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Neue Arzneistoffe

Apixaban und Pitavastatin

05.07.2011  12:56 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand / Rivaroxaban und Dabigatran bekommen Konkurrenz. Denn der nun verfügbare Wirkstoff Apixaban erweitert das Spektrum der neuartigen oral verfügbaren Anti­koagulanzien auf insgesamt drei Substanzen. Auch der zweite Neuling, Pitavastatin, ist ein klassisches Me-too-Präparat. Dass es den Blockbuster-Statinen Konkurrenz machen kann, ist eher zu bezweifeln.

Nach einer Hüft- oder Kniegelenkersatzoperation haben Patienten ein hohes Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln in den Venen. Das kann gefährlich oder sogar tödlich sein, wenn die Thromben in einen anderen Körperteil, etwa die Lunge wandern. Daher ist die prophylaktische Gabe eines Antikoagulans heute Standard in den Kliniken.

Wurde früher in der Regel Heparin verabreicht, so kommen heute meist niedermolekulare Heparine (NMH) zum Einsatz. NMH, zum Beispiel Enoxaparin, werden einmal täglich subkutan gespritzt. Bei einer geplanten Operation beginnt man damit bereits einige Stunden vor dem Eingriff. Seit wenigen Jahren gibt es neue Anti­koagulanzien in Tablettenform. Hier beginnt die Prophylaxe immer erst nach der Operation.

 

Apixaban

 

Als Dritter im Bunde der neueren, peroral bioverfügbaren Antikoagulanzien kam Apixaban (Eliquis®, 2,5 mg Filmtabletten, Bristol-Myers Squibb und Pfizer Pharma) im Juni auf den Markt. Wie seine Vorläufer Rivaroxaban und Dabigatran ist das Medikament zunächst nur zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) bei Erwachsenen nach geplanten Hüft- oder Kniegelenk­ersatzoperationen zugelassen. Apixaban wurde bei Patienten, die nach einer Hüftfraktur operiert wurden, nicht untersucht.

Der Patient soll die erste Dosis 12 bis 24 Stunden nach der Operation einnehmen, danach zweimal täglich eine Tablette mit 2,5 mg. Diese Dosis ist immer gleich und unabhängig von Alter, Geschlecht, Körpergewicht oder leichter bis mittlerer Niereninsuffizienz. Praktischerweise kann der Patient die Tabletten mit oder ohne Mahlzeit einnehmen, da die Resorption pH-unabhängig ist. Die empfohlene Behandlungsdauer beträgt 32 bis 38 Tage nach einer Hüftgelenk- und 10 bis 14 Tage nach einer Kniegelenkersatzoperation.

 

Ein wichtiges Zielmolekül der peroralen Antikoagulanzien in der Gerinnungskaskade ist Faktor Xa, an dem Rivaroxaban und Apixaban ansetzen. Dagegen greift Dabigatran an Faktor IIa (Thrombin) an.

 

Apixaban ist ein reversibler, direkter und hoch selektiver Inhibitor des aktiven Zentrums von Faktor Xa. Damit reduziert es die Spaltung von Prothrombin zu Thrombin und in der Folge die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin. Letztlich sinkt dadurch die Gefahr der Gerinnselbildung und der VTE. Apixaban hemmt sowohl freien als auch in Thromben gebundenen Faktor Xa sowie das Enzym Prothrombinase. Es wirkt nicht direkt auf die Thrombozytenaggregation, hemmt aber indirekt die durch Thrombin induzierte Aggregation.

Das neue Antikoagulans wurde in Europa bei mehr als 8460 Patienten mit Hüft- oder Kniegelenkersatzoperation geprüft. In den zulassungsrelevanten Advance-2- und -3-Studien bekamen die Patienten doppelblind entweder zweimal täglich 2,5 mg Apixaban peroral (beginnend 12 bis 24 Stunden postoperativ) oder 40 mg Enoxaparin einmal täglich subkutan (beginnend 9 bis 15 Stunden präoperativ). An der ersten Studie nahmen mehr als 5400 Patienten teil, die einen Hüftgelenkersatz bekamen. In die zweite Studie wurden mehr als 3000 Patienten mit Kniegelenkoperation aufgenommen. Die Wirksamkeit wurde anhand der Zahl der Patienten erfasst, die eine VTE erlitten oder starben. In beiden Studien verhinderte das neue Medikament VTE und Todesfälle jeglicher Ursache wirksamer als Enoxaparin. Bei 1,4 Prozent der Patienten mit Hüftgelenk-operation, die die Behandlung mit Apixaban abgeschlossen hatten, kam es zu einer venösen Thromboembolie oder zum Tod, verglichen mit 3,9 Prozent der Patienten unter Enoxaparin. Bei Patienten mit Kniegelenkoperation lagen die Zahlen bei 15 und 24 Prozent.

