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Therapien

Evidenzbasiert ergänzen

11.05.2015  15:24 Uhr

Von Hiltrud von der Gathen / Sinnvolle Therapieergänzungen sollen bei der Beratung Behandlung und Heilungsprozess evidenzbasiert unterstützen und mögliche Beschwerden des Patienten lindern.

Dem Patienten wird so vermittelt, dass der Berater sich um ihn und um seine gesundheitlichen Probleme nicht nur kompetent kümmert, sondern ihm auch hilft, arzneimittelbezogene Probleme mit pharmazeutischem Sachverstand zu detektieren, zu vermeiden und zu lösen. Die Empfehlungen erhöhen die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und fördern die Adhärenz.

 

Jeder im Beratungsteam weiß aus der Ausbildung, was einem Patienten bei einer Behandlung zusätzlich »gut tut«. In Zeiten einer zunehmend kritischen Bewertung von Arzneimitteln müssen diese Empfehlungen einer evidenzbasierten Bewertung standhalten. Das stärkt sowohl das Vertrauen des Patienten in die apothekerliche Beratung als auch die Glaubwürdigkeit der Empfehlung.

 

Auch ergeben sich durch Medikationsanalyse und Medikationsmanagement zusätzliche Perspektiven, den Patienten durch sinnvolle Therapierergänzungen vor unerwünschten Auswirkungen seiner Arzneimitteltherapie zu schützen. Dies unterstützt die Adhärenz nachhaltig, Verordnungskaskaden und unnötige Behandlungskosten werden vermieden.

 

Im Patientengespräch ist die Aufmerksamkeit des gesamten Beratungsteams gefragt, möglichen Handlungsbedarf zu erkennen, aktiv nachzufragen und bei Bedarf eine patienten- und arzneistoffindividuelle Empfehlung auszusprechen.

 

Chronische Obstipation

 

Obstipation gehört zu den häufigsten Gesundheitsstörungen. Die Prävalenz liegt in der Bevölkerung bei 5 bis 15 Prozent. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Der Pathomechanismus ist bis heute nur zum Teil aufgeklärt. Die S2k-Leitlinie »Chronische Obstipation« von 2013 stellt fest: »Die verfügbare Evidenz hat die traditionelle Auffassung widerlegt, dass es sich lediglich um eine banale Befindlichkeitsstörung handelt.«

 

Patienten mit chronischer Obstipation haben eine schlechtere Lebensqualität und verursachen höhere Kosten im Vergleich zu nicht-obstipierten Menschen. Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen faserarmer Kost, verringerter Flüssigkeitszufuhr und Unterdrückung des Defäkationsreizes ist nicht belegt. Eine bestehende Obstipation kann jedoch durch diese Fakten verstärkt werden (1).

 

Der »Bristol Stool Form Scale«, die an der Universität Bristol als diagnostisches Hilfsmittel entwickelte Bristol-Stuhlformen-Skala, spricht von Obstipation, wenn der Stuhl aus nussartigen Klumpen besteht, die entweder einzeln oder in Wurstform abgesetzt werden (2). Um die Diagnose Obstipation jedoch zu rechtfertigen, müssen weitere Beschwerden hinzukommen. Laut Leitlinie müssen zwei der im Kasten (siehe unten) vorgestellten fünf Kriterien zwölf Wochen lang in 25 Prozent der Fälle auftreten oder es kommt zu weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche.

 

Apotheker sollten auf Arzneistoffe mit Nebenwirkung Obstipation achten. Arzneistoffe, die muscarine Acetylcholinrezeptoren hemmen und dadurch anticholinerg wirken, beeinträchtigen die Verdauung. Die als Antidepressiva und Co-Analgetika verwendeten Tri-/Tetrazyklika und Neuroleptika gehören ebenso dazu wie die bei Belastungsinkontinenz eingesetzten Urologika Oxybutynin, Darifenacin, Solifenacin und auch Opiate/Opioide.

 

Zu einer dopaminergen Motilitätshemmung führen bei Parkinson und Restless-Legs-Syndrom eingesetzte Arzneistoffe wie Levodopa und die Dopaminagonisten. Über eine Hypokaliämie können Diuretika, salinische Abführmittel und auch der Missbrauch von Laxanzien zu Verstopfung führen. SSNRI-Antidepressiva wie Venlafaxin und Duloxetin rufen durch Stimulation des α1-Rezeptors Obstipation hervor (siehe Abbildung 1).

