»Das System lernt zu langsam« |
08.06.2016 09:26 Uhr |
Von Daniel Rücker, Straubing / Seit fünf Jahren gibt es das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG). Von Beginn an war es umstritten. Vor allem die frühe Nutzenbewertung sorgt für Dissens. Auch Hartmut Morck, Professor an der Universität Marburg, hält nicht viel von dem Gesetz.
Das AMNOG beendete im Jahr 2011 die Preishoheit der pharmazeutischen Industrie. Bis dahin konnten Pharmaunternehmen ihre Innovationen zu selbstgemachten Preisen anbieten. Mit der Einführung der frühen Nutzenbewertung war damit Schluss. Seitdem müssen Hersteller und Krankenkassen ein Jahr nach dem Marktzugang den Erstattungspreis für das Medikament aushandeln. Maßgeblich für die Preisfindung ist das Ergebnis der Nutzenbewertung.
Das AMNOG- Verfahren der frühen Nutzenbewertung ist aus Sicht von Kritikern zu sehr kostenzentriert. Der Nutzen eines Medikaments werde zu wenig berücksichtigt.
Foto: iStock/milanfoto
Professor Morck kritisiert dieses Vorgehen. »Der tatsächliche Nutzen eines neuen Arzneistoffes lässt sich frühestens nach fünf Jahren seriös bewerten«, sagte er in einem Vortrag beim Bayerischen Apothekertag in Straubing. Das für die Nutzenbewertung zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) habe für das Dossier zur Nutzenbewertung nur ein paar Monate Zeit. Dies sei deutlich zu kurz. Hinzu komme, dass in klinischen Studien gewonnene Ergebnisse ohnehin nur bedingt Rückschlüsse auf den Nutzen eines Medikamentes zuließen, weil hier ausgewählte Patientenkollektive getestet würden.
Zudem sei die frühe Nutzenbewertung geprägt von Bürokratie und Formalia. Morck: »Die frühe Nutzenbewertung hat keinerlei wissenschaftlichen Bezug«. Die Wirksamkeit eines Arzneimittels spiele dabei faktisch keine Rolle. Es handele sich ausschließlich um eine pekuniäre Betrachtung, sagte Morck. Bei den Verfahren stünden vor allem die Kosten einer Arzneimitteltherapie im Fokus. Das AMNOG sei zwar bewusst als lernendes System konzipiert, es lerne aber definitiv zu langsam.
Auch die Kategorisierung der Präparate ist sehr mechanistisch. Ein neuer Wirkstoff, der gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie keinen Zusatznutzen vorweisen kann, wird automatisch in die entsprechende Festbetragsgruppe einsortiert. Dasselbe gilt zumeist auch für Medikamente mit einem nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, auch wenn der tatsächliche Nutzen kaum ermittelt werden kann. Einen ordentlichen Erstattungspreis könnten vor allem die wenigen Innovationen erzielen, denen das IQWiG einen beträchtlichen Zusatznutzen attestiert. Dies komme aber nur sehr selten vor.
Jenseits der Nutzenbewertung nach IQWiG gibt es kaum Spielraum. Zu Morcks Ärger interessieren sich das Institut und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nicht für den tatsächlichen Nutzen des Arzneistoffs. Wenn ein neues Medikament in der Nutzenbewertung scheitere, dann bedeute dies oft das faktische Aus. Dabei interessiere es die Beteiligten nicht, ob das Medikament bei einer Subgruppe der Patienten von Nutzen sei, oder einen innovativen Wirkmechanismus habe, der weiter entwickelt werden könne.
Bewertung der Evidenz
Für unsinnig hält Hartmut Morck auch die Bewertung der Evidenz. Hier scheiterten viele Medikamente und zwar nicht, weil sie wirkungslos seien, sondern einfach zu kurz auf dem Markt. Innerhalb des kurzen Zeitraums von der Entwicklung bis zum Dossier, sei es kaum möglich, ausreichende Nachweise für die bessere Wirksamkeit im Vergleich zur Standardtherapie zu belegen.
Nach fünf Jahren Nutzenbewertung ist das Ergebnis für Morck wenig erfreulich. Der G-BA sei zwar zufrieden und die Krankenkassen auch. Tatsächlich löse das AMNOG aber kaum ein Problem der Arzneimittelversorgung. Die Arzneimittelausgaben stiegen weiterhin an. Viele Medikamente scheiterten an der Hürde aufgrund formaler Kriterien, der Begriff des nicht quantifizierbaren Zusatznutzens belege, dass das System nicht funktioniere, für die Hersteller werde der Marktzugang zur Lotterie. Neue Regeln für die Nutzenbewertung seien dringend notwendig. /