Mehr als Gewichtsabnahme |
14.05.2014 09:59 Uhr |
Von Manfred Schubert-Zsilavecz / Bariatrische Operationen wie Magenverkleinerungen reduzieren nicht nur das Körpergewicht, sondern auch das Risiko für Folgekrankheiten der Adipositas wie Typ-2-Diabetes. Die positiven metabolischen Folgen sind dabei unabhängig von der Gewichtsreduktion. In diesem Zusammenhang scheint ein Gallensäure-Rezeptor eine Rolle zu spielen, der sich damit auch als neues Target für Wirkstoffe anbietet.
In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Adipositas-chirurgischen Eingriffe (bariatrische Operationen) in Deutschland stark zugenommen. Das geht zum einen auf die Entwicklung neuer Operationstechniken, die Verkleinerung der operativen Zugangswege und eine erhebliche Zunahme wissenschaftlicher Untersuchungen zurück, zum anderen aber auch auf die Erkenntnis, dass eine dauerhafte Gewichtsreduktion bei schwerwiegender Adipositas meist nur mittels Chirurgie erzielt werden kann, da konservative Verfahren nicht weiterhelfen.
Da es sich um große Eingriffe mit nicht unerheblichen Risiken handelt, muss die Indikation streng gestellt werden. Nach den aktuellen Therapieleitlinien ist eine bariatrische Operation bei Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 40 kg/m2 ohne Kontraindikationen nach Ausschöpfen der konservativen Therapie indiziert (1). Sie kann aber auch bei Patienten mit einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m2 nach Versagen der konservativen Therapie angewendet werden, falls diese an einer oder mehr Adipositas-assoziierten Folge- oder Begleiterkrankungen leiden, zum Beispiel Diabetes, koronare Herzkrankheit oder Schlafapnoe. Diese traditionelle Indikationsstellung für bariatrische Operationen beruht auf den Konsensus-Empfehlungen der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) aus dem Jahr 1991. Sie haben inzwischen Vorbildcharakter erlangt und international Eingang in die Leitlinien vieler Fachgesellschaften gefunden.
Positive Effekte belegt
Die Wirksamkeit der bariatrischen Chirurgie innerhalb des genannten Indikationsspektrums ist in vielen Übersichtsartikeln und Metaanalysen zweifelsfrei bestätigt worden. Bariatrische Eingriffe haben einen erheblichen positiven Einfluss auf Komorbiditäten. Der Gewichtsverlust entlastet unter anderem Gelenke, Atmung, Herz und Kreislauf, verringert den intraabdominellen Druck und reduziert gastroösophageale Refluxbeschwerden. Auch das Schlafapnoe-Syndrom, das Adipositas-assoziierte Asthma, Fettstoffwechselstörungen und arterielle Hypertonie werden gebessert.
Besonders beeindruckend ist der positive Effekt der bariatrischen Chirurgie auf Typ-2-Diabetes (T2DM), den zahlreiche Studien belegen. Je nach Untersuchung und Operationsverfahren liegen die Remissionsraten zwischen 40 und 100 Prozent. Dabei ist die Chance, dass der Diabetes nach dem Eingriff ganz verschwindet, umso größer, je kürzer die Erkrankungszeit des T2DM und je höher der erreichte Gewichtsverlust ist. Bei Patienten mit einem Insulin-behandelten T2DM kann die Arzneistoffdosis rasch gesenkt werden, wobei ein großer Teil der Patienten bereits sechs Wochen nach der Operation keine Insulin-Substitution mehr benötigt. Erst kürzlich zeigte eine Untersuchung aus den USA, dass eine operative Therapie plus Medikamente den Blutzucker besser senken kann als eine rein medikamentöse Behandlung. Das berichteten Forscher um Philip R. Schauer im April im »New England Journal of Medicine« (2). Bariatrische Operationen können zudem die Entwicklung eines T2DM verhindern.
Neues Arzneistoff-Target
Die positiven metabolischen Effekte wie sinkender Insulin-Bedarf und normalisierende Nüchternblutzuckerspiegel sind insofern bemerkenswert, als sie unabhängig vom Gewichtsverlust und vor allem sehr schnell nach der chirurgischen Intervention eintreten. Dies wirft die Frage nach den molekularen Mechanismen der verbesserten Stoffwechsellage auf. Aktuelle Untersuchungen legen nahe, dass die positiven metabolischen Effekte einer bariatrischen Operation zumindest teilweise über den Farnesoid-X-Rezeptor (FXR, Gallensäure-Rezeptor) vermittelt werden. Dieser nukleäre Rezeptor steuert nicht nur die Synthese, den Transport und den Metabolismus von Gallensäuren, vielmehr ist er auch an der Regulation der Glucose- und Lipidhomöostase beteiligt. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass es nach bariatrischen Operationen zu einer Veränderung der Menge und der Zusammensetzung der Gallensäuren im enterohepatischen Kreislauf kommt.
In einem Versuch an Mäusen untersuchten Karen Ryan und Kollegen von der Universität Cincinnati den Einfluss einer Schlauchmagenoperation auf eine Diät-induzierte Adipositas, wobei sie FXR-Knockout-Mäuse (genetisch manipulierte Mäuse ohne FXR) mit Wildtypmäusen verglichen (3). Die Forscher konnten zeigen, dass die positiven metabolischen Effekte nicht der Magenverkleinerung geschuldet sind. Denn trotz einer Verkleinerung des Magens um 80 Prozent zeigten die Knockout-Mäuse sechs Wochen nach der Operation im Vergleich zu den ebenfalls operierten Wildtypmäusen unter anderem eine signifikant geringere Gewichtsabnahme und eine deutlich schlechtere Glucosetoleranz. Das zeigt, dass ein funktionierender FXR für die Verbesserung der metabolischen Parameter nach bariatrischen Eingriffen notwendig ist. Die im Fachjournal »Nature« veröffentlichten Daten legen nahe, dass dieser nukleäre Rezeptor ein interessantes Target für die Entwicklung neuer Arzneistoffe zur Behandlung metabolischer Erkrankungen darstellt.
Darmflora verändert
Da Gallensäuren und der FX-Rezeptor mit der Darmflora interagieren, untersuchten die Forscher um Ryan auch die Auswirkungen der Magenverkleinerung auf die Bakterienpopulation im Darm der Tiere. Hier zeigten sich bei den Wildtypmäusen einige Veränderungen bei Bakterienspezies, die mit einem erhöhten Diabetes-Risiko in Verbindung gebracht werden, und die mit Adipositas assoziierten Bacteroidetes-Spezies nahmen zahlenmäßig ab. Bei Knockout-Mäusen ohne den FXR waren diese Veränderungen nicht zu beobachten. Die Darmflora zu manipulieren, könnte daher einen weiteren Weg darstellen, die Effekte der bariatrischen Operation nachzuahmen, folgern die Autoren (siehe Mikrobiom: Dick durch falsche Darmflora?). /