Gefährliche Reisebekanntschaften |
11.05.2007 14:16 Uhr |
Gefährliche Reisebekanntschaften
Von Gudrun Heyn, Berlin
Auf Fernreisen müssen Naturliebhaber immer damit rechnen, Gifttieren zu begegnen. Auf dem amerikanischen Kontinent sind es Schlangen, Skorpione, Quallen und Spinnen, die gefährliche Vergiftungen verursachen können. Aber auch der Verzehr von Seefisch und Muscheln kann unangenehme Folgen haben.
Für USA-Reisende, die in der Prärie wandern wollen, stellen Klapperschlangen die größte Gefahr dar. Die Giftschlange aus der Familie der Viperidae kann aus dem Stand bis zu einem Meter vorschnellen. In Mittel- und Südamerika gehören die Lanzenottern aus der gleichen Familie zu den gefährlichsten Schlangen. In tropischen Laub- und Regenwäldern ist beispielsweise die extrem giftige Terciopelo-Lanzenotter (Bothrops asper) anzutreffen, auf den weiten Grasflächen der Campos oder Pampas die ebenfalls sehr leicht reizbare Jararaca (Bothrops jararaca). Dagegen gelten etwa die in ganz Amerika vorkommenden Korallenschlangen aus der Familie der Giftnattern als weit weniger aggressiv, sagte Professor Dr. Dietrich Mebs vom Institut der Rechtsmedizin der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main, auf dem 8. Forum Reisen und Gesundheit im Rahmen der Internationalen Tourismus-Börse Berlin.
Giftschlangen produzieren in ihren Giftdrüsen ein komplexes Konzentrat aus sehr aktiven Enzymen und Toxinen. Darunter sind auch Verdauungsenzyme, da das Gift nicht nur dazu dient, ein Beutetier zu fangen und Feinde abzuwehren, sondern auch dazu, die Verdauung einzuleiten. Wird Schlangengift bei einem Biss injiziert, kommt es lokal zu einer Nekrose. Außerdem entwickeln sich innerhalb einer halben Stunde ein massives Ödem und Hämorrhagien um die Injektionsstelle. Doch viele Schlangen setzen bei Begegnungen mit Menschen kein Gift ein. Bei den Klapperschlangen ist fast jeder zweite Biss nur zur Abwehr. Bleiben die Symptome aus, war der Biss trocken und der Patient muss höchstens mit einer Infektion rechnen, erklärte Mebs.
Die Wirkung einer Giftinjektion kann je nach Schlangenart, der einzelnen Schlange und den Umständen der Verteidigungssituation erheblich variieren. Charakteristisch für die Gifte vieler Lanzenottern und mancher Klapperschlangen ist die Störung der Blutgerinnung. Eine schwere Vergiftung zerstört bereits innerhalb von 30 Minuten die Gerinnbarkeit des Blutes völlig. Tage bis Wochen können die Vergiftungssymptome anhalten. Als Komplikation tritt eine verstärkte Blutungsneigung auf, die besonders dann gefährlich ist, wenn das Gefäßsystem der Betroffenen nicht mehr ganz intakt ist.
Die Gifte vieler Lanzenottern führen zudem zu einer schmerzhaften Zersetzung der quergestreiften Muskulatur. Dabei färbt sich der Urin dunkelbraun und es besteht die Gefahr eines Nierenversagens. Relativ selten sind neurotoxische Wirkungen. Das Gift der südamerikanischen Klapperschlange kann die Augenmuskulatur, die Gesichtsmuskulatur und letztlich die Atemmuskeln lähmen.
Bei einem Schlangenbiss sollte man zunächst den Patienten beruhigen und den betroffenen Körperteil ruhigstellen. Außerdem muss der Betroffene in Schocklage gebracht werden, wenn sich Anzeichen eines Kreislaufschocks oder einer Ateminsuffizienz zeigen. »Ausbrennen, Ausschneiden oder Aussaugen der Bisswunde haben keine Wirkung«, sagte Mebs. Vielmehr kann hierdurch noch mehr Gift in das Blut gelangen. Auch das Abbinden ist nicht hilfreich, da dies die Ausbreitung des Giftes nicht verhindert. Umgehend ist der Patient in ärztliche Behandlung, möglichst in eine Klinik, zu bringen. Dort kann festgestellt werden, ob die Symptome Übelkeit und Erbrechen auf der Injektion von Gift beruhen oder rein psychischer Natur sind.
Antiseren gegen Schlangengift gehören nicht in die Hand des medizinischen Laien. Da sie meist vom Pferd gewonnen werden, besteht immer die Gefahr einer Anaphylaxie. Sie sollten möglichst frühzeitig, intravenös und von einem Arzt verabreicht werden, der auf alle Komplikationen vorbereitet ist. Für Rucksackreisende ist daher nicht ein mitgeführtes, gekühltes Antiserum, sondern ein gutes Schuhwerk und eine lange Hose der beste Schutz.
