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Gentests an Embryonen

Bundestag billigt PID in engen Grenzen

12.07.2011  17:03 Uhr

Von Stephanie Schersch / Paare dürfen Embryonen aus künstlicher Befruchtung in Deutschland künftig auf Gendefekte testen lassen. Der Bundestag hat für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in Ausnahmefällen gestimmt. Dem Verfahren sind aber enge Grenzen gesetzt.

Es war eine ethisch heikle Frage, über die der Bundestag am vergangenen Donnerstag abgestimmt hat. Fast vier Stunden lang debattierten die Abgeordneten über die sogenannte Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Am Ende gab es eine klare Entscheidung: Gentests an Embryonen werden zugelassen, jedoch unter strikten Auflagen. Mit einer Mehrheit von 326 Stimmen setzte sich der Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrike Flach (FDP), Carola Reimann (SPD) und anderer in dritter Lesung durch. Ein Entwurf für ein striktes Verbot der PID erhielt 260 Stimmen, acht Abgeordnete enthielten sich. Ein Kompromissentwurf scheiterte mit 58 Stimmen bereits in zweiter Lesung.

Erstmals Regeln für die PID

 

Mit der Entscheidung im Bundestag endet eine monatelange und zum Teil kontrovers geführte Debatte zur PID (lesen Sie dazu auch PZ 22/2011, Seite 9). Bei der Präimplantationsdiagnostik werden Embryonen aus künstlicher Befruchtung auf Erbkrankheiten untersucht. Das Ziel dieser Methode ist, nur gesunde Embryonen auszuwählen und sie in den Mutterleib einzupflanzen. Nach einheitlicher Rechtsauffassung galt dieses Verfahren in Deutschland lange als unzulässig. Vor rund einem Jahr entschied der Bundesgerichtshof jedoch, dass sich aus dem Embryonenschutzgesetz keineswegs ein generelles Verbot der Gentests ableiten lässt. Das Gericht forderte den Gesetzgeber zur Klarstellung auf.

 

Der Bundestag gibt mit seinem Votum nun erstmals Bedingungen für die Präimplantationsdiagnostik vor. Die Gentests werden eingeschränkt erlaubt. Wenn es bei den Eltern die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit gibt oder die Gefahr einer Fehl- oder Totgeburt sehr hoch ist, soll eine PID möglich sein. Sie darf aber nur an speziell zugelassenen Zentren vorgenommen werden. Zudem ist Beratung der Eltern vor einem solchen Verfahren Pflicht, eine Ethikkommission muss zustimmen.

 

Wie bei ethisch heiklen Fragen üblich, stimmten die Abgeordneten ohne Frak­tionszwang ab. Die Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID hatten ins Feld geführt, dass man Paaren mit einer erblichen Belastung die Chance auf ein gesundes Kind nicht vorenthalten dürfe. Ein Verbot steht ihrer Ansicht nach zudem im Widerspruch zur Regelung der Abtreibung, die vorgenommen werden darf – zum Teil bis kurz vor der Geburt. Die Gegner befürchten hingegen, eine Ausweitung der PID auch auf andere Bereiche. So könnten Embryonen nicht nur auf Gendefekte, sondern auch auf weitere Eigenschaften getestet werden. Sie wehren sich zudem dagegen, dass Embryonen bei der PID selektiert und teilweise verworfen werden.

 

Die Debatte im Bundestag war emo­tional sehr aufgeladen. Die Gesundheits-Staatssekretärin Ulrike Flach mahnte, mit einem PID-Verbot würde der Gesetzgeber vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Denn dann würden Frauen gezwungen, zur Abwendung einer schweren Erbkrankheit oder Fehlgeburt gegebenenfalls abzutreiben. Peter Hintze (CDU) warb ebenfalls für die eingeschränkte Zulassung der PID. »Nicht eine Ethik der Strafe, sondern eine Ethik des Helfens macht unsere Gesellschaft menschlicher«, sagte er.

