Vitamine der Lebenskunst |
29.05.2007 17:11 Uhr |
Vitamine der Lebenskunst
Von Hartmut Volk
Kosten-, Zeit- und Wettbewerbsdruck, zunehmend auch zwischenmenschlicher, machen den Alltag zu einer nervenaufreibenden Veranstaltung. Wichtig ist es, entkrampfende Gegengewichte zu schaffen. Über Witz, Humor und Lebenskunst sprach der Publizist Hartmut Volk für die PZ mit dem Wiener Psychoanalytiker Dr. Alfred Kirchmayr.
PZ: Dr. Kirchmayr, wie schaffen wir es, dem Arbeitsalltag etwas von seinem häufig selbstgemachten Druck zu nehmen?
Kirchmayr: Vielleicht durch den Merksatz: »Lachen - und nicht alles mitmachen!« Man muss ja einiges »mitmachen« im Sinne von durchmachen und erleiden. Aber man soll nicht alles »mitmachen«, was der »Zeitgeist« von uns erwartet. Man denkt so, kleidet sich so, fühlt so, konsumiert so... man bewundert Reichtum, Erfolg, Macht und strebt danach. Aber was ist wirklich wichtig, tut einem gut und fördert die in Bedrängnis geratene Kollegialität?
Rollen sind Erwartungen, die selbstverständlich erscheinen und oft dazu führen, dass wir diesen Erwartungen zu unser aller Nachteil zu unreflektiert entsprechen. Es ist aber möglich, sich ein Stück weit freizulachen und nicht nach, sondern mit den Rollenerwartungen zu spielen. Humor und guter Witz fördern diese Rollendistanz.
PZ: Was tun wir uns eigentlich an mit dem Verzicht auf etwas mehr Gelassenheit und inneren Abstand zu den Dingen?
Kirchmayr: Unlängst wurde eine Studie über die Häufigkeit des Lachens veröffentlicht. Das Ergebnis macht nachdenklich: Kinder lachen durchschnittlich 400-mal pro Tag, Erwachsene gerade noch 20-mal. Weithin herrscht heftiger tierischer Ernst. Sigmund Freud wusste es: »Geld macht nicht glücklich, denn Glück ist ein Wort aus der Kinderwelt«. Aber Geld kann zweifellos beruhigen. Doch was wir für ein glückendes Leben mehr benötigen, ist die komplementäre Entfaltung von Kindlichkeit und Erwachsenheit. Die Unterdrückung der Kindlichkeit macht viele Menschen zu depressiven, verängstigten und oft auch süchtigen Rädchen im Betrieb und der Gesellschaft. Lassen Sie sich diesen jüdischen Witz auf der Zunge zergehen: »Was ist der Unterschied zwischen einem Psychotiker und einen Neurotiker?« »Ganz einfach. Der Psychotiker ist davon überzeugt, dass zwei und zwei fünf macht. Der Neurotiker weiß, dass zwei und zwei nur vier ist, aber es macht ihn wahnsinnig nervös.«
PZ: Das Wort »Witz« leitet sich etymologisch aus dem indogermanischen »ueid« ab, was »sehen« und auch »wissen« bedeutet. Bis ins 17. Jahrhundert wurde »Witz« im Sinne von Verstand, Klugheit, Wissen und Weisheit gebraucht. Vielleicht sollten wir uns auch daran wieder erinnern?
Kirchmayr: Sie sprechen mir aus der Seele. Genau das ist für mich das Motiv, Vorträge und Seminare über Witz und Humor zu halten. Denn die meisten Menschen denken da nur an blöde Witze, die es natürlich auch gibt. Die Weisheit, das Lebenswissen und die emanzipatorische Tendenz guter Witze sind kaum bewusst. Beispiel. »Was macht eine Frau, die den Mann ihrer Träume geheiratet hat? »Nu, was wird sie machen? Aufwachen!« Dieser Witz tut weh, aber ohne Enttäuschung geht nichts im Leben. Und trotzdem kann man lachen oder lächeln.