Die am meisten gefürchtete Nebenwirkung von Antikoagulanzien sind Blutungen. Diese traten bei 11,7 versus 12,6 Prozent der Patienten nach Hüftoperation sowie 6,9 versus 8,4 Prozent der Patienten mit Kniegelenkoperation auf. Andere häufige Nebenwirkungen unter Apixaban waren Anämie, Blutergüsse und Übelkeit.

 

Das neue Antikoagulans darf nicht eingesetzt werden bei Patienten mit akuter Blutung oder Lebererkrankungen, die zu Problemen mit der Blutgerinnung und einem erhöhten Blutungsrisiko führen (Koagulopathien). Vorsicht ist geboten bei Menschen mit erhöhtem Blutungsrisiko, zum Beispiel wegen Gerinnungsstörungen, Thrombozytopenie oder mit früheren ischämischen Schlaganfällen. Die gleichzeitige Gabe von nicht steroidalen Antirheumatika wie Acetylsalicylsäure sollte kritisch betrachtet werden.

 

Zu beachten sind auch pharmakokinetische Wechselwirkungen. Patienten, die starke Inhibitoren von CYP 3A4 und P-Glykoprotein, zum Beispiel Azol-Antimykotika oder HIV-Protease-Inhibitoren wie Ritonavir, einnehmen, sollten das Antikoagulans nicht bekommen, da dessen Blutspiegel steigen können. Eine verminderte anti­koagulatorische Wirkung ist möglich, wenn der Patient starke Induktoren von CYP 3A4 und P-Glykoprotein, zum Beispiel Rifampicin, Carbamazepin oder Phenobarbital, einnimmt. Laut Fachinformation kann auch Johanniskraut in diese Richtung interagieren.

 

Wichtig für die Beratung: Bei allen peroralen Antikoagulanzien ist kein Monitoring der Blutgerinnung erforderlich. Die INR-Werte sind dazu auch nicht geeignet. Aussagekräftig ist nur die Messung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität; dafür gibt es kommerzielle Testkits. Es gibt kein Antidot für Apixaban. Allerdings erlitten gesunde Probanden in kontrollierten Studien keine relevanten Nebenwirkungen, wenn sie kurzzeitig bis zu 50 mg Apixaban täglich einnahmen.

 

Vorläufige Bewertung: Scheininnovation (Analogpräparat)

 

Pitavastatin

 

Mit Pitavastatin (Livazo® 1 mg / 2 mg und 4 mg Filmtabletten, Merckle Recordati) kam Anfang Juni ein weiteres Statin auf den deutschen Markt. Strukturell ähnelt die neue Substanz den anderen Vertretern dieser Klasse. Anders als Simvastatin und Co. trägt sie eine Cyclopropyl-Gruppe. In Japan wurde Pitavastatin bereits im Jahr 2003 eingeführt, in den USA 2010. Wie die anderen Statine hemmt Pitavastatin das Enzym HMG-CoA-Reduktase, das geschwindigkeitsbestimmende Enzym in der Cholsterolbiosynthese. Diese wird damit blockiert. In der Folge kommt es zur erhöhten Expression von LDL-Rezeptoren in der Leber. Dies begünstigt die Aufnahme von zirkulierendem LDL aus dem Blut und bewirkt so eine Senkung der Konzentration des Gesamtcholesterols und LDL-Chole­sterols im Blut. Durch die nachhaltige Hemmung der Cholesterolsynthese in der Leber wird zudem die VLDL-Sekretion ins Blut vermindert, in der Folge sinken die Plasmaspiegel der Triglyceride.

Pitavastatin ist zugelassen zur Senkung erhöhter Gesamtcholesterol- und LDL-Cholesterolwerte bei Erwachsenen mit primärer Hypercholesterolämie und kombinierter Dyslipidämie, wenn sich mit diätetischen und sonstigen nicht-medikamentösen Maßnahmen kein ausreichendes Ansprechen erzielen lässt.

 

In kontrollierten klinischen Studien mit etwa 1700 Patienten mit primärer Hypercholesterolämie und gemischter Dyslipid-ämie wurden die Werte des Gesamtchol­esterols und des LDL-Cholesterols durchweg gesenkt, während die HDL-Choles­terolwerte angehoben wurden. Unter 2 mg Pitavastatin wurde das LDL-Cholesterol zum Beispiel um 38 bis 39 Prozent gesenkt, unter 4 mg um 44 bis 45 Prozent. Auch Ergebnisse aus Langzeitstudien liegen vor. In einer Studie mit mehr als 1300 Patienten, die eine zwölfwöchige Statintherapie abgeschlossen hatten (LDL-Cholesterol-Senkung 42 Prozent, HDL-Cholesterol-Anhebung 6 Prozent), wurden nach einer weiteren 52-wöchigen Behandlung mit 4 mg Pitavastatin folgende Werte erhoben: LDL-Cholesterol-Senkung 43 Prozent, HDL-Cholesterol-Anhebung 14 Prozent.

