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Canakinumab

Neue Einsatzgebiete

19.06.2012  15:33 Uhr

Von Conny Becker, Berlin / Canakinumab ist seit 2009 für die Behandlung einer Gruppe von seltenen autoinflammatorischen Erkrankungen, den sogenannten CAPS-Syndromen zugelassen. Nun strebt der monoklonale Antikörper die Zulassungserweiterung für zwei weitere seltene Erkrankungen an: die systemische juvenile idiopathische Arthritis und das sogenannte TRAPS-Syndrom.

Wie CAPS ist auch die systemische juvenile idiopathische Arthritis (SJIA) eine schwerwiegende autoinflammatorische Erkrankung, die zumeist den gesamten Körper betrifft. »SJIA-Patienten erleben eine große Bandbreite von Symptomen«, erklärte Professor Dr. Alberto Martini, Leiter der Abteilung für pädiatrische Rheumatologie am G. Gaslini Forschungsinstitut und Professor für Pädiatrie an der Universität Genua, auf einer von Novartis ausgerichteten Pressekonferenz. So leiden die jungen Patienten potenziell lebenslang an Arthritisschüben, die Hautausschläge, tägliche Fieberschübe über mehr als zwei Wochen, Gelenkschmerzen sowie Schwellungen von Leber und Milz verursachen können. Bei etwa 10 Prozent der SJIA-Patienten tritt als ernsthafte Komplikation das sogenannte Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom (MAS) auf: eine entzündliche Reaktion, die von einer exzessiven Aktivierung und Zunahme von Immunzellen begleitet wird.

»Eine Dysregulation der Produktion sowie der Sekretion von Interleukin-1β spielt eine wichtige Rolle in der Pathogenese der SJIA«, erklärte der Pädiater. Bei Vorliegen der Erkrankung ist das angeborene Immunsystem nämlich unkontrolliert aktiviert, ohne dass eine Ursache bekannt ist (idiopathisch). Verantwortlich für die Symptome der SJIA ist vermutlich die erhöhte Konzentration von Interleukin-1β (IL-1β), das in den verschiedenen Geweben teils über weitere proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-6 Fieber und Entzündungen triggert. Hier kommt nun Canakinumab ins Spiel: Der Antikörper bindet IL-1β mit hoher Affinität, womit die Interaktionen des Zytokins mit seinem Rezeptor verhindert werden.

 

Dass der Einsatz von Canakinumab auch in der Praxis bei SJIA wirksam ist, bestätigen die beiden Phase-III-Studien, die auf dem EULAR-Fachkongress präsentiert wurden. Ziel der ersten vierwöchigen randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie war es, die Wirksamkeit und Sicherheit des Antikörpers zu untersuchen. Dazu erhielten 84 Patienten mit aktiver SJIA 1:1 randomisiert am Tag eins entweder subkutan eine Einzeldosis des Biologicals (4 mg/kg) oder Placebo. Primärer Endpunkt der Studie war eine verbesserte Symptomlinderung (einschließlich Fieberfreiheit) gegenüber der Kontrollgruppe, was anhand von adaptierten Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) für Kinder gemessen wurde. Unter Verum erreichte der Großteil der Patienten (83,7 Prozent) die angestrebte Verbesserung um mindestens 30 Prozent innerhalb von 15 Tagen (Placebo: 9,8 Prozent). Bei rund Zweidrittel der mit Canakinumab Behandelten gingen die Beschwerden um mindestens 50 Prozent zurück (Placebo: 4,9 Prozent) und bei einem Drittel sogar um 100 Prozent, was in der Placebogruppe nicht erreicht wurde. Die Ansprechraten der Antikörperbehandlung waren zu allen Messzeitpunkten Placebo signifikant überlegen.

 

Steroide reduzierbar

 

»Die zweite Phase-III-Studie bestand aus zwei Teilen«, erklärte Martini. So erhielten zunächst alle der 177 zwischen zwei- und zwanzigjährigen Patienten offen alle vier Wochen Canakinumab subkutan (4 mg/kg; maximal 300 mg). Über insgesamt fünf Monate wurde geprüft, ob zusätzliche Prednisongaben mit der Therapie reduziert werden konnten. Dies gelang bei 44,5 Prozent der Behandelten. »Positiv ist, dass ein Drittel der Patienten eine ausreichende Symptomkontrolle erreichte, um eine Corticosteroid-Therapie komplett beenden zu können«, sagte der Referent. Schließlich sei eine Langzeitbehandlung mit Steroiden bei Kindern potenziell mit schweren unerwünschten Wirkungen wie dem Cushing-Syndrom, Wachstumsstörungen und Osteoporose behaftet.

