleibt. Vor der Menopause weisen 13 Prozent der Frauen mit androgenetischer Alopezie einen maskulinen Typ auf, nach der Menopause 37 Prozent.

 

Veränderte Enzymaktivität

 

Bei der Pathophysiologie der andro­genetischen Alopezie spielen wahrscheinlich die Enzyme 5-α-Reduktase und Aromatase eine entscheidende Rolle. Im Blut zirkulierendes Testosteron aus Hoden und Eierstöcken wird im Haarfollikel durch die 5-α-Reduktase zu dem potenteren Androgen Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt. Die Aromatase konvertiert Testosteron dagegen zu Estradiol. Die Beobachtung erhöhter 5-α-Reduktase- beziehungsweise verringerter Aromatase-Aktivität in den Haarfollikeln der androgenetischen Alopezie bei Mann und Frau mit entsprechend erhöhten lokalen DHT-Konzentrationen weist auf eine direkte pathogenetische Bedeutung der beiden Enzyme für die Entwicklung der androgenetischen Alopezie hin.

 

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Aktivität dieser Enzyme erklären zum Teil die geschlechtsgebundenen, phänotypischen Unterschiede. Bei physiologischer Abnahme zirkulierender Estrogene im Klimakte­rium wird die androgenetische Alopezie der Frau postmenopausal nicht selten durch hormonelle Substitutionspräparate mit androgener Teilwirkung (wie Norethisteron, Levonorgestrel und Tibolon) verstärkt.

 

Die altersbedingte Verdünnung von Kopf- und Körperhaaren wird auch als senile Involutionsalopezie bezeichnet. Neben den Kopfhaaren ist die Geschlechts- und Achselbehaarung betroffen, die oft auch einen Verlust der Kräuselung aufweist. Bei der senilen Involutionsalopezie kommt es im Unterschied zur androgenetischen Alopezie zu einer diffusen Verminderung der Haardichte. Die 5-α-Reduktase-Aktivität ist vermindert.

 

Rauchen und Stress vermeiden

 

Rauchen fördert Haarausfall auf unterschiedliche Art und Weise. Durch Rauchen wird die Mikrodurchblutung der Haut gedrosselt. Es führt außerdem zur vermehrten Hydroxylierung von Estra­diol, woraus ein relativer Estrogenmangel resultiert. Toxische Tabakrauchverbindungen sind im Haar nachweisbar. Tabakrauch hat einen genotoxischen Effekt auf mitochondriale DNA in Haarfollikeln. Im Tierexperiment wurde gezeigt, dass Mäuse, die Zigarettenrauch ausgesetzt waren, eine massive Apoptose in den Haarfollikeln aufwiesen. Die Mäuse entwickelten innerhalb von drei Monaten Haarausfall.

In einer epidemiologischen Untersuchung wurde inzwischen auch beim Menschen gezeigt, dass Raucher gegenüber Nichtrauchern früher ergraut waren (Männer und Frauen) und Haare verloren (Männer). Schließlich zeigen die chirur­gischen Maßnahmen zur Therapie der Alopezie bei Rauchern schlechtere Ergebnisse als bei Nichtrauchern.

 

Auch körperlicher oder seelischer Stress kann zu Haarausfall führen. Im Tierexperiment weisen Mäuse, die akkustischem Stress ausgesetzt werden, eine vermehrte Apoptose innerhalb der Haarfollikel auf. Eine in den Vereinigten Staaten durchgeführte Untersuchung an 25 Frauen mit kurz zurückliegendem, ungeklärtem Haarausfall im Vergleich zu 25 Frauen ohne Haarausfall ergab, dass bei 22 von 25 Frauen mit Haarausfall im Vergleich zu 10 von 25 Frauen ohne Haarausfall hochgradiger Stress vorlag.

 

Auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen können die Haare schädigen. Sie entstehen meist durch dosis­abhängige, substanzspezifische direkte Wirkung des Arzneimittels auf den Haarfollikel. Ältere Menschen sind öfter betroffen als jüngere, da sie häufiger Medikamente einnehmen. Auch Covariablen wie Grunderkrankungen, Mehrfachmedikation und eingeschränkte Nierenfunktion führen dazu, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen am Haar im Alter gehäuft vorkommen.

 

Minoxidil und Finasterid bei Alopezie

 

Die einzigen in Doppelblindstudien als wirksam erwiesenen Medikamente zur Prävention und Therapie der androgenetischen Alopezie sind das topische Minoxidil (Regaine®) für Frauen und Männer und das orale Finasterid (Propecia®) für Männer. Während der Wirkmechanismus von Minoxidil unbekannt ist, wirkt Finasterid gezielt über die Hemmung der 5-α-Reduktase-Enzymaktivität.

 

Beide wirken gewöhnlich innerhalb einer Sechsmonatsfrist und für die Dauer der Anwendung, Minoxidil bei gut zwei Dritteln der Frauen und Finasterid bei neun von zehn Männern. Ungenügend belegt ist dagegen die Behandlung der andro­genetischen Alopezie bei Frauen mit Estrogenen und mit Antiandrogenen wie Cyproteronacetat.

 

Transplantation als letzte Möglichkeit

 

Sichtbar fortgeschrittene Alterung ist Domäne haarkosmetischer Maßnahmen, etwa der chirurgischen Alopeziereduk­tion, der Haartransplantation sowie des Haarersatzes. Während sich die pharmakologischen Maßnahmen mit Minoxidil und Finasterid zur Behandlung der Alopezie auf eine für die Therapiedauer begrenzte Erhaltung der Haare beschränken und bei fortgeschrittenem Haar­verlust keinen Nutzen haben, stellt die Haarchirurgie die einzige Behandlungsart dar, die zu einem definitiven Resultat führt. Das Spektrum der chirurgischen Methoden der Alopeziekorrektur umfasst die Reduktionsplastik, die Skalp­lappenplastik und die freie autologe Haartransplantation.

 

Insbesondere bei Frauen vermindert Haarmangel im Alter das Selbstwert­gefühl und belastet die Betroffene emotional stark. Da durch Haarersatz die nachteiligen psychosozialen Folgen des Haarmangels verringert werden können, ist die Indikation zur medizinischen Verordnung von Haarersatz gegeben. Neben Perücken und Zweithaarteilen bieten sich auch Camouflage, Permanent-Make-up, Accessoires oder eine Haarintegration an. / 

 

Literatur beim Verfasser

Mehr von Avoxa