Starkes Interesse am schwachen Geschlecht |
16.06.2008 10:02 Uhr |
Starkes Interesse am schwachen Geschlecht
Von Daniel Rücker
Auf den ersten Blick ist es kaum zu verstehen: Frauen werden in Deutschland im Schnitt rund 5 Jahre älter als Männer. Dennoch gibt es weitaus mehr Institutionen und Programme, die sich speziell um deren Gesundheit kümmern. Dafür gibt es Gründe.
Seitdem sich Mediziner und Politik stärker für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gesundheit interessieren, haben sie festgestellt, dass Frauen nicht wirklich von der Natur begünstigt sind. Sie leben zwar länger, sind aber häufiger krank. Die Tatsache, dass Männer im Durchschnitt zwar kürzer leben, aber diese Zeit wahrscheinlich gesünder bleiben, bezeichnen Experten als »Gender paradox«.
Das Gender paradox ist einer der Gründe, warum sich weitaus mehr Stellen des Gesundheitswesens spezifisch mit Frauen als mit Männern beschäftigen. Wahrscheinlich spielt es aber auch eine Rolle, dass Gesundheitsförderung für Frauen auf einen fruchtbareren Boden fällt. Männer interessieren sich immer noch zu wenig für ihre Gesundheit. Krank sein passt schlecht zu den Attributen, mit denen sich Männer schmücken wollen, deshalb sind spezielle Angebote für sie auch oft nicht sonderlich erfolgreich. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Das stellte zuletzt die Deutsche Angestelltenkrankenkasse (DAK) in ihrem Gesundheitsbericht von Anfang März dieses Jahres fest. »Männer bringen lieber ihr Auto zum TÜV, als dass sie selbst einen Gesundheits-Check machen«, konstatierte damals DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher und dürfte dafür wohl wenig Widerspruch geerntet haben.
Frauen im Fokus
Während sich auch die Politik inklusive der Bundesregierung für Männer nur am Rande interessiert, hat die Frauengesundheit beim Bundesgesundheitsministerium hohe Priorität. Im Ministerium gibt es ein eigenes Referat »Frauen und Gesundheit«. Es beschäftigt sich unter anderem mit der Medikalisierung weiblicher Lebensphasen, also dem Phänomen, dass Mediziner sich für natürliche körperliche Veränderungen im Leben einer Frau, etwa Schwangerschaft oder Wechseljahre, für zuständig halten, auch wenn diese zumeist nicht pathologisch sind. Weitere Schwerpunkte im Referat Frauen und Gesundheit sind die gesundheitliche Prävention in der zweiten Lebenshälfte, die gesundheitlichen Folgen häuslicher Gewalt und die Endometriose, unter der etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter leidet.
Das Gesundheitsministerium ist außerdem an zwei Forschungsprojekten beteiligt. In einem soll geklärt werden, wie bei Frauen die Zahl der Schlaganfälle gesenkt werden kann. Denn hier gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen erleiden im Durchschnitt gut fünf Jahre später einen Schlaganfall als Männer. Sie sterben aber häufiger daran und werden auch häufiger zum Pflegefall.
Das Bundesgesundheitsministerium hat sich des Themas Frauen und Prävention auch grundsätzlich angenommen. Im März dieses Jahres stellte Ministerin Schmidt zwei Buchbände mit Präventionsstrategien für Frauen ab 55 Jahren vor. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass vor allem Frauen über 75 Jahre im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen überdurchschnittlich krank sind. Dem soll nun entgegengewirkt werden. So will das Ministerium neue frauenspezifische Informationsangebote zu gesundheitlichen Risiken schaffen. Gleichzeitig sollen Ärzte sich kontinuierlich über die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Diagnose und Therapie fortbilden. Außerdem will das Ministerium Frauen motivieren, sich mehr zu bewegen und Sport zu treiben.
Ein weiteres Problem ist die geringe Beteiligung von Frauen an klinischen Arzneimittelstudien. Aus naheliegenden Gründen schließen die meisten Pharmaunternehmen Frauen im gebärfähigen Alter von ihren Studien aus. Deshalb beruhen die Informationen über Nebenwirkungen und Dosierungen vornehmlich auf den Daten der Männer. Da eine Übertragung dieser Daten auf Frauen nur bedingt möglich ist, treten nach Literaturrecherchen des Ministeriums bei Frauen häufiger Nebenwirkungen auf. Das Ministerium will deshalb Forschungsprojekte unterstützen, die neue Erkenntnisse über die geschlechtsspezifische Arzneimitteltherapie erwarten lassen.
Das Bundesgesundheitsministerium ist nur eine von zahlreichen Stellen in Deutschland, die sich um die Gesundheit der Frauen kümmert. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat vor einigen Jahren den »Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen in Deutschland« erstellt und unterhält die Bundeskoordination Frauengesundheit, die seit 2001 die Aufgabe hat, Aktivitäten rund um die Frauengesundheit zu bündeln und zu unterstützen.
Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat sich des Themas angenommen. Ihre Website www.frauengesundheitsportal.de eignet sich auch bestens als Lotse für alle, die sich noch intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen.
Die exponierte Stellung der Frauengesundheit in Deutschland lässt sich sicherlich nicht darauf zurückführen, dass die beiden zuständigen Ministerien zurzeit von Frauen geleitet werden. Frauengesundheit ist vielmehr weltweit ein wichtiges Thema. Als Meilensteine auf dem Weg dorthin nennt die BZgA die Konferenzen der Weltgesundheitsorganisation WHO im kanadischen Ottawa (1986), im australischen Adelaide (1988) und im schwedischen Sundsvall. Auf diesen Konferenzen wurde eine frauenorientierte Gesundheitspolitik zu einem der zentralen Ziele der Gesundheitsförderung erklärt.
Angetrieben wurde diese Entwicklung von den Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen. Im Jahr 1995 bestimmte die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking zwölf Ziele, die zum Teil auch die Position der Frauen in der Gesundheitsversorgung neu definierten. In Europa verhalf der Gender Mainstream der Frauengesundheit zu einem größeren Forum. Dessen Ziel, bei allen politischen Entscheidungen die spezifischen Lebenssituationen von Frauen und Männern gleichermaßen zu berücksichtigen, schließt auch die Gesundheit ein. Im Jahr 2000 bekannte sich Europäische Kommission zu den Zielen des Gender Mainstream und damit auch zu der speziellen Förderung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse in der Gesundheitsversorgung.