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Klinische Studien

Deutschland ist Vizeweltmeister

15.06.2016  09:05 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Für die Erprobung neuer Arzneimittel ist Deutschland ein wichtiger Standort. Weltweit werden nur in den USA mehr klinische Studien angemeldet als hierzulande. Alle Ergebnisse werden im offiziellen Register der EU veröffentlicht, betont der Branchenverband.

599 Studien mit neuen Wirkstoffen liefen in Deutschland im Jahr 2015. Damit belegte die Bundesrepublik Platz 2 im weltweiten Ranking – hinter Platzhirsch USA mit 2397 Studien und knapp vor Großbritannien mit 547. Das ergab eine Auswertung des öffentlichen Studienregisters clinicaltrials.gov, die der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) vergangene Woche in Berlin vorstellte.

Am meisten wird demnach in der Hauptstadt geforscht: Berliner medizinische Einrichtungen waren an 226 Studien beteiligt, Hamburger an 153 und Münchner an 142. Doch auch Frankfurt am Main, Essen, Hannover, Köln, Dresden, Leipzig und Heidelberg tragen ihren Teil zu der Bilanz bei. »Wir haben in Deutschland eine breite regionale Verteilung sehr guter Unikliniken. Insofern wirkt sich unsere föderale Struktur positiv auf die Studienbeteiligung in der Fläche aus«, sagte Dr. Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovation.

 

Indikation Krebs auf Platz 1

 

Die häufigste Indikation war Krebs gefolgt von Entzündungskrankheiten, beispielsweise Rheuma oder Asthma, und Infektionen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, früher jahrelang Spitzenreiter in dieser Statistik, folgen erst auf Platz 4. Erfasst wurden ausschließlich klinische Studien mit Arzneimitteln, die von forschenden Pharmaunternehmen initiiert und finanziert wurden, also zum Beispiel keine Anwendungsbeobachtungen, Registerstudien oder Bioäquivalenzstudien für Generika.

 

Mit 41 Prozent machten Phase-III-Studien den Löwenanteil aus, 29 Prozent entfielen auf Phase II und 23 Prozent auf Phase I. Damit ist die Verteilung in Deutschland genau umgekehrt wie im Rest der Welt: Global und auch in den USA hat das Frühstadium der klinischen Entwicklung (Phasen 0 und I) den größten prozentualen Anteil. Ein möglicher Grund für diesen Unterschied ist die deutsche Strahlenschutzverordnung, wie Throm erklärte: »Wenn in einer Studie radioaktiv markierte Substanzen verwendet werden, wie es in Phase I häufig der Fall ist, bedarf es einer eigenen Genehmigung des Bundesamts für Strahlenschutz. Diese kann recht schnell erfolgen, aber auch mal einige Monate auf sich warten lassen.« Andere Länder erteilten entsprechende Genehmigungen schneller, was die Planbarkeit für die Firmen erhöhe.

 

»Klinische Forschung braucht Kooperation. Unternehmen müssen eng mit den behandelnden Ärzten zusammenarbeiten«, sagte vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Allerdings habe diese Arbeit am klinischen Fortschritt in Deutschland jahrelang unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. »Das hat der Akzeptanz unserer Branche nicht gut getan«, räumte Fischer ein. Der vfa setze deshalb auf Transparenz, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen.

 

Transparenz in der Forschung

 

Die vfa-Mitgliedsunternehmen haben sich dazu verpflichtet, die Ergebnisse sämtlicher in der EU seit 2004 genehmigten Studien im Online-Register clinicaltrialsregister.eu zu veröffent­lichen. »Diese Ergebniszusammen­fassungen sind sehr detailliert und 20 bis 30 Seiten lang«, sagte Throm. Eine Publikation in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift sei dagegen nicht immer möglich, weil die Redaktionen Studien mit negativen oder wenig spektakulären Ergebnissen meist ablehnten.

 

Auch die Rohdaten zu veröffent­lichen, wie es von Pharmakritikern immer wieder gefordert wird, komme zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Hersteller nicht infrage. »Sobald diese Daten veröffentlicht sind, können sich Generikahersteller darauf berufen und in Ländern, in denen der Patentschutz weniger streng ist als hierzulande, die ersten Nachahmer auf den Markt bringen«, erläuterte Throm. Das sei keine übertriebene Befürchtung der Hersteller, sondern bereits vorgekommen. /

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