Schon kurz nach der Geburt impfen |
15.05.2006 11:15 Uhr |
Schon kurz nach der Geburt impfen
von Claudia Heß, Mainz
Das noch unreife Immunsystem von Neugeborenen spricht schlecht auf Impfungen an. Deshalb wird in der gängigen Praxis frühestens im Alter von zwei bis drei Monaten mit Schutzimpfungen begonnen. Jetzt könnten neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung diesen Zeitpunkt nach vorne verschieben.
Der Pieks kann Leben retten, da wiegen ein paar Tränen beim Einstich nicht schwer: Impfen von Babys und Kleinkindern zum Schutz vor schweren Infektions- und Kinderkrankheiten ist hier zu Lande schon seit langem Standard. Nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beginnt der Impfrhythmus zurzeit im Alter von zwei Monaten. Vorher ist das Immunsystem der Säuglinge zu unreif, um überhaupt eine Impfantwort auf die Wirkstoffe geben zu können. So dachte man zumindest bisher.
Ofer Levy und seine Kollegen vom Children‘s Hospital Boston, Massachusetts, entdeckten jetzt bei Neugeborenen einen Bestandteil des Immunsystems, das sich gleich seiner »ausgereiften« Form verhält (1, 2). Die Forscher konzentrierten sich in ihren Untersuchungen auf die Gruppe der so genannten Toll-like-Rezeptoren (TLR) aus Nabelschnurblut von Neugeborenen, die bei der frühen Immunabwehr eine Schlüsselrolle spielen (Kasten). Bereits aus früheren Untersuchungen stammte die Erkenntnis, dass sich neun der zehn damals bekannten Neugeborenen-TLR gegenüber bakteriellen Proteinen anders verhalten als ausgereifte Toll-like-Rezeptoren von älteren Babys oder Kleinkindern. Die Ausnahme davon war das so genannte TLR-8.
Toll-artige Rezeptoren (TLR) gehören zum angeborenen Immunsystem und sitzen auf der Oberfläche von Makrophagen oder Granulozyten. Sie sind Transmembranproteine, erkennen bestimmte Muster bakterieller und viraler Bestandteile, wie Proteoglykane, Lipopolysaccharide (LPS), DNA oder RNA und lösen in ihren Trägerzellen dadurch eine Signalkaskade aus, die zur Stimulation der Infektionsabwehr führt. Bisher sind elf TRL identifiziert, »TLR1« bis »TLR11« . Der Name ist abgeleitet von dem Toll-Protein bei Fruchtfliegen.
Eine Stimulation des Immunsystems kann auch in der Krebstherapie hilfreich sein. So wird bei Basalzellkarzinomen und Feigwarzen bereits seit Jahren der TLR-7-Agonist Imiquimod eingesetzt. Er setzt verschiedene Zytokine zur Anregung der Immunabwehr frei und induziert gleichzeitig lokal Apoptose in Tumorzellen der Haut. Eine Beeinflussung von Toll-like-Rezeptoren wird auch bei Multipler Sklerose untersucht, denn TLP sind an der Schubentstehung beteiligt.
Jetzt behandelten die Forscher genau diesen Toll-like-Rezeptor mit viraler RNA oder TLR-8-Agonisten. So stimuliert, regte er Antigen-präsentierende Zellen (APC) an, die Zytokine TNF-α und Interleukin 12 freizusetzen und so T-Helferzellen anzulocken, genau wie bei einer Immunantwort im reiferen Organismus. Agonisten der Rezeptoren TLR-2, -4, und -7 erzielten dagegen einen wesentlich geringeren Effekt.
Levy vermutet nun, die Gabe eines TLR-8-stimulierenden Präparates in Verbindung mit einem Impfstoff könne die körpereigene Immunantwort bei Neugeborenen erhöhen. Weitere Forschungen stehen jedoch aus, zumal noch nicht klar ist, wie Neugeborene auf gesteigerte Zytokinlevel reagieren. Das Paul-Ehrlich-Institut bezeichnet den Ansatz gegenüber der PZ als »wichtigen möglichen Schritt, die Imfwirkung zu verbessern«. Allerdings seien Nebenwirkungen absehbar. Im nächsten Schritt will Levy seine Ergebnisse im Tierversuch reproduzieren.
Impfquote erhöhen
Levy‘s Team hat ferner im Neugeborenen-Nabelschnurblut einen hohen Adenosinspiegel gemessen. Adenosin unterdrückt auch bei Stimulierung der Toll-like-Rezeptoren die Produktion bestimmter Zytokine, wenn auch nicht aller. Blockierten die Forscher gezielt die Adenosin-Rezeptoren, wurden diese Zytokine in ausreichender Menge für eine Immunantwort produziert.
Die Forscher sehen evolutionäre Gründe in dieser Form der Immunantwort von Neugeborenen. Einige Zytokine können vorzeitige Wehen auslösen, deshalb wird ihre Produktion beim Ungeborenen im Mutterleib durch einen hohen Adenosinspiegel unterdrückt. Zum Zeitpunkt der Geburt bringt das Baby dieses hohe Level mit auf die Welt und benötigt einfach eine gewisse Zeit der Umstellung. »Mit besserem Verständnis der molekularen Reaktionen bei Neugeborenen können wir deren Immunreaktion verbessern«, hofft Levy und denkt hierbei besonders an Babys in Entwicklungsländern.
Denn gerade in Ländern, in denen Mütter in erster Linie, wenn überhaupt, zur Geburt einen Arzt aufsuchen, könnte die Kombination Vakzine plus TLR-8-Agonist sinnvoll eingesetzt werden. Eine sofortige Impfung könnte die Impfraten und somit der Impfschutz erhöhen. Wie wichtig hier Verbesserungen sind, zeigen die Zahlen: Zehn Millionen Kinder sterben momentan jährlich vor Erreichen des 5. Lebensjahres, die meisten davon in armen Ländern wie Indien, Nigeria, China oder Äthiopien. 40 Prozent aller Todesfälle ereignen sich in den ersten vier Lebenswochen. Die Hauptursachen sind Infektionen, mangelnde Nahrung und Hygiene und fehlende Aufklärung sowie ärztliche Betreuung. Beispielsweise fordert der Neugeborenen-Wundstarrkrampf, der in den Industrieländern seit einem Jahrhundert nahezu ausgerottet ist, in den armen Ländern jährlich immer noch eine halbe Million Opfer unter den Babys (3).
Quellen
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Blood, Online-Ausgabe vom 25. April, Abstract
Nature DOI:10.1038/news060424-3 (25. April 2006)
Weekly Epidemiological Record 80: (2005) 78-81