 

Erfolgloser Mittelweg

 

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) wandte ein, die PID könne vielleicht in Einzelfällen Leid vermeiden, »aber sie verhindert in jedem Fall das Lebensrecht von gezeugtem menschlichem Leben«. Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), sagte: »PID bedeutet Selektion.« Er warnte, Gentests an Embryonen könnten das makellose Musterbaby zum Ideal machen. Carola Reimann von der SPD hielt dagegen: »Wer die Prozedur einer PID auf sich nimmt, tut das nicht, um ein Kind mit blauen Augen zu bekommen.«

 

Die Grünen-Abgeordnete Priska Hinz warb erfolglos für den dritten Gesetzentwurf, eine Art Mittelweg. Danach wäre die PID grundsätzlich verboten, jedoch in Fällen zulässig, in denen das Risiko einer Tot- oder Fehlgeburt genetisch bedingt sehr hoch ist. Es gehe nicht darum, ob ein Kind behindert sei oder eine Erbkrankheit habe, sondern allein ob ein Kind lebend zur Welt kommen könne, sagte Hinz. »Wenn es eine Grenzziehung gibt, die einzuhalten ist, dann ist es diese Grenzziehung.«

 

Ulrike Flach wertete es als großen Erfolg, dass sich der Entwurf für eine PID-Zulassung in Grenzen am Ende so klar durchsetzen konnte. Die PID eröffne Paaren mit der Veranlagung für eine Erbkrankheit die Chance, sich für ein Kind zu entscheiden. »Das ist kein Dammbruch, sondern ein Aufbruch«, sagte sie im Anschluss an das Votum. Die Verbotsanhänger zeigten sich hingegen enttäuscht. Der CSU-Gesundheitspolitiker Johannes Singhammer (CSU) sieht mit dem Abstimmungsergebnis eine neue Debatte aufkommen. Die Zulassung der PID stehe in einem Spannungsverhältnis zu den weiteren Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. »Die Entscheidung ist wie ein Seebeben.«

 

Auch bei Verbänden und Organisationen stieß das Votum auf ein geteiltes Echo. Der Chef der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, kündigte an, die Ärzte würden Verantwortung übernehmen für ein Verfahren unter kontrollierten Bedingungen. Die PID müsse aber auf wenige und ganz bestimmte Indikationen begrenzt werden. »Mit uns wird es keine Designerbabys geben und auch kein sogenanntes Retterbaby, das nur einem erkrankten Kind als Eratzteillager dienen soll«, sagte Montgomery.

 

Caritas-Präsident Peter Neher bedauerte das Abstimmungsergebnis. »Ich befürchte, dass die Entscheidung für ein möglicherweise behindertes Kind jetzt noch schwerer fällt«, sagte er. Auch Robert Antretter, Vorsitzender der Bundesvereinigung Lebenshilfe, sagte: »Viele Menschen mit Behinderung müssen das Ergebnis als diskriminierend empfinden.«

 

Kirchenvertreter wandten sich erwartungsgemäß ebenfalls gegen die Entscheidung im Bundestag. Zwar könne er den Wunsch nach einem gesunden Kind nachvollziehen, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Aber: »Die Selektion von menschlichen Embryonen verstößt gegen das Achtungsgebot der Menschenwürde, die jedem Menschen von Anbeginn zuteil ist«, so Zollitsch.

 

»Falsch und gefährlich«

 

Noch deutlicher äußerte sich Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: »Ich halte den eingeschlagenen Weg für falsch und gefährlich«, sagt er. Die Entscheidung bedeute eine dramatische Diskriminierung insbesondere behinderter Menschen. Die Gesellschaft werde dafür absehbar einen hohen Preis zahlen müssen.

 

Die Beratungsstelle Pro Familia nannte das Votum der Abgeordneten hingegen einen »wichtigen Schritt in Richtung der Verwirklichung reproduktiver Rechte«. Für nicht erforderlich hält die Organisation die verpflichtende Zustimmung einer Ethikkommission. Für die betroffenen Paare bedeute das eine weitere Hürde in einer ohnehin schon emotional schwierigen Situation. / 

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