Schmerzhafte Spinnenbisse
Überall auf dem amerikanischen Kontinent sind zudem giftige Spinnen anzutreffen. Weit verbreitet ist etwa die Schwarze Witwe (Latrodectus sp.). Bevorzugt sitzt sie in Toiletten, um dort Fliegen zu fangen. Gerade die empfindlichen Körperteile sind daher recht häufig von Bissen des fingernagelgroßen Tieres betroffen. Die ersten Symptome zeigen sich nach 10 bis 30 Minuten. Es kommt zu starken Schmerzen, Schwitzen, Tränen- und Speichelfluss. Das Gift der Schwarzen Witwe mobilisiert sämtliche Neurotransmitter. So treten gleichzeitig cholinerge und adrenerge Wirkungen auf. Doch die Prognose ist gut. Wenn nach 24 Stunden der Schmerz nachlässt, ist alles vorbei.
Ebenfalls sehr schmerzhaft ist der Biss der besonders in Brasilien beheimateten Bananenspinne (Phoneutria nigriventer). Die langbeinige Spinne mit einem Gesamtdurchmesser von bis zu 10 cm ist Untermieter in Wohnungen und Ferienhäuschen. Kommt man ihrem Netz und damit ihrem Nachwuchs zu nahe, warnt sie mit einem klapperschlangenähnlichen Geräusch. Bei Gefahr erweist sie sich als enorm bissig und kann zu diesem Zweck auch bis zu einem Meter weit springen. Ihr Gift ruft Allgemeinsymptome, wie Schwitzen und Erbrechen bis hin zu Schock und Lungenödemen, hervor. Während es gegen das Gift der Schwarzen Witwe kein Antidot gibt, ist in Brasilien ein Antiserum gegen das Gift der Bananenspinne verfügbar.
Besonders für Kinder gefährlich ist ein Biss der in Nord- und Südamerika vorkommenden Speispinne (Loxosceles sp.). Bei ihrem Biss injiziert sie Speichel, der stark mit Verdauungsenzymen angereichert ist. In der Folge zersetzt sich das Gewebe. Gelangt das Gift in das Blut werden Erythrozyten abgebaut. Es kommt zu Hämolyse und Nierenversagen. Völlig harmlos sind dagegen Vogelspinnen. Ihr mächtiges Beißgerüst hat die Wirkung einer Nähnadel.
Wer sich für Skorpione interessiert, sollte nach Mexiko fahren. Dort leben Arten der Gattung Centruroides. Die kleinen nachtaktiven Tiere können mit ihrem Gift Menschen leicht in Lebensgefahr bringen. Besonders Kinder und ältere Menschen sind gefährdet. Sticht ein Skorpion zu, werden plötzlich Neurotransmitter freigesetzt. Neben Schweißausbrüchen, Kurzatmigkeit und Erbrechen treten Kreislaufprobleme, Bluthochdruck, Tachykardie und Hyperglykämie auf. Auch Lungenödeme können auftreten. Vor allem in entlegenen Gebieten, wo kein Arzt greifbar ist, sind Todesfälle häufig.
Gefahr im Wasser
»An den Küsten Floridas sollten sich Badende besonders vor der Portugiesischen Galeere in Acht nehmen«, sagte Mebs. Meist wird mit Schildern vor den Quallen gewarnt, die im Englischen »Portuguese-Man-of-War« heißt, wenn sie an die Ostküste treiben. Bis hoch nach New York wurden sie bereits gesichtet.
Die Qualle (Physalia physalis) schwebt mit einer großen Gasblase an der Wasseroberfläche und streckt ihre zahlreichen bis zu 20 Meter langen Tentakel nach Nahrung aus. Bei Berührung werden Tausende von Nesselzellen aktiv, die ihre mit Gift gefüllten Schläuche ausschleudern. Der Kontakt mit den Tieren ist sehr schmerzhaft. Es treten Ödeme und Gerinnungsstörungen auf. Ausgedehnte Nesselverletzungen können tödlich sein. Doch weit häufiger ertrinken die Betroffenen. Besonders in einem Schwarm von Quallen kann ein Schwimmer leicht in Panik geraten und nicht wieder freikommen.
Betroffene sollten möglichst schnell aus dem Wasser geborgen und von auf der Haut klebenden Tentakel befreit werden. Die Nesselzellen lassen sich mit Weinessig oder Sand inaktivieren und anschließend mit einem Messerrücken vorsichtig abschaben. Als wirkungslos gilt dagegen das Abduschen mit Süßwasser. Umgehend ist danach ein Arzt aufzusuchen.