Wissen, Witz und Weisheit stammen, wie bereits festgestellt, aus derselben Wortwurzel. Sie leiten sich wohl auch vom genauen Hinsehen, von »videre« her ab. Das Sehen und aufmerksame Hinsehen bewirkt Ansichten, Anschauungen, Weltanschauungen. Eben diese Ein-Sichten haben mich bewogen, mein Buch über Humor und Witz zu schreiben und den Zusammenhang mit einer »erotischen Kultur« zu beleuchten. Eine bei uns dominierende »neurotische Kultur« kann durch Überanpassung und einseitige Leistungs- und Erfolgsbewunderung charakterisiert werden. Sie hat ein gestörtes Verhältnis zum Spielerischen, zu den Gefühlen und zur Lebenskunst, also zu den Grundelementen einer erotischen Kultur. Letztere fördert auch den Sinn für ein befreiendes Lachen und für die Weisheit und Frechheit des Kleinkunstwerkes Witz.
PZ: Reden wir über Lebenskunst. Wie bringen wir in diese Stunden des Geldverdienens wieder mehr entkrampfenden Witz, Humor und Schmunzeln hinein?
Kirchmayr: Indem wir erkennen, dass ein distanzierendes, befreiendes und entlastendes Lachen Vitamine der Lebenskunst sind, dass wir dank ihrer in vielen Fällen zur Problemlösung nur die Hälfte an Zeit, Nerven und überhaupt Aufwand brauchen als bei dem heute überall zu beobachtenden verbissenen macht- und statusorientierten Vorgehen. Machen Sie die Probe aufs Exempel: Wenn einer damit mal anfängt, kann der einen wahren Verhaltensklimawandel bewirken! Aber einer muss sich mal trauen, »aus der Rolle zu fallen«. Es ist auffällig, dass in den letzten zehn Jahren das Interesse an »Lebenskunst« enorm zugenommen hat. Vermutlich weil vielen dämmert, dass die Gefahr der Selbstausbeutung gestiegen ist. Und dass damit niemandem gedient ist, nicht der Gesundheit der Belegschaften, nicht der betrieblichen Leistungsfähigkeit und auf lange Sicht auch nicht den Bilanzen. Es ist möglich, aus Arbeitsfrust wieder Arbeitslust zu machen. Wir unterschätzen die Reibungsverluste durch mangelnden Humor am Arbeitsplatz massiv. Die Lebenskunst besteht darin, das eigene Leben trotz der schwierigen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es einigermaßen glückt. Jüdischer Humor ist aus extremen Belastungen entstanden. Nur mit Gewitztheit kann man große Schwierigkeiten bewältigen, noch unter Tränen zu lachen. Ein weiser Rabbi sagte einst: »Warum hat der Mensch nicht, was er will? Weil er nicht will, was er hat. Wenn er wollte, was er hat, hätte er, was er will.«
PZ: Situativer Witz, Humor und das dazugehörende Lächeln haben eine Art zwischenmenschlich-therapeutische Wirkung. Wodurch entsteht die eigentlich?
Kirchmayr: Es sind soziale Phänomene und sie haben daher entsprechende Auswirkungen. Studien belegen, dass Humor für die gute Gestaltung von Partnerschaften große Bedeutung hat. Eine ähnlich positive Wirkung wurde auch für das Arbeitsklima im Betrieb und für die Kreativität und Produktivität nachgewiesen. Finnische Studien beispielsweise zeigen, dass eine erhöhte Zufriedenheit mit der Führungskompetenz des Chefs die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitern um den Faktor 3,6 verbessert hat im Vergleich zu denen, die mit ihren Chefs unzufrieden waren. Und was anderes ist Führungskompetenz innerhalb eines Betriebes als ein soziales Phänomen?
Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. So kommt Spielraum in die zwischenmenschlichen Beziehungen, nimmt man sich selbst, andere und die Dinge des Lebens zwar ernst, aber nicht tierisch ernst, verbeißt sich nicht automatisch in alles und jedes. Das befördert gute Kompromisse, kreative Lösungen und macht Kritik annehmbarer.