 

100 Patienten, die mindestens eine 30-prozentige Symptomenverbesserung am Ende vom ersten Teil erreicht hatten, nahmen am zweiten Teil der Studie teil und erhielten entweder den Antikörper oder Placebo. Als Endpunkt galt nun die Zeit bis zu einem Wiederaufflammen der Erkrankung. Diese betrug unter Placebo 236 Tage. Unter Canakinumab konnte sie noch nicht bestimmt werden, da im Untersuchungszeitraum weniger als 50 Prozent der Verum-Gruppe einen Schub erlitten hatte (unter Placebo waren es 52 Prozent, Verum: 22 Prozent). Die Antikörper-Therapie senkte damit das Risiko für einen Schub um 63 Prozent. Bei Studienende waren 62 Prozent der Patienten unter Canakinumab symptomfrei und immerhin auch 32 Prozent unter Placebo, was der Referent auf die anfänglichen Verumgaben im ersten Teil der Studie zurückführt.

 

Das Sicherheitsprofil von Canakinumab entsprach den Erfahrungen aus der bisherigen Anwendung bei CAPS. In der ersten Phase-III-Studie meldeten 56 Prozent unter Verum gegenüber 39 Prozent unter Placebo unerwünschte Ereignisse, davon waren je zwei pro Behandlungsgruppe schwerwiegend. Bei je einem Patienten wurde ein Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom (MAS) beobachtet. In der zweiten, deutlich längeren Studie erlitten unter Verum sowohl im ersten als auch im zweiten Teil der Studie rund 80 Prozent der Teilnehmer Nebenwirkungen. Auch unter Placebo betrug die Rate 70 Prozent, allerdings kann durch die vorherige Gabe von Verum auch hier kein echter Vergleich gezogen werden. Die Hauptnebenwirkung bildeten Infektionen der oberen Atemwege, gefolgt von gastrointestinalen Beschwerden und Kopfschmerzen. Fünf Patienten beendeten die Studie im ersten Teil vorzeitig, weitere sechs im zweiten Teil (alle aus der Placebogruppe). Schwere Nebenwirkungen traten 14-mal im ersten Teil und je sechsmal im zweiten auf und zwar vor allem Infektionen, MAS oder Schub-assoziierte Beschwerden. Zwei Patienten verstarben an einer MAS (einer im ersten Teil, der zweite nach sechs Monaten unter Placebo).

 

Die Zulassungserweiterung auf die systemische juvenile idiopathische Arthritis wird für 2013 erwartet. Sie ist bei der EMA bereits beantragt. Weiterhin wird der Antikörper bei Gichtarthritis, Typ-2-Diabetes und zur Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse gestestet. / 

Canakinumab bei TRAPs

Vorgestellt wurden im Rahmen des EULAR auch Zwischenergebnisse einer laufenden offenen Phase-II-Studie mit Patienten, die unter dem Tumornekrosefaktor-Rezeptor 1-assoziiertem periodischem Syndrom (TRAPS) leiden. TRAPS ist ebenfalls eine seltene autoinflammatorische Erkrankung und zählt zu den periodischen Fiebersyndromen.

 

In der Studie erhielten 20 Patienten, die mindestens vier Jahre alt waren und mehr als sechs Episoden pro Jahr hatten, über vier Monate Canakinumab (2 mg/kg) alle vier Wochen. 19 Patienten zeigten eine klinische Remission, die über einen Beobachtungszeitraum von vier Monaten anhielt. Der Patient, der einen Rückfall erlitt, sprach positiv auf eine Dosiserhöhung an. 19 Patienten berichteten von Nebenwirkungen, die zumeist leicht waren (Infektionen der oberen Atemwege). Langzeitdaten sollen das fünfmonatige Follow-up und die zweijährige offene Behandlung liefern.

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