Neurogene Erkrankungen wie Parkinson, diabetische Neuropathie, Multiple Sklerose oder Querschnittslähmung führen zu Obstipation. Auch Erkrankungen des Darms wie Divertikulose und Reizdarmsyndrom oder Erkrankungen, die mit Schmerzen bei der Defäkation einhergehen wie Hämorrhoiden und Analfissuren, überdies ausgeprägte Bewegungsarmut wie bei Bettlägerigkeit oder im Rollstuhl können eine Obstipation zur Folge haben.

 

Bei Verordnung entsprechender Arzneistoffe oder bei Vorliegen der genannten Erkrankungen ist der Patient im Beratungsgespräch auf seine Zufriedenheit mit der Verdauung anzusprechen. Liegt nach den genannten Kriterien eine Obstipation vor, ist gezielt zu beraten, welche Maßnahmen die Beschwerden lindern.

 

Unter bestimmten Voraussetzungen sind OTC-Laxanzien verordnungsfähig. Die Anlagen I und V der Arzneimittelrichtlinie geben darüber Auskunft (www.gb-a.de/downloads). Abbildung 2 zeigt, wann eine Verordnung zulasten der GKV möglich ist und was bei Abgabe zu beachten ist.

 

Laxanzien gemäß Leitlinie

 

Lange wurde der Dauergebrauch von Laxanzien wegen angeblich schädlicher Nebenwirkungen wie Gewöhnung und Abhängigkeit abgelehnt. Stattdessen sollten Patienten sich mehr bewegen, mehr Ballaststoffe verzehren und mehr trinken. Die aktuelle Leitlinie »Chronische Obstipation« unterstützt diese Empfehlungen nach Auswertung zahlreicher Literaturstellen nur sehr eingeschränkt. So ist ein Bewegungs­plus für viele Patienten nicht realisierbar, wenn sie beispielsweise bettlägerig sind, im Rollstuhl sitzen oder an Parkinson, Rheuma, Arthrose oder Multipler Sklerose erkrankt sind. Auch haben Studien gezeigt, dass eine Stunde Sport am Tag über die übliche Aktivität hinaus die Obstipation nicht bessert.

Eine Erhöhung der Trinkmenge ist nur dann effektiv, wenn Patienten dehydriert sind. Eine weitere Erhöhung hat keinen Effekt gezeigt und ist bei Erkrankungen mit Flüssigkeitsrestriktion wie Herzinsuffizienz und Nierenerkrankungen sogar kontraindiziert. Ein Mehr an Ballaststoffen gilt allenfalls bei einer leichten Obstipation als mögliche Option.

 

Auch trifft die lange vorherrschende Lehrmeinung, dass Ballaststoffe nicht verstoffwechselt werden, nicht auf jedes Individuum zu. Je nach Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm können Ballaststoffe zur Energiegewinnung herangezogen werden.

Diagnose Obstipation

Kriterien für die Diagnose Obstipa­tion, von denen zwei über zwölf ­Wochen in 25 Prozent der Fälle auftreten müssen:

 

  • > 25 Prozent harte Stühle
  • Pressen erforderlich
  • Gefühl der unvollständigen Entleerung
  • Gefühl der analen Blockierung
  • manuelle Unterstützung erforderlich
     

alternativ:

 

  • < drei Stuhlgänge pro Woche

Ebenso verneint die Leitlinie, dass Dauergebrauch von Laxanzien zu Gewöhnung und Abhängigkeit führt. Dass sich die Obstipation nach Absetzen der Arzneimittel verschlimmert, bestätigt diese Ansicht nicht, sondern ist ein Hinweis, dass die Obstipation weiter besteht und auch weiter behandelt werden muss (1).

 

Als Mittel der ersten Wahl führt die Leitlinie Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat, als Mittel der zweiten Wahl Lactulose und Anthrachinone an (siehe Tabelle 1). Alle fünf Stoffe sind wirksam. Besonders bei den ersten drei Stoffen ist eine Begrenzung des Einnahmezeitraums unbegründet. Die Einstufung von Lactulose und Anthrachinonen als zweite Wahl hängt nicht mit der Wirksamkeit, sondern mit möglichen gastro-intestinalen Nebenwirkungen zusammen. Eine Gewöhnung an Sennoside soll sehr selten sein.

