Immer nüchtern? |
08.06.2016 09:26 Uhr |
Von Ulrich Laufs und Martin Schulz / Am Morgen oder mindestens acht Stunden nichts essen zu dürfen, empfinden viele Menschen als unangenehm. Für eine routinemäßige Lipidbestimmung ist es aber nicht mehr erforderlich, nüchtern zu bleiben. Was bedeutet das für die Lipidmessung in der Apotheke und ab welchen Werten sollte an den Arzt verwiesen werden?
Eine Lipidbestimmung muss laut einem aktuellen Konsensuspapier der European Atherosclerosis Society und der European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine nicht mehr nüchtern durchgeführt werden (1). Nur in speziellen Situationen kann eine Nüchternbestimmung erforderlich werden.
Für die Bestimmung der Blutlipidwerte müssen Patienten nicht mehr nüchtern erscheinen. Das gilt auch für Messungen in der Apotheke.
Foto: Shutterstock/Alexander Tihonov
Bisher ist es auch in Apotheken gängige Praxis, die Patienten zu bitten, mindestens acht Stunden vor einer Lipidmessung keine Nahrung zu sich zu nehmen. Für Patienten und auch Apothekenmitarbeiter bedeutet die Lipidmessung im nicht nüchternen Zustand eine große Erleichterung. Gerade für ältere Menschen und Diabetiker kann das Nüchternbleiben eine Belastung sein beziehungsweise das Hypoglykämierisiko erhöhen. Zudem müssen die Patienten nicht noch einmal in die Offizin kommen, nur um ihre Lipidwerte nüchtern messen zu lassen. Die Lipidbestimmung muss auch nicht zwangsläufig am Morgen erfolgen (1, 2).
Bedenken gegen eine Lipidbestimmung im nicht nüchternen Zustand waren bislang eine nicht ausreichende Messgenauigkeit und das Fehlen von evaluierten Referenzwerten. Mittlerweile liegen aber Daten aus aktuellen Kohorten- und Registerstudien vor, die zeigen, dass eine Nahrungsaufnahme das Lipidprofil nur geringfügig beeinflusst und die beobachteten Veränderungen der Lipidkonzentrationen klinisch nicht signifikant sind (1, 2): Triglyceridewerte steigen um 0,3 mmol/l (26 mg/dl), das Gesamtcholesterol sinkt um 0,2 mmol/l (8 mg/dl) und das LDL-Cholesterol um 0,2 mmol/l (8 mg/dl).
Die Konzentrationen von zum Beispiel HDL-Cholesterol oder Lipoprotein (a) werden von der Nahrungsaufnahme nicht beeinflusst. Darüber hinaus zeigen zahlreiche Studien, dass nicht nüchtern gemessene Lipidwerte das kardiovaskuläre Risiko vergleichbar gut oder sogar besser vorhersagen als Nüchternwerte (1, 3, 4).
Im Rahmen eines Screenings ist daher die Nicht-Nüchtern-Lipidbestimmung in der Apotheke ausreichend. Das gilt für die initiale Lipidbestimmung, für die Bestimmung des kardiovaskulären Risikos bei älteren Menschen, Diabetikern, Kindern, bei Patientenwunsch und Patienten mit stabiler Medikation. Sinnvoll ist es aber, die Patienten zu bitten, am Tag der Lipidbestimmung keine fettigen Mahlzeiten wie Fast Food zu essen und vor der Messung mindestens eine Stunde nichts zu trinken, da eine Flüssigkeitszufuhr vor allem die LDL-Cholesterol-Werte verfälschen kann.
In folgenden Fällen ist weiterhin eine Nüchtern-Lipidbestimmung erforderlich (1, 2):
Zur Dokumentation steht der konsentierter Informationsbogen Blutzucker zur Verfügung, den die gemeinsame Kommission von Bundesapothekerkammer und Deutscher Diabetes-Gesellschaft »Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung« erarbeitet hat. Mit diesem können auch weitere in der Apotheke gemessene Werte oder erhobene Risikofaktoren für den Patienten dokumentiert und dem Arzt zur Verfügung gestellt werden (5). Der Informationsbogen befindet sich im Serviceteil dieser Ausgabe.
Wann zum Arzt?
Wie sind die Messwerte zu bewerten? Laut aktuellen Leitlinien werden für nicht nüchtern gemessene Parameter folgende Werte als abnormal hoch angesehen (1):
Frühstücken ist vor einer Lipidbestimmung zwar erlaubt, zu viel Fett sollte das Essen allerdings nicht enthalten.
Foto: Shutterstock/lyulka
Als Grenzwerte für aus Kapillarblut in der Apotheke gemessene Lipide, ab denen ein zeitnaher Arztbesuch empfohlen werden sollte, werden von uns vorgeschlagen:
Dabei sollte analog zum Informationsbogen Blutzucker Datum, Uhrzeit, Messgerät und Zeitpunkt der letzten Nahrungs- beziehungsweise Flüssigkeitsaufnahme dokumentiert werden.
Im Falle von sehr hohen, potenziell lebensbedrohlichen Messwerten ist dringend ein sofortiger Besuch bei einem Spezialisten oder einer Lipidambulanz zu empfehlen. Hierzu zählen Triglyceridwerte von mehr als 880 mg/dl (10 mmol/l), wegen des Risikos einer akuten Pankreatitis. Auch LDL-Cholesterolwerte > 190 mg/dl (5 mmol/l; hohes kardiovaskuläres Risiko bei heterozygoter familiärer Hypercholesterolämie), LDL-Cholesterol > 500 mg/dl (13 mmol/l; extrem hohes kardiovaskuläres Risiko bei homozygoter familiärer Hypercholesterolämie) oder Lp(a) > 150 mg/dl (99. Perzentile; sehr hohes kardiovaskuläres Risiko, zum Beispiel für Myokardinfarkt) gelten als potenziell lebensbedrohlich. /
Die Verfasser:
Professor Dr. Ulrich Laufs,
Professor Dr. Martin Schulz,
Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK)
Literatur