Vorsicht bei Meeresfrüchten
Häufig kommt es zudem beim Verzehr von Meerestieren zu Vergiftungen. An vielen Küsten, so auch in den USA, werden besonders im Frühjahr große Mengen an Muscheln gesammelt. Doch über Nacht und kaum zu prognostizieren können Muscheln, wie etwa die Miesmuschel, plötzlich giftig werden. Dies passiert, wenn Muscheln mit ihren Barteln neben anderen Nahrungsteilchen toxinhaltige Algen aus dem Wasser filtrieren und das Gift in ihrem Gewebe anreichern. Mit dem Algengift Saxitoxin kontaminierte Muscheln treten regelmäßig entlang der Ost- und Westküste Nordamerikas auf. Aber auch in der Karibik und in Mittelamerika kommen sie vor. Die US-amerikanischen Behörden sperren dann häufig ganze Küstenstreifen ab.
Bereits der Verzehr einer kontaminierten Muschel reicht aus, um erste Symptome auszulösen. Saxitoxin führt zu Missempfindungen wie Kribbeln oder einem tauben, schmerzhaft-brennendem Gefühl im Mund sowie zu einer allgemeinen Schwäche. Bei höheren Dosen treten Schluck- und Atembeschwerden auf. Kommt es dabei zu einer Lähmung der Atemmuskulatur besteht Lebensgefahr. Da es kein Antidot für diese Vergiftung gibt, sind Erbrechen und Magenspülung die ersten Maßnahmen vor einer symptomatischen Behandlung, die gegebenenfalls aus einer künstlichen Beatmung besteht. Nach zwei bis vier Tagen klingen die Symptome wieder ab. Spätfolgen der Vergiftung sind nicht zu erwarten.
In der Karibik ist zudem das Algentoxin Okadasäure relativ häufig in Speisemuscheln zu finden. Es löst gastrointestinale Beschwerden mit plötzlichen starken Durchfällen aus. Eine Behandlung der Betroffenen ist in der Regel nicht notwendig. Gegebenenfalls muss jedoch der Elektrolytverlust ausgeglichen werden. Wesentlich seltener sind Vergiftungen durch Muscheln in Kanada. Auslöser sind dort Kieselalgen, die das Toxin Domosäure in sich tragen. Bei einem Verzehr kommt es zu irreversiblen Nekrosen im Gehirn. In der Folge leiden die Betroffenen unter einer massiven Veränderung des Kurzzeitgedächtnisses. Für fünf Menschen in Kanada endete die Muschelvergiftung bereits tödlich.
Sehr häufig sind dagegen Fischvergiftungen. Vor allem in Feriengebieten, wie der Dominikanischen Republik, treten sie auf. Drei bis vier Stunden nach dem Fischverzehr setzen Durchfall und Erbrechen ein. 24 Stunden später beginnen die Hand-innenflächen, danach der ganze Körper zu jucken. Wenn die Betroffenen ihren Juckreiz unter der Dusche bekämpfen wollen, stellen sie häufig fest, dass das Kalt-Warm-Empfinden vertauscht ist. Aufgrund der Symptome werden Urlaubsrückkehrer von deutschen Hausärzten häufig in die Psychiatrie eingewiesen. Doch es handelt sich um die klassischen Merkmale der Ciguatera. Ursache ist ein Algentoxin, das über die Nahrungskette in Speisefische gelangt. Den Fischen ist die Toxizität nicht anzusehen. So werden sie auch in den 5-Sterne-Hotels auf den Buffets serviert. Wochen bis Monate können die extrem unangenehmen Symptome persistieren. Obwohl es kein Arzneimittel zur Behandlung gibt, ist die Prognose gut. Zur Prophylaxe sollten Urlauber jedoch in der Karibik und im tropischen Indopazifik mit dem Verzehr von Fisch sehr zurückhaltend sein.
Nie im Dunkeln ohne Taschenlampe laufen, denn viele Gifttiere sind Nachttiere.
Nie auf entdeckte Gifttiere zugehen, damit wird eine Bedrohung erst ausgelöst.
Alle Bewegungen und Griffe unter Sichtkontrolle durchführen (zum Beispiel nicht »blind« mit der Hand im Schrank nach etwas suchen;
geschlossene Schuhe vor Benutzung ausschütteln).
Bei Touren im Gelände fest auftreten, um Gifttiere zu verscheuchen.
Größere Bäume meiden (Baumschlangen sind fast alle giftig).
Nie »tote« Schlangen anfassen.
Bei Ausflügen festes Lederschuhwerk bis über die Knöchel tragen (90 Prozent der Schlangenbisse sind am oder unter dem Knöchel lokalisiert).
Nie auf der Erde schlafen. Kleidungsstücke, Schuhe, Nahrung auf der Erde locken Skorpione und Spinnen an.
Küchenabfall konsequent beseitigen, denn Schlangen leben von Mäusen und Mäuse leben von Abfall.
Mückennetz und Fliegengitter an den Fenstern halten Insekten und Spinnen fern.
Quelle: Auswärtiges Amt