Tabelle 1: Laxanzien der ersten und zweiten Wahl

ED TMD Bemerkung
1. Wahl
Macrogol 1 Beutel 3 Beutel Lösung im Kühlschrank 6 Stunden haltbar; kühl trinken
Bisacodyl 1 bis 2 Dragees 10 mg magensaftresistent, abends einnehmen, Wirkung nach 6 bis 12 Stunden
Natriumpicosulfat 5 bis 10 mg 10 mg = 18 Tr. abends einnehmen, Wirkung nach 10 bis 12 Stunden
2. Wahl
Lactulose 1 bis 2 x 7,5 ml 1 bis 2 x 15 ml Wirkung nach 2 bis 10 Stunden, einschleichend dosieren
Prucaloprid, zum Beispiel Resolor® 1 Kapsel 1 Kapsel rezeptpflichtig, bei Frauen verordnungsfähig, wenn andere Laxanzien nicht wirken
Linaclotid, zum Beispiel Constella® 1 bis 2 mg 2 mg rezeptpflichtig, außer Handel ab April 2014; keine Einigung über den Preis
Anthrachinone 7 mg Anthracen- derivate 30 mg Anthracen- derivate Verfärbungen der Darmschleim- haut sind harmlos

Macrogol bindet Wasser und wirkt osmotisch. Bei Problemen mit dem Geschmack sollte die Lösung möglichst kühl verzehrt werden. Sie ist sechs Stunden im Kühlschrank haltbar. Der Zusatz von Elektrolyten verschlechtert den Geschmack und ist nur bei kompletter Darmentleerung sinnvoll. Solange der Stuhl geformt und nicht wässrig ist, entsteht auch bei Dauergebrauch kein Elektrolytverlust.

 

Bisacodyl und Natriumpicosulfat haben einen dualen Wirkmechanismus. Sie wirken sowohl sekretorisch als auch prokinetisch stimulierend. Zubereitungen mit Bisacodyl sind mit einem magensaftresistenten Überzug versehen. Deshalb ist ein mindestens zweistündiger Abstand zur Mahlzeit einzuhalten.

 

Sicherheitskriterien beachten

 

Auch nach Neubewertung der Anwendung von Laxanzien sind Sicherheitsstandards bei der Empfehlung zu ­beachten. Dazu sollte im Beratungsgespräch geklärt werden, ob Störungen der Anatomie und der Innervation des Darmes bekannt sind und ob die im Kasten genannten Kriterien für die Diagnose Obstipation erfüllt sind.

 

Die Erwartung des Patienten an Stuhlfrequenz (drei Mal pro Woche) und Stuhlmenge (150 bis 200 g) muss realistisch sein. Auch sollten Lebens­stiländerungen so weit wie möglich umgesetzt sein. Die Tageshöchstdosis muss eingehalten werden. Der Stuhl darf nicht breiig oder wässrig, sondern muss geformt sein. Bei einem nicht bestimmungsgemäßen oder überhöhten Gebrauch liegt ein Missbrauch vor. Ist dieser erkennbar, muss laut ApoBetrO die Abgabe verweigert werden. Im Kasten auf der folgenden Seite sind die zu beachtenden Sicherheitsstandards zusammengefasst.

Sicherheitsstandards der Laxanzien-Anwendung

  • Indikation Obstipation liegt vor
  • Lebensstiländerungen waren erfolglos
  • Erwartung an Stuhlfrequenz und -menge ist realistisch
  • Tageshöchstdosis wird eingehalten
  • Stuhl ist geformt und nicht breiig/ wässrig
  • Störungen der Anatomie und Innervation liegen nicht vor

Dem Patienten, der durch seine Lebensumstände, seine Erkrankung oder seine Arzneimittel an Obstipation leidet, sollte im Beratungsgespräch erläutert werden, was die Erkrankung lindert, um Lebensqualität und Adhärenz zu erhöhen. In diesen Fällen ist die uneingeschränkte Empfehlung wirksamer Laxanzien als sinnvolle Therapieergänzung indiziert.

