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Wissenschaftshistorische Exkursion

Pharmaziegeschichte in Spanien

27.05.2013  07:24 Uhr

Von Ulla Holtkamp, Christopher Kreiss, Markus Maxim und Kai Schwartz, Madrid / Im April reisten Pharmaziehistoriker des Instituts für Geschichte der Pharmazie der Universität Marburg nach Madrid, um mehr über die Geschichte der Apothekerkunst zu erfahren und pharmaziehistorische Sehenswürdigkeiten zu erkunden.

Auf dem vielfältigen Programm standen unter anderem der Besuch des aus kolonialhistorischer Sicht bedeutenden Museo de America, die Farmacia des königlichen Palastes, Apotheken mit historischer Ausstattung sowie das weltweit einzige Museum für Militärpharmazie. Zudem folgte die Gruppe einer Einladung zur Teilnahme an einer exklusiven Sitzung der Real Academia Nacional de Farmacia.

Gold, Schokolade und Curare

 

Das Museo de America bildete mit seiner Ausstellung zur Geschichte der spanischen Kolonialisierung Mittel- und Südamerikas die erste Station der Exkursion. Die Sammlung des Museums umfasst mehr als 25 000 Objekte aus unterschiedlichen Epochen und Regionen Iberoamerikas. Darunter befinden sich diverse Exponate aus dem Naturalienkabinett Carlos III. von Spanien (1716–1788), die ersten Karten der »Neuen Welt«, aber auch 62 Goldobjekte des weltberühmten Schatzes der Quimbayas.

 

Von besonderem Interesse waren die in zeitgenössischen botanischen Werken enthaltenen Abbildungen verschiedener Heil- und Nutzpflanzen aus Amerika. Hierzu zählt unter anderem eine frühe Abbildung des Kakaobaums aus dem wirkmächtigen Heilpflanzenthesaurus des spanischen Arztes Francisco Hernández (1514­–1587), der im Auftrag Philipps II. (1527–1598) heilkundlich verwendbare Pflanzen, Tiere und Mineralien Neuspaniens erkundete. Das Werk El Orinoco ilustrado y defendido aus der Hand des Jesuiten Joseph Gumilla (1686–1750) gibt erste Zeugnisse über Herstellung und Gebrauch des Pfeilgiftes Curare.

Königliche Pharmazie

 

Der aus architektonischer Sicht schon aufgrund schierer Größe und Wuchtigkeit imposante Königliche Palast mit seinen Prachtsälen und Prunkräumen ist die ehemalige Hauptresidenz der königlichen Familie von Spanien und lädt heute jedermann zum andächtigen Durchschreiten der mit Ölgemälden, Deckenmalereien, Stuckarbeiten und Perserteppichen üppig dekorierten musealen Räumlichkeiten ein.

 

Zu einem der bemerkenswertesten Areale des Palastes gehört die Hofapotheke, die unter anderem mit einer Vielzahl von historischen Standgefäßen aufwartet. Jedes einzelne war einst im Gebrauch, um die Arzneistoffe und pharmazeutischen Zubereitungen für den königlichen Hof bereitzuhalten. In diesen »botes de farmacia« wurde etwa die Chinarinde, eine der berühmtesten Drogen aus der »Neuen Welt« und Quelle des ersten wirksamen Malariamittels Chinin, oder aber der über Jahrhunderte hinweg als Allheilmittel hoch angesehene Theriak verwahrt.

 

Von Arabern, Elfenbein und Apothekerkunst


Die Universität Complutense ist die größte staatliche Universität Spaniens. Jährlich werden dort zwischen 300 und 480 Pharmaziestudenten aufgenommen. Auf dem Gelände der Universität befindet sich auch das von Professor Dr. Rafael Folch y Andréu im Jahre 1944 gegründete Museo de la Farmacia Hispana. Es zeichnet sich durch seine thematische Vielfalt der Exponate und Eleganz aus.

 

Räumlich voneinander abgetrennt befinden sich Repliken unterschiedlicher Apothekentypen beziehungsweise ihrer Vorläufer: So wurden etwa ein alchemistisches Labor, eine nach arabischem Vorbild eingerichtete Apotheke aus dem Süden Spaniens sowie eine Madrider Farmacia aus dem 19. Jahrhundert detailgetreu nachgebildet. Zu den Ausstellungsstücken gehören pharmazeutische Glas- und Porzellanwaren, Mörser (unter anderem aus Elfenbein gefertigt) sowie heute unbekannte Gebrauchsgegenstände aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Besonderes Interesse unter den Exkursionsteilnehmern riefen die ausgestellten Reiseapotheken hervor; teils aufwendig verzierte Holzkisten unterschiedlicher Größe, die mit vielen Fächern und Schubladen jede Menge Platz für eine Auswahl unterwegs benötigter Heilmittel pflanzlicher, tierischer oder mineralischer Provenienz boten.

Sehenswert war zudem die komplett wiederaufgebaute Farmacia Bellogín aus Valladolid von 1840. Die gut erhaltene Außenfassade, das Schaufenster, die Offizin und das Labor vermitteln einen Eindruck davon, wie der Apothekenalltag im 19. Jahrhundert gewesen sein könnte.