In jedem Witz ist ein Problem verborgen, das oft psychohygienisch, also heilsam zur Sprache kommt. Denn die Verdrängung von starken Gefühlen ist eine wesentliche Ursache für psychische und psychosomatische Erkrankungen. Witze sind immer Problemanzeiger, oft auch Problementschärfer. Ein Beispiel: Beim Frühstück sagt er zu seiner neuen Freundin: »Du, Carmen, möchtest Du eigentlich lieber ein Mann sein?« Sagt sie: „Ach ne! Lieber nicht. Und Du?«
Guter Witz bringt Verdrängtes, Tabuisiertes zur Sprache und ermöglicht dessen Bearbeitung. Er äußert Gefühle und Bedürfnisse, die sonst exkommuniziert werden. Ein Beispiel aus der Hitlerzeit: »Alle Stände sind jetzt aufgehoben: der Anstand, der Verstand, der Wohlstand. Es bleibt nur noch der Notstand!« Hat dieser Witz nicht auch heute eine gewisse Bedeutung? Sind Anstand und Verstand nicht gefährdet? Kommt einem bei der täglichen Zeitungslektüre nicht diese Frage in den Sinn?
PZ: Dr. Kirchmayr, ist diese segensreiche Eigenschaft, nicht gleich auf jeden blanken Haken zu beißen und nicht alles so heiß zu essen wie es gekocht wird, angeboren oder kann man sich dazu erziehen?
Kirchmayr: Sicherlich ist das Temperament weithin angeboren. Dennoch kann man sich selber dazu erziehen, Sinn für Humor und Witz zu entfalten, zu pflegen, zu kultivieren. Ludwig Wittgenstein sagte dazu etwas sehr Gescheites: »Humor ist keine Stimmung, sondern eine Weltanschauung«. Und wie man die Welt anschaut hängt auch von der eigenen Entscheidung ab und von den Vorbildern, die man sich nimmt. Humorvolle und witzige Bezugspersonen, vor allem in der Kindheit und Jugendzeit, spielen bei der Entfaltung von Witz und Humor nachweislich eine große Rolle. Jeder Mensch kann »gegensteuern«, also Eigenschaften und Verhaltensweisen fördern, die er wenig ausgeprägt hat. Ein geborener Pessimist wird sich nicht in einen Optimisten verwandeln können. Aber er kann lernen, die Dinge auch etwas anders zu betrachten als seine Neigung ihm nahe legt. In dieser Hinsicht bin ich Optimist. Aber eingefleischten Perfektionisten, Fundamentlisten und Moralisten wird es schwerlich gelingen, Humor und Witz zu entfalten, weil sie zu sehr in tierischem Ernst befangen sind. Doch kleine Wunder sind nie auszuschließen. Aber es ist schon so, dass man alle möglichen Probleme sowohl tragisch als auch komisch auffassen kann, ernst und heiter zugleich. Wir können lernen, auch das Heitere ernst zu nehmen, nicht nur die ernsten Dinge, und das auch am Arbeitsplatz. Über der Last der Aufgaben und Anforderungen sollte das nicht vergessen werden, trotz aller Widrigkeiten und Widerlinge. Treffend sagt Anselm Feuerbach 1882 in ›Ein Vermächtnis‹: »Der Humor trägt die Seele über Abgründe hinweg und lehrt sie mit ihrem eigenen Leid spielen.« Wir können auch mal fragen, was uns selber gut tut und womit wir anderen Menschen Freude machen können. Friedrich Nietzsche hat dafür einen weisen Rat gegeben: »Seit es Menschen gibt, hat sich der Mensch zu wenig gefreut. Das allein, meine Brüder (und Schwestern) ist unsere Erbsünde. Und lernen wir, besser uns freuen, so verlernen wir am besten, anderen wehe zu tun und Wehes auszudenken«. In einer Gesellschaft, in der das Menschliche und Kindliche bedenklich unterdrückt wird, ist dies sehr heilsam.