 

Calcium und Vitamin D

 

99 Prozent des Calciums speichert der Körper im Skelett. Das macht insgesamt circa ein Kilogramm aus. Der Mineralstoff bildet die Bausubstanz von Knochen und Zähnen. Darüber hinaus hat Calcium weitere wichtige Aufgaben bei Blutgerinnung und Reizübertragung in Muskeln und Nerven. Vitamin D fördert unter anderem die Calciumresorption aus dem Darm und den Einbau des Minerals in die Knochen. Daraus ergibt sich, dass eine ausreichende Versorgung mit Calcium nur dann wirkt, wenn gleichzeitig genug Vitamin D im Körper vorhanden ist.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) fordert für Kinder im Alter von 13 bis 18 Jahren eine tägliche Versorgung mit 1200 mg und für Erwachsene 1000 mg (3). Diese Werte stimmen mit den Empfehlungen der aktuellen Leitlinie Osteoporose überein (4). Diese Menge ist beispielsweise in 800 ml Milch oder 800 g Joghurt oder 120 g Edamer enthalten. Es bietet sich eine Kombination von zum Beispiel 250 ml Milch plus 250 g Joghurt plus 60 g Edamer Käse an.

 

In der gängigen Fachliteratur wird seit einigen Jahren eine zusätzliche Gabe von Calcium in Tablettenform nur noch dann empfohlen, wenn die tägliche Zufuhr mit Lebensmitteln nicht ausreicht. Diese Empfehlung ruft den Eindruck hervor, dass Milch, Käse und Mineralwasser die ausreichende Versorgung sichern. Hier bietet es sich an, gemeinsam mit dem Patienten die tägliche Aufnahme durch die Nahrung mithilfe eines Calciumrechners aus dem Internet zu berechnen. Der Calciumrechner der Schweizer Rheumaliga hat den Vorteil, dass nicht der tägliche, sondern der wöchentliche Verzehr angegeben wird, der leichter abzuschätzen ist.

Tabelle 2: Calciumgehalt von Mineralwässern (mineralienrechner.de)

Mineralwasser mg Ca/ 1000 ml
Apollinaris classic 90
Contrex 468
Evian 80
Gerolsteiner Sprudel/Medium 348
Gerolsteiner Naturell 140
Römerquelle prickelnd/still 145
San Pellegrino 179
Selters 110
Steinsieker Stille Quelle/ Naturell/ Natürliches Mineralwasser 620
Vittel 94
Volvic 12

Beim Berechnen wird man feststellen, dass der Calciumgehalt vieler Mineralwässer (Tabelle 2) ebenso überschätzt wird wie der Calciumgehalt mancher Käsesorten, wenn man die Portionsgröße berücksichtigt. Außerdem ist es interessant, die Kosten eines calciumreichen Mineralwassers pro Tag mit den Kosten eines Präparats aus der Apotheke zu vergleichen.

 

Auch wird erstaunt sein, wer den Kaloriengehalt des täglich empfohlenen Verzehrs an calciumreichen Lebensmitteln ins Verhältnis setzt zum Gesamtkalorienbedarf des Tages. Die oben genannte Dreierkombination liefert mehr als 600 Kalorien. Der restliche Tagesbedarf muss dann noch die Zufuhr an Vitamin D, Eisen, ungesättigten Fettsäuren, weiteren Mineralstoffen und Spurenelementen, Vitaminen und anderen Nährstoffen sicherstellen. Das dürfte nicht nur Frauen im Alter von 25 bis 50 Jahren bei geringer körperlicher Aktivität schwerfallen, deren Kalorienbedarf pro Tag von der DGE mit 1800 kcal angegeben wird. Für die Beratung ist es deshalb sinnvoll, nicht nur zu fragen, ob Milch und Käse gegessen werden, sondern es sind die genauen Mengen auszurechnen.

