Beliebt, aber oft nicht belegt |
01.07.2015 09:47 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Immer mehr Krebspatienten nutzen neben der Schulmedizin auch alternative oder komplementäre Heilverfahren. Belastbare Evidenz für deren Wirksamkeit gibt es meist nicht. Sie können im Gegenteil mehr schaden als nutzen, etwa wenn die Mittel mit den eingesetzten Zytostatika interagieren.
Phytopharmaka, Vitamin C in hohen Dosen, Vitamin D, Selen, grüner Tee, Mistel, Homöopathie, Akupunktur, traditionelle chinesische Medizin, bestimmte Diäten: Die Liste der Therapieverfahren, die Tumorpatienten meist gleichzeitig mit einer schulmedizinischen Krebstherapie nutzen, ist lang.
Selbst einen Beitrag zum Erfolg ihrer Krebstherapie zu leisten, ist vielen Patienten sehr wichtig. Das Interesse an alternativen oder ergänzenden Behandlungen ist daher groß.
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Dahinter steckt der verständliche Wunsch, selbst etwas für sich zu tun und sich nicht mit der passiven Rolle des behandelten Patienten abzufinden. Was sinnvoll ist und was nicht, ist für Patienten und ihre Angehörigen dabei nur schwer zu beurteilen. Grundsätzlich spricht aber wenig dagegen, dass sich der Patient auch mit seinem Arzt über zusätzliche alternative Therapien austauscht.
Dr. Christoph Ritter, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Greifswald, nahm bei einem Vortrag der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Berlin die Studienlage zu diversen Verfahren unter die Lupe. Er ging zunächst auf die Hochdosis-Therapie mit Vitamin C ein. Sie soll einerseits einen Vitamin-C-Mangel von Tumorpatienten ausgleichen. Andererseits wird das Antioxidans in sehr hohen Dosen auch mit direkten Wirkungen auf den Tumor in Verbindung gebracht, soll Nebenwirkungen der Chemotherapie abmildern und die Zeit bis zum Wiederauftreten der Erkrankung verlängern.
Vitamin C besser intravenös
Ob das Vitamin dabei oral oder intravenös verabreicht wird, scheint eine Rolle zu spielen, wie Ritter ausführte. So hätten Studien mit Brust- und Darmkrebspatienten bei oraler Gabe sogar einen – wenn auch nicht signifikanten – Schaden gezeigt, da sich die Zeit bis zum Rezidiv durch Vitamin C verkürzte. Eine Übersichtsarbeit im Fachjournal »Integrative Cancer Therapies« kam dagegen im vorigen Jahr zu dem Schluss, dass Vitamin-C-Infusionen möglicherweise eine Antitumor-Aktivität haben, die Zeit bis zum Rezidiv verlängern und Nebenwirkungen der klassischen Chemotherapie abmildern können (DOI: 10.1177/1534735414534463).
Weitere Studien seien allerdings nötig, um diese Effekte zu bestätigen, betonten die Autoren um Dr. Heidi Fritz vom Canadian College of Naturopathic Medicine in Toronto. Ritter teilte diese Einschätzung: »Momentan ist keine Evidenz vorhanden, Vitamin C in welcher Form auch immer zur Bekämpfung einer Tumorerkrankung einzusetzen.«
Gleiches gelte für Selen. Das Spurenelement ist im Körper an diversen Stoffwechselvorgängen beteiligt. Ein Mangel soll das Krebsrisiko erhöhen und die Überlebenschancen von Tumorpatienten verringern. Ritter zufolge hält die vorhandene Evidenz diesen Ansprüchen nicht stand. Lediglich in der Primärprävention habe ein im vorigen Jahr erschienener Cochrane-Übersichtsartikel möglicherweise vorteilhafte Effekte durch Selen gezeigt (DOI: 10.1002/ 14651858.CD005195.pub3). »Die Streuung war allerdings groß«, so Ritter. In der Verhinderung von Rezidiven habe sich tendenziell eher kein Nutzen gezeigt, sodass man auch hier sagen müsse: Die derzeitige Studienlage lässt eine positive Empfehlung des Selens für die Tumorprävention nicht zu.
Mistel mildert Nebenwirkungen
Mistelpräparate gehören zu den am häufigsten eingesetzten komplementärmedizinischen Verfahren. Sie werden mit immunmodulierenden, zytotoxischen und antiviralen Effekten in Zusammenhang gebracht; ihr Wirkmechanismus bei Krebs ist allerdings nicht vollständig geklärt. Auch hierzu gibt es eine Übersichtsarbeit der Cochrane-Collaboration aus dem Jahr 2008, die den Einfluss von Mistelpräparaten auf das Gesamtüberleben von Krebspatienten und die therapiebedingten Nebenwirkungen analysierte (DOI: 10.1002/14651858.CD003297.pub2).
Beim Endpunkt Gesamtüberleben fanden die Autoren um Dr. Markus Horneber vom Klinikum Nord in Nürnberg zwar ungefähr gleich viele Arbeiten mit positivem Wirksamkeitsnachweis wie Studien, in denen kein Effekt gezeigt werden konnte. Letztere waren aber methodisch von höherer Qualität, sodass die Autoren unterm Strich Mistelpräparate als unwirksam auf das Gesamtüberleben einstuften. Bei den Untersuchungen, die sich mit dem Einfluss auf therapiebedingte Nebenwirkungen beschäftigten, sah es anders aus: Hier zeigten alle 16 identifizierten Studien einen positiven Effekt auf diverse Parameter. »Mistelpräparate sind zur Verhinderung eines Tumorrezidivs nicht zu empfehlen, aber zur Behandlung von Nebenwirkungen können sie durchaus sinnvoll sein«, fasste Ritter zusammen.
Auch andere pflanzliche Arzneimittel erfreuen sich als vermeintlich sanfte Alternative zu chemisch definierten Wirkstoffen bei Tumorpatienten großer Beliebtheit. Das kann problematisch sein, wenn die Phytopharmaka mit den Zytostatika interagieren – ohne dass der behandelnde Onkologe es weiß. Sowohl eine verstärkte Wirkung, etwa durch die Hemmung des enzymatischen Abbaus des Zytostatikums, als auch ein Wirkverlust durch den gegenteiligen Effekt sind unerwünscht.
Interaktionen mit Phytopharmaka
Für das von der Deutschen Krebshilfe geförderte Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON) hat Ritter mit seiner Arbeitsgruppe fünf häufig verwendete Pflanzen auf ihr Interaktionspotenzial mit sämtlichen Zytostatika untersucht: Mariendistel, Mistel, Ginseng, Johanniskraut und Echinacea.
Das Enfant terrible der Phytopharmaka, der CYP3A4-Induktor Johanniskraut kann auch mit Zytostatika interagieren.
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Die Bewertung ist ziemlich kompliziert, denn die Anzahl an Studien schwankt je nach pflanzlichem Präparat erheblich. Auch lassen sich die Ergebnisse von In-vitro-Untersuchungen oder Tierversuchen meist nicht auf die Anwendung am Menschen übertragen. »Die Möglichkeit, Empfehlungen abzuleiten, hängt daher von der Konsistenz der Ergebnisse dieser Untersuchungen ab«, erklärte Ritter.
Das Ergebnis dieser Arbeit soll künftig in Form einer allgemein zugänglichen Informationsplattform im Internet verfügbar sein. Als weitere Quelle für wissenschaftlich fundierte Informationen zu alternativen Heilmethoden bei Krebs empfahl Ritter die englischsprachige Seite www.cam-cancer.org. /