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Stress

Wenn der Frust überhand nimmt

18.06.2007  10:54 Uhr

Stress

Wenn der Frust überhand nimmt

PZ / Arbeitsbedingter Stress gehört zu den wichtigsten Gesundheitsproblemen in der EU. Bereits heute fühlt sich die Hälfte der rund 150 Millionen Beschäftigten in Europa bei der Arbeit erheblichem Druck ausgesetzt. Die betriebs- und volkswirtschaftlichen Schäden sind nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung beträchtlich: Die EU schätzt allein die materiellen Kosten auf rund 20 Milliarden Euro.

 

Zunehmende Arbeitsverdichtung, Arbeitsüberlastung, Hektik und Termindruck sorgen dafür, dass sich immer mehr Mitarbeiter den an sie gestellten beruflichen Aufgaben nicht mehr gewachsen fühlen. Genauso können auch Unterforderung, Eintönigkeit, fehlende Kommunikation und mangelnde Information »stressen«. Oftmals fehlt es an dem Gefühl der Sinnhaftigkeit der Arbeit und Beschäftigte fühlen sich für ihr Engagement vom Arbeitgeber nicht entsprechend »belohnt«.

 

Was können Unternehmen tun, um den negativen Folgen von Stress entgegenzuwirken? Welche Rolle spielt Stress für die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen und was können Führungskräfte leisten, um Beschäftigte zu unterstützen?

 

Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Europäische Netzwerk »Enterprise for Health« (EFH). Das Netzwerk EFH ist ein internationaler Unternehmenskreis, der sich, initiiert von der Bertelsmann-Stiftung und dem Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK), mit der Entwicklung einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur und moderner betrieblicher Gesundheitspolitik beschäftigt.

 

Warum in gesundheitsgerechte Arbeitsplätze investieren? Graham S. Lowe (Alberta/Kanada) stellte in der Vergangenheit vier Hauptargumente heraus, warum heutzutage Unternehmer an gesünderen Arbeitsumgebungen interessiert sein sollten:

 

Kostenreduzierung (Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitskosten)

Verbesserung des Lernens und der Kompetenzentwicklung am Arbeitsplatz

Förderung einer innovativen Kultur und Erhöhung der Produktivität

Verbesserung der Nutzung des Humankapitals, insbesondere bei alternden Belegschaften

 

Stress bei der Arbeit ist ein entscheidender Faktor für die betriebliche Gesundheit. In allen industrialisierten Ländern lässt sich heute eindeutig nachweisen, dass ein großer Prozentsatz der Beschäftigten einer starken Stressbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt ist. Dies wird oft auf den hohen Leistungsdruck zurückgeführt, verbunden mit dem Gefühl des zunehmenden Kontrollverlusts beim einzelnen Mitarbeiter. Eine Fülle ­ manchmal auch widersprüchlicher ­ Arbeitsanforderungen, gekoppelt mit wenig Einflussmöglichkeit auf das Arbeitstempo oder die Arbeitsweise, wirken als Gesamtbelastung auf die Mitarbeiter ein. Hinzu kommen weitere erhebliche Stressoren wie fehlende Unterstützung von Kollegen oder Vorgesetzten, Arbeitsplatzunsicherheit und die körperlichen Beanspruchungen in einigen Berufen.

 

Dieser Druck steigt mit zunehmender Arbeitsverdichtung beziehungsweise Intensivierung der Arbeit. Die wirtschaftlichen Bedingungen zwingen Unternehmen vermehrt dazu, eine Reihe von produktivitätssteigernden Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel Personalreduzierung, Arbeitszeitausnahmeregelungen sowie insgesamt höhere Leistungserwartungen an den Einzelnen und an das Team.

 

Diese Veränderungen haben zu einem neuen Verständnis beziehungsweise einer stillschweigenden Neudefinition von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsverträgen geführt. In vielen Unternehmen, die sich momentan in einem Restrukturierungs- und Downsizing-Prozess befinden, wird deutlich, dass sie von den ihnen noch verbliebenen Mitarbeitern einen 110-prozentigen Einsatz erwarten: Ein neuer »psychologischer Arbeitsvertrag« wird wirksam.

 

Neben den negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und auf andere Aspekte der Lebensqualität schränken diese Veränderungen auch die Fähigkeit der Organisationen ein, die Kompetenzen und die Wissenbasis für ihre Geschäftstätigkeiten zu entwickeln und zu verbessern. Gleichsam gehen somit Potenziale zum Wandel verloren, was negative Folgen für die Innovation und die Gesamtleistung des Unternehmens mit sich bringt.

 

Unternehmen, so Lowe, neigen dazu, sich auf die gesundheitsbezogenen Fehlzeiten (Absentismus) zu konzentrieren und dabei die Tatsache außer Acht zu lassen, dass die Hauptursache für reduzierte Leistung und Produktivität heute oftmals bei den Mitarbeitern liegt, die zwar anwesend sind, aber nicht vollständig produktiv (bereits bekannt unter dem Begriff »Presenteeism«).

 

Der einzige wirksame Weg für Organisationen, diesem Problem entgegenzuwirken, ist, in gesundheitsgerechtere Arbeitsplätze zu investieren und eine mitarbeiterfreundliche Arbeitspraxis und -umgebung zu schaffen.

 

Stress and seine Auswirkungen

 

Es herrscht breiter Konsens darüber, dass in unserer heutigen Wirtschaftswelt Wissen die Hauptquelle für Wettbewerbsvorteil ist. Nach Lowe ist die negative Auswirkung von Stress auf Lernen und Innovation letztlich auch der Schlüssel für ein neues Verständnis für die strategische Notwendigkeit einer gesünderen Arbeitsumgebung.

 

Es wird deutlich, dass die Hauptcharakteristika einer »lernenden Organisation« denen eines »gesundheitsgerechten Arbeitsplatzes« sehr ähnlich sind. Daher stellt sich die zentrale Herausforderung, die Entwicklung einer gesunden Arbeitsumgebung voranzutreiben, um das innovative und wirtschaftliche Potenzial eines Unternehmens zu maximieren.

 

Die wirtschaftliche Situation der Unternehmen, und schließlich der Länder, hängt zunehmend vom Beitrag der »Knowledge Worker« ab. Die Organisationen, die dies nicht erkennen oder keine geeigneten Schritte unternehmen, um die schädlichen Auswirkungen von Arbeitsverdichtung und anderer Stressoren auf ihre Mitarbeiter zu begrenzen, könnten letztlich ihre Zukunft aufs Spiel setzen.

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