 

Sicherung des täglichen Bedarfs

 

Eine ähnlich problematische Lage der Versorgung ergibt sich auch für Vitamin D. 80 bis 90 Prozent des täglichen Bedarfs werden vom Körper mithilfe des Sonnenlichts in der Haut synthetisiert, weitere 10 bis 20 Prozent sollte die Ernährung liefern. Gerade in den Wintermonaten ist ausreichende Sonnenexposition in unseren Breitengraden nicht zu erreichen. In den Sommermonaten ist das Hautkrebsrisiko zu bedenken. Sonnenschutzmittel und Make-up schwächen die Wirkung der Bestrahlung ab.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) fordert täglich 800 bis 1000 I.E. (5). Die Zufuhr soll auch durch den regelmäßigen Verzehr von Fettfischen sichergestellt werden. Allein der regelmäßige Verzehr bereitet Probleme für viele Menschen. Ähnlich wie beim Calcium ist es auch hier hilfreich, den Vitamin-D-Gehalt von Fettfischen auszurechnen. So enthalten 100 g Hering 1000 I.E., 100 g Lachs 640 I.E., 100 g Kabeljau jedoch nur 52 I.E. und 100 g Rotbarsch 90 I.E.

 

Die Empfehlung, regelmäßig Fettfisch zu essen, ist deshalb nicht ausreichend. Vielmehr muss spezifiziert werden, welche Mengen von welchen Fischen wie häufig verzehrt werden müssen. Man wird vor allem in der sonnenarmen Zeit schnell an Grenzen stoßen, die geforderte Aufnahme durch Sonnenlicht und Ernährung zu sichern.

 

Über Sinn und Risiko der täglichen Supplementierung beider Nährstoffe wird zurzeit heftig diskutiert. Hohe Calciumgaben sollen das kardio-vaskuläre Risiko erhöhen. Die Gesamtzufuhr aus Nahrung und Supplement darf nach derzeitigen Empfehlungen 2000 mg pro Tag nicht überschreiten. Bis zu dieser Grenze ist die Einnahme sicher (3).

 

Über kein anderes Vitamin wird im Moment so kontrovers diskutiert wie über Vitamin D. Seine positive Wirkung auf Knochen ist nachgewiesen und schlägt sich in der Zulassung der Präparate bei der Indikation nieder. Weiterhin wird es jedoch in Zusammenhang mit einer Vielzahl von Erkrankungen gebracht wie Krebs, Demenz, Diabetes, Schlaganfall, Multiple Sklerose und neuerdings auch Erkältungen.

 

Offen bleibt bei diesen Beobachtungen häufig, ob ein niedriger Vitamin-D-Spiegel tatsächlich als Ursache für die Erkrankungen infrage kommt oder ob zwischen beiden Fakten lediglich eine nicht kausale Assoziation besteht. Nur, wenn Vitamin D als Ursache nachgewiesen werden kann, eignet es sich zur Prophylaxe und Behandlung. Der ursächliche Zusammenhang wird jedoch von vielen Autoren bezweifelt (6, 7). Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält ebenso wie das Office of Dietary Supplements des NIH in den USA die tägliche Gabe von bis zu 4000 I.E. für sicher (5, 8).

 

Sinnvolle Supplementierung

 

Leidet der Patient bereits an einer Osteoporose und wird mit Anti-Osteoporotika behandelt, ist die Verordnung eine Leistung der GKV. Bei Abgabe der entsprechenden Arzneimittel ist er nach ausreichender Versorgung mit beiden Nährstoffen zu fragen. Bei genetischer Veranlagung zu Osteoporose ist Prophylaxe sinnvoll. Bei unzureichender Zufuhr durch Lebensmittel muss diese optimiert werden.

 

Hiervon sind besonders Veganer betroffen, aber auch Patienten mit Lactoseintoleranz, die bei Abgabe lactasehaltiger Präparate gezielt angesprochen werden sollten. Weiterhin profitieren Patienten von der Empfehlung, deren Erkrankung einen Bewegungsmangel hervorruft (Rheuma, Multiple Sklerose, längere Bettlägerigkeit, Arthrose) oder mit einem erhöhten Sturzrisiko einhergeht (Schwindel oder Hypotonie).

 

Frauen in Klimakterium und Menopause leiden unter einem zunehmenden Mangel an knochenprotektivem Estrogen, was das Osteoporoserisiko erhöht. Ihnen ist deshalb zu einer Sicherung der Versorgung zu raten.

 

Auch bei Einnahme verschiedener Arzneistoffe empfiehlt es sich, auf Supplemente hinzuweisen. Dazu zählen Schleifendiuretika wie Furosemid, die zu einem Elektrolytverlust führen können. Auch die orale Gabe von Kortikoiden oberhalb der Cushing-Schwelle von 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent/Tag über einen längeren Zeitraum erfordert eine Supplementierung, da Kortikoide sowohl die Resorption von Calcium hemmen als auch dessen Ausscheidung fördern. Nach der aktuellen Leitlinie Osteoporose sollte auch bei hochdosierten, inhalativen Kortikoiden substituiert werden (4). Kortikoide erhöhen somit das Frakturrisiko genauso wie die Aromatasehemmer Anastrozol, Letrozol und Exemestan.

