Armut prägt stärker als Familienstatus |
12.07.2011 15:27 Uhr |
Von Uta Grossmann, Berlin / Welchen Einfluss hat es auf Kinder, von nur einem Elternteil aufgezogen zu werden? Diese Frage untersucht eine Studie der Universität Bielefeld, die von der Bepanthen-Kinderförderung der Firma Bayer finanziert wurde. Ein Ergebnis: Alleinerziehende sind besser als ihr Ruf.
»Die Aussicht auf eine gute Kindheit ist in erster Linie stark von der sozio-ökonomischen Lage der Familie abhängig, weniger vom Status Alleinerziehung. Dennoch werden Kinder von Alleinerziehenden, vor allem wenn sie unterprivilegiert sind, häufig ausgegrenzt.« So fasste Studienleiter Professor Dr. Holger Ziegler von der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld die Forschungsergebnisse in Berlin zusammen.
Die Sicht der Kinder
Das Besondere der Studie ist, dass sie die Perspektive der Kinder untersucht. Im März und April dieses Jahres wurden 1053 Sechs- bis 13-Jährige aus Hamburg, Berlin, Dresden, Dortmund, Mainz und München interviewt. Die Eltern wurden nach Einkommen, Bildungsabschluss, Beruf und Familienstatus gefragt.
Ob Kinder bei einem oder zwei Elternteilen aufwachsen, ist weniger entscheidend für ihr Glück als die soziale Lage der Familie.
Foto: ABDA
Die Zahl Alleinerziehender stieg seit 1996 in Deutschland um knapp 70 Prozent auf derzeit 2,2 Millionen. Der Familienstatus alleinerziehend gilt als Risikofaktor für Armut. In sozial benachteiligten Familien haben Kinder wiederum höhere gesundheitliche Risiken wie Gewichtsprobleme, sie treiben seltener Sport und haben häufiger psychische Probleme, konstatiert die KIGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts von 2009.
Die sozialwissenschaftliche Studie der Uni Bielefeld ergab nun, dass die Armutslage selbst den negativsten Einfluss auf das Aufwachsen von Kindern hat – unabhängig davon, ob sie von einem oder zwei Elternteilen erzogen werden. Alleinerziehende sind demnach besser als ihr Ruf. Zwar berichten sie von vielen Belastungen, geben diese aber nicht an ihre Kinder weiter.
Dagegen hält es Erziehungswissenschaftler Ziegler für durchaus bedenklich, »wenn bereits Sechsjährige materielle Einschränkungen spüren und äußern«. In den Interviews äußerte jedes sechste Kind aus sozio-ökonomisch benachteiligten Haushalten, dass seine Familie nicht genügend Geld für alles habe, was sie zum Leben braucht.
Bernd Siggelkow bestätigt aus der praktischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, wie nachteilig sich Armut auswirkt. »Viele Kinder erleben zu Hause den täglichen Überlebenskampf. Es ist kein Geld da für ein gesundes Schulessen oder eine Klassenfahrt. Die Kinder werden so stigmatisiert«, berichtet der Pastor. Er ist Gründer und Leiter der Berliner »Arche«, eines christlichen Kinder- und Jugendwerks, das auch von der Bepanthen-Kinderförderung unterstützt wird. Nach Siggelkows Erfahrung gibt es eine hohe Dunkelziffer armer Familien, weil die Eltern aus Scham keine finanzielle Hilfe beantragen. Gerade benachteiligte Kinder brauchen für ihre Entwicklung sinnvolle Freizeitangebote, ob Tanzen, Reiten, Ausflüge oder Feriencamps, sagt Siggelkow. Nach Einschätzung des Studienfinanziers Bayer unterstreichen die Forschungsergebnisse der Uni Bielefeld die Relevanz von Bildungsangeboten, wie sie die Arche bietet.
Netzwerke sind wichtig
Ob die Eltern in unterstützende Netzwerke eingebunden sind, hängt weniger vom Familienstatus ab als von der sozialen Lage. Dabei hat die Existenz eines ressourcenstarken Netzwerks deutlichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass es den Familien gelingt, ein förderndes und anregungsreiches Umfeld aufzubauen.
Sozial benachteiligte Kinder von Alleinerziehenden werden am häufigsten gemobbt, ergab die Studie der Uni Bielefeld. Aus dieser Gruppe sagte jedes dritte Kind, es werde »von anderen gehänselt«. Dagegen ist die Vernachlässigung von Kindern nicht abhängig vom Familienstatus und den sozialen Verhältnissen, in denen sie aufwachsen. Für eine gute Kindheit, so Erziehungswissenschaftler Ziegler, spielt also die von den Kindern wahrgenommene Erziehungspraxis eine große Rolle – ob sie das Gefühl haben, dass die Erwachsenen für sie sorgen. Ziegler: »Kinder von Alleinerziehenden berichten von mindestens genauso viel Aufmerksamkeit beziehungsweise Zuwendung von ihren Eltern wie ihre Altersgenossen. Tendenziell sind die Erziehungserfahrungen von Kindern von Alleinerziehenden sogar eher besser.« So sagten 100 Prozent der befragten Kinder, die von nur einem Elternteil erzogen werden, sie »hätten immer jemanden, der sich um sie kümmert«. Die traditionelle Familie ist eben nicht die Lösung für alle Probleme. /