Patienten müssen die Filmtabletten unzerkaut und möglichst immer zur gleichen Tageszeit einnehmen. Aufgrund des circadianen Rhythmus des Fettstoffwechsels ist eine Statintherapie abends im Allgemeinen wirksamer. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie sollten Patienten eine cholesterolsenkende Diät einhalten.

 

Die übliche Anfangsdosis beträgt einmal täglich 1 mg. In Abhängigkeit vom Therapieziel und dem Ansprechen des Patienten wird die Dosierung danach individuell angepasst. Laut Fachinformation benötigen die meisten Patienten eine Dosis von 2 mg, die Tageshöchstdosis beträgt 4 mg. Bei älteren Patienten und bei leicht eingeschränkter Nierenfunktion ist keine Dosis­anpassung erforderlich. Bei schwerer Niereninsuffizienz und bei leicht bis mäßig eingeschränkter Leberfunktion wird die 4-mg-Dosierung nicht empfohlen. Kontraindiziert ist Pitavastatin zum Beispiel bei Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz, bei gleichzeitig mit Ciclosporin behandelten Patienten, bei Patienten mit Myo­pathie sowie während der Schwangerschaft, in der Stillzeit und bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne zuverlässige Verhütung.

Zwei Scheininnovationen

Im Juni sind zwei Fertigarzneimittel mit neuen Wirkstoffen in Deutschland auf den Markt gekommen. Damit ist die Zahl der neuen innovativen Substanzen im ersten Halbjahr 2011 auf neun gestiegen. Im Vergleich zu den Vorjahren keine gute Ausbeute. Auch die Zahl der Sprunginnovationen ist mit zwei Kandidaten bescheiden. Da-ran konnten auch die beiden Produkte aus dem Juni, Apixaban und Pitavastatin, nach Prüfung der vorgelegten Daten nichts ändern. Sie müssen vorläufig als Analogpräparate beziehungsweise Scheininnovationen bewertet werden. Apixaban hat es schwer, einen zusätzlichen Nutzen gegenüber dem bereits am Markt befindlichen direkten Faktor Xa-Hemmer Rivaroxaban in den zugelassenen Indikationen nachzuweisen, zumal auch keine Vergleichsstudie mit dem Konkurrenten durchgeführt wurde, sondern mit Enoxaparin verglichen wurde. Zur gleichen Bewertung komme ich auch bei Pitavastatin. Aus den vorgelegten Studien kann bei dem neuen Lipidsenker keine Verbesserung oder ein zusätzlicher Nutzen gegenüber den etablierten Statinen abgeleitet werden. Beide Substanzen werden bei der Nutzenbewertung nach AMNOG weitere Daten vorlegen müssen, um in den zugelassenen Indikationen eine bessere Einstufung erreichen zu können.

 

Professor Dr. Hartmut Morck

Wie bei anderen Statinen kann es auch unter Pitavastatin zu Myalgie, Myopathie sowie in seltenen Fällen zu Rhabdomyolyse kommen. Apotheker sollten die Patienten deshalb darauf hinweisen, alle eventuell auftretenden Muskelsymptome mitzuteilen. Bei jedem Patienten mit Muskelschmerzen, Muskelempfindlichkeit oder -schwäche sollten die Kreatinkinase-Spiegel bestimmt werden, vor allem wenn die Beschwerden mit Unwohlsein oder Fieber einhergehen.

 

Für die Dauer der Behandlung mit Erythromycin, anderen Makrolid-Antibiotika oder Fusidinsäure wird in der Fachinformation eine vorübergehende Unterbrechung der Therapie mit Pitavastatin empfohlen. Zudem sollten Patienten, die mit Arzneimitteln behandelt werden, von denen bekannt ist, dass sie eine Myopathie auslösen können, zum Beispiel Fibrate und Niacin, nur mit Vorsicht zusätzlich mit Pitava­statin therapiert werden.

 

Die in Studien am häufigsten beobachtete Nebenwirkung war Myalgie. Häufig traten zudem Kopfschmerzen und gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Durchfall und Verstopfung auf.

 

Vorläufige Bewertung: Scheininnovation (Analogpräparat)

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