 

Zu den Arzneistoffen, die das Osteoporose- und/oder das Frakturrisiko erhöhen, zählen des Weiteren Antiepileptika, die hormonablative Therapie beim Mann, orale Glucocorticoide, inhalative Glucocorticoide (hoch dosiert), Glitazone bei Frauen, sturz-begünstigende Medikamente, Antidepressiva und Protonenpumpenhemmer (Dauertherapie).

 

Für Patienten, die an den genannten Erkrankungen leiden oder die die betroffenen Arzneimittel anwenden, ist Supplementierung eine sinnvolle Therapieergänzung. Sie schützt vor Osteoporose und damit verbundenem Leid ebenso wie vor Kosten aufgrund von Knochenfrakturen.

 

Da Knochen überwiegend in der Nacht aufgebaut werden, ist die abendliche Gabe von Calcium zu bevorzugen. Die Verteilung von 1000 mg über den Tag kann jedoch die vollständige Resorption eher gewährleisten. Fruchtsaft beziehungsweise Säure erhöhen die Löslichkeit und damit die Resorption. Schwere Nierenfunktionsstörungen und Knochentumoren sind eine Kontraindikation.

 

Calcium bildet schwerlösliche Komplexe bei gleichzeitiger Einnahme mit Tetracyclinen, Gyrasehemmern, L-Thyroxin und Bisphoshonaten und hemmt somit deren Resorption. Auf einen mindestens zweistündigen Zeitabstand ist bei der Einnahme zu achten. Wird gleichzeitig das Diuretikum Hydrochlorothiazid angewendet, sollte man mit der Empfehlung von Calcium wegen drohender Hypercalcämiegefahr zurückhaltend sein.

 

Wird das fettlösliche Vitamin D allein eingenommen, dann am besten zu einer warmen Mahlzeit. Sie weist meistens den höchsten Fettgehalt auf und stellt damit die vollständige Resorption sicher.

 

Empfehlung von Befeuchtung

 

Sowohl Erkrankungen als auch Arzneistoffe können ein Gefühl der Trockenheit an unterschiedlichen Stellen im Organismus hervorrufen. Besonders betroffen sind davon Mund, Augen, Haut und Schleimhaut in Nase, Hals und Bronchien und in der Vagina.

 

Trockene Haut kann durch quälenden Juckreiz die Lebensqualität erheblich beeinflussen. Darunter leiden Patienten mit atopischem Ekzem, Allergien und Diabetiker. Im Laufe des Lebens verliert die Haut die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern. Frauen leiden da­runter besonders ab dem Klimakterium durch den Abfall der Estrogenspiegel. Anticholinergika rufen durch vermindertes Schwitzen Hauttrockenheit und Juckreiz hervor (siehe Tabelle 3). Auch das in der Aknetherapie verwendete Isotretinoin trocknet die Haut aus. Kompressionsstrümpfe trocknen die Haut an den Beinen aus.

Tabelle 3: Anticholinergika mit der Nebenwirkung trockene Augen, trockene Haut oder trockener Mund (Beispiele)

Arzneimittelgruppe Wirkstoffe und Präparate
Urologika Darifenacin/ Emselex®, Solifenacin/ Vesikur®, Oxybutynin/ Dridase®, Spasyt®, Kentera®, Trospium/ Spasmex®, Tolterodin/ Detrusitol®
Antiparkinsonmittel Biperiden/Akineton®, Metixen/Tremarit®
Inhalativa Ipratropium/Atrovent®, Tiotropium/Spiriva®
Antidepressiva Trizyklika/Tetrazyklika: Amitriptylin, Opipramol, Doxepin, Mirtazapin
Neuroleptika Olanzapin/Zyprexa®, Quetiapin/Seroquel®, Haloperidol/Haldol®, Risperidon/Risperdal®, Melperon/Eunerpan®, Promethazin/Atosil®,
Opiate/ Opioide Tramadol/Tramal®, Tilidin/Valoron®, Morphin/Sevredol®, MST®, Oxycodon/Oxygesic®, Buprenorphin/Temgesic®, Methadon/Polamidon®

Regelmäßige Pflege beugt dem unangenehmen Juckreiz vor. Dazu bieten sich Cremes oder Lotionen mit Urea oder Dexpanthenol an, die konsequent täglich aufgetragen werden. Zur Hautreinigung empfehlen sich Ölbäder oder Duschöle. Der Patient sollte sich beim Abtrocknen nur vorsichtig abtupfen, um möglichst viel pflegende Substanzen auf der Haut zu belassen.