 

Bei einem von Professor Dr. María del Carmen Francés Causapé geführten Rundgang durch die Altstadt von Madrid besuchte die Exkursionsgruppe mehrere aufgrund ihrer gut erhaltenen Originaleinrichtung sehenswerte Apotheken. Sie überraschen darüber hinaus durch ihre kleinen Räumlichkeiten, die mit nur wenigen Kunden bereits an die Grenze ihrer Kapazitäten stoßen. Die Farmacia Reina Madre aus dem 16. Jahrhundert bildete Höhepunkt und Abschluss der Tour. Sie war einst mit dem Palast durch einen geheimen Tunnel verbunden, um die königliche Familie zu beliefern und besticht heute noch durch ihre Sammlung erlesener Standgefäße.

Wissenschaft und Freundschaft

 

Die Exkursionsteilnehmer hatten die einzigartige Chance, an einer Sitzung der Real Academia Nacional de Farmacia (RANF) teilzunehmen. Vor Beginn der Sitzung besichtigten sie das Museum der Real Academia, das neben einigen »Schätzen« der Pharmaziegeschichte auch Kunstwerke aus dem Prado aufbewahrt. Bemerkenswert sind die wertvollen historischen Werke der Bibliothek. Professor Dr. Mariano Esteban Rodríguez, Präsident der RANF, richtete anschließend Grußworte an die Kollegen aus Deutschland, bevor er die Sitzung eröffnete.

 

Das Herbarium des botanischen Gartens umfasst mehr als eine Million Pflanzen und ist somit das größte in Spanien und eines der größten in Europa. Als Eigentum des Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC), dem obersten Rat für angewandte Wissenschaft in Spanien, liegt der Schwerpunkt auf der fortlaufenden systematischen Erfassung der Flora Spaniens, der ehemaligen Kolonien und anderer Teile der Welt, sowie der Digitalisierung bereits vorhandener Bestände. Hier nahm die Exkursionsgruppe unter der Leitung des Pharmaziehistorikers Professor Dr. Antonio González Bueno vor allem Herbarmaterial der drei großen wissenschaftlichen Expeditionen, die im 18. Jahrhundert in die »Neue Welt« entsandt worden waren, in Augenschein.

 

Gesammelte Pflanzen der großen spanischen Botaniker Hipólito Ruiz López (1754–1816) und José Antonio Pavón Jiménez (1754–1840) gehören zu den wertvollsten Exponaten des Herbariums, darunter getrocknetes und archiviertes Material des Chinabaums und der Kokapflanze. Die mit dem Herbarium verbundene Bibliothek bewahrt etliche wertvolle Werke aus verschiedenen Epochen auf. Hier konnte die Reisegruppe manch reich illustriertes botanisches Werk bewundern. Die Ermittlung der tatsächlichen früheren Verwendung von Heilpflanzen anhand solcher historischer Quellen ist in Hinblick auf die Erschließung neuer beziehungsweise alter Indikationen von Arzneipflanzen von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Einzigartiges Museum für Militärpharmazie

 

Das Museum, das sich auf dem Gelände des spanischen Militärs im Stadtteil Embajadores befindet, ist für die Öffentlichkeit nur schwer zugänglich. 1928 wurde es von dem Militärapotheker Rafael Roldán y Guerrero (1888–1965) gegründet. Nach der Neugestaltung im Jahre 1990 zeigt es in seiner heutigen Form detailliert den Weg den der Pharmazie von der Alchemie bis zur Großherstellung und Versorgung mit Medikamenten für das Militär. Neben der Sammlung unzähliger aus der historischen Apothekenpraxis stammender Gebrauchsgegenstände zeichnet sich dieses Museum auch durch die Präsentation von Feld- und Reiseapotheken, Uniformen der Militärapotheker sowie die Darstellung besonderer Anforderungen an die Pharmazie in militärischer Umgebung aus. Es verfügt zudem über eine beeindruckende pharmakognostische Sammlung. Noch heute werden auf dem Gelände, in dem sich das Museum befindet, Medikamente für die spanische Armee hergestellt.

 

Ein Gang durch den botanischen Garten mit historischen und pharmakologischen Ausführungen zu einzelnen Heilpflanzen rundete das vielseitige Programm ab, und der Themenkreis – Entdeckung der »Neuen Welt«, Wandel der Pharmazie sowie die Wiederentdeckung und Erhaltung überlieferten Wissens samt Potenzial für zukünftige Forschung – schloss sich.

 

Die Exkursion des Instituts für Geschichte der Pharmazie wäre ohne persönliches Engagement und internationale Zusammenarbeit nicht zustande gekommen. Aus diesem Grund bedanken sich die Teilnehmer ganz herzlich bei Professor Dr. María del Carmen Francés Causapé, Professor Dr. Antonio Gonzalez Bueno, allen beteiligten Kollegen in Madrid sowie Professor Dr. Sabine Anagnostou und Professor Dr. Christoph Friedrich. /

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