 

Die Schleimhaut in Nase, Hals und Bronchien kann bei einer Erkältung austrocknen. Der Organismus reagiert darauf mit vermehrter Schleimbildung. Die typischen Erkältungssymptome entwickeln sich auf dem Boden einer Entzündung mit Rötung, Überwärmung, Schwellung und Schmerz. Alle Maßnahmen, die zusätzlich befeuchten, sind deshalb zu begrüßen. Dazu zählen Lutschpastillen, warme Getränke, Gurgeln, Nasensprays mit Salz oder Hyaluronsäure, Inhalieren mit Salz oder ätherischen Ölen. Die Befeuchtung beruhigt die gereizte Schleimhaut wohltuend.

 

Auch in der Vagina reagiert die Schleimhaut empfindlich auf Trockenheit. Hier sind Frauen betroffen, wenn der Estrogenspiegel im Klimakterium abfällt oder wenn die Estrogenwirkung medikamentös geblockt wird durch Therapien mit Tamoxifen oder Aromatasehemmern. Als Ursache für häufige Rezidive eines Vaginalpilzes kommt auch eine trockene Schleimhaut der Vagina infrage. In allen Fällen profitieren betroffene Patientinnen von Feuchtcremes, die den Feuchtigkeitsverlust ausgleichen wie zum Beispiel Vagisan®, Evalife®, Replens sanol®, Deumavan® oder Gynomunal®

 

Trockene Augen

 

Ein Fremdkörpergefühl, Juckreiz und gereizte, brennende, gerötete Augen sind Folgen von Trockenheit. Klimaanlagen, trockene Heizungsluft im Winter, Bildschirmarbeit, Aufenthalt in zugiger Umgebung, Ozon, Smog oder Kontaktlinsen rufen sie hervor. Bestimmte Erkrankungen können ebenfalls trockene Augen auslösen wie Allergien, Heuschnupfen, Rheuma oder das Sjögren-Syndrom, das als Kollagenose zu den Auto-Immunerkrankungen zählt. Sie kann allein oder in Kombination mit Rheumatoider Arthritis, Lupus erythematodes oder Morbus Bechterew auftreten. Im Krankheitsverlauf zerstören Immunzellen Tränen- und Speicheldrüsen.

 

Trockene Augen werden auch durch Arzneimittel wie insbesondere Anticholinergika (siehe Tabelle 3), außerdem durch das in der Aknetherapie verwendete Isotretinoin hervorgerufen. Dem Patienten werden Ophthalmika mit Filmbildnern wie Povidon bei leichteren Beschwerden oder mit Carbomer, Hyaluronsäure, Carboxymethylcellulose bei stärkeren Beschwerden empfohlen. Diese werden auch als künstliche Tränen bezeichnet (siehe Tabelle 4). Die Wirkstoffe bilden durch Ausbreitung auf der Augenoberfläche eine Schutzschicht, die das Auge feucht hält und eine Austrocknung verhindert.

Tabelle 4: Künstliche Tränen

Beispiele Inhaltsstoffe
Artelac splash® Hyaluronsäure
Bepanthen® AT Hyaluronsäure, Dexpanthenol
Hylocomod® Hyaluronsäure
Lac ophthal® AT Povidon
Lac Ophthal® Gel Carbomer
Opticalm® Hyaluronsäure, Hypromellose
Protagent® Povidon
Vidisic® Carbomer
Wetcomod® Povidon

Ein trockener Mund führt zu vielfältigen Störungen. Die Anfälligkeit für Mundsoor und Karies wird erhöht, das Sprechen erschwert. Die zu geringe Speichelbildung erschwert den Schluckvorgang, sodass auf Dauer Mangelernährung droht. Hiervon sind vor allem ältere Menschen betroffen. Erkrankungen wie Parkinson, Rheumatoide Arthritis und Depression können die Speichelbildung herabsetzen, ebenso wie anticholinerge Arzneistoffe (siehe Tabelle 3), Clonidin und verschiedene Tumortherapien.

 

Allen Patienten wird empfohlen, regelmäßig Pastillen oder Olivenkerne zu lutschen oder zuckerfreie Kaugummis oder harte Gemüse wie Möhren oder Kohlrabi zu kauen. Ist Lutschen oder Kauen nicht möglich oder ist der Erfolg nicht befriedigend, wird zu künstlichem Speichel (Beispiele: Aldiamed®, bioXtra®, Glandosane®, Oralife®, Saliva natura®, Saseem®) geraten. Eine patientenindividuelle Herstellung nach einer NRF-Vorschrift ist möglich.

 

Mit pharmazeutischem Sachverstand ausgesuchte Therapieergänzungen helfen, eine Arzneitherapie positiv zu unterstützen. Begleitende unerwünschte Wirkungen werden gelindert, Verschreibungskaskaden und Kosten für unnötige Zusatzbehandlungen vermieden, die Lebensqualität wird erhöht. Alle Maßnahmen zielen darauf auf ab, Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und Adhärenz zu erhöhen. Auch wird die Funktion der Apotheke gestärkt, Ansprechpartner in allen Arzneimittelfragen, bei allen Arzneimittelproblemen zu sein.

 

Unbedingte Voraussetzung für eine Empfehlung ist die evidenzbasierte Auswahl, von welcher der Patient uneingeschränkt profitiert. Auch muss das Beratungsteam von der Sinnhaftigkeit überzeugt sein, um die Therapieergänzung mit Überzeugung anbieten zu können. Die Empfehlung von Laxanzien, die Supplementierung von Calcium und Vitamin D, die zusätzliche Befeuchtung von Augen, Mund, Haut und Schleimhaut ist unter den genannten Kriterien sinnvoll und evidenzbasiert. /

Literatur

  1. AWMF- Leitlinie »Chronische Obstipation« Sk2 02/2013.
  2. Lewis, S.J., Heaton KW, Stool form scale as a useful guide to intestinal transit time, Scand. J. Gastroenterol.. 32, Nr. 9, 920–4.
  3. DGE-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr Calcium 2013.
  4. DVO-Leitlinie Osteoporose S3 2014.
  5. DGE-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr Vitamin D 2012.
  6. Theodoratu, E., et al., Vitamin D and multiple health outcomes: umbrella reviews of systematic reviews and meta-analyses of observational studies and randomised trials, British Medical Journal (2014) 348.
  7. Autier, P. et al., Vitamin D status and ill health: a systematic review, Lancet Diabetes Endocrinol. (2014) 76-89.
  8. www.ods.od.nih.gov/factsheets/VitaminD-HealthProfessional.

Die Autorin

Hiltrud von der Gathen studierte von 1974 bis 1977 Pharmazie in Münster. Nach ihrer Promotion 1981 war sie als Apothekerin in verschiedenen öffentlichen Apotheken tätig, bevor sie sich mit eigener Apotheke in Castrop-Rauxel selbstständig machte. Seit 1986 ist sie als Referentin für Fortbildungsveranstaltungen der Apothekerkammern auf Landes- und Bundesebene tätig. Die Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, Gesundheits- und Ernährungsberatung unter anderem mit der Zusatzqualifikation AMTS-Managerin (Managerin für Arzneimitteltherapiesicherheit) ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesapothekerkammer (BAK) sowie Dozentin und Prüferin im 3. Prüfungsabschnitt Studium Pharmazie. Seit 2013 ist sie freiberuflich als Kommunikationstrainerin und Referentin unter anderem zu den Themen AMTS, Medikationsmanagement, Compliance oder Adhärenz tätig. Hiltrud von der Gathen ist Autorin der Bücher »Das Penicillin nickt freundlich – Gedächtnistraining für Apotheker« und »Gut beraten durch das Jahr – 52 eingängige Beratungstipps für das Apothekenteam«.

 

Dr. Hiltrud von der Gathen, Recklinghausen; E-Mail: info@hiltrudvondergathen.de

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